5. Das Königschießen

[44] Wir saßen während der Abenddämmerung in dem prächtigen alten Steinbruch, dicht beim »Romanus«. Von drei Seiten eingeschlossen, macht er den Eindruck einer Riesenbühne. Die felsige, rote, steil in die Höhe steigende Hinterwand ist malerisch mit Brombeergestrüpp und jungen Birken bewachsen. Die Seitenwände, die sich nach dem Eingang zu schräg absenken, sind mit Tannen bepflanzt. Durch das Grün leuchten mit magischer Schönheit Tausende von Glühwürmchen. Über dieser Naturbühne wölbt sich der dunkle Abendhimmel mit dem Sternenzelt. Es ist noch eben hell genug, daß wir den schlanken Turm vom nahen Städtchen sehen können. Nur das Murmeln des Baches ist hörbar.

In diese Ruhe tönt plötzlich laute Musik vom Städtchen her. Musik?! Was ist denn los? Sollte das etwa der Zapfenstreich für das kommende Königschießen sein? Das könnte mit der Zeit wohl stimmen.

Königschießen! Welchen Zauber übte einst dies Wort auf mein Kindesherz! Mit großen, steifen Buchstaben schrieben wir in unser Schultagebuch: »Freitag und Sonnabend frei, Königschießen!« Mit Beginn des Zapfenstreiches war für meine Vorstellung alle Regel und Ordnung, nicht nur in meinem persönlichen Leben, sondern für alle Stadtbewohner, auf den Kopf gestellt. Nur meine Eltern, so schien mir, machten eine Ausnahme von der allgemeinen Regel. Überall wurde vorher geputzt, gescheuert, die Häuser geweißt, gewaschen und gebacken; konnte doch jeder während der Festtage Besuch von auswärts erwarten. Wohin man sah, war freudige Aufregung. So viel ich auch sonst dem Vater helfen mußte, diese Tage gehörten mir unverkürzt. Nur zu den Mahlzeiten stellte ich mich ein, sonst war ich den[44] lieben langen Tag beständig auf den Beinen, immer in Aufregung, immer hinter der Musik her, die auf uns wirkte, wie weiland die Wunderpfeife des Rattenfängers zu Hameln. Entzückt staunten wir die frisch geweißten Häuser und die bunten Guirlanden an.

Freitag war der Auszug des alten Königs, das konnte man noch mit frischen Kräften genießen. Da war das gestärkte Kattunkleidchen noch sauber, da war der Mammon, – die drei Pfennige – noch friedlich im heißen, fest geschlossenen Händchen beisammen, man konnte noch wunder was für Pläne schmieden, auf welche Weise das Kapital am besten zu verwenden sei. Der Lockungen und Versuchungen für ein schwaches Kinderherz waren nur allzu viele! Mochte man rechnen, wie man wollte, mit drei Pfennigen für drei Tage konnte man nicht viel anfangen, man mußte sich weise beschränken. Karussel, Kuchen, Kirschen, Würfel- und Tierbuden! Die Verkäufer brauchten gar nicht so freundlich einzuladen, die Luft zu allem war ohnehin groß genug. War man leichtsinnig, gab's für die kommenden Tage Entbehrung und Reue.

Ach, daß selbst ein Königschießen Leid und quälende Gewissensbisse bringen kann, diese Erfahrung mußte ich leider machen, und ich habe sie nicht vergessen.

Mein Vater hatte mir wohlwollend die drei Pfennige ins Händchen gesteckt, meine Mutter nahm mich zärtlich in die Arme und warnte mit freundlichem Ernst: »Na, nun halt nur gut Haus! Soll ich auch lieber zwei Pfennige für die kommenden Tage zurückbehalten?«

Ich sah sie bittend an, und mein Vater sagte: »Laß es ihr, sie muß selbst lernen, mit Geld umzugehen. Erfahrungen muß jeder für sich selbst machen.«

»Na ja,« sagte meine Mutter, während sie mir den[45] Abschiedskuß gab, »du wirst ja wohl keine Dummheiten machen. Sei recht vergnügt!«

So glücklich, im Vollgefühl innerlichen Geeintseins mit den Eltern stürmte ich fort, – aber ach – wie anders kam ich wieder!

