Am Morgen

Am Morgen.

[8] Das frühe Aufstehen auf dem Lande ist wohl den meisten jungen noch in der Entwickelung befindlichen Mädchen keine leichte Sache, besonders, wenn sie sich den Tag vorher in der Draußenarbeit sehr müde gemacht haben. Zur rechten Treue gehört es aber gerade in diesem Punkte, daß ein Mädchen weiß, was sich schickt.

Es schickt sich nicht, daß die Hausfrau (oder die eigene Mutter), die doch älter sind und die gleiche Mühe wie das junge Mädchen tragen, zwei bis dreimal wecken muß, ehe das Mädchen den Entschluß faßt, anfzustehen.

Es schickt sich aber, daß es zu der Zeit, die ihm zum Aufstehen gesetzt ist, energisch und flink sich erhebt, sofort Gesicht, Hals und Arme, am besten den ganzen Oberkörper, mit Seife und Wasser gründlich säubert und mit grobem Tuche trocken reibt. Dann wird das Haar sauber gekämmt, geflochten und möglichst glatt und schlicht aufgesteckt. Besonders bei der Arbeit auf dem Lande, bei der Bereitung der Lebensmittel, die Frauen des Landes nicht nur für die eigene Wirtschaft, sondern auch für die Städter herstellen, ist es durchaus geboten, sich um den Kopf sauber zu halten. Lose aufgestecktes Haar, wie das jetzt von so vielen Mädchen schön gefunden wird, ist bei allen diesen Hantierungen sehr ungeeignet. Beim Melken, beim Butter- und Käsebereiten weht zu leicht ein Haar in die Speise hinein. Jedes Mädchen weiß es aber an sich selbst, wie wenig appetitlich es ihm ist, eine Speise vorgesetzt zu bekommen, in der sich ein Menschenhaar befindet. Darum ist jede Herrschaft in ihrem guten Recht, wenn sie fordert, daß bei der land- und hauswirtschaft lichen Arbeit eine schlichte Haartracht beibehalten werden soll.

Damit das Haar aber glatt und schmiegsam bleibt, muß es auch rein gehalten werden. Jede Leserin weiß, daß das beim Frauenhaar manche Mühe kostet. Aber um so propperer sieht dann auch ein Mädchenkopf aus. Also geduldig alle Tage das Haar bis auf den Grund kämmen, sowohl mit dem großen, wie mit dem Staubkamm. Dazu im Sommer und bei staubiger Arbeit alle Woche, im Winter mindestens jede zweite Woche das Haar und die Kopfhaut in warmem Seifwasser waschen und in klarem, warmen Wasser spülen. Soda darf man nicht ins Wasser tun, weil er das Haar trocken und brüchig macht. Das Waschen nimmt man abends vor, trocknet das Haar in der Nähe des warmen Ofens und läßt es die Nacht über gelöst, nur leicht durch ein Band zusammengehalten. Am besten legt man dazu ein grobes Handtuch über das Kopfkissen und breitet, das hochgebundene Haar darüber aus. Es wird dann am nächsten Morgen tracken sein und sich, zuerst vorsichtig mit den Fingern, dann mit dem großen Kamm entwirren lassen. Sauber gewaschenes Haar muß sich leicht und locker anfühlen. Weil es danach aber auch etwas trocken wird und lose um den Kopf weht, reibt man den Haarboden, wo man die Haarwurzeln trifft, nicht das Haar selbst, mit Klettenwurzelöl [8] ein. Das befördert das Wachstum der Haare. Nie sollte ein Mädchen aber sein Geld für teure Pvmaden und Haarmittel weggeben. Sie sind nur Schwindel. Reinlichkeit und gutes Oel sind die beste Pflege. Wie das Haar, müssen auch die Zähne ihre rechte Pflege haben. Die meisten Mädchen denken noch, das Benutzen einer Zahnbürste sei, besonders auf dem Lande, überflüssig. Wie töricht das ist, werden sie bald an ihren Zahnschmerzen und den auszuziehenden Zähnen merken. Nicht nur sehen fehlende Zähne recht häßlich aus, der Magen und die Verdauung leiden bald sehr, wenn die Speisen nicht ordentlich gekaut werden. Eine Zahnbürste aber – jedes Jahr gebraucht man eine neue – kostet nur 50 Pf. Das Geld ist gut angewandt, wie Sauberkeit des Mundes und des ganzen Körpers nicht leicht übertrieben werden kann. Die Bürste muß auch alle Seiten der Zähne reinigen, der Gaumen und die Zunge darf ebensowenig vergessen werden. Dann spült man den Mund einigemal und gurgelt hinterher. Auch die Bürste wird in reinem Wasser ausgespült, dann in einem Glase, Obertasse oder Becher aufgestellt und möglichst an der Luft (vor dem Kammerfenster) getrocknet.

