Verklagen und Prozeßiren.

[238] Willst du aber ja zum Richter gehen, und deinen Nächsten anklagen, daß er dir Unrecht gethan hat, so darfst du es nicht aus Haß thun, oder daß der andere Schimpf und Schande davon habe, oder um seine Güter komme, sondern allein darum, daß dem Unrecht gewehrt werde und der Nächste sich bessere. So du es aber thust aus Groll und Haß, um ihm nur einen Possen zu thun, so thust du große Sünde. Du mußt auch immer die Person ansehen, ob sie arm oder reich ist, mit Vorsatz etwas gethan hat, oder nicht, und immer noch auf dem Wege zum Gerichte die Güte hervorsuchen, und sehen, ob du für dich mit dem andern einig wirst. Kurzum, du mußt es nur im äußersten Nothfalle thun, und ja nicht bei kleinen unwichtigen Dingen, so du das Gesetz der Liebe halten willst. Denn es ist doch besser, dächte ich, ein kleines Unrecht leiden, als großes Unrecht[238] thun. Du sprichst: wenn man also müßte thun, so käme es bald darzu, daß man uns würde unter die Füße treten und alle das unsere nehmen. Aber wiewohl das nicht zu leiden ist, so sollst du doch eben lieber Unrecht in kleinen leiden und nicht Böses mit Bösem vergelten, denn das will das Gebot Gottes.

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 238-239.
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