Sorge für unsre Seele.

[56] Die Sorge für die Seele ist so selten und rar, daß man nicht eher daran denkt, als auf den Sterbekissen. Für den Leib sorgen alle, den pflegen, warten, und schonen seiner, als wenn es ihr liebstes, bestes und heiligstes Stück wäre. Aber die Seele mag ruhig schlafen und liegen und für sich selbst Sorge tragen. Allein sage mir, Mensch, so du zwei Geldstücken in der Tasche hättest, ein Goldstück und einen Heller, würden dich nicht die Leute als einen dummen Narren schelten, wenn du mehr auf den Heller Bedacht nehmen wolltest, als auf das Goldstück. Und ist nun die Seele nicht um so viel besser und köstlicher als der Leib, wie das Gold besser und lieber ist als Kupfer und[56] Blei. Siehe nun, wie du für den Leib sorgest täglich und stündlich. Denselben putzest und zierest du, wäschest und reinigest ihn, giebst ihm zu essen und zu trinken, legest ihn schlafen, verwahrest ihn für Regen und Kälte, und für die Seele thust du gar nichts sonderliches. O über die verkehrte Welt! Da du doch für die Seele am allermehresten Sorge tragen solltest. Denn gleicher Weise, als der Leib muß gespeiset und getränket werden, wenn ihn hungert und durstet, so lange er gesättiget ist, also muß es auch die Seele. Der Leib ist satt, wenn er Speise und Trank genossen hat, und gleicher Weise wird es die Seele, wenn sie Weisheit, Glauben, Buße, Hofnung, Trost erhalten hat. Denn die Seele ist in geistliches Ding, also muß sie auch geistliche Speise kriegen. Darum spricht auch Christus: ich bin das Brod des Lebens, wer von diesem Brode isset, der wird leben in Ewigkeit. Durch dieses Brod ist denn nichts anders gemeint, als der Glaube an ihn. Ihn zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligkeit und zur Erlösung machen, das ist die rechte Speise für die Seele. – Christenkinder,[57] sorget doch täglich und stündlich für eure Seele, machet sie weise, klug, heilig und verständig, waschet sie ab und reiniget sie von allen Flecken und Unreinigkeit, als da sind böse Gedanken, Lüste, Worte und Werke. Denn solche Dinge beflecken und besudeln die Seele, so wie Unrath und Koth den Leib. Gleichwie ihr aber keine Flecken am Leibe leiden wollet, wollet ihr denn, daß eure Seele allein unsauber sein sollte?

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 56-58.
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