Daß auch die Füße alle Tage sauber gewaschen werden müssen, besonders, wenn man an heißen Sommertagen in Pantoffeln barfuß geht, ist wohl jedem Mädchen selbstverständlich. Auch wird sie selbst das Bedürfnis fühlen, den ganzen Körper wöchentlich einmal warm abzuwaschen, wo sie kein warmes Bad haben kann. (Ist nach einem Wäschetage in der warmen Küche und bei den großen Bütten nicht so umständlich.) Im Sommer sind kalte Bäder aber sehr erfrischend und Wasser ist überall auf dem Lande vorhanden. Ein Mädchen, das sich so sauber hält, wird jede Herrschaft unbesorgt mit Lebensmitteln hantieren sehen und auch für den Umgang mit den Kindern gern haben.

Nach der Reinigung des eigenen Körpers wird das Fenster geöffnet und das Bett in der Nähe des Fensters zum Lüften ausgelegt. Beginnt das Mädchen so körperlich erfrischt und gesäubert seine Pflichten im Hause oder an der ihm aufgetragenen Draußenarbeit, so wird es selbst viel heiterer und arbeitsfreudiger sich fühlen, als wenn es vielleicht ungewaschen und mit zerzaustem Haar in der Küche oder im Stalle an tritt. Leider kann man das heutzutage sehr oft auf dem Lande bemerken. Es ist aber gewiß nicht erfreulich, gleich am frühen Morgen um seines Aussehens wegen von seinen Vorgesetzten gescholten zu werden. Um der Wichtigkeit willen, die die saubere Bereitung aller Lebensmittel hat, müssen sie aber fordern, daß das Mädchen vor allem an ihrem eigenen Körper auf Sauberkeit hält.

Im Kleinbetriebe des Haushaltes kommt es nun auch besonders darauf an, daß ein Mädchen weiß, was sich im Reden schickt. Es kann wohl geschehen, daß die Hausfrau in der Eile der Arbeit einige rasche Befehle gibt, ehe ihre Haushülfe Zeit fand, den ersten auszuführen. Versetzt sie sich an Stelle der Hausfrau und überlegt sie recht die Arbeit, die den Vormittag über geleistet werden soll, so wird sie nicht ungeduldig werden. Sie wird daran denken, was auch der Hausherr, die Kinder und anderen Familienglieder von der Hausfrau verlangen. Wie das Mädchen, so ist auch die Frau mit vielen Kleinigkeiten oft recht gehetzt. Hier soll das Mädchen recht zur Frau als ihre getreue Hülfe und Stütze stehen. Es schickt sich nicht, ungeduldig oder gar patzig einem eiligen Befehl zu antworten. Mit einem freundlichen Wort macht man die ungeduldig Gewordenen bald stille, wie besonders Kinder es leicht sind. Und eins nach dem andern geschafft, hat schon viele Arbeit bewältigt.

Quelle:
Bartz (Friedenau), Marie Luise: Willst genau du wissen, was sich schickt? Potsdam 1912, S. 8-10.
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