§. 294.

[302] Alle die gedachten Arten von Ausübung des Mesmerisms beruhen auf einer Einströmung von mehr oder weniger Lebenskraft in den Leidenden, und werden daher positiver Mesmerism genannt156. Eine dem entgegengesetzte Ausübung des Mesmerismus aber verdient, da sie das Gegentheil bewirkt,[302] negativer Mesmerism genannt zu werden. Hieher gehören die Striche, welche zur Erweckung aus dem Nachtwandlerschlafe gebraucht werden, so wie alle die Handverrichtungen, welche mit dem Namen Calmiren und Ventiliren belegt worden sind. Am sichersten und einfachsten wird diese Entladung der bei ungeschwächten Personen in einem einzelnen Theile übermässig angehäuften Lebenskraft durch den negativen Mesmerism bewirkt mittels einer recht schnellen Bewegung der flachen, ausgestreckten rechten Hand, etwa parallel einen Zoll entfernt vom Körper vom Scheitel herab bis über die Fussspitzen geführt157. Je schneller dieser Strich vollführt wird, eine desto stärkere Entladung bewirkt er. So wird z.B. beim Scheintode einer vordem gesunden158 Frauensperson, wenn ihre dem Ausbruche nahe Menstruation plötzlich durch eine heftige Gemüthserschütterung gehemmt worden war, die wahrscheinlich in den Präcordien angehäufte Lebenskraft durch einen solchen negativen Schnellstrich entladen und wieder ins Gleichgewicht durch den[303] ganzen Organismus gesetzt, so dass gewöhnlich die Wiederbelebung alsogleich erfolgt159. So mildert auch ein gelinder, weniger schneller Negativstrich die zuweilen allzu grosse Unruhe und ängstliche Schlaflosigkeit von einem allzu kräftig gegebnen positiven Striche bei sehr reizbaren Personen u.s.w.

Fußnoten

1 Nicht aber (womit so viele Aerzte bisher Kräfte und Zeit ruhmsüchtig verschwendeten) das Zusammenspinnen leerer Einfälle und Hypothesen über das innere Wesen des Lebensvorgangs und der Krankheitsentstehungen im unsichtbaren Innern zu sogenannten Systemen, oder die unzähligen Erklärungsversuche über die Erscheinungen in Krankheiten und die, ihnen stets verborgen gebliebne, nächste Ursache derselben u.s.w. in unverständliche Worte und einen Schwulst abstracter Redensarten gehüllt, welche gelehrt klingen sollen, um den Unwissenden in Erstaunen zu setzen – während die kranke Welt vergebens nach Hülfe seufzte. Solcher gelehrter Schwärmereien (man nennt es theoretische Arzneikunst und hat sogar eigne Professuren dazu) haben wir nun gerade genug, und es wird hohe Zeit, dass, was sich Arzt nennt, endlich einmal aufhöre, die armen Menschen mit Geschwätze zu täuschen, und dagegen nun anfange zu handeln, das ist, wirklich zu helfen und zu heilen.


2 Ich weiss daher nicht, wie es möglich war, dass man am Krankenbette, ohne auf die Symptome sorgfältigst zu achten und sich nach ihnen bei der Heilung zu richten, das an der Krankheit zu Heilende bloss im verborgnen und unerkennbaren Innern suchen zu müssen und finden zu können sich einfallen liess, mit dem prahlerischen und lächerlichen Vorgeben, dass man das im unsichtbaren Innern Veränderte, ohne sonderlich auf die Symptome zu achten, erkennen und mit (ungekannten!) Arzneien wieder in Ordnung bringen könne und dass so Etwas einzig gründlich und rationell curiren heisse?

Ist denn das durch Zeichen an Krankheiten sinnlich Erkennbare nicht für den Heilkünstler die Krankheit selbst – da er das die Krankheit schaffende, geistige Wesen, die Lebenskraft, doch nie sehen kann und sie selbst auch nie, sondern bloss ihre krankhaften Wirkungen zu sehen und zu erfahren braucht, um hienach die Krankheit heilen zu können? Was will nun noch ausserdem die alte Schule für eine prima causa morbi im verborgnen Innern aufsuchen, dagegen aber die sinnlich und deutlich wahrnehmbare Darstellung der Krankheit, die vernehmlich zu uns sprechenden Symptome, als Heilgegenstand verwerfen und vornehm verachten? Was will sie denn sonst an Krankheiten heilen als diese?A1


3 Dass jeder verständige Arzt diese zuerst hinwegräumen wird, versteht sich von selbst; dann lässt das Uebelbefinden gewöhnlich von selbst nach. Er wird die, Ohnmacht und hysterische Zustände erregenden, stark duftenden Blumen aus dem Zimmer entfernen, den die Augen-Entzündung erregenden Splitter aus der Hornhaut ziehen, den Brand drohenden, allzufesten Verband eines verwundeten Gliedes lösen und passender anlegen, die Ohnmacht herbeiführende, verletzte Arterie blosslegen und unterbinden, verschluckte Belladonne-Beeren u.s.w. durch Erbrechen fortzuschaffen suchen, die in Oeffnungen des Körpers (Nase, Schlund, Ohren, Harnröhre, Mastdarm, Scham) gerathenen fremden Substanzen ausziehen, den Blasenstein zermalmen, den verwachsenen After des neugebornen Kindes öffnen u.s.w.


4 Von jeher suchte die alte Schule, da man sich oft nicht anders zu helfen wusste, in Krankheiten hie und da ein einzelnes der mehrern Symptome durch Arzneien zu bestreiten und wo möglich zu unterdrücken – eine Einseitigkeit, welche, unter dem Namen: symptomatische Curart, mit Recht allgemein Verachtung erregt hat, weil durch sie nicht nur nichts gewonnen, sondern auch viel verdorben wird. Ein einzelnes der gegenwärtigen Symptome ist so wenig die Krankheit selbst, als ein einzelner Fuss der Mensch selbst ist. Dieses Verfahren war um desto verwerflicher, da man ein solches einzelnes Symptom nur durch ein entgegengesetztes Mittel (also bloss enantiopathisch und palliativ) behandelte, wodurch es nach kurzdauernder Linderung nur desto mehr sich nachgängig verschlimmert.


5 Wer dergestalt von seiner Krankheit durch einen wahren Heilkünstler hergestellt worden, dass kein Zeichen von Krankheit, kein Krankheits-Symptom mehr übrig und alle Zeichen von Gesundheit dauernd wiedergekehrt sind, kann man bei einem solchen, ohne dem Menschenverstande Hohn zu sprechen, die ganze leibhafte Krankheit doch noch im Innern wohnend voraussetzen? Und dennoch behauptet der Vorsteher der alten Schule, Hufeland, dergleichen mit den Worten (s.d. Homöopathie S. 27. Z. 19.): »die Homöopathik kann die Symptome heben, aber die Krankheit bleibt« – behauptet es theils aus Gram über die Fortschritte der Homöopathik zum Heile der Menschen, theils weil er noch ganz materielle Begriffe von Krankheit hat, die er noch nicht als ein dynamisch von der krankhaft verstimmten Lebenskraft verändertes Seyn des Organisms, nicht als abgeändertes Befinden sich zu denken vermag, sondern die Krankheit für ein materielles Ding ansieht, was nach geschehener Heilung noch in irgend einem Winkel im Innern des Körpers liegen geblieben seyn könnte, um dereinst einmal bei schönster Gesundheit, nach Belieben, mit seiner materiellen Gegenwart hervorzubrechen! So grass ist noch die Verblendung der alten Pathologie! Kein Wunder, dass eine solche nur eine Therapie erzeugen konnte, die bloss aufs Ausfegen des armen Kranken losgeht.


6 Er ist todt und, nun bloss der Macht der physischen Aussenwelt unterworfen, fault er und wird wieder in seine chemischen Bestandtheile aufgelöst.


7 Wie die Lebenskraft den Organism zu den krankhaften Aeusserungen bringt, d.i. wie sie Krankheit schafft, von diesem Wie kann der Heilkünstler keinen Nutzen ziehn, und desshalb wird es ihm ewig verborgen bleiben; nur was ihm von der Krankheit zu wissen nöthig und völlig hinreichend zum Heilbehufe war, legte der Herr des Lebens vor seine Sinne.


8 Ein ahnungartiger Traum, eine abergläubige Einbildung, oder eine feierliche Schicksal-Prophezeiung des an einem gewissen Tage oder zu einer gewissen Stunde unfehlbar zu erwartenden Todes brachte nicht selten alle Zeichen entstehender und zunehmender Krankheit des herannahenden Todes und den Tod selbst zur angedeuteten Stunde zuwege, welches ohne gleichzeitige Bewirkung der (dem von aussen wahrnehmbaren Zustande entsprechenden) innern Veränderung nicht möglich war; und daher wurden in solchen Fällen, aus gleicher Ursache, durch eine künstliche Täuschung oder Gegenüberredung nicht selten wiederum alle den nahen Tod ankündigenden Krankheitsmerkmale verscheucht und plötzlich Gesundheit wieder hergestellt, welches ohne Wegnahme der Tod bereitenden, innern und äussern krankhaften Veränderungen, mittels dieser moralischen Heilmittel nicht möglich gewesen wäre.


9 Nur so konnte Gott, der Erhalter der Menschen, seine Weisheit und Güte bei Heilung der sie hienieden befallenden Krankheiten an den Tag legen, dass er dem Heilkünstler offen darlegte, was derselbe an Krankheiten hinweg zu nehmen habe, um sie zu vernichten und so die Gesundheit herzustellen. Was müssten wir aber von seiner Weisheit und Güte denken, wenn er das an Krankheiten zu Heilende (wie die, ein divinatorisches Einschauen in das innere Wesen der Dinge affektirende, bisherige Arzneischule vorgab) in ein mystisches Dunkel gehüllt und im verborgnen Innern verschlossen und es so dem Menschen unmöglich gemacht hätte, das Uebel deutlich zu erkennen, folglich unmöglich, es zu heilen?


