§. [110] 41.

Ungleich häufiger, als die natürlichen sich zu einander in demselben Körper gesellenden und sich so complicirenden, Krankheiten, sind die durch gewöhnliche Arztes-Kunst entstehenden Krankheits-Complicationen, welche das zweckwidrige, ärztliche Verfahren (die allöopathische Curart) durch langwierigen Gebrauch unangemessener Arzneien zuwege zu bringen pflegt. Zu der natürlichen Krankheit, die geheilt werden sollte, gesellen sich dann durch anhaltende Wiederholung des unpassenden Arzneimittels die nach der Natur seiner eigenthümlichen Kräfte zu erwartenden neuen, oft sehr langwierigen Krankheitszustände, welche mit dem ihnen unähnlichen chronischen Uebel (was sie nicht durch Aehnlichkeits-Wirkung, das ist, nicht homöopathisch[110] heilen konnten) sich allmälig zusammenpaaren und compliciren, zu der alten eine neue, unähnliche, künstliche Krankheit chronischer Art hinzusetzen, und so den bisher einfach Kranken doppelt krank, das heisst, um vieles kränker und unheilbarer, oft ganz unheilbar machen. Mehre in ärztlichen Journalen zur Consultation aufgestellte Krankheitsfälle, so wie andre in medicinischen Schriften erzählte Krankengeschichten geben Belege hiezu. Von gleicher Art sind die häufigen Fälle, wo die venerische Schankerkrankheit, vorzüglich mit Krätzkrankheit, auch wohl mit dem Siechthume des Feigwarzentrippers complicirt, unter langwieriger, oder oft wiederholter Behandlung mit grossen Gaben unpassender Quecksilberpräparate nicht heilt, sondern neben dem indess allmälig erzeugten chronischen Quecksilber-Siechthume35 im Organismus Platz nimmt, und so mit ihm ein oft grausames Ungeheuer von complicirter Krankheit bildet (unter dem allgemeinen Namen: verlarvte venerische Krankheit), die nun, wo nicht ganz unheilbar, doch nur mit grösster Schwierigkeit wieder in Gesundheit herzustellen ist.[111]


Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Dresden, Leipzig 51833, S. 110-112.
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