XIII.

§ 78. Edelmann bleibt fünf Jahr zu Berlenburg und schreibt verschiedene Schriften.

[242] »Er zweifelt darüber (nämlich über die heimliche Veränderung meiner Schrift-Erklärung, hauptsächlich aber, weil mir Hr. Haug nicht hielt, was Er mir versprochen hatte) mit Hrn. Haugen, als Er kaum ein Jahr zu Berlenburg mitgearbeitet hatte. Doch bleibt er noch fünf Jahr um diese Gegend, bis an den Tod des Hrn. Grafens Casimirs, und Schrieb die verzweifelten Schriften: Moses, mit aufgedeckten Angesichte: Die Göttlichkeit der Vernunft, welche Er zum Ausleger der h. Schrift machte: Doctor Carls continuirte geistliche Fama etc.

§ 79. An dieser Erzählung ist das meiste abermals der Wahrheit gemäß. Weil aber meine Leser, sonder Zweifel, gerne wißen möchten, was mir in diesen fünf biß sechs Jahren besonders begegnet, und auf was Art mich die Güte meines Schöpfers, als ich, nach dem Abschiede von Hrn. Haugen, keinen Menschen mehr hatte, auf deßen Beystand ich mich, im äußeren, sicher hätte verlassen können, dennoch in diesen fremden Landen, wunderbar erhalten, und noch im innern, unter mancherley Abwechselungen des Lichts und der Finsternis immer weiter gebraucht; so muß ich Ihnen wohl einen etwas umständlichern Bericht ertheilen.

Es war, wie bereits erwähnt, fast ein Jahr verfloßen, und Hr. Haug hatte noch nicht ein Wort gegen mich erwähnet, ob Er mir von dem, was Er mir versprochen hatte, etwas geben wolte, oder nicht. Dieses Tückische Betragen mißfiel mir sehr, indem ich gar nicht wuste, wie ich mit Ihm daran war. Ueberhaupt sahe ich wohl, daß ich, ohne Verdruß, nicht von Ihm kommen würde: Ich wolte aber alle Gelegenheit vermeiden, den Anfang darzu zu machen, welches unfehlbar geschehen seyn würde, wenn ich Ihn selber hätte zur Rede setzen wollen, warum Er seyn, mir gethanes Versprechen, in Punct eines gewißen Salarii so gar in keinem Stücke erfüllete. Allein eben durch den Weg, wodurch ich diesen Verdruß vermeiden wolte, mußte ich ihn befördern: Ich war einmal in fremden Landen, hatte nichts zuzusetzen, auch, nach der Aufführung des Hrn. Haugs, nichts zu hoffen, meine Kleider und Wäsche wurden täglich schlechter; keine Schulden, nachdem ich bey Hrn. Großen, auf mein zu hoffendes Salarium was aufgenommen hatte, wolte ich weiter machen; keinen Rückweg kunte ich mit leerer Hand nehmen; keinen weiteren[243] Vorweg noch weniger. In Summa, ich sahe mich in einer solchen Enge, daß ich weder aus noch ein wußte.

§ 80. Man möchte sagen, wenn ich Hrn. Haugen im brüderlichen Vertrauen besprochen und Ihm meine Umstände, ohne Hinterhalt eröfnet hätte, vielleicht würde Er nicht so liebloß an mir gehandelt, noch mir das meinige vorenthalten haben. Es kann seyn, daß ich in diesen Stücke was versehen: Allein ich muß auch die Ursachen melden, die mich darzu gebracht. Erstlich würdigte mich Hr. Haug nie, mich seinen Bruder zu nennen, ungeachtet ich Ihn, vom Anfang unserer Bekanntschaft, und ohne mich an sein unbrüderliches Betragen gegen mich, im geringsten zu kehren, beständig meinen Bruder nennete. Zum anderen wuste er meine Umstände so gut, als ich sie Ihm sagen konnte, ohne daß Er sich im mindesten dadurch hätte sollen erweichen laßen.

Diese Härtigkeit und Aufgeblasenheit benahm mir alles Vertrauen zu Ihm, und machte daß ich mein Herz umkehrete, wenn ich manchmal auf dem Wege war, mich, meiner Angelegenheiten wegen, mit Ihm zu besprechen. Ich hätte was die Verweigerung des Bruders-Tituls anbelangt, mein Anfangs tragendes Vertrauen zu Ihm noch nicht weggeworfen. Denn ich sahe, daß Er gegen andere, die nicht just in seinem Circul stunden, ob sie Ihm schon Bruder heisten, eben so mopsicht that. Ich nahm das sonderlich wahr, wie uns der ehrliche Bruder Küntzel aus Zeulenroda besuchte.

Dieser grundgelehrte Mann, dem Hr. Haug weder an Gelehrsamkeit noch Aufrichtigkeit das Waßer reichete, war so freundlich, herzlich und leutseelig, daß es ein Vergnügen war, mit Ihm umzugehen. Er hatte, ungeachtet Er ein Priester gewesen war, so wenig priesterliches mehr an sich, daß Hr. Haug, den der Priester-Geist, ob Er schon nie ein Priester gewesen war, noch gar starck besaß, wohl was hätte von Ihm lernen können, wenn es seyn Mystischer Stoltz zugelaßen hätte.

§ 81. Er tractirte aber diesen wackern Mann eben so gleichgültig als mich, und ich wurde seiner Kaltsinnigkeit auf die lezt, in so weit gewohnt, daß ich sie gerne einem Natur-Fehler zugeschrieben hätte, wenn Er sich sonst, in der That, brüderlicher gegen mich hätte aufführen wollen. Herr Küntzel war sonst im Punct der Widergeburth und – andern von mir vorgetragenen Wahrheiten, nach unsrer beyder damaliger Einsicht, ziemlich mit mir einig, und das 22ste Stück der Geistlichen Fama, worzu ich nur die Vorrede gemacht, ist seine Arbeit. Wir correspondirten auch, nach seinen Abschiede, noch eine lange Zeit mit einander. Weil wir aber alle beyde noch Buchstäbelten,[244] und der eine den Bibel-Götzen hin, der andere wieder her zerrete, so zerschlug sich endlich unsere Freundschaft, die vielleicht noch dauren würde, wenn wir hätten sehen können, daß wir uns beyde um nichtige Dinge gezanckt.

Herr Haug nahm sich indeßen so wohl in Acht, Ihm Bruder zu nennen, daß es schien, als wenn das der einzige Punct gewesen wäre, worauf Er bey seiner Anwesenheit hätte Achtung zu geben gehabt. Hingegen kehrte sich Hr. Künzel nicht daran, sondern gab Ihm sowohl, als mir, und Hrn. Cantzen den liebreichen Bruder-Titul, und sein ganzes Betragen war so eingerichtet, daß man Herz und Vertrauen zu Ihm haben mußte. Wenn Hr. Haug nur halb so gestellet gewesen wäre, so würden wir entweder länger beysammen geblieben, und ich folglich an weiterer Erkänntnis aufgehalten worden seyn, oder wir würden doch, wenn ich ja hätte weiter gehen wollen, ohne Verdruß von einander gekommen seyn. Es scheinet aber, daß alles, zu meinem weiteren Fortkommen in Erkänntniß der Wahrheit etwas beitragen müßen.

§ 82. Die Unfreundlichkeit Herrn Haugs gegen mich, wurde von Tage zu Tage mercklicher. Die Ursache war diese: Weil daß Jahr nun bald verfloßen war, und ich, außer Tisch und freien Gehalt, noch nichts von dem empfangen hatte, was Er mir versprochen, so klagte ich meine Umstände nicht nur Hrn. Cantzen, sondern auch dem Hrn. Hofmann, der damals Canzellist in Berlenburg war. Beyde hatten einen Eingang bey Hrn. Haugen, und ich bat sie, meinetwegen im Vertrauen mit Ihm zu sprechen, daß Er sich erklären möchte, ob Er mir was, oder nichts geben wolte.

Hätte Hr. Haug ein redlich Herz gegen mich gehabt, und sein Versprechen an mir zu erfüllen gedacht, so würde Er diese Unterhändler in der Stille angenommen, einen Anfang zu meiner Befriedigung gemacht, und allen weiteren Wortwechsel und Verdrüßlichkeiten vorgebeuget haben: So aber lief Ihm, bey dem Antrage, obiger beyder Brüder, die Lauß über die Leber, Er zohe sich mein Betragen vor eine Beschimpfung seiner Person zu; hielt mir mit großen Unwillen vor, daß ich Ihn selber dißfals hätte besprechen sollen, und hatte in seinen Gedancken, noch ein Haufen Recht übrig.

Ich hatte mich auf diesen Scharmützel schon etliche Tage her gefaßt gemacht, und mein natürliches Feuer, durch Vorstellung aller bevorstehenden Umstände, in ein ganz kaltes Geblüte verwandelt. Wie also Hr. Haug mit ziemlicher Hitze an mich setzte, und mir sonderlich aufmuzte, daß ich andern, und nicht Ihm meine Noth geklagt, gab ich Ihm ganz sachte zur Antwort, daß Er mir durch sein[245] verstecktes und hinterhaltendes Betragen, das Vertrauen gegen sich ganz benommen hätte. Wir geriethen hierauf in weiteren Wortwechsel, und sagten einander beyderseits die Wahrheit, ohne Verblühmung, nur mit dem Unterschiede, daß Hr. Haug, der so viel Wahrheiten auf einmal zu verschlucken, sich nicht gefaßt haben mochte, sich etwas ungeberdig dabei stellete: Ich aber, als dazu gefaßt, keine Schwierigkeit machte, dieselben mit aller Gelaßenheit zu mir zu nehmen.

§ 83. Wie dieses geistliche Kampf-Jagen über dem Abend-Essen, in Gegenwart seiner Frauen vorgieng, saß dieselbe, ohne ein Wort dazwischen zu reden, ganz stille, und ließ uns unsere Sache allein ausmachen. Das Ende unsers Discurses war endlich dieses, daß wir uns, nach etlichen Wochen in Friede von einander scheiden, und ich, meine eigene oeconomie hinführo führen solte: Aber daß ich außer dem, was ich von Br. Groß, auf Hrn. Haugens Rechnung nach und nach aufgenommen hatte, und welches etwa 82 Gulden betragen mochte, zu Einrichtung meiner neuen Lebensart, auf den Rest, der mir versprochenen 200 Gulden, weiter einen Creutzer kriegen solte, daran wurde mit keinem Worte gedacht, und weil ich sahe, daß wenn ich dieses Capitul hätte berühren wollen, nur ein neuer Zwiest entstehen würde, so verlohr ich auch kein Wort darum, sondern machte mich, im Vertrauen auf Gott, der mich bis hierher gebracht hatte, mit Freuden, zu meinem Abzuge von Hrn. Haugen parat, ohne einen heller zu wißen, wovon ich mein armes Leben, nur eine Woche lang, nach meinen Abzuge hätte fristen können.

Hier zeigten sich aber die Spuren Göttlicher Vorsehung aufs neue, recht unvergleichlich, und ich wurde gewahr, daß es eine Wahrheit sey, daß der Wohlthat, dem Vater erzeiget, nimmermehr vergeßen werde: Ich erinnere mich dabei noch des Segens, den mir mein seliger Vater noch aus Eisenach vom 25. Januarii 1730 nach Oesterreich ertheilte, als ich Ihm, zu seiner Erquickung, 10 Thaler geschicket hatte. Denn da schrieb der liebe Mann dafür, mein allerliebster Sohn, laße Gott dir allen Seegen angedeyhen, den alle Erz-Väter, alle Heiligen, und alle frommen Eltern, ihren wohlgearteten Kindern und Nachkommen, haben anwünschen können; und ich muß Gott zum Preise sagen, daß dieser Seegen reichlich an mir beklieben, indem ich hundertfältig geerndtet, was ich damals ausgestreuet.

§ 84. Es hatte zwar zu der Zeit, wie ich mich zu meinem Abzuge von Hrn. Haugen rüstete, noch ganz und gar kein Ansehen dazu. Vielmehr schienen Mangel und Armuth beyde Hände nach[246] mir auszustrecken, indem ich überall nichts sahe, worauf ich hätte Rechnung, zu meines ferneren Lebens-Unterhalt machen können. Mein treuer Gott ließ mich aber nicht lange in dieser Wüsten, sondern bereitete mir ganz unvermuthet, einen Tisch gegen meine Feinde, auf folgende Art.

Ich hatte gleich beym Antritt meiner Arbeit, bey Hrn. Haugen, in die damalige Erffurther Bibel-Lotte rie, 2 Thaler gelegt, und bisher nicht vernommen, ob sie gezogen war, oder nicht. Meine Absicht war, Hrn. Haugen eine unverhoffte Freude zu machen, und wenn ich was gewönne, solches Brüderlich mit Ihm zu theilen. ja ich hatte gar, Ihm unwißend, ein Loß auf Ihn genommen, und gedachte es Ihme ganz zu laßen, wenn Er auch das größte Loß hätte gewinnen sollen. Wie die Noth am grösten bei mir war, kamen die Ziehungs-Listen von dieser Lotterie heraus; Mein Loß hatte eine Bibel gewonnen, die ich weder sieden noch braten kunte: Hrn. Haugen seins aber hatte viertzig Thaler erschnappt. Hier entstand eine Gewißens-Frage bey mir: Ob ich Hrn. Haugen, der mich leer von sich ziehen ließ, dieses Geld laßen, und selber darben sollte; oder ob ich es vor ein Aequivalent deßen ansehen sollte, was mir Hr. Haug noch schuldig war, und nicht zahlen wollte? Nach kurzer Ueberlegung fiel der Schluß, mit Zufriedenheit meines Gewissens, vor die letzte Frage aus. Denn wie ich Hrn. Haugen dieses Glück in keiner andern Hofnung zugedacht hatte, als an Ihm einen treuen und redlichen Bruder zu finden, also wurde ich, da Er diese Hofnung so schändlich vereitelte, meines, ohnedem nur gegen mich selbst gethannen Versprechens quitt, und konnte den erhaltenen Gewinst, als eine Vergütung ansehen, die mir die Vorsicht vor das, was mir Hr. Haug abzuzwacken suchte, hatte zuwenden wollen.

§ 85. Ich bekam, nach Abzug aller gewöhnlichen und ungewöhnlichen Zehenden, etwas über 30 Thaler, und die Vorsicht bediente sich des Spiels, das die Verehrer der Bibel mit ihrem Götzen treiben, zum Vortheil deßen, der ihn, in kurzer Zeit, allen Vernünftigen zum Spectacul vorstellen sollte. Ich mietete mir also ein Stübchen, nahm von Hrn. Haugen freundlichen Abschied, und bezog mein neues Quartier mit völliger Zufriedenheit.

Ich nahm dasselbe bei dem Becker Zepper, der ein ehrlicher Mann war, und auch fast alle Classen der neun kleineren Secten durchwandert hatte, ohne in irgend einer was anders gefunden zu haben, als was die großen alle sagten, nemlich, daß Er von Natur zu allen guten erstorben sey, und biß ans Ende ein armer Sünder bleiben müßte. Diesen elenden Trost ließ er sich von einem Schneider,[247] Namens Meier, der auch aparte Versammlungen hielt, anstatt der Anhörung ordentlicher Prediger, die Ihm eben das mit mehrerer Annehmlichkeit gesagt haben würden, wöchentlich ein oder ein Paar Mahl wiederholen, damit Ihm die Vernunft, welcher alle diese kleinen Secten viel feinder waren, als die großen, nicht etwa unvermuthet was bessers sagen möchte.

Mich sahe er in seinen Gedancken noch gar nicht vor voll an, und ich begehrte es auch nicht zu seyn, indem ich mich vielmehr auszuleeren suchte, von allem, womit man mich bisweilen wider meinen Willen angefüllet hatte. In dieser Positur ließen wir also einander stehen. Ich bezahlte Ihm gleich ein halb Jahr Miethe voraus, welches 4 Gulden betrug, wovor ich nicht allein ein hübsch meublirtes Stübchen, nebst einen Kämmerchen und guten Bette, sondern auch freie Heitzung hatte; nur kam es noch auf die Kost an: Allein auch davor hatte Gott schon gesorgt, wie wir gleich weiter hören werden.

§ 86. Wie ich noch bei Hrn. Haugen war, wurde ich, unter andern auch mit dem Herrn Ludolff bekannt, der damals als Informator beym jungen Hrn. von Kalkreuter stund, den der Graf Casimir bey sich am Hofe hatte. Dieser Hr. Ludolf war mein sehr guter Freund, und ich werde in der Folge meines Lebens ein meheres von Ihm zu sprechen kriegen. Hier muß ich nur so viel melden, daß Er mich mit den Inspirirten bekannt machte1, bey denen einen, weil er in Zeppers Hause, meiner Stube gleich gegenüber wohnte, ich[248] meine Kost nahm, wöchentlich 12 Groschen gab, und sogleich auch ein halb Jahr voraus bezahlte.

Mit der Bekanntschaft mit den Inspirirten gieng es so zu: Ich kam, ehe ich mit Hrn. Ludolffen bekannt wurde, welches wohl ein halb Jahr nach meiner Ankunft in Berlenburg, erst geschehen mochte, bei Hrn. Haugen wenig aus, und weil mir Hr. Haug, der vor diesen selber mit unter den Inspirirten gewesen war, eben nicht viel günstiges von der Inspiration überhaupt gesagt hatte, so war ich auch gar nicht curiös, diese Secte kennen zu lernen: Allein es schien, als wenn die Vorsicht haben wolte, daß ich nichts, ohne einige Erfahrung beurtheilen solte. Herr Ludolff muste also das Werkzeug seyn, das mich mit diesen Leutchen bekannt machen mußte. Wie Er mich oft besuchte, und gern mit mir spatzieren gieng, also fragte Er mich auch einmal, ob ich nicht Lust hätte, die sogenannten Inspirirten kennen zu lernen? Ich merckte, daß sich bey dieser Frage etwas widriges in mir regte, welches mir nicht undeutlich eine Vorbedeutung zu geben schien, daß ich mit diesen Leuten was zu thun kriegen würde, ich hatte also keine Lust mitzugehen.

§ 87. Herr Ludolff, von dem ich wuste, daß Er selber kein Inspirirter war, versicherte mich aber, daß sie außer den Phantasien, die sie von ihren neuen Propheten eingesogen, ehrliche Leute wären, und das meiste, was ich in den Unschuld. Wahrh. geschrieben, vor Wahrheiten erkenneten. Ich ließ mich also bereden, und ging mit Ihm nach Homburghausen, welcher Ort vor diesen ein Jagd-Haus der Grafen gewesen war, und nur eine Stunde von Berlenburg lag.

Ich fand diese Leutchen, die sich auf Getrieb ihrer Propheten, von ihrer Nahrung und guten Umständen aus Memmingen hatten vertreiben laßen, von recht guten, liebreichen und artigen Naturell, merckte auch bald, daß sie eine mehr, als gemeine Neigung zu mir trugen, sonderlich die Pfeifferische Familie, von der ich bald ein mehreres sprechen werde.