10 Die ausser diesen beiden noch mögliche Anwendungsart der Arzneien gegen Krankheiten (die allöopathische Methode), wo Arzneien, deren Symptome keine direkte, pathische Beziehung auf den Krankheitszustand haben, also den Krankheitssymptomen weder ähnlich noch opponirt, sondern ganz heterogen sind, verordnet werden, ist, wie ich oben in der Einleitung (Hinblick auf das bisherige Mediciniren, Allöopathie und Palliativ-Curen der alten Arzneischule) gezeigt habe, nur eine unvollkommne und schädliche Nachahmung der selbst schon höchst unvollkommnen Bestrebungen der verstandlosen, bloss instinktartigen Lebenskraft, die von Schädlichkeiten erkrankt, sich durch Krankheits-Erregung im Organism und deren Fortsetzung zu retten strebt, es koste was es wolle, folglich der rohen Lebenskraft, welche unserm Organism anerschaffen ward, um unser Leben zwar bei Gesundheit in schönster Harmonie zu erhalten, in Krankheiten aber verstimmt, sich durch den verständigen Arzt (homöopathisch) wieder zur Gesundheit umstimmen zu lassen, nicht aber sich selbst zu heilen, als wozu sie so wenig musterhafte Fähigkeit besitzt, dass alle von ihr (der krankhaft verstimmten) im Organism erzeugten Befindens-Veränderungen und Symptome ja eben die Krankheit selbst sind. – Doch kann dieses unzweckmässige Mediciniren der bisherigen Arzneischule eben so wenig unerwähnt bleiben, als die Menschengeschichte die tausendjährigen Unterdrückungen der Menschheit in den vernunftlosen, despotischen Regierungen auslassen darf.


11 Ich meine nicht eine solche Erfahrung, deren unsre gewöhnlichen Practiker alter Schule sich rühmen, nachdem sie Jahre lang mit einem Haufen vielfach zusammengesetzter Recepte gegen eine Menge Krankheiten gewirthschaftet haben, die sie nie genau untersuchten, sondern sie schulmässig für schon in der Pathologie benannte hielten, in ihnen einen (eingebildeten) Krankheitsstoff zu erblicken wähnten, oder eine andre hypothetische, innere Abnormität ihnen andichteten. Da sahen sie immer etwas, wussten aber nicht, was sie sahen, und sie erfuhren Erfolge, die nur ein Gott und kein Mensch aus den vielfachen, auf den unbekannten Gegenstand einwirkenden Kräften hätte enträthseln können, Erfolge, aus denen nichts zu lernen, nichts zu erfahren ist. Eine fünfzigjährige Erfahrung dieser Art ist einem funfzig Jahre langen Schauen in ein Kaleidoscop gleich, was, mit bunten, unbekannten Dingen angefüllt, in steter Umdrehung sich bewegt; tausenderlei sich immerdar verwandelnde Gestalten und keine Rechenschaft dafür!


12 So werden auch physische Affectionen und moralische Uebel geheilt. – Wie kann in der Frühdämmerung der hellleuchtende Jupiter vom Sehnerven des ihn Betrachtenden verschwinden? Durch eine stärkere, sehr ähnlich auf den Sehnerven einwirkende Potenz, die Helle des anbrechenden Tages! – Womit pflegt man in von übeln Gerüchen angefüllten Oertern die beleidigten Nasennerven wirksam zufrieden zu stellen? Durch Schnupftabak, der den Geruchssinn ähnlich, aber stärker ergreift! Keine Musik, kein Zuckerbrod, die auf die Nerven andrer Sinne Bezug haben, würde diesen Geruchs-Ekel heilen. – Wie schlau wusste der Krieger das Gewinsel des Spitzruthen-Läufers aus den mitleidigen Ohren der Umstehenden zu verdrängen? Durch die quikende, feine Pfeife mit der lärmenden Trommel gepaart! Und den in seinem Heere Furcht erregenden, fernen Donner der feindlichen Kanonen? Durch das tief erbebende Brummen der grossen Trommel! Für beides würde weder die Austheilung eines glänzenden Montirungsstücks, noch irgend ein dem Regimente ertheilter Verweis geholfen haben. – So wird auch Trauer und Gram durch einen neuen, stärkeren, jemand Anderm begegneten Trauerfall, gesetzt, er sey auch nur erdichtet, im Gemüthe ausgelöscht. Der Nachtheil von einer allzu lebhaften Freude wird durch den Ueberfreudigkeit erzeugenden Kaffetrank gehoben. – Völker, wie die Deutschen, Jahrhunderte hindurch allmälig mehr und mehr in willenlose Apathie und unterwürfigen Sklavensinn herabgesunken, mussten erst von dem Eroberer aus Westen noch tiefer in den Staub getreten werden, bis zum Unerträglichen, und hiedurch erst ward ihre Selbst-Nichtachtung überstimmt und aufgehoben, es ward ihnen ihre Menschenwürde wieder fühlbar, und sie erhoben ihr Haupt zum ersten Male wieder als deutsche Männer.


13 Die kurze Wirkungsdauer der künstlich krankmachenden Potenzen, die wir Arzneien nennen, macht es möglich, dass, ob sie gleich stärker als die natürlichen Krankheiten sind, doch von der Lebenskraft weit leichter überwunden werden, als die schwächern natürlichen Krankheiten, die bloss wegen ihrer längern, meist lebenswierigen Wirkungsdauer (Psora, Syphilis, Sykosis) nie von ihr allein besieget und ausgelöschet werden können, bis der Heilkünstler die Lebenskraft stärker afficirt mit einer sehr ähnlich krankmachenden, aber stärkern Potenz (homöopathischer Arznei), welche, nach dem Eingeben (oder Riechen derselben), der bewusstlosen, instinktartigen Lebenskraft gleichsam aufgedrungen und ihr an die Stelle der bisherigen natürlichen Krankheits-Affektion untergeschoben wird, wovon sie dann bloss noch arzneikrank bleibt, doch nur kurze Zeit, weil die Wirkung der Arznei (die Verlaufszeit der von ihr erregten Arzneikrankheit) nicht lange anhält. Die vieljährigen Krankheiten, welche (nach §. 46.) von den ausgebrochenen Menschenpocken und Masern (die auch beide nur eine Verlaufszeit von etlichen Wochen haben) geheilt wurden, sind ähnliche Vorgänge.


14 Wenn ich Krankheit eine Stimmung oder Verstimmung des menschlichen Befindens nenne, so bin ich weit entfernt, dadurch einen hyperphysischen Aufschluss über die innere Natur der Krankheiten überhaupt oder eines einzelnen Krankheitsfalles insbesondere geben zu wollen. Es soll mit diesem Ausdrucke nur angedeutet werden, was die Krankheiten erwiesener Massen nicht sind, und nicht seyn können, nicht mechanische oder chemische Veränderungen der materiellen Körpersubstanz und nicht von einem materiellen Krankheits-Stoffe abhängig – sondern bloss geistige, dynamische Verstimmungen des Lebens.


15 Ein auffallende dieser Art ist: dass, als vor dem Jahre 1801 noch das glatte, Sydenhamische Scharlachfieber unter den Kindern von Zeit zu Zeit epidemisch herrschte, und alle Kinder stets, ohne Ausnahme, befiel, die es in einer vorigen Epidemie noch nicht überstanden hatten, alle Kinder dagegen in einer solchen, die ich in Königslutter erlebte, wenn sie zeitig genug eine sehr kleine Gabe Belladonne eingenommen, frei von dieser höchst ansteckenden Kinderkrankheit blieben. Wenn Arzneien vor Ansteckung von einer grassirenden Krankheit schützen können, so müssen sie eine überwiegende Macht besitzen, unsre Lebenskraft umzustimmen.


16 Mémoires et observations, in der Description de l'Egypte, Tom. I.


17 Obs. lib. I. obs. 8.


18 In Hufeland's Journal, XV. II.


19 Chevalier in Hufeland's neuesten Annalen der französischen Heilkunde. II. S. 192.


20 Mania phthisi superveniens eam cum omnibus suis phaenomenis auffert, verum mox redit phthisis et occidit, abeunde mania. Reil, Memorab. Fasc. III. v.S. 171.


21 In Edinb. med. Comment. Th. I.I.


22 John Hunter, über die vener. Krankheiten. S. 5.


23 Rainay in med. Comment. of Edinb. III. S. 480.


24 Auch von Withering und Plenciz sehr richtig beschrieben, vom Purpurfriesel aber (oder dem Roodvonk), was man fälschlich auch Scharlachfieber zu nennen beliebte, höchst verschieden. Nur in den letztern Jahren haben sich beide, ursprünglich sehr verschiedne Krankheiten einander in ihren Symptomen genähert.


25 Jenner in Medicinische Annalen, 1800. August. S. 747.


26 In Hufeland's Journal der practischen Arzneikunde. XX. III. S. 50.


27 A.a.O.


28 Obs. phys. med. lib. 2. obs. 30.


29 Nach genauen Versuchen und Heilungen dieser Art complicirter Krankheiten bin ich nun fest überzeugt, dass sie keine Zusammenschmelzung beider sind, sondern dass in solchen Fällen die eine nur neben der andern im Organism besteht, jede in den Theilen, die für sie geeignet sind, denn ihre Heilung wird vollständig bewirkt durch eine zeitgemässe Abwechselung der besten Quecksilberpräparats mit den die Krätze heilenden Mitteln, jedes derselben in der angemessensten Gabe und Zubereitung.


30 S. Transactions of a soc. for the improvem. of med. and chir. knowl. II.


31 In den med. Commentarien von Edinb. III. S. 480.


32 In Med. and phys. Journ. 1805.


33 Opera, II. P.I. Cap. 10.


34 In Hufeland's Journal, XVII.


35 Denn Quecksilber hat ausser den Krankheitssymptomen, welche, als das Aehnliche, die venerische Krankheit homöopathisch heilen können, noch viele andre der Lustseuche unähnliche, in seiner Wirkungsart, welche bei Anwendung grosser Gaben, vorzüglich in der so häufigen Complication mit Psora, neue Uebel und grosse Zerstörung im Körper anrichten.


