§. [264] 288.

Hier finde ich noch nöthig, des von der Natur aller übrigen Arzneien abweichenden, sogenannten thierischen Magnetisms, oder vielmehr des (dankbarer nach Mesmer, seinem ersten Begründer, zu benennenden) Mesmerisms Erwähnung zu thun. Diese, oft thörichter Weise, während eines ganzen Jahrhunderts geleugnete oder geschmäh'te Heilkraft, ein wundersames, unschätzbares, dem Menschen verliehenes Geschenk Gottes, mittels dessen durch den kräftigen Willen eines gutmeinenden Menschen auf einen Kranken durch Berührung und selbst ohne dieselbe, ja selbst in einiger Entfernung die Lebenskraft des gesunden mit dieser Kraft begabten Mesmerirer in einem andern Menschen dynamisch einströmt, (wie einer der Pole eines kräftigen Magnet-Stabes in einen Stab rohen Stahl's) wirkt auf verschiedene Weise: indem sie in dem Kranken teils die hie und da in seinem Organismus mangelnde Lebenskraft ersetzt, teils die in andern Stellen allzusehr angehäufte und unnennbare Nervenleiden erregende und unterhaltende Lebenskraft ableitet, mindert und gleicher verteilt und überhaupt die krankhafte Verstimmung des Lebensprincips der Kranken auslöscht und mit der normalen des auf ihn kräftig einwirkenden Mesmerirers ersetzt, z.B. bei alten Geschwüren, bei Amaurose, bei[264] Lähmungen einzelner Glieder u.s.w. Manche schnelle Schein-Cur mit großer Natur-Kraft begabter Zoo-Magnetiker in allen Zeitaltern, gehört hieher. Am glänzendsten aber zeigte sich die Wirkung von mitgetheilter Menschenkraft auf den ganzen Organism, bei Wiederbelebung einiger, geraume Zeit im Scheintode gebliebner Personen, durch den kräftigsten, gemüthlichsten Willen eines, in voller Lebenskraft blühenden Mannes174, eine Art Todtenerweckung, wovon die Geschichte mehrere unleugbare Beispiele aufweist. Ist die mesmerirende Person, des einen oder andern Geschlechts, zugleich eines gutmüthigen Enthusiasm's fähig (wohl gar seiner Ausartung, der Bigotterie, des Fanatism's, des Mysticism's oder menschenliebiger Schwärmerei), so ist sie um desto mehr im Stande, bei dieser philantropischen, sich selbst aufopfernden Verrichtung, nicht nur die Kraft ihrer vorherrschenden Gemütlichkeit auf den ihrer Hülfe bedürfenden Gegenstand ausschließlich zu richten, sondern auch gleichsam dort zu concentriren und so zuweilen anscheinende Wunder zu thun.


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Vorzüglich eines solchen, wie es deren wenige unter den Menschen giebt, welcher bei großer Gutmüthigkeit und vollständiger Körperkraft, einen sehr geringen, oder gar keinen Begattungs-Trieb besitzt, bei welchem also die, bei allen Menschen auf Bereitung des Samens zu verwendenden, feinen Lebens-Geister in Menge vorhanden und bereit sind, sich durch willenskräftige Berührung andern Personen mitzutheilen. Einige dergleichen heilkräftige Mesmerirer, die ich kennen lernte, besaßen alle diese besondern Eigenschaften.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Nach der handschriftlichen Neubearbeitung Hahnemanns für die 6. Auflage, Ulm 1958, S. 264-265.
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