Herr Haug, bey dem ich, wie bereits erwähnet, damals noch im Hause war, schien nicht gern zu sehen, daß ich diese Leute besuchte. Er besaß in der That selber noch einen Anfall von der Begeisterung, indem Er, wenn er starck auf diese Dinge imaginirete, würcklich Convulsiones und Erschütterungen, aber keine Aussprachen bekam. Ob Ihn nun ein sprachloser Geist anfiel, oder was es sonst mit diesen heiligen Ungeberden vor eine Bewandniß haben mochte, ist hier der Ort nicht zu untersuchen, genug ich konnte mercken, daß Er nicht zufrieden war, daß ich die Inspirirten dann und wann besuchte.[249]

§ 88. Ich kehrte mich aber daran nicht, sondern weil sich diese Menschen viel offenherziger und unverstellter gegen mich betrugen, als der mystische Bruder Haug, so gewann ich auch ein großes Vertrauen zu Ihnen, zumal da Hr. Pfeifer, der Apotheker, und Hr. Heiß, ein ehemaliger Candidatus Theologiae, beide nunmehrige Mit-Arbeiter an der Gemeine, nach ein und etlichen, in Gesellschaft Hrn. Ludolfs, erhaltenen Besuchen, bey dem Geleite, das sie uns fast bis in die Stadt gaben, unverholen bekenneten, daß diejenigen, die solche Wahrheiten bezeugeten, wie ich, in den Unsch. Wahrh. gethan, ihre Brüder wären.

Mir, der ich, außer den Ueberbleibfeln der Begeisterung, die ich an Hrn. Haugen wahrgenommen, noch nichts von dergleichen Scheußlichkeiten bey diesen Leuten gesehen hatte, begunte bei diesen freundlichen Betragen, wenn ich es gegen das mürrische Wesen des Hrn. Haugs hielt, allerhand Gedancken aufzusteigen. Ich hatte diese Leute, ehe ich sie kennen lernte, durch die Banck, vor Trambleurs, oder sogenannte Quacker gehalten. Weil ich aber bisher nicht das geringste von dergleichen Verstellungen an ihnen wahrgenommen, so begunte ich in meinem Urtheile zu wancken, bekam eine gegenseitige Zuneigung zu ihnen, und hielt es vor eine sectirische Unfreundlichkeit, wenn ich mich hätte weigern wollen, Ihnen den liebreichen Bruder-Namen gleichfals zu ertheilen. Wenn ich aber gewust hätte, daß dieser Name bey keiner Secte mehr zum Secten-Character gemißbraucht würde, als bey dieser, und daß sie keinen weiter vor einen Bruder hielten, als so weit er den Geist, der in ihren Propheten Gauckelte, vor den unfehlbaren Geist Gottes hielte, so würde ich Ihnen zwar den Bruder-Namen, den ich allen Menschen schuldig bin, nicht verweigert, jedennoch aber an mich gehalten haben, sie gleich in dem Verstande vor Brüder zu erkennen, in welchen sie dieses Wort zu nehmen pflegten.

§ 89. Was mich an Ihnen charmirte, das war ihr gutes offenherziges und unverstelltes Naturell, welches das beste von der Welt gewesen seyn würde, wenn es durch die unholde Gnade, die ihnen ihre Propheten gegen andere Menschen einflößten, nicht wäre gehindert worden, das gute womit es der Schöpfer begabet, ohne Hinterhalt zu zeigen. Indem aber die armen einfältigen Leute alle Aussprachen derselben vor lauter unfehlbare Worte Gottes annahmen, so konnte es nicht anders seyn, sie musten, ihrer Natur zuwider, sich gegen alle diejenigen feindselig aufführen, die die Phantasien ihrer Propheten nicht vor Worte Gottes annehmen wolten. Ich versahe mich indeßen damals noch nichts weniger, als daß mich diese so gutherzigen[250] Leute, nach der feindseligen Aufhetzung ihres seltsamen Gottes, noch einmal fremd tractiren würden, sondern hatte eine rechte Freude, wie sie mir den angenehmen titul eines Bruders gaben, und hielt sie, weil sie von den andern Secten verachtet, und beynahe vor Narren gehalten wurden, vor das einzige kleine Häuflein, welches Gott erwehlet, ohne zu bedencken, daß diß Große Wesen dermaleinst, in Ansehung der ungeheuren Menge, die der Teufel zum Braten kriegen würde, eine sehr unansehnliche Hof-Stadt bekommen möchte, wenn außer der kleinen, und kaum nennenswerthen Gemeine der Inspirirten, sonst niemand in sein ewiges Freuden-Reich aufgenommen werden solte.

§ 90. Alle diese Unsinnigkeiten hat das Menschliche Geschlecht, und insonderheit die Juden und Christen, den Vorstellungen ihrer Bibel zu dancken. Was ihnen diese Todten Buchstaben, nach den gehäßigen Phantasien ihrer Verdüsterten Schreiber, die sie Blindlings vor Gesandten Gottes annehmen, in die Köpfe setzen, das muß in dieser verkehrten Stellung mehr gelten, als was Gott selbst in ihre Natur gelegt. Diese verläugnen Sie alsdann, damit sie dem unholden Gotte, den ihnen andere feindselige Geister vorgezaubert, gefallen mögen, wenn sie gleich allen übrigen ihrer Nebenmenschen mißfallen solten. Ich werde aber in der Folge zeigen, daß die Natur, doch Troz der Gnade, sich nicht bey allen unterdrücken laße.

Kurz vor meinen Abzuge von Hrn. Haugen besuchte mich der gewesene Giessische Professor König, deßen ich im zweiten Anblick Moses auf eine etwas unanständige Art gedacht, der arme Mann war von einen guten weichherzigen Naturell, aber ungemein unbeständig in seinem Vornehmen und Entschließungen. Wie Er mich von dem innern und äußern Zustande der mancherley Secten allda fragte, und ich von einer jeden sagte, was mir gefiel oder mißfiel, mußte ich auch der Inspirirten erwähnen.

Wider keine schien der gute Mann mehr zu eyffern, als wider diese: Allein ich fragte, ob Er sie schon kennete. Er antwortete Nein; und ich bath, daß Er sich in seinem Urtheil nicht übereilen möchte. Er blieb aber dabey, und warnte mich vor diesen Leuten, als vor einer recht schädlichen Secte, ganz treuherzig. Nach einer so ernsthaften Gemüths-Stellung hätte ich eher des Himmels Einfall versehen, als daß Er selber, noch denselben Tag, ein Inspirations-Bruder werden würde. Allein es geschahe würcklich.

§ 91. Es war eben an einem Sonntage, da Er mich besuchte, als ich eben in Begriff war, in die Nachmittagsversammlung nach[251] Homburghausen zu gehen. Ich bat Ihn also mitzugehen, sagte Ihm aufrichtig, daß ich nichts weniger, als ein Inspirations-Bruder, im eigentlichen Verstande wäre. Weil ich aber noch keine Inspiration gesehen hätte, so dünckte mir unbillig zu sein, dieselbe auf bloßes Hörensagen anderer zu verwerfen. Ich wollte also gern mit eigenen, und nicht mit fremden Augen sehen. Dieß sey hauptsächlich der Zweck, weßwegen ich mich mit diesen Leuten, die ich von einfältigen und unschalckhaften Naturell fände, bekannt gemacht hätte. Fände ich ihre Sachen richtig, so würde mich auch nichts abhalten, mich auch richtig zu Ihnen zu bekennen, wenn mich gleich die ganze Welt vor Ihnen warnen solte. Ertappte ich sie aber auf Betrug, so würde auch nichts vermögend seyn, mich zu einem Gliede ihrer Gemeinde zu machen, wenn gleich die ganze Welt inspirirt werden wolte. Er schien mit diesem Entschluß zufrieden zu seyn, und ich präsentirte Ihn den Brüdern in Homburghausen, die Ihn eben wie mich, freundlich empfingen und mit in der Versammlung führten, in welcher Br. Heiß eben den Vortrag hatte. Nachdem Er ausgeredet hatte, fragte Er, gewöhnlicher Maaßen, ob jemand von den Brüdern noch was beizutragen hätte? und Siehe! Da gerieth der Geist der Beredsamkeit in so reichen Maaßen über meinen Br. König, daß Er in einer ziemlich langen und wohlfließenden Rede, seine Freude nicht genugsam an den Tag legen konnte, daß Er mit dieser Gott geheiligten Gemeine bekannt worden. Mit einem Worte: Er wurde ein Inspirations-Bruder, ehe Er noch wuste, was eine Inspiration war.

§ 92. Diese gar zu schnelle Veränderung gefiel mir nicht, und ich lernte daraus des guten Br. Königs Fladder-Geist erkennen, ohne mich solches gegen Ihn mercken zu laßen, indem ich voraus sahe, daß dieser Wechsel keinen Bestand haben würde. Es geschahe auch in der That, denn Er war kaum wider weg von Berlenburg, so schrieb Er aus Nürnberg, so confus an uns, daß wir wohl sahen, daß seine kurz vorher bezeugte Brünstigkeit nur ein Rausch und Schwärmer-Feuer gewesen.

Inzwischen war den armen einfältigen Inspirations-Verwandten an allen ihren Mienen anzusehen, daß sie sich recht was großes drauf einbildeten, ihre Pferch durch den Bruder König und mich, mit zwei so ansehnlichen Schöpfen vermehret zu sehen. Allem Ansehen nach mochten sie mich, da ich Ihnen, nach einer so kurzen Bekanntschaft, gleich einen gelehrten Professor zugeführet hatte, vor ein auserwehltes Rüstzeug halten, wodurch ihnen Gott noch mehere Gelehrte geneigt, und solcher Gestalt ihre unansehnliche Secte etwas respectabler machen wolte.[252]

Sie wusten nicht, wie sie sich freundlich und Ehrerbietig genug gegen mich bezeigen solten, und rißen sich fast um mich, wenn ich heraus kam, indem ein jeder gerne haben wolte, daß ich mit Ihm speisen solte, worüber bald eine Eyfersucht unter Ihnen entstanden wäre. Denn die Pfeiferische Familie hatte sich sonderlich an mich gehänget, und ich speisete eher dreymal bey dieser, als einmal bey einer andern. Die Ursache war, weil ich den Bruder Pfeifer, mehr, als alle die andern, nach meinem Naturell gestaltet fand, welches die andern ganz verkehrt, so auslegten, als wenn ich eine Absicht auf eine von seinen Töchtern gehabt hätte.

§ 93. Es war leicht zu sehen, daß sich die guten Mädchen recht um die Wette bemüheten, mir gefällig zu seyn. Denn sie wuschen mir, erhielten meine Wäsche in Baulichen Wesen, ersezten den Abgang einiger Stücke mit neuen, brachten mir sie selbst auf die Stube, und kamen nie, ohne allerhand kleine Erfrischungen, an Confect, Obst und andern Lecker-biß lein zu mir. In Summa sie thaten alles meine Gunst zu gewinnen, die ich ihnen auch mit aller Höflichkeit erwiderte, ohne im geringsten Gelegenheit zu geben, daß sich eine mehr, als die andere, auf mich Rechnung machen konnte.

In der That hatten die armen Dinger gar nichts reitzendes vor mich, welches sie leicht hätten sehen können, wenn sie die Eigenliebe, und meine Höflichkeit nicht geblendet hätte. Durch diese gewann ich sie alle zu meinem Dienst, welcher mir lieber, als ihre Caressen war, und die andern Mädchen, denen ich mit gleicher Höflichkeit begegnete, fanden keine Ursache, eyffersüchtig zu werden.

Wie sich also die Homburghäuser Inspirirten angelegen seyn ließen, mir, da ich noch bei Hrn. Haugen war, alle Gefälligkeit zu erzeigen, also thaten es die Berlenburger nicht weniger. Der Br. Werlich, ein Leineweber und Mit-Arbeiter der Inspirations-Gemeine zu Berlenburg, machte mir mein Stübchen bei Hrn. Zepper aus, beschenkte mich mit einigen kleinen Hausgeräthe, und verschaffte, daß mich die Schnurmacher-Wittwe Schelldorfinn, die auch mit zu den Inspirirten gehörte, und bey Hrn. Zeppern in einem Stock mit mir wohnte, in die Kost nahm.

§ 94. Ich wurde vor meine 12 Groschen, die ich wöchentlich gab, Mittags und Abends, wohl und ordentlich gespeiset, und es fehlte mir damals, zu völliger Befriedigung meines Gemüths, weiter nichts, als die Gewisheit, ob auch die Propheten dieser guten Leutchen von dem Geiste der Wahrheit inspirirt wären und darzu muste ich der Zeit erwarten.

Die Schwester Schelldorfinn hatte einen Gesellen, Namens Langemeyer,[253] der auch Glied der Gemeine, und von recht guten Naturell war, und ich kann sagen, daß ich in Gesellschaft dieser guten, einfältigen und redlichen Leutchen sonderlich, wie sie hernach durch mich Gelegenheit bekamen, sich von dem Joche des falschen Propheten los zu machen, die vergnügteste Zeit in meinem ganzen Leben passiret.

Ich machte keine Schwierigkeit die Versammlungen der Inspirirten zu Homburghausen fleißig zu besuchen, um nach und nach zu sehen, worin das Hauptwerck ihrer Absonderung von den übrigen Secten bestünde, und was sie vor selbigen voraus hätten. Dieses wurde ich nun zwar bald gewahr: Aber ehe ich noch einen Propheten selbst gesehen und gehöret hatte, konnte ich noch kein hinlänglich Urtheil fällen. Ueberhaupt sahen sie die gewöhnlichen Sacraments-und Kirchen-Greuel von der Taufe, Beichte und Abendmal, wohl ein, hatten auch dieselben völlig unter sich abgeschaft, und zwantzigjährige Kinder unter sich, die weder getaufet noch absolviret, und doch eben so vollkommne arme Sünder waren, als alle getaufte und alle absolvirete.

§ 95. Ihr heiliger Eigensinn, kraft deßen sie sich ein Gewissen machten, diese Gaukelpossen weiter mitzuspielen, hatte gemacht, daß sie sich aus ihren gesegneten Umständen, in welchen sie in Memmingen gelebt hatten, mit Weib und Kind von da hatten vertreiben laßen, und darzu hatten sie die, damals, an verschiedenen Orten in Deutschland, herumschwärmenden neuen Propheten, und sonderlich der bekannte Johann Friedrich Rock gebracht, von dem bald ein mehreres zu reden seyn wird.

Man siehet daraus, was ein einziger solcher Schwärmer, wenn er Leute antrift, die einfältig genug sind, Ihn vor einen Gesandten Gottes zu halten, vor Unheil stiften, und vor Zerrüttungen in den Staaten anrichten kann, wenn ihn die Obrigkeit, wie ehemals unter den Juden, nach belieben, mit seinem: So spricht der Herr, allenthalben gauckeln laßen wolte. Die Memminger Obrigkeit hätte diese guten und nahrhaften Bürger gerne behalten, gab ihnen auch in der That vieles nach: Aber nein, es hieß in allen Aussprachen ihrer Propheten, sie solten ausgehen von Babel, der Herr habe sie zu seinem Volk erwehlt, Er wolle unter ihnen wohnen, und sie solten sein Volk seyn, und der Herr wolle ihr Gott seyn.

Was diese armen verblendeten Leute bey diesem vermeinten göttlichen Berufe, durch die Länder, wodurch sie gezogen, vor Drangsahl, Spott und Verachtung ausstehen müßen, indem man sie an verschiedenen Orten, als Leute, die mit der Pest behaftet, vor den Thoren abgewiesen, und kaum Lebens-Mittel verkaufen wollen, das[254] ist kaum mit Worten zu beschreiben. Ihr Gott ließ sie im Stiche, und sie hatten von Glück zu sagen, daß sie nicht alle, wie die Juden, unterwegs crepireten, ehe sie einen Stein von den verheißenen Lande zu sehen bekamen.

§ 96. Wenn sie nun durch diese Absonderung von den großen Secten, im geistlichen noch etwas beßeres erhalten hätten, als sie in denselbigen verlaßen, so wollte ich sagen, sie hätten vor die Zufriedenheit ihres Gemüths schon noch etwas leyden können: Aber da sie unter der neuen Haushaltung ihres vermeinten Gottes, nicht nur eben die verdorbenen armen Sünder bleiben musten, die sie vorher gewesen waren; sondern auch anstatt der Priester, die sich nicht vor unfehlbar ausgaben, sich einem Propheten unterwarfen, den sie vor unfehlbar halten musten, und der sie voppte, wie er selber wolte; so ist wohl das gelindeste Urtheil, das man von diesen armen Leuten fällen kann, dieses, daß man sagt: Es sind Schwaben gewesen, die der gemeinen Sage nach, vor dem 40sten Jahre nicht klug werden. Viele waren zu meinen Zeiten schon drüber, und ließen sich doch vor Narren halten, wie aus der Erzehlung, die ich, ohne etwas zu vergrößern, von ihren Versammlungen ertheilen werde, einem jeden von selbst in die Augen fallen wird. Ihr ganzer Gottesdienst bestund darin, daß sie wöchentlich dreymal zusammenkamen, nemlich des Sonntags vor und Nachmittage, und des Mittewochs nur Vormittage. Diese Versammlungen wurden von ihnen Gebeths-Versammlungen genannt, zu welchen sie, ihren Vorgeben nach, der Geist Gottes durch die neuen Propheten vereiniget hätte.

In diesen Versammlungen gieng es nun so zu: Wenn wir merckten, daß wir alle beisammen waren, oder, daß keiner mehr kommen würde (:wie dann die ganze Gemeine dieser guten Phantasten, in Berlenburg, Schwarzenau und Homburghausen, kaum 50 Personen ausgemacht haben wird) so fing der Vorsteher, oder einer von den Mitarbeitern, an dem die Reihe war, ein Lied, aus dem sogenannten Psalter-Spiel2 an, welches ein Gesangbuch war, in welchen grösten Theils neue Lieder standen, die wider das geistliche Babel und deßen unglückliche Bauleute gerichtet waren.

§ 97. Der Vorsänger, der, wie gedacht, entweder der Vorsteher selbst, oder einer seiner Mitarbeiter war, und in der Ton-Kunst eben so viel, als in der Theologie vergeßen hatte, brachte die Gemeine gemeiniglich gleich Anfangs aus dem Thon in die Leimen-Grube; der eine[255] sang moll, der andere dur, und es war manchmal eine Music, daß man die Ohren davor hätte zustopfen mögen. Mir waren die Melodien dieser neuen Lieder meistens unbekannt, sonst würde ich, mit meinem Basse leicht haben durchdringen, und die schwankenden Töne einigermaßen zur Stetigkeit bringen können. So aber muste ich mich von dem heiligen Uebelklange dieser himlischen Nachteulen gänzlich übertäuben, und geschehen laßen, was ich nicht ändern könnte.

Wie unsern Herr Gott dieses Geheule gefallen, kan ich nicht sagen; Wenn sie aber mich damit hätten beehren wollen, so würde ich sie gebeten haben, meinen unschuldigen Ohren keine Pein anzuthun. Indeßen hätte ich nicht viel nehmen, und etwas an dieser übermenschlichen Music, bey dem Anfange meiner Bekanntschaft, aussetzen wollen. Ich würde gewiß als ein Spötter seyn verstoßen worden, und mir haben gefallen laßen müssen, daß man mich wieder zu den Orgeln und Getöse des großen Haufens verwiesen hätte.