36 Man sehe oben §. 26. die Anmerkung.


37 Wie von dem stärkern, in unsre Augen fallenden Sonnenstrahle das Bild einer Lampenflamme im Seh- Nerven schnell überstimmt und verwischt wird.


38 Traité de l'inoculation, S. 189.


39 Heilkunde für Mütter, S. 384.


40 Interpres clinicus, S. 293.


41 Neue Heilart der Kinderpocken, Ulm 1769. S. 68 und specim. Obs. No. 18.


42 Ebendaselbst.


43 Nov. Act. Nat. Cur. Vol. I. Obs. 22.


44 Nachricht von dem Krankeninstitut zu Erlangen, 1783.


45 Bei Robert Willan, über die Kuhpockenimpfung.


46 Vorzüglich Clavier, Hurel und Desormeaux, im Bulletin des sc. médicales, publié par les membres du comité central de la soc. de médecine du département de l'Eure, 1808. So auch im Journal de Médecine continué, Vol. XV. S. 206.


47 Balhorn, in Hufeland's Journal. X. II.


48 Stevenson in Duncans Annals of medicine, Lustr. II. Vol. I. Abth. 2. No. 9.


49 In Hufeland's Journ. der pr. Arzneik. XXIII.


50 Ueber die vener. Krankheit. S. 4.


51 Die an dieser Stelle in den vorvorigen Ausgaben des Organons beigebrachten Beispiele von langwierigen, durch Krätze geheilten Siechthumen können, zu Folge der Entdeckungen und Aufschlüsse, welche ich im ersten Theile meines Buchs von den chronischen Krankheiten gegeben habe, nur in gewisser Hinsicht als homöopathische Heilungen gelten. Diese da verschwindenden grossen Siechthume (vieljährige, Erstickung drohende Engbrüstigkeiten, und geschwürige Lungensuchten) waren ursprünglich schon psorischen Ursprungs, – weit gediehene, Leben bedrohende Symptome einer schon völlig aus dem Innern entwickelten, alten Psora, welche durch den von einer neuen Ansteckung erfolgten Krätz-Ausschlag (wie in solchem Falle stets geschieht) in die einfache Form primitiver Krätz-Krankheit sich wieder verwandelte, wodurch die alten Siechthume und lebensgefährlichen Symptome verschwanden. Eine solche Umwandlung in die primitive Form ist daher nur in so fern eine homöopathische Heilerin jener weit gediehenen Symptome alter, hochentwickelter Psora zu nennen, als die neue Ansteckung den Kranken in die ungleich günstigere Lage setzt, nun weit leichter von der ganzen Psora durch die antipsorischen Arzneien geheilt werden zu können.


52 Elemens de médec. prat. de M. Cullen traduits, P. II. I. 3. Ch. 7.


53 Oder wenigstens diess Symptom hinweggenommen.


54 In Hufeland's Journal XX. III. S. 50.


55 Rau, über d. Werth des homöop. Heilverfahrens, Heidelb. 1824. S. 85.


56 Und den Hautausschlags-Zunder, der nebenbei in der Kuhpocken-Lymphe befindlich ist.


57 Nämlich die Menschenpocken und Masern.


58 M.s. oben in der Einleitung: Hinblick auf das bisherige Mediciniren, u.s.w. und mein Buch: Die Allöopathie, ein Wort der Warnung für Kranke jeder Art, Leipz. b. Baumgärtner.


59 Hinblick auf das bisherige Mediciniren, u.s.w.


60 Man möchte gern eine vierte Anwendungsart der Arzneien gegen Krankheiten erschaffen, durch Isopathie, wie man's nennt, nämlich mit gleichem Miasm eine gleiche vorhandne Krankheit heilen. Aber, gesetzt auch, man vermöchte diess, was dann allerdings eine schätzbare Erfindung zu nennen wäre, so würde sie die Heilung, da sie das Miasm nur hoch potenzirt, und so, folglich, gewisser Massen verändert dem Kranken reicht, dennoch nur durch ein Simillimum dem Simillimo entgegen gesetzt, bewirken.


61 So wenig auch bisher die Aerzte zu beobachten pflegten, so konnte ihnen doch die auf solche Palliative gewiss erfolgende Verschlimmerung nicht entgehen. Ein starkes Beispiel dieser Art findet man in J.H. Schulze, Diss. qua corporis humani momentanearum alterationum specimina quaedam expenduntur, Halae 1741. §. 28. Etwas Aehnliches bezeugt Willis, Pharm. rat. Sect. 7. Cap. I.S. 298. Opiata dolores atrocissimos plerumque sedant atque indolentiam – procurant, eamque – aliquamdiu et pro stato quodam tempore continuant, quo spatio elapso dolores mox recrudescunt et brevi ad solitam ferociam augentur. Und so S. 295: Exactis opii viribus illico redeunt tormina, nec atrocitatem suam remittunt, nisi dum ab eodem pharmaco rursus incantantur. So sagt J. Hunter (über die vener. Krankh. S. 13.), dass Wein bei Schwachen die Wirkungskraft vermehre, ohne ihnen jedoch eine wahre Stärke mitzutheilen, und dass die Kräfte hintennach in demselben Verhältnisse wieder sinken, als sie zuvor erregt worden waren, wodurch man keinen Vortheil erhalte, sondern die Kräfte grösstentheils verloren gingen.


62 M.s. die Einleitung, zu Ende.


63 M.s. Hufeland in seinem Pamphlet: die Homöopathie S. 20.


64 Bloss bei höchst dringenden Fällen, wo Lebensgefahr und Nähe des Todes einem homöopathischen Hülfsmittel zum Wirken keine Zeit, nicht Stunden, oft nicht einmal Viertelstunden und kaum Minuten verstattet, in plötzlich entstandnen Zufällen, bei vorher gesunden Menschen, z.B. bei Asphyxien und dem Scheintode vom Blitze, vom Ersticken, Erfrieren, Ertrinken u.s.w., ist es erlaubt und zweckmässig, durch ein Palliativ, z.B. durch gelinde electrische Erschütterungen, durch Klystiere von starkem Kaffee, durch ein excitirendes Riechmittel, allmälige Erwärmungen u.s.w., vorerst wenigstens die Reizbarkeit und Empfindung (das physische Leben) wieder aufzuregen; ist's dann nur aufgeregt, so geht das Spiel der Lebensorgane wieder seinen vorigen gesunden Gang fort, weil hier keine KrankheitA2, sondern bloss Hemmung und Unterdrückung der an sich gesunden Lebenskraft zu beseitigen war. Hieher gehören auch verschiedne Antidote jählinger Vergiftungen: Alkalien gegen Mineralsäuren, Schwefelleber gegen Metallgifte, Kaffee und Campher (und Ipecacuanha) gegen Opium-Vergiftungen, u.s.w.

Auch ist eine homöopathische Arznei desshalb noch nicht gegen einen Krankheitsfall unpassend gewählt, wenn einige Arzneisymptome einigen mittlern und kleinen Krankheitssymptomen nur antipathisch entsprechen; wenn nur die übrigen, die stärkern, vorzüglich ausgezeichneten (charakteristischen) und sonderlichen Symptome der Krankheit durch dasselbe Arzneimittel mit Symptomen-Aehnlichkeit (homöopathisch) gedeckt und befriedigt, das ist, überstimmt, vertilgt und ausgelöscht werden; dann vergehen auch die wenigen entgegengesetzten Symptome nach verflossener Wirkungsdauer des Medicaments von selbst, ohne im mindesten die Heilung zu verzögern.


65 Im lebenden Menschen findet keine bleibende Neutralisation streitiger oder entgegengesetzter Empfindungen statt, wie etwa bei Substanzen von entgegengesetzter Eigenschaften in der chemischen Werkstatt, wo z.B. Schwefelsäure und Potasch-Kali sich zu einem ganz andern Wesen, zu einem Neutralsalze vereinigen, was nun weder Säure, noch Laugensalz mehr ist und sich selbst im Feuer nicht wieder zersetzt. Solche Zusammenschmelzungen und innige Vereinigungen zu etwas bleibend Neutralem und Gleichgültigem finden, wie gesagt, bei dynamischen Eindrücken entgegengesetzter Natur in unsern Empfindungs-Werkzeugen nie statt. Nur ein Schein von Neutralisation und gegenseitiger Aufhebung ereignet sich in diesem Falle anfänglich, aber die opponirten Gefühle heben einander nicht dauernd auf. Dem Traurigen werden durch ein lustiges Schauspiel nur kurze Zeit die Thränen getrocknet; er vergisst aber die Possen bald und seine Thränen fliessen dann nur desto reichlicher.


66 So deutlich diess ist, so hat man es dennoch missverstanden und gegen diesen Satz eingewendet, »dass das Palliativ in seiner Nachwirkung, welche dann das Aehnliche von der vorhandenen Krankheit sey, wohl eben so gut heilen müsse, als eine homöopathische Arznei durch ihre Erstwirkung thue.« Man bedachte aber nicht, dass die Nachwirkung nie ein Erzeugniss der Arznei, sondern stets der gegenwirkenden Lebenskraft des Organisms sey, also diese von der Lebenskraft auf Anwendung eines Palliativs herrührende Nachwirkung ein dem Krankheits-Symptome ähnlicher Zustand sey, den eben das Palliativ ungetilgt liess, und den die Gegenwirkung der Lebenskraft auf das Palliativ folglich noch verstärkte.


67 Wie wenn in einem dunkeln Kerker, wo der Gefangene nur nach mit Mühe die nahen Gegenstände erkennen konnte, jähling angezündeter Weingeist dem Elenden auf einmal alles um ihn her tröstlich erhellet, bei Verlöschung desselben aber, je stärker die nun erloschene Flamme vorher gewesen war, ihn nun eine nur desto schwärzere Nacht umgiebt und ihm alles umher weit unsichtbarer macht, als vorher.


