Besserung der Lasterhaften.

[184] Es ist auch ein recht verdienstlich christliches Werk, andere zu vermahnen und zu warnen, so man sie siehet sündigen, denn die rechte Liebe ist auch der Art, daß sie nicht gerne[184] siehet des Nächsten Sünde und Schande und gerne solches wollte gebessert haben. Denn so du siehest deinen Nächsten sündigen, sollst du nicht gleich bösen Groll und Haß auf ihn werfen, sondern ihn, wo es sich schickt, heimlich, auf daß er nicht zu sehr beschämt werde, anreden, ihm in rechter Liebe und Freundlichkeit vorstellen, wie schwer er sich an Gott versündiget, und wider seine Gebote thut, auf daß er wisse und sagen müsse, daß er unrecht thut. Nur mußt du ja nicht böse und grobe Worte brauchen, sonst würde er nur noch mehr erbittert und dir Feind werden, auch wohl dich fragen: wer dich zu seinem Zuchtmeister gesetzt habe. Aber Liebe und Freundlichkeit richtet alles aus, und kann bei dem Nächsten große Dinge thun. Du mußt sagen: »Höre mein lieber Nachbar, du bist ein guter christlicher Mann, nur höre ich, daß du hie und da strauchelst! Lieber lasse ab, denn du kränkest ja deinen lieben Gott.« So müßte er ein Herz von Stein haben, wo er dir nicht folgen sollte. Und mußt das nicht gerade einmal thun, sondern so oft du nur Gelegenheit hast, aber allemal mit derselben[185] Freundlichkeit. Aber da denkt man immer: »Was geht mich der andere an, habe ich doch keinen Schaden davon, mag er zusehen, wie er es verantwortet.« Aber die rechte Liebe muß nicht faul und kalt sein, daß sie des Nächsten Sünde und Verderben nicht achte, sondern darnach trachten, wie sie ihm von Sünden helfe. Es thut ihr wehe, daß ihr Nächster, den sie liebet, so übel thut wider Gott und an ihm selbst. Ihr Herz wird also beweget von Mitleiden und Erbarmung des Nächsten. Aber was thun die Menschen? Sie spotten und höhnen, welches ihn gar nicht besser, sondern schlimmer macht. Oder sie reden in seinem Rücken von ihm und Jubiliren. Oder sie reden dem Sünder wohl gar noch zu Gefallen, schmeicheln und sagen: »Du machst es gar recht!« O ihr Menschen, wenn werdet ihr eures Nächsten Fehler recht handhaben?

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 184-186.
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