In der That war doch bey diesem, was das Singen betraf, wann es durch die Orgeln aufrecht gehalten wurde, eine ungleich größere und rührendere Harmonie, als bey den guten Leuten, die ich damals vor mir hatte: Weil sie aber glaubten, daß ihr Gott damit zufrieden sey, so muste ich es auch seyn, und mir noch gratuliren, daß ich gewürdiget wurde, eine Probe von dem Cantate des himmlischen Jerusalems mit anzuhören.

§ 98. Nach Endigung des, auf obbeschriebene Art, gemarterten Liedes, fiel Alles auf die Knie, was Beine hatte, und legte sich mit den Köpfen auf die Sitze, auf welchen ein jeder saß. In dieser, einem lateinischen Z fast gleichkommenden Positur, erwartete man dann den Geist des Gebeths, der den Vorsteher, oder den Mitarbeiter, der den Vortrag hatte, allemal zuerst reuten muste. Der damalige Vorsteher zu Homburghausen war der Doctor Herrmann, ein guter ehrlicher, aber auch zugleich von Herzen dummer und einfältiger Mann, den der Erfinder des Pulvers kaum zum Salpeter-Stampfen würde haben gebrauchen können. Nichts desto weniger hatte ihn der Geist des Herrn, durch den Propheten Rock, zum Vorsteher der Inspirations-Gemeine erkläret.

Wenn diese guten alten Leute nur halb so viel Witz, als ihre Kinder gehabt hätten, so hätten sie leicht sehen können, daß sie der leichtfertige Rock, dadurch, daß Er ihnen diesen Einfalts-Pinsel zum Bischof verordnet, nur gevoppt, und deutsch zu reden, vor Narren gehalten. Denn Er besaß so wenig Ansehen, Einsicht und Geschicklichkeit eine Gemeine zu regieren, daß es schwer war, zu unterscheiden,[256] ob ihnen Gott denselben aus Zorn, oder zum Poßen, zum Vorsteher zugegeben hatte.

Genug, Er hatte das Patent zu seiner Bestallung in Händen, und dieses war eine Aussprache, die der Prophet Rock, im Namen des Herrn zu Memmingen gehalten hatte. Kraft dieses göttlichen Befehls war also der D. Herrmann zum Vorsteher, und der Br. Pfeiffer nebst dem Br. Heiß zu Mitarbeitern bey der neu zu errichtenden Gemeine ernennet, allerseits aber leer von denen, zu diesen Aemtern nöthigen Gaben und Geschicklichkeiten gelaßen worden.

§ 99. Die letztern beyden zwar, so gute Schwaben sie auch waren, erkannten doch, und musten erkennen, daß ihr Vorsteher ein einfältiger Tropf war, den sie selber schwerlich zum Küster gemacht haben würden, wenn sie hätten wählen dürfen: Weil ihn aber ihr heiliger Geist zum Bischof ernennet, so nahmen sie ihre Vernunft gefangen, und thaten indeßen was sie wolten. Man sieht daraus, daß der Mensch alles anzunehmen fähig ist, so lange Er blindweg glaubet, daß der Gott, den er sich in seine Phantasie gesezt, mit im Spiele sey, und man darf es den armen Alt-Testamentischen Juden gar nicht mehr vor Uebel halten, daß sie sich durch ihre sogenannten Propheten, vor diesen, auf gleiche Weise haben voppen laßen.

Ein solcher Schwätzer war damals capable ganze Länder und Königreiche in Verwirrung zu bringen, nach eigenen Belieben Könige ab, und andere wieder einzusetzen, und niemand durfte sich unterstehen, nur zu fragen: Was machst Du? Es ist kein Zweifel, daß, wenn dieser Propheten Geist zu unsern Zeiten wieder aufkommen solte, alle die Potentaten, die gegenwärtig regieren, am längsten würden regieret haben, wenn sie sich nicht würden bequemen wollen zu thun, was dem Herrn in einem solchen Manne Gottes wohlgefiel.

Aber, Gottlob, daß man diese göttliche Unsinnigkeit zu unsern Zeiten kennet, und gelernet hat der Ausgelaßenheit derselben Ziel und Schrancken zu setzen. Wären die Zucht- und Toll-Häuser zu Zeiten der Jüdischen Könige so Mode gewesen, wie sie jetzt sind, so bin ich versichert, der Geist des Herrn würde sich in den damaligen Propheten nicht so herrisch aufgeführet haben, und wir würden zu unsern Zeiten uns schwerlich mehr das Maul von ihren Schriften aufsperren laßen.

§ 100. Zwar lehret die Erfahrung, daß sich der Aberglaube gar nichts draus macht, ob seine Begeisterten im Tollhause crepiren, oder am Galgen verrecken. Aber man siehet doch, daß die Begeisterten immer dünner werden, je mehr sie empfinden, was vor ein Gratial sie vor ihre Begeisterung zu erwarten haben. Selbst der Prophet[257] Rock begehrte die Stimmen des Herrn in Frankfurt am Mayn, nicht weiter erschallen zu laßen, nachdem er versucht hatte, wie sichs im Zuchthause saß, und ein anderer angesehener Prophet unter ihnen Namens Gruber, ein Sohn des bekannten Würtembergischen Predigers, auf dessen Ausspruch es ankam, ob einer recht oder linck inspirirt seyn sollte, wurde seine Begeisterung glücklich los, wie ihn die Schweitzer mit einem genädigen Staub-Besen zum Lande hinauskehreten.

Dieser mochte einen guten Theil seines begeisterten Geblüts abgezapft, und den Verstand aus seinen Hintertheilen in den Kopf gejagt haben, daß Er anfieng nachzudencken, ob es sein Buckel auch aushalten möchte, wenn ihm an mehreren Orten dergleichen Apostolische Ehre widerfahren solte: Allem Ansehen nach muß er gefühlt haben, daß er kein Paulinisch Leder gehabt, es würde Ihm sonst nicht drauf ankommen seyn, sich seinem Gott zu Ehren, zum wenigsten noch vier Mal, auf gleiche Art schröpfen zu laßen. Er bedachte sich aber, nach dem ersten Willkommen, kurz, gab seinem Propheten-Geist den Abschied, und gieng, um die Schande des Vorwurfs in Deutschland zu vermeiden, nach America.

Ob nun schon sein alter Vater (der eigentlich der Inspirirten Papst war, und zu Schwartzenau residirte, zu meiner Zeit aber schon todt war3 aus der Aufführung seines Sohnes, leicht hätte klug werden, und sehen können, daß es ein elender Geist des Herrn seyn müste, der sich von den Händen eines Schinder-Knechts müßen vertreiben laßen; so ließ es doch, theils sein priesterlicher Stoltz, theils die Beständigkeit des Propheten, Rocks nicht zu, als welcher, ungeachtet Er mit dem Gruber zugleich war ausgepeitscht worden (wie mir der Br. Langemeyer erzehlte) dennoch nach, wie vor ein Prophet blieb, und sich noch eine Ehre draus machte, daß ihn der[258] Herr sein Gott, hatte würdigen wollen, um seines Namens willen Schmach leyden zu laßen.

§ 101. Diese Prophetische Hartnäckigkeit machte, daß den einfältigen Gliedern von der Gemeine, die Trotz ihrer Einfalt, dennoch stutzig wurden, wie sie hörten, daß der Schinder, mit einer Handvoll Ruthen, den Geist des Herrn, aus einem ihrer berühmtesten Propheten verjagt hätten, eine neue Nase gedreht werden konnte. Denn da muste es heißen: Gruber sey in die Vernunft gegangen, darum sey der Geist des Herrn von Ihm gewichen. Ob nun schon die guten Stümper eben aus dieser Erläuterung leicht hätten sehen können, daß ihr vermeinter Geist der Weisheit, ihnen schlechte Weißheit lernen würde, wenn Er sich mit der Vernunft nicht vertragen könnte; so war es Ihnen doch nicht möglich diesen Schluß zu machen, weil sie die Vernunft auf keine Weise hören durften.

In der That habe ich keine Secte gefunden, die mehr wider die Vernunft geraset, als die Secte der Inspirirten; und in diesem Stücke muß ich sagen, daß der Inspirations-Geist seinem Plan vollkommen gemäß gehandelt. Denn wenn er seinen Sclaven den Gebrauch der Vernunft hätte freilassen wollen, so wäre es nicht möglich gewesen, daß sie nicht hätten sehen sollen, wie erbärmlich sie von ihm wären gevoppt worden. Denn wider auf unsere Versammlungen zu kommen, die der Geist des Herrn ausdrücklich zu einer Gebeths-Versammlung bestimmt haben solte, so hätte man, nach einer so eigentlichen göttlichen Verordnung, ja wohl nichts anders vermuthen sollen, als daß man in der ganzen Welt, nun keine beßere und geistreichere Beter antreffen würde, als in der Inspirations-Gemeine: Allein ich muß die Wahrheit sagen, und gestehen, daß ich in meinem Leben, nie elender, abgeschmackter und kraftloser beten hören, als unter diesen begeisterten Brüdern.

§ 102. Keiner, unter der ganzen Gemeine konnte sich weniger mit diesem geistlichen Gewurcke behelfen, als der Vorsteher derselben, der D. Herrmann, der doch den andern von Rechtswegen zum Muster hätte dienen sollen. Ich kan sagen, daß mir allemal Angst und bange wurde, wenn Er zu beten anfieng, und ich bin versichert, daß manche Jungfer eher ein Kind zur Welt bringt, als Er im Stande war, ein Wort zum Laut zu bringen. Manchmal dachte ich, Er würde gar einen Fehl gebähren, und wie das Röhr-Wasser, in der besten Arbeit, außen bleiben, so lange wärete es, ehe man hören konnte, was Ihm der Geist gab, auszusprechen; und wann es dann, unter vielen Stöhnen, Husten und Meckern, endlich zur Welt kam, so war es doch weiter nichts, als ein stammlender Widerhall[259] der gemeinen Lutherischen Widergebohrnen, nemlich, daß er ein armer Sünder sey, der des Ruhms mangele, den Er vor Gott haben solte, und der doch nichts desto weniger, sich die Dreustigkeit anmaßete, vor andere arme Sünder zu bitten, daß sie Gott auch zu solchen Schöpfen machen möchte, wie Er einer war.

Ich muß gestehen, daß ich mich in dieses Gewürcke, nicht wohl fügen konnte, weil ich die Pietisten, in Wien, und anderwerts, schon viel fertiger hatte beten hören, als diesen, vom Geiste Gottes selbst, zum Vorsteher einer Gebeths-Versammlung verordnet seyn sollenden Bischof. Das Kleinste meiner Kinder, die ich bei Hrn. Muhlen in Wien zu informiren hatte, wuste weit fließender und geschickter zu schwatzen, wenn es beten solte, als dieser, vom Geist des Gebeths besonders getrieben seyn wollende Vorsteher.

Nichts desto weniger durfte ich der Vernunft, die mir alle diese Mängel deutlich vorstellete, damals noch nicht Gehör geben, bloß weil es der Bibel-Götze, den ich damals noch gar starck verehrete, und hinter welchen sich der schalkhafte Inspirations-Geist perfect zu verstecken wuste, nicht haben wolte. Es muste mir also noch um ein merckliches empfindlicher auf dem Maule gedrummelt werden.

§ 103. Nach Anhörung aller der erbärmlichen Gebeter, die die andern Kniebeuger, nach der Mißgeburth ihres Vorstehers zur Welt brachten, welches eine ziemliche Zeit dauerte, wurde uns endlich erlaubt, die Knie aus ihrer unverschuldeten Marter wider zu befreien, und unsere ordentlichen Sitze wider ein zu nehmen, um zu hören, was der Geist der Gemeine, durch ihren Erbarmungswürdigen Vorsteher sagen würde. Er nahm alsdann ein Stück der Bibel, das in der Ordnung, wie sie angefangen hatten, folgte, vor sich, ohne darauf zu sehen, ob es auch im Calender um die und die Zeit zu erklären verordnet war.

Die guten Leute hatten freilich dabey die Absicht, ihren Untergebenen nach und nach die ganze Bibel zu erklären und nicht, wie die großen Secten, Jahr aus, Jahr ein, über einerley Texte zu leyern. Allein sie waren die Leute nicht, die eine beßere Music machen konnten, und hätten beßer gethan, wenn sie gar geschwiegen hätten, als daß sie der Gemeine hören ließen, daß sie in Erklärung der Schrift, elendere Stümper, als andere wären.

Es laß also der Vorsteher, oder ein anderer Mitarbeiter, an dem die Reihe des Vortrags war, den zu erklärenden Text, aus der Lutherischen Uebersetzung, nach der Länge, erstlich vor, und gab hernach seinen Senff drüber, der dann gewiß so abgeschmackt war,[260] daß ich mich über mich selbst noch wundern muß, daß ich fast 3/4 Jahr die Gedult habe haben können, denselben mit zu kosten.

§ 104. Man muß sich nicht einbilden, daß diese Leute auf den Text, den sie erklären sollen, erst vorher meditiret hätten, oder beflißen gewesen wären, einen ordentlichen Vortrag, nach der Prediger-Kunst, daraus zu Marckte zu bringen. Denn das hielten sie alles vor Babylonische Gauckel-Possen. Nein! Sie erwarteten, was ihnen der Geist auszusprechen geben würde, wenn sie sich auf den Lehr-Stuhl in der Gemeine würden gesezt haben. Da sollte Ihnen auf einmal einfallen, was andere, mit vieler Mühe und großen Kopf-zerbrechen, bey manchen schwehren Texten nicht finden können.

Habe ich aber jemals elenden und unbrauchbaren Theologischen Häckerling zu Marckte bringen sehen, so ist es gewis in dieser Gott geheiligten Gemeine gewesen, absonderlich, wenn der D. Herrmann, als Bischof derselben, den Vortrag hatte. Es war in der ganzen Rede, die doch gemeiniglich eine Stunde dauren muste, keine weitere Kraft, als einen, nach dem andern, von denen, bereits geistlicher Weise sehr fest schlafenden Zuhörern, auch leiblicher Weise, schlafend zu machen. Ich konnte mich deßen selber nicht erwehren, wie ich sahe, daß den andern Gliedern der Gemeine, der tiefe Schlaf, den ihnen der Herr eingeschencket hatte, so wohl bekam.

Wenn der geringste Studente in den unbegeisterten Secten, so elend Zeug in seinen Predigten hätte vorbringen wollen, wie hier der begeisterte Bischof in der Gemeine der Heiligen, so würde ich schwerlich die Gedult gehabt haben, Ihn das 2te Mal anzuhören: Hier aber machten mich ganzer 3/4 Jahre nicht müde, den trockensten und übel zusammenhangendsten Vortrag mit anzuhören, den man in der Welt hören kan.

§ 105. Ich zwang mich, wider mich selbst, diesem kraft- und saftlosen Zeuge einen Geschmack abzugewinnen, und weil mir meine Brüder, die wohl mercken mochten, daß ich sie eben vor keine Heren-Meister in der Rede-Kunst hielt, bey aller Gelegenheit viel von der Einfalt vorschwazten, und mir zu verstehen gaben, daß man, um die Kraft des Geistes Gottes recht zu empfinden, immer einfältiger werden, und sich von aller leeren Schul-Gelehrsamkeit ausleeren müste; so bemühete ich mich (nachdem ich freilich wenig Trostreiches in meiner Schul-Weißheit fand) im rechten Ernst, diese heilige Einfalt zu lernen, und ich muß sagen, daß der Zeitlauf, den ich bei den Inspirirten zugebracht, der einfältigste, in meinem ganzen Leben gewesen. Denn

Bei den großen Secten fanden doch die Sinne und die Phantasie[261] wenn ein beredter Canzel-Redner den Vortrag that, noch immer etwas angenehmes und vergnügendes, und nicht selten wurde auch das Herz gerührt, wenn Wahrheiten vorgetragen wurden, die mit der Vernunft und der Natur der Dinge übereinkamen: Aber in den Versammlungen der Inspirirten fand ich lediglich nichts dergleichen. Muß ich nicht von Herzen einfältig gewesen seyn, wenn ich dieses elende Gewürcke vor lauter göttliche Anstalten gehalten?

Wie aber mein Herz aufrichtig war, und ich nichts suchte, als Gott, meinen Herrn und Ursprung immer näher kennen zu lernen, also ließ mir Gott meine Einfalt auch nicht schaden, sondern bahnte mir eben durch dieselbe den Weg dem Inspirations-Geist in sein geheimstes Cabinet zu kucken, denselben als einen falschen Geist bloß zu stellen, und mich und andere gänzlich von seinem Joche frey zu machen.

§ 106. Bißher hatte ich nur die Versammlungen dieser meiner neuen Brüder besucht, ohne noch den Mann gesehen zu haben, der damals in der Person des bekannten Sattlers, Johann Friedrich Rocks,4 ihren Gott agirete. Es waren aber (von dem Anfange meiner Bekanntschaft anzunehmen) kaum 14 Tage oder 3 Wochen verfloßen, so wurde demselben zu wißen gethan, daß der gute Hirte seine Heerde mit einem stattlichen Schöpß vermehret hätte. Der Mann Gottes säumte hierauf nicht lange, in Person nach Berlenburg zu kommen, und mich, ehe ich wider zu Verstande kommen möchte in meiner heiligen Dummheit zu bestätigen.

Er war sobald nicht eingetroffen, als der Br. Werlich voller Freuden zu mir gelaufen kam, und mir meldete; Der Br. Rock sey[262] angekommen, ich möchte Ihm die Liebe thun, und Ihm zum Br. Grünewald mit folgen, indem Er mich zu sprechen verlangte: Mir war bey Anhörung dieser, in dem Wahn des Br. Werlichs höchst erwünschten Zeitung, nicht anders zu Muthe, als wenn ich bey dem Beelzebub hätte meine Aufwartung machen sollen. Denn es befiel mich eine solche Angst, daß ich auf der Stelle, nicht gleich wuste, wie mir geschahe, und diesen schröckhaften Besuch gern verbeten haben würde, wenn ich mich nicht geschämt, und besorgen müßen, daß der ganze Schwarm der Heiligen, unter der Anführung ihres Gottes, mir selber über den Hals kommen, und das noch übrige Fünckchen meines kaum noch glimmenden Vernunftlichtleins vollends gar auslöschen möchte.

§ 107. Wäre ich damals im Stande gewesen, die geheime Sprache, die sich in meinem inwendigen deutlich genug hören ließ, mit gehöriger Aufmercksamkeit anzuhören, und zu überlegen warum ich doch, da ich die Gnade haben solte einen Gesandten meines Gottes, ja Gott selbst in dem selbigen zu sprechen, ein solch Grausen empfände, daß sich meine ganze Natur davor entsezte, so dürfte wohl aus dem damaligen Besuch nichts worden seyn. Ich wurde aber übereilt, und die Besorgniß, ich möchte von meinen Brüdern vor falsch angesehen werden, wenn ich den heiligen Mann nicht sprechen wolte, dem sie so viel gutes von mir vorgesagt, machte daß ich mitgieng, und mich fröliger anstellte, als mir ums Herz war.5

Ich hätte aus meiner damaligen Gemüthsstellung, der ich nicht zu widerstreben vermochte, leicht abnehmen können, daß meinem Gemüthe etwas widriges bevorstehen müste, weil sichs, bey der bloßen Anhörung des Namens Rock, gleichsam zusammenzog, als wenn es den Anfall einer feindseligen Macht vor sich sähe, gegen welche es alle seine Kräfte von nöthen hätte: Allein es wurde mir keine Zeit zum Nachsinnen gelaßen, sondern ich muste fort, um selbst mit eigenen Augen anzusehen wie scheußlich und ungebehrdig der Gott der Inspirirten in seinen Gesandten zu erscheinen pflegte. Arrigite aures Pamphile.