68 Der homöopathische Arzt, welcher nicht von Vorurtheilen befangen ist, welche die gewöhnliche Schule ersann (die einige wenige Namen solcher Fieber festsetzte, ausser denen die grosse Natur keine andere hervorbringen dürfe, um bei ihrer Behandlung nach einem bestimmten Leisten verfahren können), erkennt die Namen: Kerker-, Gall-, Typhus-, Faul-, Nerven- oder Schleim-Fieber nicht an, sondern heilt sie, jedes nach seiner Eigenthümlichkeit.


69 Nach dem Jahre 1801 ward ein aus Westen gekommenes Purpur-Friesel (Roodvonk), mit dem Scharlachfieber von den Aerzten verwechselt, ungeachtet jenes ganz andre Zeichen als dieses hatte und jenes an Belladonna, dieses an Aconit sein Schutz- und Heilmittel fand, letzteres auch meist nur sporadisch, ersteres stets nur epidemisch erschien. In den letztern Jahren scheinen sich hie und da beide zu einem Ausschlagsfieber von eigner Art verbunden zu haben, gegen welches das eine wie das andre Heilmittel einzeln nicht mehr genau homöopathisch passend gefunden wird.


70 Unterliegt endlich der Kranke, so pflegt der Vollender einer solchen Cur bei der Leichenöffnung diese innern organischen Verunstaltungen, die seiner Unkunst die Entstehung verdanken, recht schlau, als ursprüngliches, unheilbares Uebel den trostlosen Angehörigen vorzuzeigen; m.s. mein Buch: die Allöopathie, ein Wort der Warnung an Kranke jeder Art. Leipz. bei Baumgärtner. Die anatomischen Pathologien mit Abbildungen, täuschenden Andenkens, enthalten die Produkte solcher jämmerlichen Verpfuschungen.


71 Zwölf Jahre brachte ich darüber zu, um die Quelle jener unglaublich zahlreichen Menge langwieriger Leiden aufzufinden, diese der ganzen Vor- und Mitwelt unbekannt gebliebene, grosse Wahrheit zu erforschen und zur Gewissheit zu bringen und zugleich die vorzüglichsten (antipsorischen) Heilmittel zu entdecken, welche zusammen diesem tausendköpfigen Ungeheuer von Krankheit grösstentheils gewachsen wären in ihren so sehr verschiednen Aeusserungen und Formen. Ich habe meine Erfahrungen hierüber in dem Buche: Die chronischen Krankheiten (4 Thle. Dresd. b. Arnold, 1828. 1830.) vorgelegt. – Eher als ich mit dieser Kenntniss im Reinen war, konnte ich die sämmtlichen chronischen Krankheiten nur als abgesonderte, einzelne Individuen behandeln lehren mit den nach ihrer reinen Wirkung an gesunden Menschen bis dahin geprüften Arzneisubstanzen, so dass jeder Fall langwieriger Krankheit nach der an ihm anzutreffenden Symptomen-Gruppe gleich als eine eigenartige Krankheit von meinen Schülern behandelt und oft so weit geheilt ward, dass die kranke Menschheit über den schon so weit gediehenen Hülfs-Reichthum der neuen Heilkunst frohlockte. Um wie viel zufriedner kann sie nun seyn, dass sie dem gewünschten Ziele um so näher kommt, indem ihr die nun hinzu gefundenen, für die aus Psora hervorkeimenden, chronischen Leiden noch weit specifischer homöopathischen (eigentlicher so zu nennenden, antipsorischen) Heilmittel und die specielle Lehre, sie zu bereiten und anzuwenden, mitgetheilt worden, unter denen nun der ächte Arzt diejenigen zur Hülfe wählt, deren Arznei-Symptome der zu heilenden, chronischen Krankheit am ähnlichsten (homöopathisch) entsprich, und so von den für dieses Miasm geeignetern (antipsorischen) Arzneien wesentlichere Dienste und fast durchgängige, vollständige Heilungen erfolgen sieht.


72 Einige dieser, die Bildung der Psora zu chronischen Uebeln modificirenden Ursachen liegen offenbar theils im Clima und der besondern, natürlichen Beschaffenheit des Wohnorts, theils in der so abweichenden Erziehung des Körpers und Geistes der Jugend, der vernachlässigten, verschobenen, oder überfeinerten Ausbildung beider, dem Missbrauche derselben im Berufe oder Lebens-Verhältnisse, der diätetischen Lebensart, den Leidenschaften der Menschen, ihren Sitten, Gebräuchen und Gewohnheiten mancher Art.


73 Wie viel giebt es darin nicht missbräuchliche, vieldeutige Namen, unter deren jedem man höchst verschiedene, oft nur mit einem einzigen Symptome sich ähnelnde Krankheitszustände begreift, wie: kaltes Fieber, Gelbsucht, Wassersucht, Schwindsucht, Leucorrhöe, Hämorrhoïden, Rheumatism, Schlagfluss, Krämpfe, Hysterie, Hypochondrie, Melancholie, Manie, Bräune, Lähmung u.s.w., die man für sich gleichbleibende festständige Krankheiten ausgiebt und des Namens wegen nach einem festgesetzten Leisten behandelt! Wie könnte man mit einem solchen Namen eine gleichartige, arzneiliche Behandlung rechtfertigen? Und soll die Cur nicht immer dieselbe seyn, wozu der gleiche Cur voraussetzende identische Name? »Nihil sane in artem medicam pestiferum magis unquam irrepsit malum, quam generalia quaedam nomina morbis imponere iisque aptare velle generalem quandam medicinam,« spricht der so einsichtsvolle, als seines zarten Gewissens wegen verehrungswerthe Huxham (Op. phys. med. Tom. I.). Und eben so beklagt sich Fritze (Annalen I.S. 80.) »dass man wesentlich verschiedene Krankheiten mit Einem Namen benenne.« Selbst jene Volkskrankheiten, welche sich wohl bei jeder einzelnen Epidemie durch einen eignen, uns unbekannt bleibenden Ansteckungsstoff fortpflanzen mögen, werden in der alten Arzneischule, gleich als wären sie stets gleichartig wiederkehrende, schon bekannte, festständige Krankheiten, mit Namen belegt, wie: Spital-, Kerker-, Lager-, Faul-, Gallen-, Nerven-, Schleim-Fieber, obgleich jede Epidemie solcher herumgehenden Fieber sich jedesmal als eine andre, neue, nie ganz so jemals da gewesene Krankheit auszeichnet, sehr abweichend in ihrem Verlaufe sowohl, als in mehren der auffallendsten Symptome und ihrem ganzen jedesmaligen Verhalten. Jede ist allen vorhergegangenen, so oder so benannten Epidemien dergestalt unähnlich, dass man alle logische Genauigkeit in Begriffen verläugnen müsste, wenn man diesen von sich selbst so sehr abweichenden Seuchen einen jener, in der Pathologie eingeführten Namen geben und sie, dem missbräuchlichen Namen nach, arzneilich überein behandeln wollte. Diess sah bloss der redliche Sydenham ein, da er (Oper. Cap. 2. de morb. epid. S. 43.) darauf dringt, keine epidemische Krankheit für eine schon da gewesene zu halten und sie nach Art einer andern ärztlich zu behandeln, da sie alle, so viel ihrer nach und nach kämen, von einander verschieden wären: animum admiratione percellit, quam discolor et sui plane dissimilis morborum epidemicorum facies; quae tam aperta horum morborum diversitas tum propriis ac sibi peculiaribus symptomatis tum etiam medendi ratione, quam hi ab illis disparem sibi vindicant, satis illucescit. Ex quibus constat, morbos epidemicos, utut externa quatantenus specie et symptomatis aliquot utrisque pariter convenire paullo incautioribus videantur, re tamen ipsa, si bene adverteris animum, alienae esse admodum indolis et distare ut aera lupinis.

Aus Allem diesen erhellet, dass diese nutzlosen und missbräuchlichen Krankheitsnamen keinen Einfluss auf die Curart eines ächten Heilkünstlers haben dürfen, welcher weiss, dass er die Krankheiten nicht nach der wegen Namens-Aehnlichkeit eines einzelnen Symptoms, sondern nach dem ganzen Inbegriffe aller Zeichen des individuellen Zustandes jedes einzelnen Kranken zu beurtheilen und zu heilen habe, dessen Leiden er genau auszuspähen die Pflicht hat, nie aber hypothetisch vormuthen darf.

Glaubt man aber dennoch zuweilen Krankheitsnamen zu bedürfen, um, wenn von einem Kranken die Rede ist, sich dem Volke in der Kürze verständlich zu machen, so bediene man sich derselben nur als Collectivnamen, und sage ihnen z.B.: der Kranke hat eine Art Veitstanz, eine Art von Wassersucht, eine Art von Nervenfieber, eine Art kaltes Fieber, nie aber (damit endlich einmal die Täuschung mit diesen Namen aufhöre): er hat den Veitstanz, das Nervenfieber, die Wassersucht, das kalte Fieber, da es doch gewiss keine festständigen, sich gleichbleibenden Krankheiten dieser und ähnlicher Namen giebt.


74 Das so eben erfolgende Schema zur Ausforschung der Symptome geht daher nur zum Theil die acuten Krankheiten an.


75 Jede Unterbrechung stört die Gedankenreihe der Erzählenden, und es fällt ihnen hinterdrein nicht alles genau so wieder ein, wie sie's Anfangs sagen wollten.


76 Der Arzt darf z.B. nicht fragen: »war nicht etwa auch dieser oder jener Umstand da?« Dergleichen zu einer falschen Antwort und Angabe verführende Suggestionen darf sich der Arzt nie zu Schulden kommen lassen.


77 Z.B. Wie ist es mit dem Stuhlgange? Wie geht der Urin ab? Wie ist es mit dem Schlafe, bei Tage, bei der Nacht? Wie ist sein Gemüth, seine Laune, seine Besinnungskraft beschaffen? Wie ist es mit dem Durste? Wie ist es mit dem Geschmacke so für sich im Munde? Welche Speisen und Getränke schmecken ihm am besten? Welche sind ihm am meisten zuwider? Hat jedes seinen natürlichen, vollen, oder einen andern, fremden Geschmack? Wie wird ihm nach Essen oder Trinken? Ist etwas wegen des Kopfs, der Glieder, oder des Unterleibes zu erinnern?


