Beweggründe zur Dankbarkeit gegen Gott.

[46] Es ist eine große Schande, daß man uns allererst zur Dankbarkeit muß reizen wie die Faulen, und aufwecken, wie die Schlafenden; auch die Wohlthaten Gottes erst nennen und[46] uns vorhalten muß, so wir doch täglich damit überschüttet werden, und ohne Unterlaß sie brauchen und davon leben. Da wir uns billig selbst sollten reizen zum Danke ohne fremde Erinnerung, blos durch die Wohlthaten selbst beweget, gelocket und entbrannt. Aber da muß man uns erst sagen, preise den Herrn, danke deinem Gott. Und noch will der Mensch nicht immer an ein solches lustiges und fröhliches Werk. Er nimmt alles dahin, als käme es von ohngefähr, oder als hätte er es erworben durch Arbeit, Fleiß und Weisheit. So schändlich lebt Thier nicht. Denn es kennet doch den Knecht oder die Magd, von welcher es sein Futter bekömmt. Und man hat wohl Exempel gehört, daß Thiere ihre Herrn, die ihnen gutes thaten, schützten und in Gefahren vertheidigten. Siehe nun das ist Dankbarkeit der Thiere, und du ein vernünftiger Mensch wolltest Gott deine Dankbarkeit nicht bringen? O so verdientest du nicht, daß du den Namen Mensch führest, und zwei Hände und zwei Füße hast. Denn wer nicht danken kann, kann kein guter Mensch, geschweige denn ein Christ seyn. Und wer nur[47] seine Augen aufthut, der muß doch die Werke sehen, die der große Gott uns zum Dienst und Nutzen geschaffen hat. Sonne und Mond muß uns leuchten Tag und Nacht, die Wolken müssen uns Regen und Thau geben, die Erde allerlei Gewächse und Thiere, die Luft Vögel und Oden, das Wasser Fische und unzählige andere Nothdurft, das Feuer wärmen und leuchten. Und wer kann es alles erzählen? Es läßt sich nicht anders beschreiben, denn mit den kurzen Worten: Groß sind die Werke des Herrn. Und kann nicht genug gepredigt werden, und wenn gleich Laub und Gras lauter Zungen wären. Denn wer kann allein das Werk preisen, daß er uns Leib und Seele aus nichts geschaffen hat, und täglich im Leben erhält und schüzt wider so viel tausend Gefahren und Unglück. Aber da sind die Leute der Wohlthaten Gottes so gewohnt, weil sie dieselben täglich erhalten, daß sie gar nicht mehr daran denken. Du Narr, darum muß es geringe sein, weil es täglich geschiehet? Wenn aber die Sonne einige Monate hindurch nicht leuchtete, so sollte sie wohl ein großes Werk scheinen. Wenn kein[48] Feuer auf Erden wäre, als an einem Orte, ich meine, es sollte auch köstlicher werden, als alles Gold und Silber. Wenn allein ein Brunnen in der ganzen Welt wäre, ich achte wohl, ein Törpflein Wasser sollte mehr werth seyn, als es jetzo ist. Wenn ein Künstler dem Blinden könnte ein Auge machen, das eine Elle weit sehen möchte, oder dem Lahmen einen Fuß machen, oder ein recht fruchtbar Jahr hervorbringen, der würde über Gott seyn müssen, und Wunders, Lobens und Dankens alle Welt voll haben. Ist es aber nicht ein verdrießlich Ding um die Undankbarkeit der Menschen, die Gott mit so reichen Wunderthaten überschüttet, und sie derselbigen nicht eines ansehen, noch dafür danken, vielweniger sich derselben verwundern und freuen. – Und nun wie unwerth bist du alles dessen, was dir dein Gott giebt. So du jemanden etwas giebst, der es nicht um dich verdient hat, so erwartest du desto größern Dank. Und du hast Recht. Hast du es aber um Gott verdient? Bist du sein gehorsamer Diener gewesen? Oder hast du ihm etwas zuvor gegeben, daß er dich nun speisen, kleiden, wärmen und[49] überdies durch viele Dinge erfreuen müßte. Ja wer das nicht einsiehet, der ist blind, und wenn ihm die Sonne in die Augen schiene. – Ueberdies kostet es denn so viel Mühe und Fleiß, Gott zu danken? Ist es nicht die größte Wonne und Seligkeit? Empfindet nicht ein feiner guter Mensch darinne selbst Freude, wenn er seinem Gönner und Wohlthäter danken kann? Darum lerne dich hüten, vor dem großen und schändlichen Laster der Undankbarkeit, welches auch schon die Heiden für das größte gehalten haben.

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 46-50.
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