§ 108. Wie ich mit dem Br. Werlich zum Br. Grünewald kam, fand ich die ganze Stube voll Brüdern und Schwestern, die mich alle sehr freundlich willkommen hießen, und alle, biß auf den Br. Kreyssig, deßen ich hernach gedencken werde, glaubten recht was großes an mir gefischt zu haben. Wie ich nun unter den fremden[263] Brüdern, die der Prophet Rock mitgebracht hatte, nicht wißen konnte, welches der Mann Gottes war, so fragte ich gleich, nach dem ersten Willkommen, welches denn der Br. Rock fey.

Alsofort stand dieser alte Fuchs von seinem Ort auf, gieng mir mit einer freundlichen Mine entgegen, und sagte: Weil Sie mich einen Bruder heißen, habe ich Ihnen einen Kuß bieten wollen; küßte mich auch hierauf, ohne meine Erlaubniß zu erwarten, die ich Ihm ohnedem nicht hätte versagen können, ohne mich einer Unlauterkeit bey den Brüdern verdächtig zu machen. Ich erwiderte denselben zwar auch: Aber mehr als eine Maschine, die nicht weiß, warum sie so, oder anders getrieben wird, als daß mein Herz hätte dabey seyn sollen, wie sehr ich es auch nöthigte.

§ 109. Ich ließ mich hierauf in ein Gespräch mit dem Propheten ein, und wolte von dem Anfange und dem Ursprunge der Inspiration in Deutschland unterrichtet seyn. Ehe ich michs aber versahe, flohe dem Mann Gottes die Mütze vom Kopfe, der Kopf schüttelte sich hin und her, wie eine Wetter-Fahne, wenn Gewitter kommen, die Haare, die zu allem Glück nach dem Melckefaße verschnitten waren, bemüheten sich umsonst, den heiligen Mund zu bedecken, der wie ein Gensd'armen Gaul sprudelte; die Augen sahen einem in letzten Zügen liegenden Kalbe nicht ungleich; die Hände schlugen auf die Knie, wie einer der Hunde lockt; die Füße schienen das in meinem Vaterlande bekannte Papiermacher-Spiel vorstellen zu wollen, und der heilige Poder hatte von Glück zu sagen, daß er nicht von Glase war, sonst würde es gewiß Scherbel gegeben, und dem Glaser ein Einsehen verursachet haben.

In Summa, der Mann Gottes stellte sich so ungebehrdig, daß man Ihn eher vor einen beseßenen, oder mit der schweren Noth behafteten Hülfs-bedürftigen, als vor einen Gesandten Gottes hätte ansehen können, der andern zu Hülfe geschickt seyn solte. Wie mir bey diesem unvermutheten Anblicke zu Muthe war, weiß Gott beßer, als ich. So viel ich mich noch besinnen kan, sammelte ich alle meine Kräfte zusammen, mich zu bereden, der Geist des Herrn (den ich damals nur in gewißen Menschen suchte) sey über den Mann Gottes gerathen, und der Herr habe Macht, sich in seinen Werkzeugen zu gebehrden, wie Er selber wolle, ohne daß wir armen Menschen uns darüber aufhalten dürften.

§ 110. Es war der Prophet nicht so bald in diese Verrückung gerathen, als sich seine Brüder, die noch so viel Verstand übrig hatten, daß sie schreiben konnten, an den Tisch setzten, sich zum schreiben rüsteten, und mit gröster Begierde warteten, was der Geist[264] demselben auszusprechen geben würde. Sobald Er merckte, daß alles in gehöriger Positur war, zwischen welcher Zeit, wie durch die ganze Aussprache, Er nach obiger Beschreibung in beständiger Bewegung blieb, und nicht anders kröchzete, als einer der zu brechen eingenommen hatte, erfolgte endlich die Aussprache Brocken-Weise, eben wie ein Schulmeister was dictiret, und mir wurden allerhand weitschichtige Verheißungen gethan, jedoch mit der Bedingung, daß ich den Rock, den ich nun an hätte, würde ausziehen müssen, wenn ich mit den Kleidern des Heils würde angethan seyn wollen.

Ich hatte damals noch große Hochachtung vor diese unbekannten Kleider, und weil ich den Kopf mit lauter Märtyrer-Gedancken angefüllt hatte, so glaubte ich halb und halb, Gott wolte mir dadurch deuten laßen, welches Todes ich sterben würde, und machte in meiner damaligen Verwirrung allerhand Calender über diese Prophezeiung.

So bald war dieselbe nicht zu Ende, und der Prophet seiner Sinnen und seines Verstandes wider mächtig worden, als man mir allerseits, meines Glücks wegen gratulirete, und anfieng, das, was man ausgeschrieben hatte, und welches man vor Gottes unfehlbares Wort hielt, mit einander zu vergleichen. Aber siehe! Da fanden sich unter diesen heiligen Schriften, die von der unmittelbaren Eingebung des Geistes Gottes, so zu reden, noch rauchten, und außer den heiligen Schreibern, noch keinen andern Abschreibern in die Hände gerathen waren, schon verschiedene Lese-Arten, die der Prophet, nachdem er aus seiner Verrückung wider zu Verstande kommen war, selber entweder würcklich nicht zu entscheiden wußte, oder sie doch, um der Unfehlbarkeit nicht zu nahe zu treten, nicht entscheiden durfte. Denn

§ 111. Man muß wißen, daß der Prophet, oder Prophetinn, so lange ihre Begeisterung währet, die sich durch die obbeschriebenen Bewegungen und Erschütterungen äußert, ihrer Sinnen und Verstandes (zum wenigsten ihrer Aussage nach) nicht mächtig sind, und zu der Zeit da sie so besessen scheinen, gar nicht wißen, was in ihnen vorgehet, ob Ichts oder Nichts durch sie spricht, ob es in der rothwelschen oder ihrer Muttersprache geschicht, und ob das, was durch sie gesprochen wird, gehauen oder gestochen heißen soll.

Wenn sichs also begeben solte, daß sich die heiligen Schreiber über ihre verschiedenen Grundtexte nicht solten vereinigen können, so kan der Streit nicht anders, als durch eine neue Aussprache, das ist, durch eine neue Verrückung der Sinne und des Verstandes des Propheten geschehen. Denn wenn sie der Prophet nach seinem eigenen gesunden Verstande entscheiden wolte, so würde die Weissagung[265] schon was menschliches und folglich was ungewißes mit sich führen. Wenn Er aber (:zum wenigsten wie Er vorgiebt) seines Verstandes völlig beraubt ist, und selber nicht weis, wer durch Ihn spricht, noch was durch Ihn gesprochen wird, alsdenn hat sie erst ein göttliches Ansehen, und wird vor unbetrüglich gehalten.

§ 112. Es geben uns diese neuen Propheten-Comödien ein unvergleichlich Licht, was es mit den alten Propheten, deren Speichel wir lange vor Gottes Wort aufgeleckt, vor eine Beschaffenheit gehabt haben müße. Aufs wenigste ist aus der bisherigen Beschreibung (die ein jeder, der diese Leute kennt, vor wahr erkennen muß) deutlich die Ursache zu erkennen warum man die Propheten schon vor etlichen 1000 Jahren, mitten unter dem Volke, das sie vor Boten Gottes erkante, rasende und unsinnige zu nennen gewohnt gewesen, und warum weißagen und unsinnig, dämisch, abgeschmackt und verworren Zeug unter einander reden, mit einem Worte, im Kopfe verrückt, und seines gesunden Verstandes nicht mächtig seyn, einerley bei den Juden hieß.

Also heißt es nicht nur von Saul 1 B. Samuel. 18, 10. wenn ihn seine Melancholie und Schwermüthigkeit anwandelte: der Böse Geist von Gott sey über ihn gerathen, und er habe daheim, in seinem Hause geweißaget, (oder irre geredet) sondern wir lesen auch 2 B. der Könige 9, 11. daß als Elisa einen von den Propheten Kindern zu Jehu sandte, daß er Ihn zum Könige über Israel salben solte, die Bedienten des Königs Joram Ihn gefraget, was dieser rasende bey Ihm gewolt hätte, woraus man deutlich siehet, was vor Begriffe man schon in den damaligen Zeiten, von den Propheten gehabt haben müße.6

Merkwürdig ist hierbei die Auslegung, die Vatablus nach Anweisung Antonii van Dale in denen Dissertat. d. Orig. et Progr. Idolatriae p. 440 über die Stelle 1 B. Sam. 18, 10. von den Weißagungen Sauls ertheilet, in so fern das Wort Weißagen, von den verworrenen Reden gebraucht wird, die Saul damals in dem Paroxismo seiner Krankheit von sich hören laßen. Denn da sagt Er: Prophetare dicuntur stulti, id est, absurda effutire, quod non intelligant illa, quae dicunt; quemadmodum Prophetae absurda et ridicula videntur dicere iis, qui spiritu Dei carent sine quo non possunt intelligere. Chaldaeus Paraphrastes; Desipiebat, id est more desipientium aliena atque[266] absurda loquebatur. Sic cum Munstero quoque Grotius; Chaldaeus, et insaniebat; Kimchi, loquebatur verba insaniae.

§ 113. Ich weiß, daß meine Deutschen Leser dieses auch gerne werden verstehen wollen; weswegen die Lateinischen so gut seyn werden, diesen Absatz zu überschlagen. Vatablus will bei dieser Stelle so viel sagen: das Wort Weißagen, wenn es von Narren gebraucht würde, heiße so viel, als abgeschmackt Zeug plaudern, weil sie nicht verstünden, was sie sagten; gleich wie die Propheten, denen, die den Geist Gottes nicht hätten, ohne welchen sie nicht verstehen könnten, auch abgeschmackte und lächerliche Dinge vorzubringen schienen. Der Chaldäische Ausleger habe das Wort, Weißagen, am angezogenen Orte, durch verrücket seyn erkläret, daß nemlich Saul, nach Art derer, die nicht recht bey Verstande wären, seltsam und ungereimt Zeug unter einander geredet hätte. Münsterus und Grotius hätten es eben so übersezt, und der Chaldäische Ausleger gebe es auch, durch, unsinnig seyn, und Rabbi Kimchi; Er habe wie ein irrer Mensch geredet.

Man erwehle, welche Erklärung man wolle, so wird sie den sogenannten Propheten, Weißagern oder Boten Gottes zu schlechter Ehre gereichen,7 wenn gleich Vatablus zur Entschuldigung dieser Schwärmer sagt, daß sie nur denen abgeschmackte und lächerliche Dinge vorzubringen schienen, die den Geist Gottes nicht hätten. Denn den Geist Gottes haben alle: aber nicht just den Geist der Unsinnigkeit, der 1. Sam. 16, 16 ausdrücklich auch ein Geist Gottes genennet wird.8 Wen Gott also mit dergleichen unangenehmen Besuche verschonet, und bewahret, daß ihn nicht eben der Wahnsinn befällt, in welchen wir die Propheten antreffen, der verstehet freilich eben so wenig von ihrem Geschwätze, als sie selber, und würde zeigen, daß er seiner gesunden Sinne und Verstandes eben so wenig mächtig wäre, als sie, wenn er auf daßelbe was achten wolte.

§ 114. Damals gehörte ich noch würcklich mit unter diese Classe. Denn ich speißte nach gehaltener Aussprache, und hinlänglicher Vergleichung derselben, mit diesen armen betrogenen Leuten, zu Nacht, unwißend, daß ich noch nebst Ihnen betrogen würde. Ich bedanckete mich ordentlich gegen den Propheten, daß der Herr auch meiner Wenigkeit in der Aussprache hatte gedencken wollen, welche Worte,[267] da sie mir in der Verwirrung recht wider meinen Willen entfuhren, wenn ich sie recht bedacht hätte, leicht hätten zeigen können, daß der Herr, dem ich so demüthig danckete, niemand anders, als der schlaue Herr Rock sey.

Er nahm sie aber zu seinem Vortheil an, und schloß daraus, daß ich nun völlig überzeugt wäre, daß der Geist der Wahrheit durch Ihn redete. Ich hatte damit diesem tückischen Geiste einen gewaltigen Vortheil über mich eingeräumet, und mich einer recht finstern Macht unterworfen, die mir hernach ungemein viel zu schaffen machte, wie ich mich derselben wider entreißen wolte. Der alte Fuchs schmutzerlachte bey meinem Dancke, wie ein Bauer, der ein Hufeisen findet: Ich aber gieng voller Gedancken, über das, was ich gesehen und gehöret hatte, nach Hause.

Wie ich alleine war (welches alles noch bey Hrn. Haugen geschahe) fieng ich an meine Betrachtungen über mein Ebentheuer anzustellen. Das anstößigste vor mich, waren die grausamen Verstellungen, in welchen sich der Mann Gottes gegen mich gezeiget hatte. Diese schienen mir, nach meinem damaligen Gesichte, mehr teuflisch, als göttlich zu seyn. Denn damals wuste ich noch nicht, daß Gott alles in allen war. Ich würde auch mit meinen Betrachtungen durchgedrungen, und auf den Grund der Sachen gekommen seyn, wenn ich meiner Vernunft hätte dürfen Gehör geben: Weil mir aber der Bibel-Götze (den ich damals noch mehr, als alle Propheten unserer Zeiten verehrte) befahl, dieselbe gefangen zu nehmen, und darzu kam, daß ich in demselben gelesen hatte, wie sich die Männer Gottes, wenn sie was sonderliches vorbringen wollen, bisweilen auch sehr ungeberdig gestellet, so mußte meine Vernunft, wider welche der Prophet ohnedem heftig geeyfert hatte, abermal schweigen.

§ 115. Inzwischen bat ich doch Gott recht inbrünstig, daß Er mich keinem falschen Geiste Preiß geben, sondern mich deutlich überzeugen möchte, ob er es sey, der durch den Propheten redete, oder ob derselbe nur aus Vermeßenheit einen göttlichen Gesandten agirete, und wie leicht hätte ich dieses sehen können, wenn mir die Bibel nicht im Wege gestanden hätte. Denn nach derselben fand ich klar, daß Gott versprochen haben solte, seinen Geist über alles Fleisch auszugießen, daß Söhne und Töchter Weißagen solten. Weil ich das nun noch vor lauter unfehlbare Worte Gottes halten muste, so dachte ich freylich nicht dran, daß Ochsen und Esel, Hühner und Gänse, nach dieser uneingeschränkten Verheißung, auch mit dem Geiste Gottes würde begabet werden müßen; sondern ich hielt mich[268] nur bey den weißagenden Söhnen und Töchtern auf, und dachte, daß Gott in unsern Tagen diese Verheißung erfüllen wolte.

Ein kleines Glück vor die Inspirirten war es, daß mir keine Prophetin in der Positur zu Gesichte kam, in welcher ich den Br. Rock angetroffen hatte. Denn da glaube ich fast, eine solche heilige Furie würde mich, wenn ich ihre zerstreueten Haare, gleich den Schlangen, hätte um den Kopf fliegen, und die Augen, auf eine Basiliskenmäßige Art liebäugeln sehen, zur Stube hinausgejagt haben. So aber waren diese heiligen Scheusale zu meinen Zeiten schon ausgestorben, und ich würde gar nichts von ihnen wißen, wenn mir meine Brüder nicht bisweilen was von ihnen erzehlet hätten.9

§ 116. Ich nahm das alles zwar m einige Ueberlegung, konnte aber, in Ansehung des Rocks, was ich von Ihm und seinem Geiste zu halten hätte, noch zu keinem Schluße kommen. Genug Er und meine Brüder glaubten, ohne mich zu fragen, steif und fest, ich sey von der Göttlichkeit der Inspiration nun völlig überzeugt. Er, der Rock, reißte wider ins Isenburgische, ich zog von Hrn. Haugen in mein neu Quartier, und lebte in der Bekanntschaft und dem Umgange mit meinen Brüdern, so lange die Frage von der Göttlichkeit der Inspiration nicht an mich kam, recht vergnügt.

Hätten sie über diesen Punct mein aufrichtig Bekänntniß, nach meinem Gewißen gefordert, so würde unsere Bekanntschaft nicht lange gedauret haben. So aber schienen sie zufrieden zu seyn, wenn ich nur nicht wider die Inspiration agirete. Doch diese Freude währete nicht lange. Gott, der mich weiter brauchen wolte, sahe wohl, daß ich unter diesen Träumern nimmermehr zu Kräften kommen würde. Er machte also selber Bahn, mich ihrer Gesellschaft, ohne mein Dencken, mit Ernst zu entreißen, und dies ging also zu.

Es hatte der listige Rock von deswegen die lauten Gebeths-Versammlungen unter den armen einfältigen Leuten eingeführet, damit Er den Betenden in das innerste ihrer Gedancken sehen, und aus dem Verlangen derselben erkennen möchte, ob sie sichs in seiner Pferch noch eine Zeitlang wolten gefallen laßen, oder ob sie Mine machten, weiter zu gehen, und sich in völlige Freiheit zu setzen. Denn wenn sich einer so was in seinem Gebete nur mercken ließ, wenn es gleich nur zufälliger weise geschahe, und der betende wohl selber nicht allemal wuste, was er betete; so kam gleich eine Aussprache zum Vorschein, die von Hochfliegen, Vernünfteln und Ungebundenheit schwazte, und alles mögliche that, die armen Leute bey der Einfalt[269] zu erhalten, in welcher sie sich diesem göttlichen Maul-Affen unterworfen hatten.

§ 117. Auf die Art wurden also alle, die dieses Geschwätz vor unmittelbare Göttliche Offenbarungen annahmen, beständig unter dem Joche dieses Schwindel-Geistes erhalten. Es durfte sich keiner unterstehen, etwas zu untersuchen, wenn Er nicht als ein Hochflieger und Vernünftler ausgeschrien, und gewärtig seyn wolte, daß Ihm sein Lederner Herr Gott, in einer neuen Aussprache, vor der ganzen Gemeine, namentlich den Pelz waschen, und als einen gefährlichen Menschen vorstellen solte, vor welchen sich die, so der göttlichen Einfalt ergeben, in Acht zu nehmen hätten.

Ich merckte diese Schalckheit nicht eher, als bis man auf das laute Gebeth bey mir drang. Denn wie ich nun fast 3/4 Jahr die Versammlungen dieser Bet-Brüder besucht, und meinen Mund zu einem lauten Gebete in denselben noch nicht aufgethan hatte, begunten meine Schwaben endlich zu mercken, daß ich die Befehle ihres Gottes, der diese Gemeine eigentlich zur Gebets-Versammlung berufen hatte, nicht sonderlich achten müste. Um also meine Gedancken dißfalls zu vernehmen, mußte sich ihr Vorsteher der D. Herrmann an mich machen, und mich fragen: Warum ich nicht betete? Ich antwortete, daß ich das allerdings, und zwar mit gröster Inbrunst thäte. Er frug aber weiter: Warum ich dann nicht laut betete, daß andere auch dadurch erbaut werden könnten? Ich sagte, daß ich mich in diesem Stücke in aller Einfalt nach dem Befehl Christi richtete, der gesagt hätte, Wenn Du beten willst, so gehe in Dein Kämmerlein etc. etc.