78 Z.B. Wie oft hatte er Stuhlgang; von welcher genauen Beschaffenheit? War der weisslichte Stuhlgang Schleim oder Koth? Waren Schmerzen beim Abgange, oder nicht? Welche genaue, und wo? Was brach der Kranke aus? Ist der garstige Geschmack im Munde faul, oder bitter, oder sauer, oder wie sonst? vor oder nach dem Essen und Trinken, oder während desselben? Zu welcher Tageszeit am meisten? Von welchem Geschmacke ist das Aufstossen? Wird der Urin erst beim Stehen trübe, oder lässt er ihn gleich trübe? Von welcher Farbe ist er, wenn er ihn eben gelassen hat? Von welcher Farbe ist der Satz? – Wie gebehrdet oder äussert er sich im Schlafe? wimmert, stöhnt, redet oder schreiet er im Schlafe? erschrickt er im Schlafe? schnarcht er beim Einathmen, oder beim Ausathmen? Liegt er einzig auf dem Rücken, oder auf welcher Seite? Deckt er sich selbst fest zu, oder leidet er das Zudecken nicht? Wacht er leicht auf, oder schläft er allzu fest? Wie befindet er sich gleich nach dem Erwachen aus dem Schlafe? Wie oft kommt diese, wie oft jene Beschwerde; auf welche jedesmalige Veranlassung kommt sie? im Sitzen, im Liegen, im Stehen oder bei der Bewegung? bloss nüchtern, oder doch früh, oder bloss Abends, oder bloss nach der Mahlzeit, oder wann sonst gewöhnlich? – Wann kam der Frost? war es bloss Frostempfindung, oder war er zugleich kalt? an welchen Theilen? oder war er bei der Frostempfindung sogar heiss anzufühlen? war es bloss Empfindung von Kälte, ohne Schauder? war er heiss, ohne Gesichtsröthe? an welchen Theilen war er heiss anzufühlen? oder klagte er über Hitze, ohne heiss zu seyn beim Anfühlen? wie lange dauerte der Frost, wie lange die Hitze? – Wann kam der Durst? beim Froste? bei der Hitze? oder vorher? oder nachher? wie stark war der Durst, und worauf? – Wann kommt der Schweiss? beim Anfange, oder zu Ende der Hitze? oder wie viel Stunden nach der Hitze? im Schlafe oder im Wachen? wie stark ist der Schweiss? heiss oder kalt? an welchen Theilen? von welchem Geruche? – Was klagt er an Beschwerden vor oder bei dem Froste? was bei der Hitze? was nach derselben? was bei oder nach dem Schweisse? u.s.w.


79 Z.B. Wie sich der Kranke bei dem Besuche gebehrdet hat, ob er verdriesslich, zänkisch, hastig, weinerlich, ängstlich, verzweifelt oder traurig, oder getrost, gelassen, u.s.w.; ob er schlaftrunken oder überhaupt unbesinnlich war? ob er heisch, sehr leise, oder ob er unpassend, oder wie anders er redete? wie die Farbe des Gesichts und der Augen, und die Farbe der Haut überhaupt, wie die Lebhaftigkeit und Kraft der Mienen und Augen, wie die Zunge, der Athem, der Geruch aus dem Munde, oder das Gehör beschaffen ist? wie sehr die Pupillen erweitert, oder verengert sind? wie schnell, wie weit sie sich im Dunkeln und Hellen verändern? wie der Puls? wie der Unterleib? wie feucht oder heiss, wie kalt oder trocken die Haut an diesen oder jenen Theilen oder überhaupt anzufühlen ist? ob er mit zurückgebogenem Kopfe, mit halb oder ganz offenem Munde, mit über den Kopf gelegten Armen, ob er auf dem Rücken, oder in welcher an dern Stellung er liegt? mit welcher Anstrengung er sich aufrichtet, und was von dem Arzte sonst auffallend Bemerkbares an ihm wahrgenommen werden konnte.


80 Den etwanigen entehrenden Veranlassungen, welche der Kranke oder die Angehörigen nicht gern, wenigstens nicht von freien Stücken gestehen, muss der Arzt durch klügliche Wendungen der Fragen oder durch andre Privat-Erkundigungen auf die Spur zu kommen suchen. Dahin gehören: Vergiftung oder begonnener Selbstmord, Onanie, Ausschweifungen gewöhnlicher oder unnatürlicher Wohllust, Schwelgen in Wein, Liqueuren, Punsch und andern hitzigen Getränken, oder Kaffee, – Schwelgen in Essen überhaupt oder in besonders schädlichen Speisen, – venerische oder Krätz-Ansteckung, unglückliche Liebe, Eifersucht, Hausunfrieden, Aergerniss, Gram über ein Familien-Unglück, erlittene Misshandlung, verbissene Rache, gekränkter Stolz, Zerrüttung der Vermögensumstände, – abergläubige Furcht, – Hunger – oder ein Körpergebrechen an den Schamtheilen, ein Bruch, ein Vorfall u.s.w.


81 Vorzüglich muss bei chronischen Krankheiten des weiblichen Geschlechts auf Schwangerschaft, Unfruchtbarkeit, Neigung zur Begattung, Niederkunften, Fehlgeburten, Kindersäugen, und den Zustand des monatlichen Blutflusses Rücksicht genommen werden. Insbesondere ist in Betreff des letztern die Erkundigung nicht zu versäumen, ob er in zu kurzen Perioden wiederkehrt, oder über die gehörige Zeit aussen bleibt, wie viele Tage er anhält, ununterbrochen oder abgesetzt? in welcher Menge überhaupt, wie dunkel von Farbe, ob mit Leucorrhöe (Weissfluss) vor dem Eintritte oder nach der Beendigung? vorzüglich aber mit welchen Beschwerden Leibes und der Seele, mit welchen Empfindungen und Schmerzen vor dem Eintritte, bei dem Blutflusse oder nachher? Ist Weissfluss bei ihr; wie er beschaffen ist? mit welchen Empfindungen? in welcher Menge? und unter welchen Bedingungen und auf welche Veranlassungen er erscheint?


82 Eine reine Erdichtung von Zufällen und Beschwerden wird man wohl nie bei Hypochondristen, selbst bei den unleidlichsten nicht, antreffen, – diess zeigt die Vergleichung ihrer zu verschiednen Zeiten geklagten Beschwerden, während der Arzt ihnen nichts oder etwas ganz Unarzneiliches eingiebt, deutlich; – nur muss man von ihren Uebertreibungen etwas abziehen, wenigstens die Stärke ihrer Ausdrücke auf Rechnung ihres übermässigen Gefühls setzen; in welcher Hinsicht selbst diese Hochstimmung ihrer Ausdrücke über ihre Leiden für sich schon zum bedeutenden Symptome in der Reihe der übrigen wird, woraus das Bild der Krankheit zusammengesetzt ist. Bei Wahnsinnigen und böslichen Krankheits-Erdichtern ist es ein andrer Fall.


83 Dann werden dem Arzte, welcher schon in den ersten Fällen das dem specifisch homöopathischen nahe kommende Heilmittel hat wählen können, die folgenden Fälle entweder die Angemessenheit der gewählten Arznei bestätigen, oder ihn auf ein noch passenderes, auf das passendste homöopathische Heilmittel hinweisen.


84 Die Aerzte alter Schule machten sich's hiemit in ihren Curen äusserst bequem. Da hörte man keine genaue Erkundigung nach allen Umständen des Kranken, ja der Arzt unterbrach diese sogar oft in der Erzählung ihrer einzelnen Beschwerden, um sich nicht stören zu lassen bei schneller Aufschreibung des Receptes, aus mehren von ihm nach ihrer wahren Wirkung nicht gekannten Ingredienzen zusammengesetzt. Kein allöopathischer Arzt, wie gesagt, verlangte die sämmtlichen genauen Umstände des Kranken zu erfahren und noch weniger schrieb er sich etwas davon auf. Wenn er dann den Kranken nach mehren Tagen wieder sah, wusste er von den wenigen, zuerst gehörten Umständen (da er seitdem so viele verschiedne, andre Kranke gesehen) wenig oder nichts mehr; er hatte es zu dem einen Ohre hinein und zu dem andern wieder hinaus gehen lassen. Auch that er bei fernern Besuchen nur wenige allgemeine Fragen, that als fühlte er den Puls an der Handwurzel, besah die Zunge, verschrieb in demselben Augenblicke, eben so ohne verständigen Grund, ein andres Recept, oder liess das erstere (öfters des Tags in ansehnlichern Portionen) fortbrauchen und eilte mit zierlichen Gebehrden zu dem funfzigsten, sechszigsten Kranken, den er denselben Vormittag noch gedankenlos zu besuchen hatte. So ward das eigentlich nachdenklichste aller Geschäfte, die gewissenhafte, sorgfältige Erforschung des Zustandes jedes einzelnen Kranken und die darauf zu gründende specielle Heilung von den Leuten getrieben, die sich Aerzte, rationelle Heilkünstler nannten. Der Erfolg war fast ohne Ausnahme schlecht, wie natürlich; und dennoch mussten die Kranken zu ihnen, theils weils nichts Bessers gab, theils aus Etiquette.


85 Nicht ein einziger Arzt, meines Wissens, kam in der drittehalbtausendjährigen Vorzeit auf diese so natürliche, so unumgänglich nothwendige, einzig ächte Prüfung der Arzneien auf ihre reinen, eigenthümlichen, das Befinden der Menschen umstimmenden Wirkungen, um so zu erfahren, welche Krankheitszustände jede Arznei zu heilen vermöge, als der grosse, unsterbliche Albrecht von Haller. Bloss dieser sah, ausser mir, die Nothwendigkeit hievon ein (siehe Vorrede zur Pharmacopoea Helvet., Basil. 1771. fol. S. 12.): »Nempe primum in corpore sano medela tentanda est, sine peregrina ulla miscela; odoreque et sapore ejus exploratis, exigua illius dosis ingerenda et ad omnes, quae inde contingunt, affectiones, quis pulsus, qui calor, quae respiratio, quaenam excretiones, attendendum. Inde ad ductum phaenomenorum, in sano obviorum, transeas ad experimenta in corpore aegroto etc.« Aber Niemand, kein einziger Arzt achtete oder befolgte diese seine unschätzbaren Winke.


