§. [94] 41.

Ungleich häufiger, als die natürlichen, sich in demselben Körper zu einander gesellenden und so complicirenden, unähnlichen Krankheiten, sind jene Krankheits-Complicationen, welche das zweckwidrige, ärztliche Verfahren (die allöopathische Curart) durch langwierigen Gebrauch unangemessener Arzneien zuwege zu bringen pflegt. Zu der natürlichen Krankheit, die geheilt werden sollte, gesellen sich dann durch anhaltende Wiederholung des unpassenden Arzneimittels die, der Natur dieses letztern entsprechenden neuen, oft sehr langwierigen Krankheitszustände, welche mit dem, ihnen unähnlichen chronischen Uebel (was sie nicht durch Aehnlichkeits-Wirkung, das ist, nicht homöopathisch heilen konnten) sich allmälig zusammenpaaren und compliciren, zu der alten eine neue, unähnliche, künstliche Krankheit chronischer Art hinzusetzen, und so den bisher einfach Kranken, doppelt krank, das heißt, um vieles kränker und unheilbarer, bisweilen ganz unheilbar machen, ja selbst oft, tödten. Mehre in ärztlichen Journalen zur Consultation aufgestellte Krankheitsfälle, so wie andere in medicinischen Schriften erzählte Krankengeschichten geben Belege hiezu.[94] Von gleicher Art sind die häufigen Fälle, wo die venerische Schankerkrankheit, vorzüglich mit Krätz-Krankheit, auch wohl mit dem Siechthume des Feigwarzentrippers complicirt, unter langwieriger, oder oft wiederholter Behandlung mit großen Gaben unpassender Quecksilberpräparate nicht geheilt wird, sondern neben dem indeß allmälig erzeugten chronischen Quecksilber-Siechthume39 im Organismus Platz nimmt, und so mit diesem ein oft grausames Ungeheuer von complicirter Krankheit bildet (unter dem allgemeinen Namen: verlarvte venerische Krankheit), die, wenn nicht ganz unheilbar, doch nur mit größter Schwierigkeit wieder herzustellen ist.


39

Denn, außer denjenigen Krankheitssymptomen, welche, als das Aehnliche, die venerische Krankheit homöopathisch heilen können, hat Quecksilber in seiner Wirkungsart, noch viele andere, der Lustseuche unähnliche, z.B. Knochen-Geschwulst, Knochenfraß, u.s.w. welche bei Anwendung großer Gaben, vorzüglich, in der so häufigen Complication mit Psora, neue Uebel und große Zerstörungen im Körper anrichten.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Nach der handschriftlichen Neubearbeitung Hahnemanns für die 6. Auflage, Ulm 1958, S. 94-95.
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