§ 118. Ueber diese Antwort stuzte mein guter Bischof nicht wenig. Denn sie wolte stillschweigend so viel sagen, daß ich ihre angestellten Gebeths-Versammlungen vor keine Anstalten des Geistes Christi erkennete. Er versezte zwar hierauf, daß doch gleichwol der Geist Gottes diese Anstalten unter ihnen gemacht hätte: Allein, wie das eben der Punct war, den Er mir erst hätte erweisen müßen, und ich noch nicht Herz genug hatte, zu sagen: Daß sie eben daraus sehen könnten, daß sie von einem Antichristischen Geiste betrogen wären, so gab ich nur so viel zur Antwort, daß ich nicht glauben könnte, daß sich Gott in seinen Befehlen zuwider seyn solte.

Der gute Stümper konnte hieraus schon zur Genüge abnehmen, wie viel die Glocke bey mir geschlagen hatte, bemühete sich also die Nothwendigkeit des lauten Gebets aus verschiedenen Biblischen Sprüchen zu erweisen, die Er mir schriftlich zustellete; Ich beantwortete sie umständlich auch mit der Schrift, und zeigte zugleich aus den[270] Kirchen-Geschichten der ersten Zeiten des Christenthums das Gegentheil.10

Die armen einfältigen Brüder steckten bey diesem unsern unvermutheten Wort-Wechsel die Köpfe zusammen, und getrauten sich nicht uns zu entscheiden. Bruder Pfeiffer sagte zwar, um kurz aus der Sache zu kommen, ohne das Haupt-Werck zu berühren, wir hätten alle beide Unrecht: Allein dieser Macht-Spruch war bey mir viel zu ohnmächtig. Ich schwieg zwar, um keine Gelegenheit zu weiteren Wortwechsel zu geben; Allein was meine Art zu beten anbelangete, so blieb ich darin unveränderlich, woraus die guten Leute freilich leicht sehen konten, daß ich mir weder von Ihnen, noch von Ihrem Gotte in diesem Stücke würde was vorschreiben laßen.

§ 119. Ihre Angesichter waren bei diesem Zwischen-Spiele freilich nicht, wie gestern und ehegestern gegen mich gestellet, und ich konnte überhaupt auch wohl sehen, wo die Sache hinauslaufen würde: Aber die Wahrheit zu bekennen, so dachte ich nicht, daß es unter uns zur gänzlichen Raptur kommen würde, und der Prophet mag es wohl 100 mal bereuet haben, daß Er die Person Gottes bei dieser Gelegenheit nicht auf eine politischere Art gespielet. Denn wenn Er mir, da Er sahe, daß ich vor das lautere Geplappere, in öffentlicher Gemeine, absolut nicht portirt war, nur so viel nachgegeben hätte, daß Er mir vors erste frey gestellet laut zu beten oder nicht, so würde Er mir einen großen Rang abgelaufen, und mein ganzes Dessein zu nichte gemacht haben.

Ich würde keine Ursache so geschwind gefunden haben, Ihn vor einen Anti-Christischen Geist zu erklären; Er würde nach wie vor unter dem Namen Gottes haben gauckeln; sein Ansehen bei der Gemeine, und mich zugleich mit bey derselbigen erhalten, und vielleicht auf mein Lebelang feßeln können: wie Er aber zur Unzeit mit seinem, noch gar nicht bey mir ausgemachten, göttlichen Ansehen durchdringen, und in seinen Anstalten eben dem Gott, vor deßen Gesandten Er sich ausgab, gerad entgegen handeln wolte, so muste Er nothwendig zu kurz kommen, Er mochte auch Creuzsprünge machen, wie Er wolte.

§ 120. Meine Brüder säumten nicht lange, Ihm von allen, was zwischen dem Br. Herrmann und mir vorgegangen war, Nachricht zu geben, und dachten ihrer Seits gewiß, wenn sich nur ihr Gott mit ins Spiel mengen würde, ich würde sodann schon mich unterwerfen müßen. Sie betrogen sich aber dißmal erschröcklich. Denn[271] anstatt, daß dieser ihr Abgott sein göttliches Ansehen gegen mich hätte behaupten, und mir zeigen sollen, daß Er mein Herr sey, verlohr Er es nach der letzten Aussprache dergestalt, daß Er sich von der Zeit an, nicht mehr vor mir sehen ließ.

Ehe der Bettel-Tanz zwischen uns beyden angieng, muß ich meinen Lesern gestehen, daß, weil ich an meiner Seite noch nicht gewiß war, ob ichs mit Gott, oder dem Teufel zu thun haben würde, ich mich in einer solchen Angst befand, daß ich glaubte, es würde mir das Leben kosten. Es hatte die finstere Magie aller dieser Geister, und insonderheit des tückischen Rocks, deßen Schwindel-Geist ich halb und halb schon vor meinen Herrn erkannt hatte, und noch nicht wuste, wie ich mich mit Vortheil wider von Ihm loß machen solte, eine solche Würckung auf meinen Körper, daß ich, wie ein Schatten vergieng, und mich kaum kennete, wenn ich in den Spiegel sah.

Ein gleiches begegnete auch meinen beyden Hauptgenoßen, dem Br. Langemeier und der Schw. Schelldorfinn, bey der ich zu Tische gieng, und seit dem Disput, den ich mit dem D. Herrmann gehabt, verschiedenes, was man mit Grund gegen die Inspiration einwenden konnte, mit Ihnen gesprochen hatte.

§ 121. Die guten Leute, die sich 22 Jahr von diesem Gauckler hatten narren laßen, höreten anfangs hoch auf, wie sie mich aus diesem Tone mit Ihnen sprechen hörten: Weil sie aber selber schon eine geraume Zeit, allerhand Zweifel in dieser Sache gequälet hatten, und sich, vor sich selbst zu schwach fanden, durch alle Hinderniße, die Ihnen von Seiten Ihrer begeisterten Cameraden gemacht werden konnten, hindurch zu brechen; so wurden sie heimlich froh, daß sich einer fand, der der Katze die Schelle anhängen wollte. Sie ließen sichs zwar nicht gleich gegen mich mercken, weil sie noch stark zweifelten, ob ich auch die Sache würde ausführen können, und ich selber befand mich in einer solchen Verlegenheit, und Bangigkeit des Gemüths, daß ich dachte, ich müste verzweifeln.

Die Ursache dieser Angst, so wohl bey mir, als oberwehnten guten Seelen (die mir hernach erst gestunden, was sie ausgestanden, ehe der Kampf zwischen mir und den Rock recht angieng) war wohl keine andere, als weil wir alle drey, den lebendigen und uns so nahen Gott, noch nicht kannten, sondern denselben immer außer uns suchten, und uns der erschröcklichsten Gerichte fürchten musten, wenn wir uns Ihm, in seinen Gesandten entgegen setzen solten. Diese Vorstellungen, wie nichtig sie auch an sich waren, machten doch uns arme, die wir damals kein ander Licht hatten, dergestalt matt und[272] hinfällig, daß wir Eßen und Trincken drüber vergaßen, und uns in einem recht bejammernswürdigen Zustande befanden.

§ 122. Bey allen diesen, mich, wegen der Anhänglichkeit mehrgedachter meiner Haus- und Tisch-Genoßen, am meisten angreifenden Umständen, war mir doch unmöglich, wenn ich auch hätte sterben sollen, den Geist des Rocks vor den Geist Gottes zu erkennen. Da mir nun, außer diesem, damals kein anderer Geist bekannt war, außer die sogenannten Engel und der leydige Teufel, von dem ich in der Bibel gelesen hatte, daß Er sich auch in einen Engel des Lichts verstellen könnte; so darf man sich nach diesen fürchterlichen, obschon an sich nichtigen Vorstellungen, gar nicht wundern, daß mir die Haare zu Berge gestanden, wenn ich bedachte, daß ich mit diesem sogenannten starcken gewapneten unumgänglich einen Gang würde wagen müßen, und man siehet daraus, was Phantasien, wenn sie gleich die nichtigsten von der Welt sind, vor erstaunende Würckungen auf unsern Leib und Gemüth haben können.

Je näher die Zeit kam, da es hieß, der Br. Rock sey unterwegs, und werde nun bald, zu großer Freude der Brüder in Berlenburg ankommen, je fürchterlicher sahe es in meiner Phantasie aus, gegen welche die Vernunft (die sich ohn unterlaß meldete und mich zur Aufmerksamkeit nöthigte) in Kraft meines unsinnigen Glaubens, auf keine Weise aufkommen konnte. Das Herz im Leibe bebete mir, wenn ich dran dachte, was vor ein Kampf mir bevorstund. Denn nach meinen damaligen Vorstellungen war der Geist, der durch den Rock redete, entweder Gott selbst, oder der Teufel. War es Gott, was vor ein Urtheil hatte ich wohl zu erwarten, wenn ich den Geist der Wahrheit einen Lügen-Geist heißen wolte? War es aber der Teufel, wer versicherte mich, daß ich mich auf göttlichen Befehl an ihn machte, und des Beystandes Gottes zu gewarten hatte.

§ 123. In dieser wahren Höllen-Angst, die kein Mensch glauben kan, der sie nicht selbst erfahren hat, und die doch blos aus den elenden Begriffen herrührete, die mir die sogenannte göttliche Offenbarung in der Bibel beygebracht hatte, erbarmte sich der Herr, mein Ursprung und Erhalter, auf eine so erfreuliche und erquickende Art über mich armen, daß ich mich nicht entsinnen kan, in meinem Leben ein süßer und angenehmer Vergnügen in meinem innersten empfunden zu haben, als damals, wie es schiene, daß es mit mir aus seyn würde. Denn

Ungefehr ein paar Tage vorher, ehe mein fürchterlicher Gegenpart ankam, und ich, dem äußern Ansehen nach, immer schwächer wurde, mich auch unter vielen Thränen, Seufzen und Winseln zu Bette legte,[273] und nicht wuste, ob ich wider aufstehen würde, überfiel mich, vor all zu großer Mattigkeit, der Schlaf, der bisher, wegen der, so wunderlich durch einander laufenden Phantasien, mehr eine Marter, als eine Erquickung vor mich, zu nennen gewesen war. Dißmal aber war er es würcklich. Denn

Wie ich eine Weile gelegen hatte, und in meinem Gemüthe oft wider Willen, bisher die Gedancken aufgestiegen waren, warum doch der Geist des Rocks so sehr wider die Vernunft eyferte, denen ich aber, wegen meines Aberglaubens nicht Gehör geben dürfen, so erwachte ich plötzlich, und in dem Augenblicke kamen mir die Worte aus dem Johanne Θεὸς ἦν ὁ λόγος mit solcher Lebhaftigkeit ins Gemüth, daß mir nicht anders deuchtete, als wenn sie einer in Praesenti zu mir spräche, und mit einem, nur zu empfindenden Nachdruck zu mir sagte: Gott ist die Vernunft.

§ 124. Ich mochte diese Worte wohl hundert und mehr Mahl, auch im Grund-Texte gelesen haben: Aber niemals hatte ich den Trost und die Erquickung darinnen finden können, die ich damals fand. Wenn ich sie auch, nach unsern gewöhnlichen Deutschen Uebersetzungen hätte verstehen müßen, nach welchen Gott in denselben, wider alle Sinne und Verstand, das Wort genennet wird, so würden sie mich in meinen damaligen Umständen gar nichts geholfen haben. So aber war mit Anhörung des Wortes Logos zugleich die Erklärung verknüpft, daß dasselbe vornemlich und seiner, von unsern Gelehrten selbst erkannten wichtigsten Bedeutung nach, die Vernunft hieß.11

Weil nun in diesen Worten gesagt wurde, daß Gott selber die Vernunft sey, und dieser Ausspruch von einem Schreiber kam, den ich, nach meiner damaligen Einsicht, vor ungleich göttlicher hielt, als den Schwätzer Rock, die Sache selber auch, sich gleich an meinem Gemüthe, als Wahrheit legitimirete; so ist mir unmöglich zu beschreiben, was vor Kraft und Erquickung ich ob diesen so unvermutheten Gedancken empfand.

Es war mir nicht anders zu Muthe, als wenn ich aus den Thoren des Todes, wider zum Leben zurückgerufen würde, und ich konnte nunmehro kaum den Tag erwarten, an welchen ich mit dem Rock anbinden, und die Kraft des bisher mir unbekannten, und doch so nahen Gottes, an Ihm probiren solte. Die Vernunft, die ich bisher, in Kraft meines Aberglaubens, nicht hatte hören dürfen, hatte nunmehro[274] völlige Freyheit zu sprechen, und sie stellte mich auf einmal, auf einen so weiten Raum, daß ich ihn nicht übersehen konnte.

§ 125. Man stelle sich einen, an Händen und Füßen lange Zeit gebundenen, und in äußerster Finsterniß gefangen gelegenen Sclaven vor, und urtheile von seiner Freude, wenn er sich auf einmal wider in Freyheit gesetzet siehet; man wird sich doch keine Vorstellung von der Freude machen können, die mein Gemüth damals einnahm, und, wie ich einmal diesen Vortheil hatte, so war mir der Rock, wenn er auch den Teufel und seine Groß-Mutter im Leibe gehabt hätte, nur ein Kinder-Spiel. Ich schlief also, unter innigsten Lobe Gottes, und unaussprechlicher Zufriedenheit wider ein, und konte kaum des Tages erwarten, meinen beiden geängsteten Mitgenoßen Nachricht von meiner neuen Kraft zu geben.

Der Br. Langemeier kam zuerst auf meine Stube, und wie erfreut wurde ich nicht, als Er mir mit munteren Gesichte erzehlete was Er diese Nacht vor einen Kampf ausgestanden, und daß Ihm Gott gezeiget hätte, daß der Rock capott werden müßte; die Schw. Schelldorfinn sagte dergleichen, und ich wuste nicht, was ich bey dem Handel dencken solte. Denn bisher hatten diese Leutchen noch immerzu einige Spuren der Hochachtung gegen den betrogenen Propheten blicken laßen, und ich hatte mit Fleiß an mich gehalten, ihnen nicht alles zu sagen, was im Geheim in mir vorgieng. Wie sie aber beyde endlich selber kamen, und in freudiger Einfalt erzehleten, was mit ihnen vorgegangen war, und wie sie nunmehro des Rocks Blöße völlig einsähen, so konnte ich auch länger nicht an mich halten, sondern sagte Ihnen aufrichtig, was mir diese Nacht begegnet war, und wie sie Gott nicht genugsam danken könnten, daß Er sich Ihnen in der Vernunft, die das wahre Licht sey, so uns alle erleuchtete, so nahe zu erkennen zu geben.

Die guten Leutchen konnte zwar nicht läugnen, daß die Kraft, wodurch sie freudig gemacht worden, ihren bisher so sehr gefürchteten Ab-Gott, unerschrocken vor einen Betrüger zu erklären, eine Kraft Gottes sey. Daß es aber die Vernunft seyn solte, das wolte ihnen nicht gleich in ihre Schwäbische Köpfe. Es war auch in der That, wenn man es recht bedenckt kein geringes Anmuthen vor diese armen einfältigen Leute. Sie solten eine Sache, die Sie bisher, nicht nur bloß auf Getrieb ihres bisherigen Abgottes, sondern nach Anweisung der Bibel selbst, die wir alle noch vor Gottes unfehlbares Wort hielten, vor etwas feindseliges hatten halten, und auf die Festmachung derselben, äußersten Fleißes, bedacht seyn müßen, nicht nur vor was göttliches (welches sie noch wohl zugelaßen hätten) sondern[275] vor Gott selbst in sich erkennen. Konnten sie nicht bey dieser, gar zu sehr abfallenden Gemüths-Gestalt, auf die Gedancken gerathen, sie wären aus den Regen unter die Traufe gekommen, und hätten an mir einen ärgeren Betrüger vor sich, als sie an dem Rock zu verlaßen gedächten?

§ 126. Allein das hatte keine Noth. Dieses göttliche Licht zeigte sich selbst in Ihnen, und sie hatten ohne es zu kennen bereits erfahren, was es ihnen vor Dienste gethan, die krummen Schliche des Rocks zu bemercken. Ich durfte ihnen also nur zeigen, daß sie das, ohne Vernunft nicht hätten thun können, und daß sie nur ihre gegenwärtige Freudigkeit gegen ihre vorige Bangigkeit halten solten, so würden sie von der Göttlichkeit dieses, alle Finsterniß vertreibendes Lichts, nicht mehr zweifeln dürfen, wie wenig die Finsterniß vor demselbigen würde bestehen können.

Sie begrifen mich endlich und wurden in dem Vertrauen auf dieses göttliche Licht nicht wenig gestärcket. Wir konnten einander den heiteren Zustand unsers Gemüths an Augen ansehen, wir betrachteten diesen Tag nicht anders, als unsern Geburths-Tag, er war aber nur noch ein Anfang zu einen Kräftichen Durchbruch einer neuen Geburth, die uns nun lange nicht so schröcklich mehr vorkam, als vor ein Paar Tagen, da wir noch in der Finsterniß stacken, und nicht wusten, ob Leben oder Tod uns zu Theil werden würde.

Wie zärtlich gehet doch Gott mit seinen armen Geschöpfen um? Es würden die Worte Johannis von der Göttlichkeit der Vernunft, nimmermehr den Eindruck in mein Gemüth gemacht haben, den sie würcklich machten, wenn ich deßen Evangelium nicht vor ein göttlich Buch gehalten, und in Kraft dieser Einbildung gesehen hätte, daß Rock, da Er so sehr wider die Vernunft tobete, unmöglich von eben dem Gott könnte gesand seyn, der sich selber durch Johannem die Vernunft genannt.

§ 127. In der That war Er's doch würcklich, aber nicht anders, als wie ein Sturmwind, der da macht, daß ein Wanders-Mann den Mantel, den ihn derselbe mit gewalt abzunehmen sucht, nur desto fester hält, oder beßer zu reden, wie ein Knecht, der dem, ihm nachlaufenden Kinde das Licht ausblasen muß, damit es zu dem Vater laufe, der Ihm selbiges gegeben, und auf die Art kan ich sagen, daß mich die dümmste und unvernünftigste Secte, eben so zur Vernunft gebracht, wie ein Blinder einen schlafenden zum sehen, wenn er ihn lange genug in die Rippen gestoßen, und die Ohren voll geschrien.

Wir erwarteten und zwar alle drey die Ankunft des Rocks mit[276] gleicher Begierde und Verlangen; aber noch nicht mit gleicher Freudigkeit. Denn weil meine, von Natur furchtsame, in der That von Herzen einfältige, und unter dem Joche des Aberglaubens gar zu sehr niedergeschlagene Gefährten, noch keine Probe gesehen hatten, wie weit sich die Kräfte der Vernunft gegen die würckliche Gegenwart ihres Abgotts er strecken möchten, und ob auch die Hülfe derselben im Stande seyn würde, mich den Banden des Inspirations-Geistes (der sie 22 Jahr gefeßelt hatte) glücklich zu entreißen; so traueten sie sich noch nicht, diesem göttlichen Pätzemann persönlich unter Augen zu treten, sondern ließen mich, wie Er kam, allein in die Versamlung gehen, und wurden sehr gestärckt, wie sie meine Freudigkeit sahen.

