Anno 1699
§ 37

[93] Mir hat die Sünde fast alle meine Gymnasiastischen Jahre zuschanden gemacht, so daß, wenn ich mich auch in honetter Gesellschaft befunden, ich mehr mit meinem vielfältigen Seelen-Anliegen mich getragen, als daß ich hätte groß dahin denken sollen, wie ich eine galante Conduite, und Aufführung [Benehmen] annehmen und lernen möchte. So fröhlich ich von außen mich jederzeit anstellte, so zeigte doch meine Oratio valedictoria und Abschieds-Rede, daß in meinem Herzen ganz andere Dinge verborgen liegen mußten, die man sonst um diese Zeit bei der Jugend nicht antrifft. Tentatio facit Theologum, Anfechtung machet einen Gottes-Gelehrten, war mein Thema, das ich in derselben abhandelte. Ich schrieb solche ex proprio cerebello, aus eigenem Kopfe, und eigener Erfahrung, ohne mich eines einzigen Autoris zu bedienen, der diese Materie abgehandelt. Herr Professor Krantz ließ sich in einer Gesellschaft, wie man mir erzählet, vernehmen: Er wisse nicht, was er aus mir machen, und was er von mir denken solle; er habe doch so viel Bücher, und Orationen [Reden] gelesen, könne sich doch aber auf keines besinnen, aus welchem ich etwan dergleichen Dinge hätte nehmen können: zudem wäre es auch eben der Stylus und Schreib-Art, deren ich mich sonst bei andern Orationibus bedienet hätte.

Er ließ mich mit vielem Segen, und guten Wünschen von sich; allein auf der Reise nach Leipzig 1699 den 28. April, begegnete mir ein solches Malheur, das nicht ärger hätte sein können, wenn ich gleich lauter Flüche statt des Zehr-Pfennigs auf den Weg mit bekommen hätte; oder als wenn das, was ich in der Abschieds-Rede geschrieben, schon auf der Reise sollte anfangen an mir erfüllet zu werden. Unser Kutscher fuhr mit uns 7 jungen Studenten, und einem Apotheker-Gesellen bei Bautzen hart an der Stadt vorbei. Ich, und zwei andere wurden schlüssig, durch die Stadt zu Fuße zu gehen. In der Stadt wurde eben eine Brand-Predigt gehalten. Wir giengen hinein, und hörten eine Weile zu,[93] verloren uns aber wegen Menge des Volks, von einander. Und da ich denke, ich will den Kutscher wieder einholen, so gehe ich zum unrechten Tore hinaus, oder lenke mich doch zu sehr zur rechten Hand, und gerate auf Felsen, und einen steinichten Weg, den die Herren Bautzner besser, als ich, wissen werden. Kein Mensch war da, weder zu hören, noch zu sehen, der mich auf die Land-Straße, so nach Camentz, oder Leipzig gehet, hingewiesen hätte. Von Mittag an bis 5 Uhr des Abends gehe ich in der Irre in lauter kaltem Winde, und garstigem April-Wetter, bald im Regen, bald in Graupeln, so daß ich meinte, ich müßte des Todes sein, und auf dem Felde liegen bleiben. Und da ich endlich auf den rechten Weg gelangte, so traf ich einen großen Fracht-Wagen an, der aber so beladen, daß ich nur kümmerlich hinten aufhucken, und nur stehen kunte, und bis um 8 Uhr stehen, und neben her laufen mußte, bis wir dahin kamen, wo unser Kutscher sein Nacht-Lager zu halten versprochen, der eine halbe Stunde später, als ich, ankam, und eine gute Zeit auf mich vor Bautzen gewartet hatte.

Doch dieses war nicht nur vor mich eine große Prüfung, (denn wie ich in dieser Verirrung zu Gott gerufen, weiß ich am besten) sondern auch eine rechte wohlverdiente Züchtigung von Gott, ja eine pœna Talionis, wo mir Gott Gleiches mit Gleichem vergalt. Denn da ich aus Breslau auszog, gab mir mein Bruder nebst andern guten Freunden das Geleite, bis anderthalb Meilen hinter Breslau. Der Ort will mir jetzt nicht einfallen. Ich fuhr auf einem Wagen, und mein Bruder auf einem andern. Was geschieht? Sein Kutscher will einen nähern Weg suchen, und eher, als wir, an Ort und Stelle kommen, fähret aber irre, und gelanget erst zu Mittag um 4 Uhr bei uns an, so daß alles Valet-Essen und Trinken, und alle unsere eingebildete Lust zu Schanden wurde, indem der Leipzigische Kutscher erst um 4 Uhr ankam, und also nicht lange warten, und sich aufhalten kunte. Ich entrüstete mich deshalben auf meinen Bruder auf eine so entsetzliche, und unchristliche Weise, so daß mich das Gewissen die ganze Reise mit unter genaget hat, und nirgends mehr, als da ich bei Bautzen selbst irre gieng, und Gottes Recht des Wiedergeltes [Vergeltung] fühlte, und das Wort meines Bruders eintraf, wenn er sprach: Wer weiß, wie dirs noch auf dem Wege gehet, du bist noch nicht in Leipzig. Doch half mir Gott aus aller Not, und so sehr ich durch diesen Irr-Weg, und durch den Durchfall, der mich in Görlitz zur Nacht, weil ich des bittern Biers nicht gewohnet war, überfallen, war abgemattet worden; so wurde ich[94] doch die übrige Tage so gestärket, daß ich Freitags vor Jubilate [3. Sonntag nach Ostern] frisch und gesund in Leipzig ankam.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 93-95.
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