Zuerst drängte ich mich mit dem Kinderschwarm nach des Königs Haus, das sich vor den übrigen durch eine prächtige Ehrenpforte auszeichnete. Nichts wurde von uns Kindern versäumt oder übersehen.

Der Zug ordnete sich. Allen voran schritt die Musik. Hier nahm unsere Teilnahme besonders der Halbmond mit dem Glöckchenspiel in Anspruch. Wie glänzte er in der Sonne! Wie wehten die stattlichen Roßschweife, und wie fuhren uns die rauschenden Töne in die Glieder, wenn der Klempner Klaus sich nach dem Takte mit voller Wucht den Stab des Instrumentes gegen den Leib stieß. »Tschintera-ta-ta!« machten wir es nach, und suchten während des Marsches möglichst in der Nähe der Musik zu bleiben. Aber was dicht hinter der Musik kam, war nicht minder sehenswert. Das waren unsere weiß gekleideten Schulgefährtinnen, die an dem Tage die Ehre hatten, als Blumenstreumädchen dem König voranzugehen. Wie beneidenswert erschienen sie mir, wenn sie in ihren abstehenden Kleidern gespreizt und geziert einher schritten. Das von Pomade glänzende Haar trugen sie in breiten, flachen Zöpfen bogenförmig um den Kopf gesteckt. Aus zierlichen Körbchen streuten sie Blumen auf den Weg. Wer kein Körbchen hatte, trug einen langen weißen Lilienstengel. Ach wie ich sie schön fand! Mir ist aber nie das Glück zuteil geworden, je ein Blumenstreumädchen zu werden.

Und nun kam der König! Der Schuster Rost war es in diesem Jahre. Mit dem großen Stern und der breiten blauseidenen Schärpe sah er gar stattlich aus[46] zwischen seinen beiden Begleitern. Und geladene Begleiter folgten ihm. Dann erst kam der Zug der Schützen in ihren wunderlichen Uniformen. Wie zitterte der alte Schlosser Rößner unter der schweren Fahne! Wie blitzten die Knöpfe an den langschößigen steifen blauen Fracks, wie schillerten die grünen Federbüsche von den großen Dreimastern.

Die schmetternde Musik noch übertönend erklingt die Stimme des kommandierenden Majors. Es ist der kleine dicke Bäcker Röding, der, stolz und barsch, im Schweiße seines Angesichts seiner Garde zuruft und mit mächtigen Gebärden den Kommandostab mit dem silbernen Knopf schwingt. Wir Kinder suchen in der befremdlichen Kleidung unsere guten Bekannten, wir wagen einen schüchternen Gruß, aber ernst und würdig durchschreiten die Biedermänner das Städtchen. Die Sonne brennt heiß, und wo das Pflaster aufhört, bewegen wir uns in einer Staubwolke – aber schön ist's doch!

Auf dem Festplatz löst sich der Zug, und ein buntes, vergnügtes Durcheinander wogt summend den gebotenen Genüssen entgegen. Dürstend und heiß stand an der Pumpe eine Gruppe Blumenstreumädchen, belagert von ihren neugierigen, weniger begünstigten Gefährtinnen. Während eine von den Weißgekleideten gierig und vorsichtig ihren Mund an die Röhre legt, pumpt eine von uns anderen und bestürmt die Erquickte mit lebhaften Fragen. »Was hat's denn bei Königs gegeben?« sagt sie wichtig, während sie sich die Hände mit dem Taschentuch trocknet: »Bemmchen mit Cervelatwurst belegt, und für uns Mädchen zum Trinken Limonade!«

Wir horchten gespannt, und ich bewunderte, wie geläufig diese ungewöhnlichen Worte der anderen von den Lippen flossen. Was in aller Welt mochte das für ein wunderbarer Trank sein, der einen so einschmeichelnden[47] Wohllaut hatte! Li–mo–na–de! Ich wiederholte das Wort sinnend bei mir selber.

Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter, und als ich mich erschrocken umdrehe, sehe ich in das bärtige Gesicht des guten Förster Lantsch. Er war ein Freund meiner Eltern und brachte häufig, sorgsam in Moos verpackt, irgend eine Seltenheit mit aus dem Walde. Dieser freundliche, gute Mann stand jetzt vor mir und zog aus seiner Tasche eine grünseidene Geldbörse.

»Sieh mal her, mein kleiner Spiritus, die Waldgeisterchen schicken dir einen kleinen Beitrag fürs Fest. Kauf dir recht was Schönes, und sei froh mit deinen Freundinnen!«

Der gute Herr Lantsch war in der Menge verschwunden, ich aber sah überrascht in meine Hand. Da lag ein funkelnder Neugroschen und ein winziges Fünfpfennigstück daneben. Fünfzehn Pfennige! Ganz verwirrt schaute ich diesen Reichtum an. Ich öffnete die andere Hand und legte die drei Pfennige von Hause dazu. Es war kein Traum, da lagen 18 Pfennige! Dieser Reichtum! Schnell zur Mutter! Was würden sie zu Hause sagen? Ich schlug schon die Richtung nach dem Forsthof ein, als mich jemand am Kleid zupfte.

»Setz dich in den Keller, daß du so frisch bleibst bis zu Ende!« Es war Nagelschmieds Lene, die mich so anredete. Sie war zwei Jahre älter als ich und so klug und sicher in allem. Ich fühlte mich ganz geschmeichelt durch ihre Vertraulichkeit, obgleich meine Mutter nicht gern sah, wenn sie sich mit mir abgab.

Sie schob jetzt ihren Arm in den meinen, beugte ihr Gesicht zu mir herunter, so daß ich ihr gerade in die lachenden schwarzen Augen sah: »Du willst doch[48] nich heem? Jetzt, wo gerade der Hauptspaß los geht! Was willste denn derheeme?«

»Laß nur,« sagte ich, »ich muß den Eltern was zeigen!«

»Ach tu dich doch nich! Meenste, ich hätte nich gesehen, daß d'r der Lantsch was zum Königschießen gegeben hat? Zeig mal her, wie viel 's is.«

Ich öffnete schweigend die Hand. »Siehste!« sagte sie gönnerhaft, »wie du reich bist, aber wirste heem gehn! Das kommt noch früh genug, wenn der Spaß aus is. Wenn du jetzt heem gehst, da setzt dei Vater dich hinter enen von den großen, grünen Tischen, und da mußt de Pflanzen einlegen, und deine Mutter steckt die fufzehn Pfennige in den Spartopf. Wirste e Narr sein! Das Geld is deine, das geht niemanden was an, du brauchst's in deinem Leben niemandem zu sagen, uf mich kannste dich verlassen, ich verrat dich nich. Aber nu komm, wir wollen uns mal umsehen, was es heite gibt.«

Es gesellten sich bald mehrere Freundinnen dazu, und wir brauchten längst nicht den ganzen Nachmittag, um achtzehn Pfennige durchzubringen. Ich war plötzlich der Mittelpunkt, die »Freundinnen« drängten sich an mich, und ich hörte wiederholt mit dem Brustton tiefster Überzeugung: »Ach, was du aber für 'ne gute Charedas bist!«

Ich glaubte alles und genoß meine Beliebtheit in vollen Zügen. Und doch fühlte ich durch all die laute Freude hindurch die Stimme des Gewissens, es war mir nicht unbedingt wohl, trotz Kirschen und Pfefferkuchen und den Schmeicheleien der Gefährtinnen. Flüchtig tauchte das Gesicht meiner Mutter in meinem Innern auf, aber die Erinnerung an sie war mir keine Freude, ich fühlte mich im tiefsten Grunde beunruhigt, und das[49] wurde geradezu zur Pein, als das Geld alle war und meine Freundinnen ganz allmählich in der Menge verschwanden, gerade so von ungefähr, wie sie sich vorher eingefunden hatten. Je später es wurde, desto einsamer und elender fühlte ich mich. Die Karusselmusik machte mich traurig. Ich schlich mich aus der lauten Menge in eine entlegene Ecke des großen Gartens. Hier waren Baumstämme in mäßiger Höhe aufgeschichtet, darauf setzte ich mich, sah mich scheu nach allen Seiten um, und als ich mich überzeugt hatte, daß sich hierher wohl niemand verlieren würde, stützte ich meinen Kopf in die aufgestemmten Hände und weinte, weinte herzbrechend. O, wie einsam fühlte ich mich! Wie schlecht und wie von Gott und aller Welt verlassen! Ich hatte das dunkle Gefühl, daß kein Platz auf der Erde mehr sei, wohin mich verlangte.