§ 128. Ich gieng also unter Gottes Geleite allein nach Homburghausen, wo dißmal der Kampf zwischen mir und dem Rock, oder vielmehr zwischen der Vernunft und dem Glauben gehalten werden solte. Ich konnte zwar nicht hindern, daß mir nicht die Phantasie aufs neue allerhand grausende Schreckbilder solte vorgestellt und versucht haben, mich wieder zurückzutreiben. Allein weil ich ihr Geschäfte von den Handlungen der Vernunft schon beßer, als von diesen zu unterscheiden wuste, so machte mich nichts irre.

Ich fand den alten Schlaug in Br. Pfeiffers Stube, nebst etliche fremden Brüdern, die Er mitgebracht hatte, worzu noch verschiedene von Berleburg und Homburghausen (sonder Zweifel, noch verschiedenes vor meiner Ankunft mit einander abzureden) gekommen waren. Ich grüßte sie sämtlich mit einem heiteren Gesichte, sie schienen mir auch auf die Art danken zu wollen, es kam aber so gezwungen und frostig heraus, daß ich wohl sehen konnte, daß ich nicht nur den Rock, sondern die ganze Gemeinde gegen mich hatte, und daher desto mehr auf meiner Hut seyn muste.

Ehe die Versamlung angieng, erzehlte der Rock beym Frühstück, ein Haufen von der Brüderlichen Faßung, und wie ein Glied dem andern, wenn es strauchelte, immer wider aufhelfen könnte, wenn sie in einem Geiste zusammen vereiniget blieben: Hingegen führete er etliche Exempel von Personen an, die diese Brüderliche Faßung verlaßen, und daß Band der Einigkeit des Geistes und gemeinschaftlichen Beystandes zerrißen hätten, und diese hätte Gott, aus gerechtem Gerichte, andern zum Exempel, in die Sünde der Uneinigkeit fallen laßen etc. etc.

§ 129. Ich hörte wohl, daß dieser Discours nichts anders zur Absicht hatte, als mir ein neues Schröcken einzujagen, und mich zu warnen, daß ich die sogenannte Brüderliche Faßung der heiligen Inspirations-Gemeine nicht verlaßen, sondern mich, nebst ihr, noch eine[277] Zeitlang von dem falschen Geiste voppen laßen möchte. Es war aber schon zu spät, und der Fuchs konnte so leise nicht schleichen, daß ich ihn nicht hätte hören, und meine Gelegenheit erwarten sollen, ihm eins zu versetzen, daß er das Widerkommen vergeßen müßen.

Hätte ich damals gewust, was ungefehr vierzehntage nach meinem Durchbruch erst kund wurde, nemlich, daß der Vorsteher der Inspirations-Gemeine zu Schwartzenau, der saubere Br. Fritz Baltzer, der einer von den eyfrigsten Verfechtern dieser göttlichen Thorheiten mit war, aller Brüderlichen Faßung ungeachtet mit einer Hure durchgegangen, und seine Frau im Stich gelaßen, so hätte ich den Rock mit samt seinem allwißenden seyn wollenden Geiste, und der Brüderlichen Faßung, von der er so viel Wind machte, so in der Enge treiben können, daß Er sich nicht würde zu laßen gewust haben: So aber war sowohl den Brüdern, die ihn (den Ehebrecher) hätten faßen sollen, als dem Gott dieser armen betrogenen Leute, noch nichts von diesem Falle bekannt, und ich muste erwarten, auf welcher Seite der Rock sich sonst gegen mich bloß geben würde.

§ 130. Dieses geschahe nun, zu meinem innigsten Vergnügen, in der nächst zu haltenden Versammlung, in welche wir uns sogleich, nach abgehaltenen Discurs begaben. Der Prophet Rock kam mir gerade gegenüber zu sitzen, und die Versamlung dirigirte mein vermeinter Gegner, der D. Herrmann, den ich mehr als einen armen einfältigen Schöpfs, als meinen Gegner betrachtete. Nach verrichteten Gesängen, Gebeten, und gewöhnlichen erbärmlichen Vortrage des D. Herrmanns, that derselbe, der Gewohnheit nach, die Anrede an die Gemeine, daß, wenn jemand von den Brüdern noch was beyzutragen hätte er solches thun möchte.

Hierauf bekam der Rock, der nunmehro selbst erfahren hatte, daß ich nicht laut betete, seine göttliche schwehre Noth; sein Geifer floß ihm in den Bart, und alles bereitete sich zur Auffangung deßelbigen: Ich aber erwartete mit einer lächelnden Mine, was sich weiter begeben würde. Der Br. Pfeiffer präsentirte mir eine Feder und Papier, die Aussprache nebst den andern Brüdern mit aufschreiben zu helfen, und mochte wohl, Wunder, meinen, was Er mir für eine Ehre damit anthäte: Ich schlug es aber mit Freundlichkeit ab, um desto Aufmerksamer auf alles Acht zu geben, was ich weiter sehen und hören würde.

Die Schreiber waren bereits alle gerüstet, nicht zu posaunen, wie die Engel in der Offenbarung, sondern aufzuschreiben, was Ihnen ihr Gott in der Person dieses Verrückten sagen würde. Er konnte aber dißmal nicht so geschwind zu Worten kommen, wie sonst, sondern[278] es währete das Gekrächze, das Maul-Aufsperren, und die übrigen Prophetischen Ungebehrden, eine ziemliche Weile, ehe man hören konnte, ob er reden oder speyen wolte. Ob der Schalck durch seine halb offenen Augen bemerckte, in was vor einer unerschrockenen Positur ich gegen Ihm saß; oder ob sein Geist, durch die gräßlichen Gebehrden die er mir aufs neue an diesem seinem Werkzeuge sehen ließ, mich abermal in Furcht zu setzen gedachte; oder ob Er sonst nicht recht auf seine Aussprache studiret haben mochte, das will ich an seinen Ort gestellt seyn laßen. Genug er konte dißmal, zur Rettung seiner Ehre (mir aber zu offenbarung seiner Schande) nicht anders, als Er muste in seiner angefangenen Begeisterung fortfahren, solte Er auch das hundertste ins tausendste geredet haben.

§ 131. Es eröfnete sich also endlich der heil. Mund, aber zu seiner grösten Schande und meiner großen Freude, die so groß wurde, daß wenn ich meiner armen betrogenen Brüder nicht geschonet hätte, die ich mit Liebe zu gewinnen suchte, ich mit Lust dem Schwätzer in die Rede gefallen und seinen allwißenden Geist gebeten haben würde, erst den Donat recht zu lernen, ehe er sich unterstände vor Gelehrten zu reden. Ich würde aber einen Tumult erregt, und die gantze Gemeine wider mich aufgebracht haben, da es dann leicht hätte geschehen können, daß es von Worten zu Streichen gekommen, wobey ich, allem Vermuthen nach, die besten würde davon getragen haben.

Ich ließ mir also genügen, durch verächtliche Minen zu erkennen zu geben, wie wenig Hochachtung ich vor das elende Geschwätz ihres begeisterten Ignoranten trüge. Denn Er verrieth seine Unwißenheit in der Grammatic gleich in der ersten Zeile seiner Aussprache, indem er also anfieng: Es steiget ein Gnaden-Wörtlein aus dem Centrum, da die Liebe ruhet: Ich gestehe, daß, ehe noch der Mund des Propheten geöfnet wurde, mir noch eine Art von Furcht anwandelte, daß ich alle meine Kraft zu sammeln hatte, mich auf dem Posten zu erhalten, auf welchen mich die Vernunft gestellt hatte. Er hatte aber obige Worte kaum zur Welt gebracht, so war alle meine Furcht dahin, und ich sahe, daß ich es mit einem elenden Stümper zu thun hatte, der kaum wehrt war, daß ihm ein Donat-Schüler, geschweige ein gelehrter zuhörte.

So wenig braucht Gott die falsche Weißheit zu Schanden zu machen, wenn der Mensch seiner Vernunft Gehör geben will: Wer aber diesem Lichte nicht folgen darf, der siehet auch nicht, wenn Er gleich mit der Nase auf der Sache gedruckt wird. Ich ermangelte gar nicht (wie alles vorbey war) den beiden gelehrten Brüdern, Herrman und Heissen, den Bock, den ihr Prophet gemacht hatte,[279] zwischen die Beine zu jagen, und sie konnten nicht läugnen, daß es einer war: Sie sagten aber, Gott accommodire sich nach seinen Werkzeugen. Wenn Rock ein gelehrter gewesen wäre, so würde Gott auch gelehrt durch Ihn geredet haben: da Er aber nicht studiret hätte, so sey aus seiner ungelehrten Redensart auch nichts zu machen; ich sey ein Vernünftler, sie aber wolten in der göttlichen Einfalt bleiben.

§ 132. Ich hatte gar nichts darwider einzuwenden, nur sahe ich aus diesem unsinnigen Betragen, was vor eine unaussprechliche Gnade mir widerfahren war, daß mich Gott von der Gesellschaft dieser Thoren frey gemacht hatte, und zwar durch eben den Geist, der alle sein möglichstes that, mich zum Narren zu machen.

Ich hörte ihn (um wider auf unsre Versammlung zu kommen) nach mehr erwähntem Schnitzer, nun mit großer Gedult und Gleichgültigkeit an. Aller Augen waren bei meiner kaltsinnigen Stellung mehr auf mich als auf den begeisterten Propheten gerichtet, dessen ganze Aussprache endlich dahin auslief, daß Er, ohne mir, wie Er billig hätte thun sollen, zu gebieten, forthin laut zu beten, mich und den D. Herrmann nur ermahnte, durch unnöthige Dispute nicht die Liebe und die brüderliche Faßung zu trennen.

Er gab also dem armen Herrmann, der seines Gottes Anstalten gegen mich zu verfechten gesucht hatte, in der That mehr Unrecht, als mir: Aber weder Er, noch seine blinden Brüder, konnten daraus die Schwäche ihres Gottes erkennen. Der Rock kam mir damals eben wie der Pabst vor, wie er die Streitigkeiten wegen der unbefleckten Empfängniß Mariä zwischen den Dominicanern und Franciscanern entscheiden solte. Denn da wolte er auch keinen von diesen beiden Orden vor den Kopf stoßen, sondern legte beiden Partheien ein Stillschweigen auf, so lange, bis es dem h. Geist gefallen würde, diese Sache, durch ihn zu entscheiden. Es hat ihm aber bis dato noch nicht gefallen, und ein jeder Narr bleibt derweile auf seiner Meinung.

§ 133. Eben so machte es der schlaue Rock auch. Er hüpfte über den Punct des lauten Gebeths, der doch das Haupt-Werk seiner eigenen Anstalten war, deren Ansehen Er billig hätte zu erhalten suchen sollen, eben so geschwind weg, wie der Hahn über das Kohl-Feuer, und that deßen nicht einmal mit einem Worte Erwähnung, sondern ermahnte uns nur zur Liebe und Brüderlichen Faßung.

Was das erste, nemlich die Liebe anbelangt, so war ich in derselben gegen den D. Herrmann, und alle Brüder, noch eben derselbige, der ich vor unserm Disput gewesen war: Was aber das andere betrift, so sahe ich wohl, daß sich diese Brüderliche Faßung[280] weiter nirgend, als auf den Lippen dieser armen Schwätzer blicken ließ, indem sie unter einander selber nicht einig waren, als durch die Bank sich von einem tückischen Schwärmer voppen zu laßen. Im übrigen aber eben so wohl von allerhand Affecten gegen einander eingenommen waren, als alle andere Secten.

Wenn diese sogenannte Brüderliche Faßung von einiger Kraft gewesen wäre, so hätte sie mich und meine Cameraden fester halten müßen, als sie that, und wenn sie sagen wollen, wir hätten diese Faßung selbst verlaßen, so ist es eben ein Kennzeichen, daß sie uns sehr schlecht gefaßet haben müßen.

§ 134. So bald die Aussprache geendigt war, wurde das Lied angestimmt: Zion, fahre fort im Licht. Und da bekam der Rock vollends seine letzte Oelung. Denn in demselben stand unter andern, folgender bedenklicher Vers:


Zion prüfe recht den Geist,

Der Dir ruft zu beiden Seiten,

Thue nicht, was er Dich heißt,

Laß nur Deinen Stern Dich leiten,

Zion, das, was beide krumm und schlecht,

Prüfe recht, prüfe recht.


Diesen Vers sang ich dem Propheten ins Angesicht, mit einer solchen Freudigkeit und durchdringenden Ton, daß er da saß, als wie einer, der keine Widerrede in seinem Munde hat, und die gantze Gemeine, außer dem armen verdüsterten Bruder Herrmann konnte wohl mercken, daß was sonderbares und ungewöhnliches in mir vorgehen muste.

In der That war es nicht anders, als wenn mir diese Worte vom Himmel, zu Bestärckung meines angefangenen Durchbruchs zugesprochen worden, und ich war dißfals so voller Freude, als der Rock voll Angst, die Er auch, nachdem die Versamlung aus war, gegen die Brüder nicht bergen konnte, indem Er ihnen sagte, daß Er in Sorgen stünde, ich möchte wider die Inspiration angehen, weil ich obbemeldeten Vers mit besondern Nachdruck gesungen hätte.

§ 135. Es bestättigte Ihn in diesen Gedancken nicht wenig, mein öffentlicher Widerspruch, den ich in öffentlicher Gemeine gegen seine gehaltene Aussprache that. Denn als der arme finstere Br. Herrmann, nach Endigung derselben mir die Hand reichte, und sagte: Nun ist unser Streit entschieden (welches doch nicht wahr war) gab ich Ihm die Hand zwar wieder, mit völliger Neigung, sagte aber, daß der Prophet dabey stund (der unsern Disput vor eine Schiedlichkeit angegeben hatte) daß gar kein Streit zwischen uns gewesen[281] wäre, und daß wir einander nur unsere Gedancken und Einsichten eröfnet.

Damit widersprach ich nun zwar seinem Gott ins Angesicht: Allein er fand vor gut sich weiter nicht zu bewegen, und ich gab Ihm gleich darauf noch deutlichere Merckmale, daß die Hochachtung, die ich sonst vor Ihm gehegt, bey mir gefallen sey, indem ich nicht mit Ihm, wie sonst, bey Br. Pfeiffer speißte, sondern meine Mittags-Malzeit bey der Schw. Holtzapfelinn einnahm, die eine gewiße heimliche Freude über meine Aufführung blicken ließ, die sie gegen die andern Brüdern nicht mercken laßen durfte.

Nach der Malzeit gieng ich, in Geselschaft des Rocks und der Fremden wider nach Berlenburg, allwo des Nachmittags, beim Br. Werlich wider Versamlung gehalten werden solte. Jederman dachte, daß ich dieselbe unfehlbar auch mit besuchen würde. Allein ich gieng nach Hause, und schickte meine Haußgenossen dahin, nachdem ich Ihnen, zu Ihrer grösten Aufrichtung alles erzehlet hatte, was zu Homburghausen mit uns vorgegangen war.

§ 136. Wie sie wider kamen, konnten sie des Br. Rocks Bestürzung nicht genug beschreiben. Sie sagten, daß Er so verworren Zeug unter einander geredet hätte, daß sie Ihn noch nie so verkehrt hatten reden hören. Ich gab Ihnen zu erkennen, daß sie auch noch nie die Vernunft zu Beurtheilung seines Geschwätzes hätten brauchen dürfen, und zeigte Ihnen hierauf umständlich, aus der ganzen Aufführung dieses Phantasten, wie wenig sein Geist wider die Vernunft vermöchte, welches sie, in kurzen, noch beßer erfahren würden.

Es hielt sich derselbe dißmal gar nicht lange in Berlenburg auf, und die Hauptsache, die zwischen uns hätte ausgemacht werden sollen, nemlich ob ich und meine Cameraden den Inspirations-Geist vor den Geist Gottes erkennten oder nicht, wurde ganz und gar nicht berührt. Wir waren also noch zur Zeit, weder völlig frey von dieser Secte, noch auch ihre Sclaven mehr, und sie würden uns gerne noch mit beibehalten haben, ohne uns über den Punct der Göttlichkeit der Inspiration zu besprechen, wenn wir uns selber in dieser Ungewisheit hätten beruhigen können.

Um also an meiner Seite alles zu thun, was ich glaubte, daß ich mit Brüdern, die ich aufrichtig liebte, thun müßte, schrieb ich nicht allein an die Gemeine, sondern auch an den armen betrogenen und andere wider betrügenden Propheten. Jener gab ich mein Bedencken wegen der Inspiration unverholen zu erkennen; diesem aber zeigte ich umständlich die Schwäche seines Geistes, und ermahnte sowohl Ihn, als die Gemeine diese Gauckeleyen einmal fahren zu[282] laßen, und sich in wahrer Liebe zu verbinden den lebendigen Gott zu suchen.

§ 137. Der Prophet antwortete gantz demüthig, er sey ein Werckzeug Gottes, und müste sich gefallen laßen, was man von Ihm urtheilete. Die Gemeine aber antwortete nichts, und der geisteyfrige Br. Werlich verbrandte mein Schreiben, wie es an Ihm kam, daß es die wenigsten von den übrigen Brüdern zu sehen bekamen. Inzwischen continuirten wir, um zu zeigen daß wir in der Liebe gegen sie unverändert wären, ihre Versamlungen, nach wie vor zu besuchen.

Die Homburghäuser Brüder machten keine Schwierigkeit, uns zu zu laßen, und hatten insonderheit von mir, noch immer Hofnung, daß ich von der Göttlichkeit ihrer Sache endlich überzeuget werden würde. Unter den Berlenburger Brüdern aber, war ein abgesezter Pfarr, Namens Dyle, der von Natur ein Polter-Geist war, und dem Faße den Boden vollends ausstoßen muste.

Es hatte derselbe, nachdem Er vernommen, daß ich mich zu der Inspirations-Gemeinde mit hielt, bisher meine Unsch. Wahrh. mit gröster Lust und Verwunderung gelesen, und mich, unter vielen Liebes-bezeugungen oft gefragt, wie mir doch bey diesem oder jenem Ausdrucke zu muthe gewesen seyn müste, und ich dachte würcklich, wann einer in der ganzen Gemeine im Stande seyn würde, das Blendwerck der Inspiration einzusehen, wenn es Ihm gehörig gezeiget würde, so würde Er es sein, nachdem Er eine besondere Liebe zu mir trug.

§ 138. Es war schon ein alter Mann, und wider das Naturell der Priester, nichts weniger als geitzig, sonst würde Er seine fette Pfarre im Isenburgschen nicht verlaßen und einen schlechten Bau-Verwalter-Dienst zu Berlenburg angenommen haben. Was er aber an der unseligen habseligen Habsucht zu wenig bekommen hatte, das hatte Ihm die Natur an Priesterlicher Unfreundlichkeit doppelt ersetzet, und dieser habe ichs eigentlich zu danken, daß ich mich von dieser kraftlosen Secte völlig loß reißen, und mich und meine Gefährten in Freyheit setzen können.

