Feines Benehmen im Theater, Konzert, in öffentlichen Lokalen.

[98] Oeffentliche Lokale, der Besuch von Theater und Konzert verlangen die Regeln des guten Tones, welche um so weniger verletzt werden dürfen, da man sich nicht als geladener Gast in einem Kreise befindet, der einen etwaigen Verstoß dagegen aus Artigkeit übersieht und entschuldigt, sondern mit dem andern Publikum an einer Stelle, wo Störungen der Ruhe und der Ordnung doppelt zu vermeiden sind.

Die junge Dame soll auch hier ihre seine Bildung dadurch bekunden, daß sie gegen ganz fremde Personen den Anstand und die Schicklichkeit beobachtet, welche sie den Nahestehenden und ihr in der Gesellschaft Vorgestellten erweist, natürlich stets mit einer Zurückhaltung und Sittsamkeit verbunden, die sie dem Blick eines jeden Fremden sogleich als wohlanständig bezeichnen.

Damen sollen öffentliche Lokale selbst in Herrenbegleitung streng meiden, sobald zu befürchten steht, daß sich hier schlechte Gesellschaft einfinden könnte, ebenso müssen sie vermeiden, in ein großes Gedränge zu geraten; sobald sie ihn darum bitten, wird der Begleiter gewiß ihren Wunsch, länger am Eingang oder Ausgang deshalb zu warten, höflichst nachkommen.

Nicht zu spates Kommen ist im Theater oder Konzert die erste Regel der Schicklichkeit gegen die anderen Zuhörer. Hat die Dame aber durch Verspätung die Zeit der beginnenden Aufführung versäumt, suche sie, um nicht zu stören, möglichst geräuschlos ihren Platz und, wenn sie ihn nicht ohne Fragen an andere zu finden glaubt, warte sie lieber bis zur Pause und bleibe, bis dieselbe eintritt, an der Thür oder im Hintergrund des Saales stehen. – Besucht sie allein eine Vorstellung, so besorge sie sich selbst einen Theaterzettel oder ein Programm, auf dem die Konzertpiecen, welche vorgetragen werden, verzeichnet sind, um nicht durch Fragen an ihre Nachbarin über die Mitspielenden oder die Wahl der Musikstücke dieselbe zu inkommodieren. Eine neben ihr sitzende Dame kann das junge Mädchen allenfalls höflich[98] um etwas befragen (natürlich nur in der Zwischenpause), niemals aber einen fremden Herrn.

Das Plaudern und sich Begrüßen mit Bekannten während des Vortrags eines Konzertstückes ist gleichfalls eine große Rücksichtslosigkeit. Man bedenke stets, daß man dadurch die eifrigen Zuhörer auf unangenehme Weise zerstreut und stört. Ein unruhiges Umhersehen, ein Nicken und Grüßen zu entfernter sitzenden Bekannten hinüber ist keiner Dame wohlanständig; besonders während des Spiels oder der theatralischen Aufführung selbst verhalte sie sich ganz ruhig und konzentriere ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Bühne oder das Konzertstück selbst. Sogar wenn eins oder das andere im Vortrag sie augenblicklich langweilen sollte, muß sie bedenken, daß viele der Zunächstsitzenden davon gefesselt sind und nicht durch ihr zerstreutes Wesen gestört werden dürfen.

Eine Dame soll niemals durch übermäßiges Lachen, Klatschen mit den Händen oder lautes Bravorufen ihren Beifall spenden. Durch Wiegen des Kopfes, Aufklopfen mit den Fingern auf den Tisch, Auftreten mit der Fußspitze auf den Fußboden der Musik zu folgen, oder wohl gar ihre bekannten Melodieen leise vor sich hinzusummen, ist an öffentlichen Orten durchaus gegen den Anstand. Ist man in einem Konzertsaal, wo Speisen und Getränke herumgereicht werden, hüte man sich während des Spiels vor Geklapper mit der Tasse oder den Gläsern. In Gartenkonzerten braucht man darin weniger streng zu sein, dort ist gemeinhin das Sitzen und Promenieren im Freien die Hauptsache und die Musik nur Nebenunterhaltung, im geschlossenen Saal jedoch der Raum beengt und jedes laute Geräusch stört auf die unangenehmste Weise den Wohllaut der Melodieen.

Junge Mädchen sollen nur selten, und nur in ganz besonderen Fällen, allein im Theater oder Konzert erscheinen. Ein Gartenkonzert allein zu besuchen, wäre nicht sein für sie. Fehlen ihr die sie einführenden Eltern oder Verwandte, ist es für sie schicklich, sich einer befreundeten Familie anzuschließen. Sollten Sie indes einmal dazu veranlaßt sein, ohne Begleitung ein öffentliches Vergnügen sich zu gewähren, müssen sie doppelt achtsam auf ihr Benehmen sein und weder durch zu große Schüchternheit Aufsehen erregen,[99] noch durch eine übel angebrachte Dreistigkeit sich emancipieren wollen.

Beim Verlassen des Lokales in der Abendstunde muß eine Begleitung sie erwarten und nach Hause bringen.

Sie vermeide an solch öffentlichen Orten ebenso wie auf der Straße und Promenade jedes Auffallende im Anzug; die Zierlichkeit und einfache Eleganz desselben braucht ja deshalb nicht zu fehlen. Ein mitgenommener Fächer ist bei heißer Temperatur und Lampenlicht oft angenehm, helle Handschuhe (nicht weiße) im Theater und größeren Konzert, besonders auf den ersten Plätzen oder Logen, wohlanständig, dahingegen soll das Aufbehalten des Hutes vermieden werden. Es ist nicht rücksichtsvoll, wenn man durch den selben den auf hinterer Reihe Sitzenden die Aussicht benimmt, und am zweckmäßigsten, auf der Straße eine leichte, zierliche Hülle über den Kopf zu nehmen, welcher die Aufbewahrung nicht schadet, da ein guter Hut in der angefüllten Garderobe sehr leicht zerdrückt und verdorben wird.

Quelle:
Ernst, Clara: Der Jungfrau feines und taktvolles Benehmen im häuslichen, gesellschaftlichen und öffentlichen Leben. Mülheim 3[o.J.]., S. 98-100.
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