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In Ansehung der leiblichen Wohlfarth der Kinder.

Nahrung und Kleider sind Eltern ihren Kindern schuldig zu geben, weil sie sich noch nichts selbst verdienen können, und sie es selbst in ihrer Kindheit erhalten haben. Und ich wollte mir es eher selbst entbrechen lassen, als meine Kinder darben lassen und geben, was ihnen gehört. Damit ich nicht sagen will, daß du ihnen alle Tage gesottenes und gebratenes geben, und recht viel in sie hineinstopfen sollst. Denn das thun wohl die Reichen; aber darum sind auch der Reichen Kinder siecher und gelber, als der Armen. Du mußt nur immer zusehen, was ihnen gesund ist, und Sorge tragen, daß sie an ihrem Leibe keinen Schaden nehmen, nicht blind, lahm und bucklicht oder Krüpel werden, und darum die Sorge nicht den Wärterinnen überlassen. – Und hier hätte ich auch ein Wörtchen mit den Schwangern zu sprechen, die ihrer Frucht im Leibe wohl durch Nachläßigkeit Wehe thun. Solches sind wahre Mörder, wo das Kind stirbt, und sie selbst Schuld daran[287] sind. Und ich möchte keiner Mutter wünschen, diese Schuld auf sich zu haben, denn sie muß sich des Kindes wegen schonen, das sie in ihrem Leibe trägt. – Es ist auch viel daran gelegen, daß du deine Kinder von Jugend an zur Arbeit angewöhnest, damit sie nicht Schlemmer und faule Tagediebe wer den. Denn würden sie das durch deine Schuld, so würde Gott alle die Zeit von deinem Haupte fordern, die sie müßig verbringen. Du kannst ihnen schon, ob sie auch klein sind, dieses und jenes Geschäfte aufgeben, damit sie hübsch fertig und gerührig werden; nur wirst du selbst klug sein, und nichts unbilliges fordern, wodurch sie Schaden litten. Du bist ohnedem schuldig, sie in einen Stand zu bringen, worinnen sie sich christlich nähren können. Hier habe ich dir aber zu sagen, daß du wohl merktest, wozu sie geschickt und geneigt sind, und sie zu nichts zwingest, es wäre denn, daß sie eine unehrliche Nahrung anfangen wollten. Denn das Zwingen thut nicht gut und macht nachher verachtet und ungeschickt, da sie in einem andern Stande geehrt und christlich hätten leben können.[288] Aber da denken sie nur: du mußt werden, was ich bin, oder ich hohle den Prügel, sehen aber nicht zu, ob das Kind auch Lust und Geschick dazu habe. Denn die Kinder sollen nur große und vornehme Herrn werden, wodurch wohl schon manches Kind verloren gegangen ist. Du darfst auch nicht die Kinder zur Ehe mit diesem oder jenem Gemahle zwingen, denn du lebst nicht mit dem Manne oder Frau, sondern dein Sohn oder Tochter, und entstehet aus dem Zwange nie etwas gutes. Du sollst aber rathen und helfen, wo du kannst, und soll nichts ohne dem Wissen und Willen geschehen. – Ich kann es auch nicht leiden, wenn Eltern so sehr für die Kinder kratzen und scharren, daß sie dadurch sich wohl mancher Sünden und Betrugs schuldig machen. Magst du etwas lassen, so ist es gut, und wird ihnen wohlgefallen, und thust daran ein löblich Werk. Kannst du aber nicht, so mögen sie selbst arbeiten, welches ihnen nichts schaden, sondern vor vielem Bösen verwahren wird. Aber da lassen sie ihnen wohl lieber den verderblichen Mammon, als einen guten Namen, wenn sie sterben.

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 287-289.
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