Es war der Sonntag Quasimodogeniti (meines Behalts nach) 1738sten Jahres, an welchen ich, wider meine Gewohnheit, mit Fleiß, mit dem Br. Langemeyer in die Berlenburgsche, und nicht in die Homburghausensche Versamlung gieng, wohl wißend, daß es dißmal nicht ohne Streit abgehen würde, weswegen ich auch, nach meiner damaligen Einsicht, die Schw. Schelldorfinn (die zu Hause bleiben muste) gar treuherzig bat, vor mich zu beten, damit mir Gott mit seiner Kraft beystehen möchte.[283]

Die Versamlung wurde beym Br. Werlich gehalten, und ich weis nicht, ob die Glieder der Versamlung wißen mochten, daß ich hinein kommen würde, oder, ob sie sich deßen nicht versehen haben mochten. So viel ist gewiß, daß ein Fremder seine Lust gesehen haben würde, an den mancherley heiligen Gesichtszügen, die an den Gliedern der Versamlung erschienen, wie ich, mit dem Bruder Langemeyer in die Stube trat, der eine lief aus, der andere wider ein: Ich aber blieb auf meinen Sitze unbeweglich, ungeachtet ich aller Augen, wie Pfeile, auf mich gerichtet sahe, und erwartete mit guten Muthe, was erfolgen würde.

§ 139. Das Aus- und Einlaufen der verschiedenen Brüder, die den Br. Dyle, der dißmal die Versamlung halten solte, zu bereden suchten, daß Er sich doch zeigen möchte, währete über eine halbe Stunde. Mir hätte derweile bange werden sollen, vor Furcht und Warten der Dinge, die da kommen solten: Allein ich sahe, daß meine Brüder weit bestürzter waren, als ich, und konnte daraus eine deutliche Vorbedeutung nehmen, das es mir den Halß dißmal noch nicht kosten würde.

Endlich muste doch, zu Verhütung der Schande, daß sich eine ganze begeisterte Gemeine, einem einzigen Vernünftler nicht gewachsen zu sein getrauete, der heil. Polter-Geist in dem Br. Dylen zum Vorschein kommen. Er hatte aber die Thüre sobald nicht eröfnet, und mich an meinem gewöhnlichen Orte sitzen sehen, als Er, mit den Worten: Was soll ich da machen, ihr Brüder? wider zurück prallete, als wenn ihn einer gepeitscht hätte, und die Thür mit Ungestühm wider zuschlug, und davon gieng.

Da hätte einer sehen sollen, was vor Bewegungen in der Gemeine entstunden. Alle Augenblick dachte ich, nun werden sie dich beim Arme nehmen, und zur Thür hinausstoßen. Allein ihr Geist hatte ihnen so viel Kraft nicht verliehen; nur der Br. Werlich lief dem flüchtigen Hirten dieser armen Schafe mit den lamentablen Worten nach: Br. Dyle, Br. Dyle, komme Er doch herein; brachte Ihn endlich auch würcklich geschleppt und sezte ihn ungefehr zwei Schritt weit, schrad gegen mir über, und siehe! Es ward eine große Stille, bey einer Viertelstunde lang, und aller Augen waren mit finstern Zorn-Blicken auf mich gerichtet.

§ 140. Endlich, da der Br. Dyle, als Director der Versamlung, weder Sprache noch Rede von sich hören ließ, sondern da saß, wie ein stummer, der seinen Mund nicht aufthut, nahm Br. Werlich daß Wort, und sagte, mit gar kläglicher Stimme: Es wolte verlauten, als ob H. Edelmann (da war ich schon kein Bruder mehr) an der[284] Göttlichkeit der Inspiration zweifelte, und also wolte man vernehmen, weßen man sich zu Ihm zu versehen hätte.

Nunmehro kam also die Reihe zu reden (die ich längst gewünscht hatte) auch an mich, und ich fing an: Es sey mir lieb, daß mir endlich auch einmal Gelegenheit gegeben würde, ein Wort in der Gemeine zu sprechen; ich bäte um Erlaubniß, meine Gedancken unverholen sagen zu dürfen. Kaum hatte ich diese wenigen Worte, ohne die geringste Bewegung vorgebracht, so fiel mir der bisher sprachlose Br. Dyle, mit einer heiligen Ungestümigkeit in die Rede, daß Band seiner Zungen ward loß, und Er redete recht, wie folget: Was? Was? Ihr Brüder, dieser Geist stöhret ja die ganze Versamlung!

Es fehlte an diesem heiligen Amts-Eyfer weiter nichts, als daß Er mir nicht, wie Zedekias dem Micha eine Prophetische Ohrfeige versezte, und die Worte widerholte: Wie? Ist der Geist des Herrn von uns gewichen, daß er mit dir rede? Aufs wenigste, glaube ich, daß wenn er die Kraft gehabt hätte, mich stum zu machen, Er solches gewiß nicht unterlassen haben würde?

§ 141. Wie ich sahe, daß es nun zum rechten Treffen kommen solte, trat ich von meinem Sitze mitten in der Stube, und da Einer diß der andere daß plauderte, alle aber auf mich hackten, sagte ich ihnen endlich, mit unerschrockener Stimme, wie ich gefunden hätte, daß sie von einem falschen Geiste betrogen wären. Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, so wieß mir Br. Werlich die Thür, und hieß mich meiner Wege gehen. Ich fand aber eben nicht nöthig, diesem halbehrwürdigen Befehl auf der Stelle gleich, Folge zu leisten, sondern wie bald der, bald jener an mich sezte, um mich confus zu machen, so gab ich einem jedem, so viel mir Gott damals Kraft schenkte, und nahm endlich mit diesen Worten von ihnen Abschied, daß der Herr mit Ihnen seyn, und Ihnen zu erkennen geben möchte, wie schändlich sie bisher wären betrogen worden.

Wie mich Br. Langenmeyer aus der Versamlung weggehen sahe, fragte er: Was man dann mit Ihm machen wolte, der sich gleichfalls vor einen von mir verführten müste halten laßen? Sie fanden aber nicht vor rathsam, Ihm gleichfals den Abschied zu geben, sondern nöthigten Ihn zu bleiben. Er that es zwar, kam aber nicht wider, und die Schw. Schelldorffin, die nicht mit in der Versamlung gewesen war, preisete Gott, daß er mir Kraft verliehen hatte, mich aus den Banden dieses Schwindelgeistes frey zu machen, und wir lebten nun alle drey, in unserm Klösterlein recht vergnügt, und waren rechte Quasimodogeniti, oder als die jetztgebohrnen Kindlein, die zwar immer begieriger nach der vernünftigen lautern Milch wurden, aber[285] sich noch eine geraume Zeit, mit manchen verlegenen Bettel-Bietz behelfen musten.

§ 142. Den Inspirirten schmerzte es über die Maaßen, daß durch meine Veranlaßung, 2 Glieder ihrer Gemeine, die sich 22 Jahr von ihrem Geiste hatten voppen laßen, weniger worden waren. Insonderheit konnte Br. Pfeiffer, der mich sehr zährtlich liebte, seinen Schmerz nicht gegen mich bergen, wie Er sahe, daß ich Ihm, des zerrißenen Secten-Bandes ungeachtet nach wie vor, als meinen Bruder tractirete, Ihn besuchte, und wo ich Ihm einen Gefallen, oder Dienst thun konnte, mir ein Vergnügen daraus machte, auch meine Gefährten ermahnte, dergleichen zu thun, um unsern verblendeten Brüdern thätig zu zeigen, daß etwas lebendigers und heitereres mit uns sey als ihr todter und finsterer Secten-Geist, der alle natürliche Liebe in ihnen hemmete.

Wir zeigten das sonderlich, wie das Wetter in diesem Sommer zu Homburghausen einschlug, und die Scheuren der Mennisten verbrannte, die gleich unter der Wohnung der Inspirirten wohneten. Denn sobald wir die Sturm-Glocke hörten, eilten wir ihnen zu Hülfe, fanden aber, zu unserer Freude, daß es keine Gefahr mit Ihnen hatte, und es schien, als wenn die Pfeifferische Familie sich nach und nach natürlicher und leutseliger gegen uns bezeigen wolte. Es hatte aber keinen Bestand. Ihr finsterer Secten-Geist verdarb alles wider. –

Ich hatte ihm, ehe unsere Trennung noch geschehe, die deutlichsten Proben meiner besondern Neigung zu seiner Person und Familie gegeben, und ungeachtet die Secte der Inspirirten mehr als die übrigen von den andern verachtet wurde; mein lieber Br. Contz und mein neuer Wirth Zepper, auch gar nicht gerne sahen, daß ich mit ihnen umgieng, so schämte ich mich doch nicht dem Br. Pfeiffer eine Tochter mit zu Grabe tragen zu helfen, und die Leute von mir reden zu laßen, daß sie meine Braut gewesen wäre. Es vergnügte das den guten Alten über die Maaßen. Er würde auch gewiß noch zu Verstande kommen seyn, wenn sich der arme Bruder nicht thörichter Weise geschämet hätte, zu bekennen, daß er 22 Jahr ein Narr gewesen. Dieses machte, daß Er es vor rühmlicher hielt, vollends bis ans Ende einer zu bleiben, als das kurze Vergnügen zu haben, vor selbigen noch vernünftig zu werden.

§ 143. Mit den übrigen dieser bedauernswürdigen Leute war es eben so bewandt. Sie konntens nicht verwinden, daß ein von ihnen aufs äußerste verabscheueter Vernünftler, mehr Kraft haben solte, ein Paar aus ihrer Gemeine zu entführen, als die gantze Gemeine, dieselbigen zu halten. Deswegen thaten sie noch einen Versuch an sie,[286] und stelleten eine Konferenz an, zu welcher der Prophet Rock (dem sie alles vorgegangene gleich berichtet hatten) auch berufen wurde. Ich glaube aber Er würde dißmal lieber wo anders hingegangen sein, wenn Er, Ehre halber, gekonnt hätte. Denn die Schwäche und Ohnmacht seines Geistes, wurde damals immer mehr bekannt. Er muste also erscheinen, der Tag der Conferenz wurde angestellt, und der Br. Werlich kam, und invitirte den Br. Langemeyer und die Schw. Scheldorffinn mit darzu. Ich war eben mit Ihnen spatzieren gewesen, und befand mich noch auf ihrer Stube, wie Er ankam. Wie Er die Thür aufmachte und mich sahe, erblaßte Er, und wuste nicht, ob Er vor oder rückwärts gehen sollte. Wir nöthigten Ihn aber sämtlich, mit unverstellter Freundlichkeit herein zu kommen.

Er bot dem Br. Langemeyer und der Schw. Schelldorffinn die Hand, zum Zeichen, daß Er sie noch vor Glieder der Gemeine hielt: Mich aber ließ er sitzen, und that nicht einmal, als wenn ich in der Stube war, auf daß erfüllet würde, was geschrieben stehet: Ihr solt Ihn nicht grüßen. Denn wer ihn grüßet, der macht sich theilhaftig seiner bösen Wercke.

§ 144. Wer siehet daraus nicht offenbar, daß die christliche Religion überhaupt, mehr zur Trennung als Vereinigung der menschlichen Gesellschaft abzielt, und daß wenn ihre feindseligen Befehle allemal befolgt werden solten, man anstatt der Liebe, von der sie so viel Rühmens bey andern macht, nirgend mehr Feindseligkeit, als in der Christenheit antreffen würde. Man darf nicht denken, daß das zu viel gesagt sei. Denn man darf sich nur vorstellen, daß wenn alle Secten der Christenheit, (die in der That unzehlig sind, und von denen doch eine jede glaubet, daß sie allein diejenige Lehre habe, die andere mitbringen müßen, wenn sie von ihnen aufgenommen werden solten) sich so gegen einander aufführen solten, wie der liebreiche Schooß-Jünger Jesu, in obigen Worten befohlen haben soll, ob man sich in der Christenheit wohl zu leben wünschen möchte.

Ich hatte diesen feindseligen Charakter, der sich an den Inspirirten mehr, als an andern Secten offenbarete, meinen beyden Gefährten bereits zu erkennen gegeben, und ihnen gezeigt, daß der Inspirations-Geist mehr zur Trennung der Liebe, als zu einer gemeinschaftlichen Verbindung arbeite, indem er Gemüther, die einander von Natur wohl leiden könnten, und mit Vergnügen und ohne Zwang einander dienen würden, von einander trennete, wenn sie seine Gauckeleyen nicht vor göttlich erkennen könnten. Hingegen die unbequemsten und einander nur zur Last lebenden Menschen, in eine Geselschaft zusammen zu koppeln suchte, wenn sie nur sagten, daß sie die Inspiration vor göttlich[287] hielten. Sie begriffen auch die Sache ganz leicht, zumal da sie sahen, daß ich in der Liebe gegen diese meine Brüder, einmal wie das andere unveränderlich blieb, sie hingegen, bloß darum, daß ich ihren Götzen nicht anbeten wolte feindselig und ganz fremd gegen mich thaten.

§ 145. Wie also der Br. Werlich seinen Antrag an die beyden abgewichenen that, und sie, im Namen der Gemeine zur Conferenz einlud, meiner aber mit keinem Worte erwähnete, nahm ich das Wort, und sagte: die Brüder würden besser thun, wenn sie sich bemüheten den lebendigen Gott recht kennen zu lernen, als daß sie sich von einem elenden Schwindel-Geiste so voppen ließen. Ich hätte nun, als ein redlicher Bruder, alles gethan, was meine Pflicht erfordert hätte, weswegen ich auch nicht unterlassen hätte, sowohl an den Br. Rock, als die Gemeine zu schreiben, um Ihnen Zeit zu laßen, meinen Gründen, ohne meine Gegenwart, in der Stille, weiter nach zu dencken, und zu erwegen, daß ich mich in nichts von Ihnen trennete, als in dem Punct der Inspiration, die ich vor Betrug hielte.

In der Liebe solten sie mich allemal unverändert gegen sich finden; ja ich hätte Ihnen, nach meiner Erkenntniß, keine größere Liebe erzeigen können, als daß ich Ihnen die Schwäche und Ohnmacht ihres Götzen zu erkennen gegeben, hätten sie also gleiche Liebe gegen mich beweisen, und insonderheit ihr vermeinter Gott sein Ansehen gegen einen armen Vernünftler festsetzen wollen, so hätten sie mir auf meine Vorstellungen, nicht gleich die Thüre weisen, sondern dieselben gründlich und freundlich widerlegen sollen. Ihr Gott aber hätte seine Macht beßer, als durch eine ungelehrte und verworrene Aussprache gegen mich legitimeren, und zeigen müßen, daß es wahr sey, daß seine Schaafe niemand aus seiner Hand würde reißen können.

Er sähe hier meine beiden Gefährten, denen ich auf keine Weise wehren würde, ihrer lieblosen und einseitigen Conferenz mit beizuwohnen. Wenn aber ihr Prophet seiner Sachen so gewiß wäre, warum Er mich denn nicht auch zur Conferenz mit einlüde? Er, der Br. Werlich, habe sich bey diesem Handel am allerschlechtesten aufgeführet, indem Er sogar dem Schinder ins Handwerck gefallen wäre, und den Brief, den ich aus herzlicher Wohlmeinenheit an die Gemeine geschrieben, ungelesen verbrandt hätte.

Wenn diß die brüderliche Fassung bey Ihnen ausmachte, daß man einem irrenden (wovor sie mich hielten) gleich ohne die geringste Untersuchung seiner Gründe, die Thüre wiese, von der Gemeine ausschlöße, und vor keinen Bruder mehr erkennete, so sey ich froh, daß mir der Herr Kraft verliehen, mich einer so heillosen Faßung zu entreißen, und ich zweifelte nicht, sie würden erfahren, daß sie, mit aller[288] ihrer Faßung nicht im Stande seyn würden, den Br. Langemeyer und die Schw. Schelldorffin zu halten etc. etc.

§ 146. Mein armer halb-begeisterter Br. Werlich (denn Er hatte nur schwehre-Nothsmäßige Erschütterungen, wie H. Haug, aber keine Aussprache) saß bey diesem unvermutheten Vortrage, als wenn Er vor den Kopf geschlagen wäre, und wie er vollends von dem Br. Langemeyer und der Schw. Schelldorffinn die Antwort erhielt, daß sie nicht nöthig fänden, der Conferenz dismal mit beyzuwohnen, im übrigen aber allemal bereit seyn würden, den Brüdern, wo sie könnten, zu zeigen, daß die Liebe nicht an ihre Secte gebunden wäre; da nahm er seinen Kopf zwischen die Ohren, und lief, als wenn Ihn einer gejagt hätte.

Wir erfuhren hernach, daß Er bey seinen, auf Ihn wartenden Brüdern, und insonderheit bey dem bestürzten Propheten, eben kein angenehmer Bote gewesen, indem Er sie, bey seiner Widerkunft, ganz keuchend, mit den Worten angeredet: Ich habe mein Theil gekriegt, ein anderer kan seines auch holen. Anstatt daß nun der Br. Rock, der sich auf die Art, mit samt seinem h. Geiste, von einem eintzigen Vernünftler, gantz gleichgültig tractiret sehen muste, zum wenigsten so viel Kraft noch hätte zeigen sollen, sich noch einmal vor mir sehen zu laßen, und seinen göttlichen Zorn, mir selbst persönlich, unter Augen, anzukündigen, flohe Er mich, wo Er wuste und konnte, ob ich Ihn gleich provocirte, und mich erbot, Ihm an Ort und Ende zu stehen, wo Er wolte.

Damit aber doch seine untergebenen Schöpfe die große seiner Furcht nicht gar zu deutlich mercken möchten, so kam Er, in Begleitung etlicher seiner getreuesten, an einem Abend, noch einmal zum Br. Langemeyer und der Schw. Schelldorffinn, und versuchte alle seyn möglichstes, sie zu bereden, daß sie sich nicht von mir verführen laßen möchten. Aber umsonst.

§ 147. Mein Stübchen war dem ihrigen schrad gegenüber, und Er hätte nur etliche Schritte, bis zu mir gehabt. Ich erwartete auch alle Augenblicke, wenn Er zu mir kommen, und mir seine göttliche Macht sehen laßen würde. Ich war damals in einer ganz andern Positur, als wie ich Ihn das erste Mal hatte gauckeln sehen, und das Dintenfaß stund schon parat, daß ich Ihm in die Augen gegoßen haben würde, wenn Er sich mit einer Aussprache auf meiner Stube hätte breit machen wollen. Er fand aber vor rathsamer, sich, mit seinen Begleitern, in aller Stille wider davon zu machen, und mir nach etlichen Tagen, durch die jüngste Tochter des Br. Heissens eine Aussprache zuzuschicken.[289]

Wie mir die Jungfer diese Wischen brachte, nahm ich sie freundlich an, und bedanckte mich, daß mir ihr Herr Gott den Mangel einiger Nothwendigkeiten auf dem Secrete hätte ersetzen wollen; sie könnte indeßen dem Br. Rock nur sagen, daß ich es mit dieser Aussprache nicht wie der Br. Werlich, mit meinem Briefe, machen, sondern selbige erst lesen, und sie hernach ihrem bestimmten Gebrauch übergeben würde. Er aber, der Br. Rock, würde, als ein von Gott gesandt seyn wollender Prophet, seinem Amte und Ansehen gemäßer gehandelt haben, wenn Er selber so viel Herz gehabt hätte, mir das ins Angesicht zu sagen, was Er mir jetzo durch ein Weibs-Bild reichen ließ. Ich sähe aber wohl, daß sich ihr h. Geist gegen die Vernünftler nicht zu bestehen getrauete, und deßwegen beklagte ich die Brüder, daß sie nicht sehen könnten, was vor einen elenden Gott sie verehreten.

