20) Der Schmeichler.

[89] Einem Mächtigen oder einem Manne von Einfluß zu schmeicheln, um dessen Vertrauen zu gewinnen und es dann zu verrathen oder zu mißbrauchen, ist etwas ganz Abscheuliches.

Jede Schmeichelei, die keinen andern Zweck hat, als Jemandem ein Vergnügen zu bereiten, ist etwas ganz Unschuldiges.[89]

Eine ungeschickte Schmeichelei kann für eine Mystification und sogar für eine Beleidigung gehalten werden.

Ein Mensch, der kein Wort der Schmeichelei auszusprechen vermöchte, müßte in mancher Gesellschaft stumm bleiben.

Man darf den Menschen keine ungeschickten oder übertriebenen Schmeicheleien in das Gesicht schleudern; vielmehr verlangt die Schmeichelei Feinheit und Geist. Auch muß man bei jedem Einzelnen mit richtigem Verstande zu ermessen verstehen, wie weit man in seiner Schmeichelei gehen darf, ohne den Glauben an Verspottung zu erwecken, oder wie weit dem Geschmeichelten selbst die Schmeichelei angenehm sei.

Indirecte Schmeichelei ist diejenige Art, welche zartfühlenden Menschen am Meisten gefällt.

Je eitler eine Person ist, um so leichter wird es, ihr zu schmeicheln. Die Dummheit verträgt eine derbe Portion Schmeichelei, sogar wenn diese nach der Meinung des Schmeichlers selbst bereits zum Spott überzugehen droht.

Die Frauen finden in der Regel mehr Gefallen an der Schmeichelei, als die Männer. Dieß rührt wahrscheinlich daher, weil sie mehr Eitelkeit und Eigenliebe besitzen.

Manche Frau, die dem Reichthume und dem Ehrgeize widerstanden hat, wird durch die Schmeichelei besiegt.

Bei einem Manne, welcher Tact und Lebensart besitzt, überschreitet die Schmeichelei gegen Frauen nie die Grenzen der Artigkeit.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 89-90.
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