86 Es ist unmöglich, dass es ausser der reinen Homöopathik noch eine andre wahre, beste Heilung der dynamischen (das ist, aller nicht chirurgischen) Krankheiten geben könne, so wenig als zwischen zwei gegebnen Punkten mehr als Eine gerade Linie zu ziehen möglich ist. Wie wenig muss der, welcher wähnt, dass es ausser ihr noch andre Arten, Krankheiten zu heilen gebe, der Homöopathie auf den Grund gesehen und sie mit hinlänglicher Sorgfalt ausgeübt, oder richtig motivirte, homöopathische Heilungen gesehen oder gelesen, und auf der andern Seite die Ungegründetheit jeder allöopathischen Verfahrungsart in Krankheiten erwogen und die theils schlechten, theils schrecklichen Erfolge davon erkundigt haben, welcher mit einem solchen lockern Indifferentismus die einzig wahre Heilkunst jenen schädlichen Curarten gleich stellet, oder sie gar für Schwestern der Homöopathik ausgiebt, deren sie nicht entbehren könne! Meine ächten, gewissenhaften Nachfolger, die reinen Homöopathiker mit ihren fast nie fehlenden, glücklichen Heilungen mögen sie eines Bessern belehren.


87 Die erste Frucht von diesem Streben legte ich, so reif sie damals seyn konnte, nieder in den: Fragmenta de viribus medicamentorum positivis, sive in sano corp. hum. observatis. P.I. II. Lipsiae, 8. 1805. ap. J.A. Barth; die reifere in: Reine Arzneimittellehre. I. Th. dritte Ausg. II. Th. dritte Ausg. 1833. III. Th. zw. Ausg. 1825. IV. Th. zw. Ausg. 1825. V. Th. zw. Ausg. 1826. VI. Th. zw. Ausg. 1827. und im zweiten, dritten und vierten Theile der chronischen Krankheiten, 1828. 1830. Dresden bei Arnold.


88 Man sehe, was ich hievon gesagt habe in: Beleuchtung der Quellen der gewöhnlichen Materia medica, vor dem dritten Theile meiner reinen Arzneimittellehre.


89 Einige wenige Personen können vom Geruche der Rosen in Ohnmacht fallen, und vom Genusse der Mies-Muscheln, der Krebse oder des Roggens des Barbe-Fisches, von Berührung des Laubes einiger Sumach-Arten u.s.w. in mancherlei andre krankhafte, zuweilen gefährliche Zustände gerathen.


90 So half die Prinzessin Maria Porphyrogeneta ihrem an Ohnmachten leidenden Bruder, Kaiser Alexius durch Bespritzung mit Rosenwasser (το τῶν ῥόδων στάλαγμα) in Gegenwart seiner Tante Eudoxia (Hist. byz. Alexias lib. 15. S. 503. ed. Posser.) und Horstius (Oper. III. S. 59.) sah den Rosenessig bei Ohnmachten sehr hülfreich.


91 Diess sah auch der verehrungswürdige A.v. Haller ein, da er sagt (Vorrede zu seiner hist. stirp. helv.): »latet immensa virium diversitas in iis ipsis plantis, quarum facies externas dudum novimus, animas quasi et quodcunque caelestius habent, nondum perspeximus.«


92 Wer die so sonderbar verschiednen Wirkungen jeder einzelnen Substanz von denen jeder andern auf das menschliche Befinden genau kennt und zu würdigen versteht, der sieht auch leicht ein, dass es unter ihnen, in arzneilicher Hinsicht, durchaus keine gleichbedeutenden Mittel, keine Surrogate geben kann. Bloss wer die verschiednen Arzneien nach ihren reinen, positiven Wirkungen nicht kennt, kann so thöricht seyn, uns weiss machen zu wollen, eins könne statt des andern dienen und eben so gut, als jenes, in gleicher Krankheit helfen. So verwechseln unverständige Kinder die wesentlich verschiedensten Dinge, weil sie sie kaum dem Aeussern nach und am wenigsten nach ihrem Werthe, ihrer wahren Bedeutung und ihren innern, höchst abweichenden Eigenschaften kennen.


93 Ist diess reine Wahrheit, wie sie es ist, so kann fortan kein Arzt, der nicht für verstandlos angesehen seyn, und der sein gutes Gewissen, das einzige Zeugniss ächter Menschenwürde, nicht verletzen will, unmöglich eine Arzneisubstanz zur Cur der Krankheiten anwenden, als die er genau und vollständig in ihrer wahren Bedeutung kennt, d.i., deren virtuelle Wirkung auf das Befinden gesunder Menschen er so genau erprobt hat, dass er gewiss wisse, sie sey vermögend, einen sehr ähnlichen Krankheitszustand, und einen ähnlichern, als jede andre ihm genau bekannt gewordne Arznei, selbst zu erzeugen, als der durch sie zu heilende Krankheitsfall enthält – da, wie oben gezeigt worden, weder der Mensch, noch die grosse Natur anders vollkommen, schnell und dauerhaft als mit einem homöopathischen Mittel heilen kann. Kein ächter Arzt kann sich fortan von solchen Versuchen ausschliessen, um diese nothwendigste und einzige Kenntniss der Arzneien, die zum Heilbehufe gehört, zu erlangen, diese von den Aerzten aller Jahrhunderte bisher versäumte Kenntniss. Alle vergangenen Jahrhunderte – die Nachwelt wird's kaum glauben – begnügten sich bisher, die in ihrer Bedeutung unbekannten, und in Absicht ihrer höchst wichtigen, höchst abweichenden, reinen, dynamischen Wirkung auf Menschenbefinden nie geprüften Arzneien so blindhin in Krankheiten, und zwar mehre dieser unbekannten, so sehr verschiednen Kräfte in Recepte zusammengemischt zu verordnen und dem Zufalle zu überlassen, wie es dem Kranken davon ergehen möge. So dringt ein Wahnsinniger in die Werkstatt eines Künstlers, und ergreift Hände voll ihm unbekannter, höchst verschiedner Werkzeuge, um die dastehenden Kunstwerke, wie er wähnt, zu bearbeiten; dass sie von seiner unsinnigen Arbeit verderbt, wohl gar unwiederbringlich verderbt werden, brauche ich nicht weiter zu erinnern.


94 Junge grüne Erbsen (Schoten), grüne Bohnen und allenfalls Möhren (Mohrrüben) sind zulässig, als die am wenigsten arzneilichen grünen Gemüsse.


95 Die Versuchs-Person muss entweder an keinen puren Wein, Branntwein, Kaffee oder Thee gewöhnt seyn, oder sich diese theils reizenden, theils arzneilich schädlichen Getränke schon längere Zeit vorher völlig abgewöhnt haben.


96 Wer solche Versuche der Arztwelt bekannt macht, wird dadurch für die Zuverlässigkeit der Versuchs-Person und ihrer Angaben verantwortlich, und zwar mit Recht, da das Wohl der leidenden Menschheit hier auf dem Spiele steht.


97 Auch haben diese Selbstversuche für ihn noch andre, unersetzliche Vortheile. Zuerst wird ihm dadurch die grosse Wahrheit, dass das Arzneiliche aller Arzneien, worauf ihre Heilungskraft beruht, in den von den selbstgeprüften Arzneien erlittenen Befindens-Veränderungen und den an sich selbst von ihnen erfahrnen Krankheits-Zuständen liege, zur unleugbaren Thatsache. Ferner wird er durch solche merkwürdige Beobachtungen an sich selbst, theils zum Verständniss seiner eignen Empfindungen, seiner Denk- und Gemüthsart (dem Grundwesen aller wahren Weisheit: γνῶϑι σεαυτον), theils aber, was keinem Arzte fehlen darf, zum Beobachter gebildet. Alle unsere Beobachtungen an Andern haben das Anziehende bei Weitem nicht, als die an uns selbst angestellten. Immer muss der Beobachter Andrer befürchten, der die Arznei Versuchende habe, was er sagt, nicht so deutlich gefühlt, oder seine Gefühle nicht mit dem genau passenden Ausdrucke angegeben. Immer bleibt er in Zweifel, ob er nicht wenigstens zum Theil getäuscht werde. Dieses nie ganz hinwegzuräumende Hinderniss der Wahrheits-Erkenntniss bei Erkundigung der von Arzneien bei Andern entstandnen künstlichen Krankheits-Symptome fällt bei Selbstversuchen gänzlich weg. Der Selbstversucher weiss es selbst, er weiss es gewiss, was er gefühlt hat, und jeder solcher Selbstversuch ist für ihn ein neuer Antrieb zur Erforschung der Kräfte mehrer Arzneien. Und so übt er sich mehr und mehr in der für den Arzt so wichtigen Beobachtungskunst, wenn er sich selbst, als das Gewissere, ihn nicht Täuschende, zu beobachten fortfährt, und um desto eifriger wird er es thun, da ihm diese Selbstversuche die zum Heilen zum Theil noch mangelnden Werkzeuge nach ihrem wahren Werthe und ihrer wahren Bedeutung kennen zu lehren versprechen, und ihn nicht täuschen. Man wähne auch nicht, dass solche kleine Erkrankungen beim Einnehmen zu prüfender Arzneien überhaupt seiner Gesundheit nachtheilig wären. Die Erfahrung lehrt im Gegentheile, dass der Organism des Prüfenden, durch die mehren Angriffe auf das gesunde Befinden nur desto geübter wird in Zurücktreibung alles seinem Körper Feindlichen von der Aussenwelt her, und aller künstlichen und natürlichen, krankhaften Schädlichkeiten, auch abgehärteter gegen alles Nachtheilige mittels so gemässigter Selbstversuche mit Arzneien. Seine Gesundheit wird unveränderlicher; er wird robuster, wie alle Erfahrung lehrt.


