Muth und Entschlossenheit.

[94] Es ist wahrhaftig zu beklagen und zu bejammern, daß die Menschen so furchtsam und ängstlich sind, und würde in der Welt weit mehr ausgerichtet werden, und das Gute im Reiche Gottes weit mehr gewinnen, wenn man diese jämmerliche Furcht ablegen wollte. Aber so heißt es: Ach lieber Gott, wie würde es mir[94] ergehen, wenn ich wider das Böse und Ungerechte auftreten und mich dawider setzen wollte. Da kriegte ich Feinde hier und da, und ich käme in Gefahr, Gunst, Güter und Leben zu verlieren. Da bleibe ich lieber hübsch ruhig sitzen, lasse alles gehen, wie es geht, schadet es doch mir wenig oder gar nichts, ich werde mich schön hüten, mir das Maul zu verbrennen, und mich um alles zu bringen, was mir lieb ist. Aber wenn nun alle so denken wollten, so würde nichts in der Welt gefördert und gebessert. Es ist eine rechte schändliche Sache um die Furchtsamkeit. Wo nun unser Herr Christus auch hätte so gesinnet sein wollen, wo wäre das Wort Gottes geblieben. Wo er gedacht hätte: das verdreußt die Juden, du mußt schon stille schweigen und mit deiner Predigt inne halten, und nichts mehr sagen und thun, denn sonst nehmen dir die bösen Juden Leib und Leben. Ich frage dich mein Christ, sprich, wo unser Herr so gesinnet war, wärest du auch jetzo ein Christ. Nun siehe, so mußt du auch deine Furcht ablegen und mäßigen, und alles daran setzen, wo es Gottes Ehre gilt und du etwas[95] gutes fördern und helfen kannst. Denn was sagt der Herr? Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib tödten aber die Seele nicht tödten können, fürchtet euch aber etc. Das ist die rechte Sinnesart eines Christen, der Gott wohlgefallen will. Gleichwie Samuel zu Saul sagte: 1 Sam. 10, 7. Thue, was dir unter Handen kommt, denn Gott ist mit dir. Damit so viel gesagt wird, daß er alles, was gut recht und löblich ist, thun sollte, und sich vor keiner Furcht vor Menschen oder vor sonst ein Ding sollte schrecken lassen. Das ist der rechte Heldenmuth, dessen sich ein Christ rühmen kann. Denn er hat ja einen Gott, der mit ihm ist. Ich will dir ein Exempel geben. Wer einen gnädigen Fürsten hat, der fürchtet kein Ding, das unter demselbigen Fürsten ist, trotzet darauf, rühmet und bekennet seines Herren Gnade und Macht. Wie vielmehr trotzet und rühmet ein Christenmensch wider Marter, Pein, Tod, Teufel und spricht muthig zu ihm: Was magst du mir thun? Bist du nicht unter den Füßen meines Herrn? Thue mir einmal was ohne seinen Willen! Was mag einen Christen erschrecken,[96] so er diesen Muth und Bekenntnis hat. Aber o wie seltsam ist das jetzo geworden. Da fürchtet man Mühe, Arbeit, Gefahr, Hindernis, Widerstand, so etwas gethan und geleistet werden soll, das zu Gottes Ehre dienet! Wer das aber thut, der rühme sich nicht Christi und seines Namens, der rühme sich vielmehr also: Ach ich bin ein gar furchtsames Männlein, habe keinen Muth und Kraft, ich thue nicht gerne was, leide nicht gerne was, gebe nicht gerne was, tauge zu sonst nichts, als daß ich esse, trinke und schlafe. O wie gar keine Kraft hat das Christenthum bei solchen Menschen!

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 94-97.
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