Die Abendglocke läutete zwischen all dem lauten Lärm. Ich erschrak. Das war das Zeichen für uns Kinder, nach Hause zu gehen. Wie konnte ich denn nach Hause! Was sollte ich zu Hause? Was würden die Eltern sagen, daß ich so entsetzlich viel Geld durchgebracht hatte? Hinter ihrem Rücken! Und nun kamen die Gedanken, die sich untereinander verklagten und entschuldigten. Ob das wohl möglich war, daß ich es verschwieg? Lene hatte mit großer Bestimmtheit gesagt: »Das Geld ist deine, damit kannst du machen, was du willst.« Ja, es war doch auch mein, ich hatte es doch geschenkt bekommen. Aber wenn nichts Böses dabei war, dann konnte ich es ja auch zu Hause sagen. Hatte meine Mutter nicht immer gesagt: »Wenn du dich freust, freuen wir uns mit.« Nun gut, dann wollte ich bekennen, heute abend, wenn die Mutter zum Abendgebet in die Kammer kam. Schweren Schrittes, wie das verkörperte böse Gewissen, schlich ich den Hügel zum Forsthof[50] hinan, den ich so leichten Herzens vor wenigen Stunden hinabgesprungen war.

»Kommst du auch mal wieder nach Hause!« sagte mein Vater mit gerunzelter Stirn.

Meine Augen suchten das Gesicht meiner Mutter. Als sie sich endlich zu mir wandte, sah sie mich kalt und fremd an. O, wie elend fühlte ich mich, und ich wußte mir gar nicht zu helfen!

»Ich möchte wissen,« sagte meine Mutter mit fremder Stimme, »woher du das viele Geld hast, womit du heute nachmittag deine Freundinnen traktiert hast?«

Sie wußte es schon! Wie konnte sie es denn wissen?

Ich zitterte so, daß ich keinen Ton hervorbringen konnte.

»Oder,« fuhr meine Mutter in demselben kalten, fremden Tone fort, »oder hat Nagelschmieds Lene die Unwahrheit gesagt?«

»Nagelschmieds Lene!« rief ich erstaunt. Nein, das konnte nicht sein! Hatte denn nicht sie gerade mir den Rat gegeben, nichts zu sagen? Und nun?

»Ja,« sagte meine Mutter, »als du nach dem Läuten nicht gleich kamst, ging ich unten ans Pförtchen, um nach dir auszusehen. Da kam Lene und erzählte mir, du habest schrecklich viel gekauft, habest sie alle freigehalten. Ist das wahr, und woher hast du das Geld?«

»Ach, Vater, Mutter, es ist alles wahr! Seid doch nicht böse, der Lantsch hat mir fünfzehn Pfennige geschenkt.«

»Und das hast du alles durchgebracht?«

Ich nickte stumm.

»Und die drei Pfennige von uns?«

»Ja, die auch noch,« sagte ich schluchzend.[51]

»Na,« meinte mein Vater scharf, »aus dir kann was werden!«

»Du hast uns heute nachmittag nicht gebraucht, als du fröhlich warst, jetzt brauchen wir auch dich nicht. Da liegt dein Brot, geh und iß es draußen,« so sagte meine Mutter.

Schluchzend und reuevoll würgte ich mein Brot hinunter.

Später kam zu meiner Erlösung doch noch meine Mutter an mein Bett und sprach ernst und eindringlich mit mir, aber mir wurde verziehen.