98 Die in der ganzen Krankheit nur etwa vor langer Zeit, oder nie bemerkten, folglich neuen, der Arznei angehörigen Symptome.


99 Man hat in neuern Zeiten entfernten, unbekannten Personen aufgetragen, Arzneien zu probiren, die sich dafür bezahlen liessen und diese Verzeichnisse drucken lassen. Aber auf diese Weise scheint das allerwichtigste, die einzig wahre Heilkunst zu gründen bestimmte, und die grösste moralische Gewissheit und Zuverlässigkeit erheischende Geschäft in seinen Ergebnissen, leider, zweideutig und unsicher zu werden und allen Werth zu verlieren.


100 Anfangs war ich der einzige, der sich die Prüfung der reinen Arzneikräfte zum wichtigsten seiner Geschäfte machte. Seitdem war ich von einigen jungen Männern, die an sich selbst Versuche machten, und deren Beobachtungen ich prüfend durchging, hierin unterstützt worden. Was wird aber dann erst an Heilung im ganzen Umfange des unendlichen Krankheits-Gebietes ausgerichtet werden können, wenn mehre von genaue und zuverlässigen Beobachtern sich um die Bereicherung dieser einzig ächten Arzneistoff-Lehre durch sorgfältige Selbstversuche verdient gemacht haben werden! Dann wird das Heilgeschäft den mathematischen Wissenschaften an Gewissheit nahe kommen.


101 Man sehe oben Anm. 2. zu §. 109.


102 Aber dieses mühsame, zuweilen sehr mühsame Aufsuchen und Auswählen des dem jedesmaligen Krankheits-Zustande in allen Hinsichten homöopathisch angemessensten Heilmittels ist ein Geschäft, was ungeachtet aller lobwerthen Erleichterungs-Bücher doch noch das Studium der Quellen selbst und zudem vielseitige Umsicht und ernste Erwägung fordert, auch nur vom Bewusstseyn treu erfüllter Pflicht seinen besten Lohn empfängt – wie sollte diese mühsame, sorgfältige, nur allein die beste Heilung der Krankheiten möglich machende Arbeit den Herren von der neuen Mischlings-Sekte behagen, die mit dem Ehrennamen, Homöopathiker sich brüsten, auch zum Scheine Arznei geben von Form und Ansehn der homöopathischen, doch von ihnen nur so obenhin (quidquid in buccam venit) ergriffen, und die, wenn das ungenaue Mittel nicht sogleich hilft, die Schuld davon nicht auf ihre unverzeihliche Mühescheu und Leichtfertigkeit bei Abfertigung der wichtigsten und bedenklichsten aller Angelegenheiten der Menschen schieben, sondern auf die Homöopathie, der sie grosse Unvollkommenheit vorwerfen (eigentlich die, dass sie ihnen ohne eigne Mühe das angemessenste homöopathische Heilmittel für jeden Krankheits-Zustand nicht von selbst wie gebratene Tauben in den Mund führe)? Sie wissen sich ja dann doch, wie gewandte Leute, bald über das Nicht-Helfen ihrer kaum halb homöopathischen Mittel zu trösten durch Anbringung der ihnen geläufigern, allöopathischen Scherwenzel, worunter sich ein oder etliche Dutzend Blutigel an die leidende Stelle gesetzt, oder kleine, unschuldige Aderlässe von 8 Unzen u.s.w. recht stattlich ausnehmen, und kömmt der Kranke trotz dem Allen doch davon, so rühmen sie ihre Aderlässe, Blutigel, u.s.w., dass ohne diese der Kranke nicht hätte erhalten werden können und geben nicht undeutlich zu verstehen, dass diese, ohne viel Kopfzerbrechen aus dem verderblichen Schlendrian der alten Schule hervorgelangten Operationen im Grunde das Beste bei der Cur gethan hätten; stirbt aber der Kranke dabei, wie nicht selten, so suchen sie eben damit die trostlosen Angehörigen zu beruhigen, »dass sie selbst Zeuge wären, dass doch nun alles Ersinnliche für den seelig Verstorbnen gethan worden sey.« Wer wollte solcher leichtsinnigen, schädlichen Brut die Ehre anthun, sie nach dem Namen der sehr mühsamen, aber heilbringenden Kunst, homöopathische Aerzte zu nennen? Ihrer warte der gerechte Lohn, dass sie, einst erkrankt, auf gleiche Art kurirt würden!


103 Um Aufstellung der charakteristischen Symptome, vorzüglich der antipsorischen Arzneien hat sich der um unsre neue Heilkunst schon so hochverdiente Hr. Regierungsrath, Freiherr Dr. von Bönninghausen jüngst ein neues Verdienst erworben durch das inhaltschwere, kleine Buch: Uebersicht der Hauptwirkungs-Sphäre der antips. Arz. Münster, b. Coppenrath. 1833. und den Anhang dazu (auch die antisyphilitischen und antisykotischen umfassend) hinter der zweiten Ausgabe seines »systematisch alphabetischen Repertorium der antipsorischen Arzneien« (bei Coppenrath in Münster).


104 Diese, einer Verschlimmerung ähnliche, Erhöhung der Arzneisymptome über die ihnen analogen Krankheitssymptome haben auch andre Aerzte, wo ihnen der Zufall ein homöopathisches Mittel in die Hand spielte, beobachtet. Wenn der Krätz-Kranke nach Einnahme des Schwefels über vermehrten Ausschlag klagt, so tröstet ihn der Arzt, der hievon die Ursache nicht weiss, mit der Versicherung, dass die Krätze erst recht herauskommen müsse, ehe sie heilen könne; er weiss aber nicht, dass diess Schwefel-Ausschlag ist, der den Schein vermehrter Krätze annimmt.

»Den Gesichts-Ausschlag, den die viola tricolor heilte, hatte sie beim Anfange ihres Gebrauchs verschlimmert,« wie Leroy (Heilk. für Mütter, S. 406) versichert, aber nicht weiss, dass die scheinbare Verschlimmerung von der allzu grossen Gabe des hier einigermassen homöopathischen, Freisam-Veilchens herrührte. Lysons sagt (Med. Transact. Vol. II. London 1772.): »die Ulmenrinde heile diejenigen Hautausschläge am gewissesten, die sie beim Anfange ihres Gebrauchs vermehre.« Hätte er die Rinde nicht in der (wie in der allöopathischen Arzneikunst gewöhnlich ist) ungeheuern, sondern, wie es bei Sym ptomen-Aehnlichkeit der Arznei, das ist, bei ihrem homöopathischen Gebrauche seyn muss, in ganz kleinen Gaben gereicht, so hätte er geheilt, ohne, oder fast ohne diese scheinbare Krankheitserhöhung (homöopathische Verschlimmerung) zu sehen.


105 So wie die Wirkung derjenigen Arzneien, denen an sich auch die längste Wirkungsdauer eigen ist, in acuten Krankheiten schnell abläuft, am schnellsten in den acutesten – so lang dauernd ist sie doch in (aus Psora entstandnen) chronischen Krankheiten, und daher kommt es, dass die antipsorischen Arzneien oft keine solche homöopathische Verschlimmerung in den ersten Stunden, wohl aber später und in verschiednen Stunden der ersten 8, 10 Tage merken lassen.


106 Wenn nicht ein wichtiger Fehler in der Lebensordnung, eine heftige Leidenschaft, oder eine stürmische Entwickelung im Organismus, Ausbruch oder Abschied des Monatlichen, Empfängniss, Niederkunft u.s.w. davon Ursache war.


107 Wo der Kranke (was jedoch höchst selten in chronischen, wohl aber in acuten Krankheiten statt findet) bei ganz undeutlichen Symptomen sich dennoch sehr übel befindet, so dass man diesen Zustand mehr dem betäubten Zustande der Nerven beimessen kann, welche die Schmerzen und Beschwerden beim Kranken nicht zur deutlichen Wahrnehmung kommen lässt, da tilgt Mohnsaft diese Betäubung des innern Gefühls-Sinnes und die Symptome der Krankheit kommen in der Nachwirkung deutlich zum Vorschein.


108 Eine von den vielen, verderblichen Hauptthorheiten der alten Schule.


109 Z.B. Aconit, Wurzelsumach, Belladonne, Quecksilber, u.s.w.


110 Frischer Krätz-Ausschlag, Schanker, Feigwarze.


111 Wie, vor mir, die Heilmittel der Feigwarzen-Krankheit (und die antipsorischen Arzneien).


112 Die Fontanelle des Arztes alter Schule thun etwas Aehnliches; sie beschwichtigen als künstliche Geschwüre an den äussern Theilen mehre innere chronische Leiden, doch nur eine sehr kurze Zeit lang, ohne sie heilen zu können, schwächen aber auf der andern Seite und verderben den ganzen Befindens-Zustand weit mehr, als die instinktartige Lebenskraft durch die meisten ihrer veranstalteten Metastasen thut.


113 Denn was dabei an Arzneien innerlich gegeben werden sollte, diente bloss zur Verschlimmerung des Uebels, da diese Mittel keine specifische Heilkraft für das Total der Krankheit besassen, wohl aber den Organism angriffen, ihn schwächten und ihm andre chronische Arzneikrankheiten zur Zugabe beibrachten.


114 Ich kann daher z.B. nicht zur örtlichen Ausrottung des sogenannten Lippen- oder Gesichts-Krebses (einer Frucht weit entwickelter Psora?) durch das kosmische Arsenik-Mittel rathen, nicht nur weil es äusserst schmerzhaft ist und öfter misslingt, sondern mehr desshalb, weil, wenn ja dieses dynamische Mittel die Körperstelle von dem bösen Geschwüre local befreiet, das Grund-Uebel doch hiedurch nicht zum kleinsten Theile vermindert wird, die Lebens-Erhaltungs-Kraft also genöthigt ist, den Herd für das innere grosse Uebel an eine noch edlere Stelle (wie sie bei allen Metaschematismen thut) zu versetzen, und Blindheit, Taubheit, Wahnsinn, Erstickungs-Asthma, Wasser-Geschwulst, Schlagfluss u.s.w. folgen zu lassen. Diese zweideutige, örtliche Befreiung der Stelle von dem bösen Geschwüre durch das topische Arsenik-Mittel gelingt aber obendrein nur da, wo das Geschwür noch nicht gross, die Lebenskraft auch noch sehr energisch ist; aber eben in dieser Lage der Sache ist auch die innere vollständige Heilung des ganzen Ur-Uebels noch ausführbar.