§ 148. In gedachter Aussprache comentirte nun erstlich der Gott dieser armen Leute ein langes und ein Breites, daß ich Ihm seine Schaafe und Lämmer verführete, hernach kamen ein Haufen fürchterliche Drohungen, worunter besonders diese mit war, das ich nackend und bloß von Berlenburg, und zwar, in kurzem, würde weg müßen. An dieser nicht erfüllten Drohung hätten die armen verblendeten Leute, bey meinem nachmaligen gesegneten Zustande, in Berlenburg, allein Licht genug gehabt, zu sehen, daß ihr Prophet von einem Lügen-Geist geschwängert sey: Allein sie blieben blind, und ich hatte das Vergnügen zu erleben, daß derselbe im Namen seines Gottes, so stättlich gelogen, als jemals einer seiner begeisterten Vorfahren, denn ich bin nicht nur wohl bekleidet, sondern nach und nach, mit 4 schwer beladenen Karren, meinen grimmigsten Feinden, recht vor der Nase weggefahren, und ihnen, da sie mich am festesten zu halten gedachten, so zu reden, unter den Händen verschwunden. Hingegen muste der Prophet Rock, der nach diesen abermal von seinem Geiste nach Berlenburg getrieben wurde, unterwegs ein Bein brechen, und unterrichteter Sache wider zurückkehren, wo Er hergekommen war.

Man wird es, ohne erstauen kaum lesen können, wenn man höret, daß alle diese, die Nichtigkeit des Inspirations-Götzen so handgreiflich zeigenden Begebenheiten, den armen verblendeten Schwarm dieser unglückseligen Leute doch nicht klug gemacht, und ich würde viel zu weitläuftig fallen, wenn ich alles erzehlen wolte, was sich, nach der Hand noch zwischen mir und Ihnen zugetragen. Eins muß ich, wegen des Zusammenhangs der Geschichte, doch noch mit berühren.

§ 149. Der Br. Pfeiffer, der mich, unter allen, am zärtlichsten liebte, that mir, wie ich von allen meinen dasigen Freunden (außer[290] dem Br. Langemeyer und der Schw. Schelldorffinn, die selber nichts übrig hatten) verlaßen war, den Vorschlag, mir die Apothecker-Kunst zu lernen, und mich zu sich, ins Hauß zu nehmen. Er hatte starcke und einträgliche Praxin in der Medicin, und die Leute kamen von vielen Meilen her, sich aus dem Urin von ihm weißagen zu laßen, und sich seiner Hülfe zu bedienen.

Alle diese Kunden wolte Er mir, nach einigen Jahren zuschanzen, und es schien das allerdings vor mich, der ich weder selber, was im Vermögen hatte, noch wuste, woher meines künftigen mühseligen Lebens Unterhalt kommen solte, dem äußeren Ansehen nach, kein unebener Vorschlag zu seyn. Denn ob ich schon merckte, daß damit auf eine Mariage mit einer seiner Töchter gezielet wurde, so wurde doch ausdrücklich nichts davon gedacht, und ich würde mir endlich, da ich keine Auswege vor mir sahe, wie ich weiter mit Ehren fortkommen solte, auch gefallen haben laßen, mich diesem neuen Joche zu unterwerfen, wenn die Vorsicht, die mich ganz frey haben wolte, nicht einen Strich dadurch gemacht hätte, indem sie mich wider dem falschen Propheten zeugen ließ.

§ 150. Nach aller menschlichen Klugheit that ich thöricht, daß ich mich, durch Angreiffung dieses Götzens, des Beystandes meiner Brüder, eines augenscheinlichen so genannten Glücks, und meines künftigen Unterhalts beraubte, ohne zu wißen, wie ich auf andere Art ehrlich in der Welt fortkommen, und meinen beschämten Brüdern nicht die Freude machen möchte, die Wahrheit der letzten Prophezeiung zu er leben. Allein mein Gemüth war über die Freyheit, in welcher ich, nach dem Abzuge von Hrn. Haugen lebte, und die doch nur noch ein kleiner Vorschmack einer weit größeren war, in solche Vergnügung gerathen, daß sich meine Natur allemal schauderte, wenn sich etwas vor mich zeigte, wobey ich mich wider einem neuen neben Joche hätte unterwerfen müßen, und also war der geringste Anschein einer Hofnung, mich auch dem Joche des Inspirations-Geistes zu entreißen, und nicht nur mich, sondern vielleicht auch meine Brüder (wenn sie nicht verwünscht wären, Narren zu bleiben) in Freyheit zu setzen, schon genug, mir alle andern Vortheile vergeßend zu machen, und lediglich auf den zu sehen, der mein Gemüth in diese Positur gestellet hatte.

Ich hatte nunmehro nicht nur den Berlenburgischen Bibel-Tollmetscher, und seine Stütze, den Br. Gross in Frankfurth wider mich, sondern es verschwand auch die ehemalige Hofnung, mich durch die Inspirirten, in einen beßern Zustand gesezt zu sehen, und kurz zu sagen: Ich stund auf allen Seiten bloß. Denn ob schon einige wenige[291] auswärtige Freunde, denen meine Schriften zu Handen kommen waren, und die selber wenig in Vermögen hatten, mir dann und wann ein Paar Gulden oder Ducaten aus Brüderlicher Neigung zusendeten, so war doch nicht allein auf dergleichen Einnahme gantz und gar keine Rechnung zu ma chen, sondern sie war auch lange nicht hinlänglich meine Nothwendigkeiten bestreiten zu helfen.

§ 151. Bei diesen weit aussehenden Umständen nahete ich mich immer näher zu dem, von dem wir alles haben, und that, nach meiner damaligen Erkäntniß, was ich konnte, mich dem allerhöchsten Wesen gefällig zu machen. Die Bibel, die ich damals noch fest vor das Wort des lebendigen Gottes annahm, wurde noch mit der grösten Hochachtung von mir betrachtet, und in Geselschaft meiner beiden Gefährten fleißig von mir gelesen, ohne jemals dran zu dencken, daß wir auch diese vermeinten göttlichen Aussprachen, nach dem Lichte der Vernunft, so uns Gott geschencket hatte, betrachten müßten.

Ich dachte also, ich müste alles, was nur zu thun möglich wäre, nach der Vorschrift dieses Oraculs einrichten, und in dieser Phantasie that ich 1000 Thorheiten, die ich nicht nöthig gehabt hätte, wenn ich mich des Lichts hätte zu bedienen gewust, das mir Gott an der Vernunft geschenckt hatte. Weil sie aber alle in der Absicht geschahen, dem Willen meines Gottes gemäß zu leben, so haben sie mir auch nicht nur nichts schaden, sondern noch manches nützen müssen.

Die Inspirirten hatten sich bisher an meinen netten Aufzuge gestoßen. Denn die meisten unter ihnen waren der Verleugnung im Punct der Reinlichkeit so sehr ergeben, daß man hätte dencken sollen sie wären, vor ihrer Verwandlung, einmal Schweine gewesen. Ob ich nun gleich leicht hätte sehen können, daß einer sowohl in einem Schmutz-Küttel ein Schallck seyn könnte, als in einer propren Kleidung, so dachte ich doch, ich müßte Ihnen zeigen, daß ich das, was sie noch Weltfrömigkeit an mir hießen, eben so toll und noch toller verleugnen könnte, als sie, die sich einbildeten, alles bisher gethan zu haben, was sie zu thun schuldig gewesen, und doch unnütze Knechte waren.

§ 152. Ich ließ mir also, um sie völlig zu überzeugen, daß ich das, was sie noch vor meine Götzen angaben (z.E. meine gute Leibes-Gestalt, meine saubere Kleidung, meine umgängliche Lebensart etc.) weit leichter verleugnen könnte, als sie das mürrische und unfreundliche Wesen, daß sie sich ihrem Abgott z Ehren angewohnet hatten, mehr den Inspirirten zum Poßen, als aus lauterer Einfalt, den Bart wachsen, um in der Narrheit, die wir alle, um Christi willen damals affectirten, einen Vorzug vor Ihnen zu haben; Ich hatte in[292] der That damit alles gethan, was ich zu Schändung meiner guten Gestalt thun konnte. Ich merckte aber bald, daß ich mir auf meinen heßlichen Bart, weil Er ein Zeichen der Verleugnung seyn solte, mehr ein zu bilden anfieng, als ich mir jemals auf meine blühendste Schönheit eingebildet hatte: Weil es aber einmal angefangen war, um Christi Willen ein Narr zu werden, so muste ichs auch so werden, daß sichs der Mühe verlohnte, und die Inspirirten selber gestehen musten, ich wäre toll worden.

Meine gute Gestalt konnten sie mir also nicht mehr vorwerfen, damit sie aber auch an meinem Habit nichts mehr aussetzen möchten, so legte ich meine gewöhnlichen, nach der Mode gemachten Kleider ab, und ließ mir aus meinen Rockelor einen schlechten Mennisten-Küttel machen, den die Fama hernach bis zum Talaar vergrößert, und mich, mir gantz unwißend, mit einem großen Pilgrims-Stabe, in Lande herumschweifend, und, wider alles mein Dencken, Buße predigen laßen.

In der That predigte ich mir selbst damals die strengste, aber auch zugleich unnötigste Buße. Denn von der Reformation meiner Kleider, kam es an die Peruquen. Diese wurden platt abgeschaft, und meinen Haaren, die schlecht und recht waren, die Schande abgenommen, als wenn sie sich bisher vor ehrlichen Leuten nicht hätten sehen laßen dürfen; der Hut, der in der That, als dreyekigt, das nicht prästiret, was er, nach der Natur eines Huts prästiren soll, bekam nicht mehr als zwey Krempen, und es hat mich keine Veränderung bey meiner Kleidung weniger gereuet, als diese, indem mir auf die Art der Hut, bey meinem öfteren Ausgehen, gegen Sonne und Regen, die trefflichsten Dienste gethan.

§ 153. Endlich kam die Verläugnung auch an die unschuldigen Manchetten, an denen sich der Br. Herrmann am meisten gestoßen hatte; Da war mir aber die Gedult, mich weiter zu verläugnen, bald ausgerißen. Denn diese Wäsche (die ich noch mit aus Dreßden gebracht hatte) war so gut und so feste genehet, daß sie mehr gewachsen, als gearbeitet schien, und mir beym Zertrennen und Abschneiden derselben so viel Mühe machten, daß ich die Beständigkeit meiner Gedult (die sonst gar nicht weit her ist) noch am meisten bey der Sache bewundern muste.

Nach dieser Beschneidung, die endlich ohne Blutvergießen noch ablief, kam ich mir schon als ein kleiner Heiliger vor. Ich hätte zwar nur in den Spiegel sehen dürfen, so würde ich einen großen Narren erblickt haben. Allein die Schwärmerei hatte mir schon eingebildet, daß ich das um Christi willen seyn müste, und ich glaube,[293] wenn sich Gott meiner nicht besonders angenommen hätte, so würde ich mich, mit Origene, um des Himmelreichs willen, eben so unbarmherzig, als meine Manchetten verstümmelt haben.

Mein damahliger Zustand war in der That Mitleydens-würdig. Denn weil ich nach den tödtenden Buchstaben der Schrift, die ich nun vor meine untrügliche Lehrmeisterin hielt, fest glaubte, daß wenn ich zu Christo kommen wolte, ich mein eigen Leben haßen müste,12 und daß ich anders nicht zu einer wahren Wiedergebuhrt gelangen könnte, als wenn ich mich mit Ihm zu gleichen, daß ist, blutigen Tode würde pflantzen laßen, so trug ich alles dahin an, ein Martyrer zu werden, und dachte, ich könnte zu Erlangung der eingebildeten Kron des Lebens, nicht Anlaßung genug zu meiner Hinrichtung geben.

§ 154. Wenn ich meiner Vernunft Gehör gegeben hätte, so würde ich leicht gefunden haben, daß ich mit dieser thörichten Aufführung weder Gott noch meinen Nechsten, noch mir selber was nutzen würde. Allein der leydige Bibel-Götze hatte noch gar zu viel Ansehen, bey mir, das ich mir nicht einmal getrauen durfte, einen Gedancken Gehör zu geben, der mich zu näherer Betrachtung deßelben leiten wolte. So viel vermag ein, von Jugend auf in uns eingewurtzeltes Vorurtheil.

Ich dachte damals noch nichtsweniger als das diese von der gantzen Christenheit verehrte Buchstaben, dem göttlichen Lichte der Vernunft, so sich in vielen andern Dingen, immer heller in mir zeigte, zuwieder sein solten. Denn wenn ich einmal diese Spur hätte betreten dürfen, so würde ich bald was vergnügenders vor mich erblickt haben. Ich muste aber aus meiner eigenen Zaghaftigkeit, indem ich die Augen nicht aufthun wolte, mit dem Lichte in der Hand im Finstern tappen, und die güte des Herrn muste sich ganz besonderer Wege bedienen, mir nach und nach diesen nothwendigen Theil meiner Pflicht begreiflich zu ma chen.

Meine Leser werden daraus leicht erkennen, daß um diese Zeit, noch weder an den Mosen mit Aufgedeckten Angesichte, noch an die Ausgabe der Göttlichkeit der Vernunft bey mir gedacht worden, und was die Continuation der Geistlichen Famae betrift, so hat dieselbe nach meinem Abschiede von Hrn. Haugen, weiter auch nichts von mir erhalten. In Summa, mein Lebens-Beschreiber ist ein Confusions-Krämer,[294] der das hunderte ins tausende wirft, und wir müßen mit seinem Vortrage Gedult haben.

Fußnoten

1 Ch. F. Winkel: Kurze Geschichte der Inspirationsgemeinden, vorzüglich in der Grasschaft Wittgenstein in der Monatsschrift für die evangel. Kirche der Rheinprovinz und Westphalen, herausgegeben von Nitzsch und Sack, Jahrg. 3 Heft 11 p. 233 Winckel führt aus den Acten dieser Gesellschaft ihren Ursprung auf Memmingen zurück, wo Zerwürfnisse mit der Geistlichkeit einzelne Bekehrte zum Separatismus getrieben hatten. Doch hatten sich mit diesen Würtembergischen Schwärmern andere aus dem Elsaß verbunden. Jedenfalls standen, wie schon Winckler sagt, diese Bewegungen mit den Hugenottenbewegungen in Verbindung. Die aus Memmingen vertriebenen Inspirirten ließen sich 1717 in Homrighausen nieder, schon einige Jahr früher war eine andere Anzahl in Schwarzenau eingewandert. In der Mitte des 18. Jahrhunderts wanderten mehrere von ihnen nach Nordamerika aus, die übrigen vermischten sich mit den Einwohnern und verflachten zu demselben Unglauben; kaum aber wachte das evangel. Leben hier wieder auf, so zeigte sich auch die alte Sectirerei von Neuem und wieder war es ein Schneider Krause aus Straßburg, der neue Bewegungen veranlaßte. Sie kamen um Duldung bei der Regierung ein und als diese verweigert wurde, zogen sie gegen 800 Personen nach Nordamerika, nach Ebenezer bei Buffalo, im Jahr 1844 und nur noch ein paar Familien in Lieblos bei Marienborn, zu Neuwied und in Homrighausen gehören zu dieser Secte.


2 Davidisches Psalterspiel der Kinder Zions in alten und neuen auserlesenen Geistesgesängen. Schaffhausen 1729, später nochmals aufgelegt zu Büdingen.


3 E.L. Gruber, geboren 1665, war Anfangs Repetent in Tübingen, später Prediger auf dem Lande, wurde 1705 abgesetzt weil seine Lehre vom Sacrament von der Kirchenlehre abwich und er zu streng in der Zulassung zum Abendmahl war. Er ging nach Stuttgart und von hier in das Isenburgische. Im Jahr 1714 kamen hierher die Inspirirten, eine Frau Pott mit ihren 3 Söhnen; 1715 gründeten sie ihre Gemeinde in Schwarzenau nach einem göttlichen Ausschluß, welcher auf Laubach und Schwarzenau lautete. Hier geschah die Einordnung der Gemeine, indem Vorsteher und Mitälteste gewählt und die Glieder in gewisse Classen oder Chöre, wie bei der Brüdergemeinde abgetheilt wurden. Gruber stand an der Spitze der Gemeine, er starb den 11. Dec. 1728. cf. Winkel in seiner Kurzen Geschichte etc.


4 Nach Winckel in seiner kurzen Geschichte etc., der aus Rocks Tagebüchern schöpfte, war Rock der Sohn eines Predigers zu Oberwilden im Würtembergischen, geb. 1678. Er hatte schon als Kind mancherlei Rührungen und wurde in Berlin als Sattlergesell durch eine Krankheit zu dem ernstlichen Vorsatz gebracht, dem weltlichen Sinn zu entsagen. Als er 1702 nach Stuttgart zurückkam, war dort eine sonderliche Erweckung. Die Despotie der Prediger führte zum Separatismus und 1707 zur Landesverweisung, Rock wurde gräflicher Hofsattler in Marienborn, von hier ging er ins Isenburgische und erhielt 1714 um Weihnachten die Gabe der Inspiration und sie blieb ihm bis an sein Ende, den 5. Februar 1749. Winckel sagt, »er war kein Lügner, sein Irrthum war nur der, daß er die Prophetie wesentlich für einen Zustand der Exstase hielt.« Es werden über 100 kleinere und größere Reisen aufgezählt, die er nach allen Richtungen durch Deutschland und die Schweiz machte, um sein Zeugniß vor Hohen und Niedern abzulegen. Nach Rocks Tode erkaltete der separatistische Eifer in seinen Gemeinden sehr bald. cf. Winckel am angeführten Orte.


5 Wahrscheinlich fürchtete Edelm. damals schon jede Autorität, sein Wille wollte sich schon gar nicht mehr beugen.


6 Oder mit andern Worten, daß es auch schon damals Ungläubige gegeben habe.


7 Edelmann scheint den Glauben des ganzen Alterthums nicht gekannt zu haben, oder wollte sich seiner nicht erinnern, daß die Wahnsinnigen unter besonderm Einfluß der Gottheit ständen.


8 nämlich in so fern er von Gott gesandt oder zugelaßen wird.


9 Zu diesen gehörten Joh. Marg. Wagnerin, Ursula Meyer. cf. Winckel 1. 1.


10 Es ist Schade, daß diese Beweise fehlen!


11 Wie viel mochte sich Edelmann wohl mit der Biblischen Christologie beschäftigt haben!


12 Wenn das nicht nur so äußerlich gefaßt wäre von Edelmann, daß sich ein feiner Egoismus immer dahinter versteckt und recht gepflegt hätte.


Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976), S. 295.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Selbstbiographie
Joh. Chr. Edelmann's Selbstbiographie Geschrieben 1752: Herausg. Von C. R. W. Klose (German Edition)
Selbstbiographie: Geschrieben 1752 (German Edition)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Die Nächste und andere Erzählungen 1899-1900

Die Nächste und andere Erzählungen 1899-1900

Sechs Erzählungen von Arthur Schnitzler - Die Nächste - Um eine Stunde - Leutnant Gustl - Der blinde Geronimo und sein Bruder - Andreas Thameyers letzter Brief - Wohltaten Still und Rein gegeben

84 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon