Menschenschinderei der Weißen in Westindien.

Der Ritter de St. John in Westindien fuhr nach einer Plantage, wohin er zum Mittagsessen eingeladen war; im Walde, durch den er kam, bemerkte er eine Menge Raubvögel, die um einen Käfig, der an einem Baume hing, herum flogen. Er hörte einige klägliche Töne, die man kaum verstehen konnte; durch eine unwillkührliche Bewegung hingerissen, schoß er unter die Vögel, die sich nur auf eine geringe Weite zurückzogen und einen gräßlichen Lärm machten. Aber, – Gott, was sahe er – im eisernen Bauer saß ein Neger, der dem Tode nahe war. Ich zittere noch, wenn ich daran denke sagt Ritter de St. John. – Die Vögel hatten dem bedauernswürdigen Afrikaner die Augen ausgehackt, die Backen zerfressen und fast den ganzen Körper bis auf die Knochen verzehrt. Das Blut lief durch den Käfig an die Erde, die auf viele Schritte im Umkreis roth gedüngt war. – Das Gemählde ist noch nicht schrecklich genug, so wahr [211] es auch ist. – Kaum hatte ich die Raubvögel verjagt, so bemerkte ich eine Wolke von Insecten, die den geschundenen Körper bedeckten, sich auf die zerhackten Muskeln setzten, und noch das übrige Blut aussogen. – Mein Blut stockte bei diesem scheußlichen Anblicke in meinen Adern, ich war außer mir und unbeweglich. – Obgleich dieser Elende nicht mehr sah, so konnte er doch noch hören: er bat um etwas Wasser, seinen heißen Durst zu stillen. Ich war kaum im Stande, diesem armen schwarzen Bruder seine Bitte zu gewähren, so sehr hatte mich der scheußliche Anblick angegriffen. Dennoch bemerkte ich eine Muschel, die ich an meinem Degen festmachte, sie mit Wein, den ich immer nachführe, füllte, und sie mit bebenden Händen dem sterbenden Neger an die Lippen reichte. Er verschlang den Wein und forderte mehr; ich hätte ihm von meinem Blute gegeben, wenn's ihm hätte helfen können. – Großen Dank, weißer Mensch, röchelte er mir zu, und ich nahm meine Büchse und schoß ihn durch's Herz. Europäische Criminalisten mögen mich richten! – Ohne Appetit kam ich auf der Plantage [212] an, wo man mich erwartete, erzählte da mein Abentheuer und fragte nach der Ursache dieser unmenschlichen Grausamkeit. Kalt gab man mir zur Antwort: der bestrafte Schwarze hätte seinen Aufseher todt geschlagen, weil dieser ihn hart behandelt hätte, und diese harte Strafe wäre für das Interesse der Plantage höchst nöthig. Man wiederholte eine Menge alter Argumente, die diese Abscheulichkeit beschönigen sollte.

Die holländischen Menschenhändler auf Java sollen es nicht besser machen. Und dieser höllischen Industrie verdanken wir unser Gewürz, unsern Kaffee und Zucker!

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[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 211-213.
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