Die Teilnahme an geselligen Ausflügen.

[120] Der Aufenthalt in den geschlossenen Räumen wird uns in den Sommermonaten natürlich wenig locken und wir ziehen dann die lustigen Gärten vor, in denen aber bezüglich unseres Wohlverhaltens die gleichen Gesetze Geltung haben. Nicht immer aber begnügt man sich mit dem Aufenthalte im Freien nur während der Stunden nach beendetem Tagewerk; an Sonn- und Feiertagen sehnt unser Herz sich hinaus in Gottes herrliche Natur, und bei der heutigen Vereinstätigkeit ist jedem sehr bald Gelegenheit geboten, sich an einem Ausflug zu beteiligen.

Besonders die Großstädter, die den ganzen Winter hindurch die dumpfe Luft ihrer Arbeitsräume atmeten, sehnen sich nach den schönen Tagen, wo ihnen Gelegenheit geboten ist, den Staub des Winters und der arbeitsreichen Woche abzuschütteln, frei aufzuatmen und neuen Mut und frische Kraft zum Kampf ums Dasein zu sammeln.

Da ist denn für alle Teilnehmer eine wichtige Regel zu erwähnen, deren Befolgung niemand versäumen darf, will er nicht sich und anderen von vornherein die Freude trüben; diese Regel heißt: Pünktlichkeit! Ausflüge werden ja stets von mehreren Personen, vielfach auch von Vereinen und geschlossenen Gesellschaften, veranstaltet, und die, denen[120] es obliegt, allen Teilnehmern an diesem wichtigen Tage so viel Vergnügen wie möglich zu bereiten, sorgen, wenn die Landpartie zu Wagen unternommen wird, zumeist auch dafür, daß die Wagen die Teilnehmer zur bestimmten Stunde aus der Wohnung abholen, oder daß sie wenigstens am Sammelplatze bereit stehen. Wie unangenehm ist es nun, wenn jemand zur bestimmten Stunde nicht bereit ist! Er mutet anderen zu, seinetwegen zu warten und bringt so den ersten Mißton in die vorher allseitig so schön ausgedachte Harmonie. Auch wenn die Abfahrt mit der Eisenbahn erfolgen soll, ist Pünktlichkeit geboten; denn wenn auch vielfach Gelegenheit geboten ist, mit einem späteren Zuge nachzukommen, so ist es doch für die anderen ein peinliches Gefühl, wenn sie nicht so vollzählig abfahren können, als sie es sich gedacht hatten.

Was nun die für solche Gelegenheiten passende Kleidung der Damen anlangt, so ist es selbstverständlich, daß nur solche Stoffe geeignet sind, die gedrückt werden können, denen auch einige Flecke nicht schaden und die vor allem von plötzlich hereinbrechendem Regenwetter nicht dauernd verdorben werden können.

Auf einem Ausflug muß eine anständige Ungezwungenheit herrschen; wenn die Gesellschaft im Walde lagert, um zu frühstücken, und um etwa später Gesellschaftsspiele auszuführen, kann es leicht vor kommen, daß ein Kleid etwas mit Wein überschüttet oder beim Haschen fester angefaßt und zerknittert wird. Derlei Vorkommnisse stören die Fröhlichkeit ›draußen‹ nicht und jede Teilnehmerin muß darauf gefaßt sein. Trotzdem versäume man nicht, für die Heimfahrt sich mit warmen Tüchern zu versehen; denn wenn diese oft auch nicht gebraucht werden, so macht sich der Mangel bei plötzlichem Witterungsumschlage doch stets sehr fühlbar, und böse Erkältungen können die Folge eines derartigen Vergnügens sein.

Wir erwähnten bereits, daß bei Ausflügen über Land eine größere Ungebundenheit herrscht, und die strengen Formen bei solchen Gelegenheiten leicht außer acht gelassen werden. Aber nur bis zu einer gewissen Grenze! Der würde sich in einem großen Irrtum befinden, der glaubte, die Regeln[121] guter, seiner Lebensart dürften bei Landpartien außer acht gelassen werden. Vielmehr ist den Herren gerade hierbei ein taktvolles Benehmen um so mehr anzuempfehlen, als sie es sonst sich und den Damen unmöglich machen würden, wiederum an einem derartigen Vergnügen teilzunehmen. Es bietet sich auch den Herren nicht leicht eine bessere Gelegenheit, sich als wohlerzogene Begleiter zu zeigen, als bei Landausflügen. Die besten Plätze gehören vor allem den Damen, in deren Gesellschaft das Rauchen in den Eisenbahnwagen möglichst zu vermeiden ist. Fährt man im Wagen, so muß man beim Rauchen darauf achten, daß der Luftzug den Damen den Dampf nicht ins Gesicht bläst, und wird gesungen, so muß man entweder tüchtig mitsingen oder schweigen; keinesfalls aber darf man den Gesang stören.

Werden Spiele im Freien aufgeführt, so hat man sich daran zu beteiligen, auch wenn die vorgeschlagenen Spiele unseren Beifall nicht haben sollten. Zur allgemeinen Fröhlichkeit beizutragen, gilt für jeden Herrn bei Ausflügen als vornehmste Aufgabe! Im Trinken mäßig zu sein, ist wohl nicht erst besonders zu empfehlen, denn das ist selbstverständlich.

Wie wir aber den Herren bei Ausflügen größte Rücksicht gegen die Damen empfahlen, so müssen wir auch letztere darauf aufmerksam machen, daß bei solchen Gelegenheiten ihnen wohl größere Freiheiten gestattet sind, daß aber auch sie nie über die Grenzen dessen, was schicklich ist, hinausgehen dürfen. Junge Damen dürfen fröhlich sein, aber sie müssen sich vor Wildheit und Ausgelassenheit hüten; namentlich bei den Spielen haben sie streng auf sich zu achten. Wenn hierbei auch einmal das Kleid an einem Dornbusch hängen bleibt, so hat das weiter nichts zu sagen; aber Damen dürfen nie so wild laufen, daß sie straucheln oder gar fallen, auch dürfen sie nicht laut aufschreien und kreischen. Sind Schaukeln oder Karusselle in Tätigkeit, so mögen auch junge Damen daran teilnehmen, jedoch haben sie hierbei größte Sittsamkeit an den Tag zu legen. In ihren Bewegungen herrsche überhaupt Anmut und Zierlichkeit; kommt dazu eine persönliche Liebenswürdigkeit, so wird eine solche junge Dame sicherlich allgemein gefallen.[122]

Machen ein Herr und eine Dame allein einen Ausflug, so ist es selbstverständlich, daß der Herr für die Dame bezahlt, wogegen letztere auch gehalten ist, ihrem Begleiter nicht unnütze Ausgaben zu bereiten; indessen unterliegt die Beurteilung der hier zu ziehenden Grenzen dem eigenen Zartgefühl. Ein verheirateter Herr wird natürlich niemals leiden, daß ein anderer Herr für seine Frau bezahlt.

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 120-123.
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