***

Heute wie vor 40 Jahren, so dachte ich, wird es Kinder geben, die sinnend überlegen, wie sie ihre paar Pfennige am besten verwenden. Ich will auf den Festplatz gehen, und will mir hauptsächlich die Kinder ansehen, ich weiß, törichtes Sehnen wird auch in ihren Herzen wuchern. Wie gern würde ich manchem Kinde die Pfennige verdoppeln, aber vielleicht treibe ich es mit allem guten Willen nur in Reue und Gewissensqual. Lächelnd beobachte ich, wie Scharen geputzter, fröhlicher Menschen am »Romanus« vorüber dem Städtchen zueilen. Mit einem Gefühl von Verlegenheit mische ich mich unter sie. Ich befinde mich bald vor des Königs Haus. Alles ist in Aufregung! Das kleine Haus ist voller Menschen. Oben am Fenster zeigt sich die Frau Königin im braunseidnen Kleid. Die schwarz gekleideten Königsbegleiter drängen sich im engen Stübchen, und in der dunklen Hausflur warten die weiß gekleideten Kinder auf das Ordnen des Festzugs. Eine geschäftige Kochfrau drängt sich eilig und erhitzt hinaus, sie späht nach den Schützen. Und: »Sie kommen! Sie kommen!« ruft die[52] angesammelte Straßenjugend, die allgemeine Spannung löst sich, alles verläuft planmäßig.

Die Zeit hat aber doch auch hier Veränderungen und Neuerungen gebracht. Die Schützen sehen modern in ihren grauen Joppen mit grünen Aufschlägen aus. Kein wehender Federbusch, kein Dreimaster mehr.

»Ach, eine neue Fahne!« rufe ich unwillkürlich.

»So,« sagt eine neben mir stehende Frau, »kennen Sie die noch nicht? Ihre Majestät, die Frau Königin in Dresden, hat sie gestickt und uns geschenkt. Sie ist doch schön, nicht wahr?«

Jawohl, aber ich hätte so gern die alte rote wieder gesehen. Auch die Blumenstreumädchen hatten sich verändert. Sie trugen ihr Haar lose, hatten ein zierliches Kränzchen auf dem Kopf und benahmen sich viel natürlicher und einfacher.

Aber hier kam der Halbmond! Das war noch das gute, bekannte alte Glöckchenspiel. Der Träger, ein blasser Mann mit großen, blauen Augen, war sich seiner Würde voll bewußt. Er war in höchster Spannung, daß er nur ja zur rechten Zeit einfiel. Die ungewohnte Arbeit und die Hitze trieben ihm den Schweiß ins Gesicht, aber er sah trotz der Anstrengung überaus glücklich aus.

Ich trat zu ihm und sagte teilnehmend: »Das ist wohl saure Arbeit!«

»Na, na,« lächelte er, »ich tu's gar gern, 's ist 'ne große Ehr!« Noch mehr als der Mann selbst erregte meine Teilnahme ein kleines Mädchen in einem verwaschenen, aber steif gestärkten Kleidchen. Sie hielt sich immer dicht an den Halbmond, der Träger war augenscheinlich ihr Vater. Wäre er Kaiser gewesen, der Ausdruck ihres Gesichtchens hätte nicht stolzer, nicht strahlender sein können. Sie hatte noch keine Aufgabe zu[53] erfüllen wie der verantwortungsvolle Vater, sie durfte nur glücklich sein an der Seite eines solchen Vaters! Schauten und horchten ihre Spielgefährten nicht alle nach dem klingenden Spiel? Kein noch so großes Gedränge konnte das Kind von der Seite des Vaters drängen, über das schlechte Pflaster, durch die dicke Staubwolke erkämpfte sie sich nach kurzer Trennung wieder ihren Platz. Auf dem Festplatz suchte ich sie, da war sie aber in der Menge verschwunden.

Mit Illumination und unter bengalischer Beleuchtung wurde Sonntagabend der neue König durchs Städtchen geleitet.

Quelle:
Bischoff, Charitas: Augenblicksbilder aus einem Jugendleben. Leipzig 1905, S. 44-54.
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