Ein gleicher ist der Erfolg von dem bloss durch den Schnitt weggenommenen Gesichts- oder Brust-Krebse und der Ausschälung der Balg-Geschwülste; es erfolgt etwas noch Schlimmeres drauf, wenigstens wird der Tod beschleunigt. Diess ist unzählige Male der Erfolg gewesen; aber die alte Schule fährt doch bei jedem neuen Falle in ihrer Blindheit fort, gleiches Unglück anzurichten.


115 Krätz-Ausschlag, Schanker (Schoossbeule), Feigwarzen.


116 Man lasse sich bei Erkundigungen dieser Art nicht von den öftern Behauptungen der Kranken oder ihrer Angehörigen bethören, welche zur Ursache langwieriger, ja der grössten und langwierigsten Krankheiten entweder eine vor vielen Jahren erlittene Verkältung (Durchnässung, einen kalten Trunk auf Erhitzung), oder einen ehemals gehabten Schreck, ein Verheben, ein Aergerniss (auch wohl eine Behexung) u.s.w. angeben. Diese Veranlassungen sind viel zu klein, um eine langwierige Krankheit in einem gesunden Körper zu erzeugen, lange Jahre zu unterhalten und von Jahr zu Jahr zu vergrössern, wie die chronischen Krankheiten von entwickelter Psora alle geartet sind. Ungleich wichtigere Ursachen als jene erinnerlichen Schädlichkeiten müssen dem Anfange und Fortgange eines bedeutenden, hartnäckigen, alten Uebels zum Grunde liegen; jene angeblichen Veranlassungen können nur Hervorlockungs-Momente eines chronischen Miasms abgeben.


117 Wie oft trifft man nicht, z.B. in den schmerzhaftesten, mehrjährigen Krankheiten ein mildes, sanftes Gemüth an, so dass der Heilkünstler Achtung und Mitleid gegen den Kranken zu hegen sich gedrungen fühlt. Besiegt er aber die Krankheit und stellt den Kranken wieder her – wie nach homöopathischer Art nicht selten möglich ist – da erstaunt und erschrickt er nicht selten über die schauderhafte Veränderung des Gemüths. Da sieht er oft Undankbarkeit, Hartherzigkeit, ausgesuchte Bosheit und die die Menschheit entehrendsten und empörendsten Launen hervortreten, welche gerade dem Kranken in seinen ehemaligen gesunden Tagen eigen gewesen waren.

Die in gesunden Zeiten Geduldigen findet man oft in Krankheiten störrisch, heftig, hastig, auch wohl unleidlich, eigensinnig und wiederum auch wohl ungeduldig oder verzweifelt; die ehedem Züchtigen und Schamhaften findet man nun geil und schamlos. Den hellen Kopf trifft man nicht selten stumpfsinnig, den gewöhnlich Schwachsinnigen hinwiederum gleichsam klüger, sinniger, und den von langsamer Besinnung zuweilen voll Geistesgegenwart und schnell entschlossen an, u.s.w.


118 So wird bei einem stillen, gleichförmig gelassenen Gemüthe, der Napell-Sturmhut selten oder nie eine, weder schnelle noch dauerhafte Heilung bewirken, eben so wenig, als die Krähenaugen bei einem milden, phlegmatischen, die Pulsatille bei einem frohen, heitern und hartnäckigen, oder die Ignazbohne bei einem unwandelbaren, weder zu Schreck, noch zu Aergerniss geneigten Gemüthszustande.


119 Es ist ein sehr seltner Fall, dass eine schon etwas lang gedauerte Geistes- oder Gemüthskrankheit von selbst nachlässt (indem das innere Siechthum wieder in die gröbern Körper-Organe übergeht); diess sind die wenigen Fälle, wo hie oder da ein bisheriger Bewohner des Irrenhauses als scheinbar genesen entlassen ward. Ausserdem blieben bisher alle Irrenhäuser bis oben angefüllt, so dass die Menge andrer, auf die Aufnahme in diese Häuser harrender Irren fast nie Platz darin fanden, wenn nicht einige der Wahnsinnigen im Hause mit Tode abgingen. Keiner wird darin wirklich und dauerhaft geheilt! Ein sprechender Beweiss, unter vielen andern, von der gänzlichen Nullität der bisherigen Unheilkunst, die von der allöopathischen Prahlerei mit dem Namen rationelle Heilkunst lächerlich beehrt ward. Wie oft konnte dagegen nicht schon die wahre Heilkunst, ächte, reine Homöopathik solche Unglückliche wieder in den Besitz ihrer Geistes- und Körper-Gesundheit herstellen und ihren erfreuten Angehörigen und der Welt wieder geben!


120 Es scheint, als fühle hier der Geist mit Unwillen und Betrübniss die Wahrheit dieser vernünftigen Vorstellungen, und wirke auf den Körper, gleich als wolle er die verlorne Harmonie wieder herstellen, aber die ser wirke mittels seiner Krankheit zurück auf die Geistes- und Gemüths-Organe, und setze sie in desto grössern Aufruhr durch erneuertes Uebertragen seiner Leiden auf sie.


121 Man muss über die Hartherzigkeit und Unbesonnenheit der Aerzte in mehren Krankenanstalten dieser Art, nicht bloss in England, sondern auch in Deutschland, erstaunen, welche, ohne die wahre Heilart solcher Krankheiten auf dem einzig hülfreichen, homöopathisch arzneilichen (antipsorischen) Wege zu suchen, sich begnügen, diese bedauernswürdigsten aller Menschen durch die heftigsten Schläge und andre qualvolle Martern zu peinigen. Sie erniedrigen sich durch diess gewissenlose und empörende Verfahren tief unter den Stand der Zuchtmeister in Strafanstalten, denn diese vollführen solche Züchtigungen nur nach Pflicht ihres Amtes und an Verbrechern, jene aber scheinen ihre Bosheit gegen die scheinbare Unheilbarkeit der Geistes- und Gemüths-Krankheiten, im demüthigenden Gefühle ihrer ärztlichen Nichtigkeit, durch Härte an den bedauernswürdigen, schuldlosen Leidenden selbst auszulassen, da sie zur Hülfe zu unwissend und zu träge zur Annahme eines zweckmässigen Heilverfahrens sind.


122 Es können zwei- und dreierlei Zustände mit einander abwechseln. Es können z.B. bei zwiefachen Wechselzuständen gewisse Schmerzen unabgesetzt in den Füssen u.s.w. erscheinen, sobald eine Art Augen-Entzündung sich legt, welche dann wieder empor kommt, sobald der Gliederschmerz vor der Hand vergangen ist – es können Zuckungen und Krämpfe mit irgend einem andern Leiden des Körpers oder eines seiner Theile unmittelbar abwechseln – es können aber auch bei dreifachen Wechsel-Zuständen in einer alltägigen Kränklichkeit schnell Perioden von scheinbar erhöheter Gesundheit und einer gespannten Erhöhung der Geistes- und Körperkräfte (eine übertriebne Lustigkeit, eine allzu regsame Lebhaftigkeit des Körpers, Ueberfülle von Wohlbehagen, übermässiger Appetit u.s.w.) eintreten, worauf dann, eben so unerwartet, düstre, melancholische Laune, unerträgliche, hypochondrische Gemüths-Verstimmung mit Störung mehrer Lebens-Verrichtungen in Verdauung, Schlaf u.s.w. erscheint, die dann wiederum, eben so plötzlich, dem gemässigten Uebelbefinden der gewöhnlichen Zeiten Platz macht und so mehre und mannigfache Wechselzustände. Oft ist keine Spur des vorigen Zustandes mehr zu merken, wann der neue eintritt. In andern Fällen sind nur wenige Spuren des vorhergegangenen Wechsel-Zustandes mehr da, wann der neue eintritt; es bleibt wenig von den Symptomen des ersten Zustandes bei der Entstehung und Fortdauer des zweiten übrig. Zuweilen sind die krankhaften Wech sel-Zustände ihrer Natur nach einander völlig entgegengesetzt, wie z.B. Melancholie mit lustigem Wahnsinn oder Raserei in Perioden abwechselnd.


123 Die bisherige, noch in der unverständigen Kindheit liegende Pathologie weiss nur von einem einzigen Wechselfieber, was sie auch das kalte Fieber nennt, und nimmt keine andere Verschiedenheit an, als nach der Zeit, in welcher die Unfälle wiederkehren, das tägliche, dreitägige, viertägige u.s.w. Es giebt aber ausser den Rückkehr-Zeiten der Wechselfieber, noch weit bedeutendere Verschiedenheiten derselben; es giebt dieser Fieber unzählige, deren viele nicht einmal kalte Fieber genannt werden können, da ihre Anfälle in blosser Hitze bestehen; wieder andre, welche bloss Kälte haben, mit oder ohne drauf folgenden Schweiss; wieder andre, welche Kälte über und über, zugleich mit Hitzempfindung, haben, oder bei äusserlich fühlbarer Hitze, Frost; wieder andre, wo der eine Paroxysm aus blossem Schüttelfroste oder blosser Kälte, mit drauf folgendem Wohlbefinden, der andre aber aus blosser Hitze besteht, mit oder ohne drauf folgenden Schweiss; wieder andre, wo die Hitze zuerst kommt, und Frost erst dann drauf folgt; wieder andre, wo nach Frost und Hitze Apyrexie eintritt, und dann als zweiter Anfall, oft viele Stunden hernach, bloss Schweiss erfolgt; wieder andre, wo gar kein Schweiss erfolgt, und wieder andre, wo der ganze Anfall, ohne Frost oder Hitze, bloss aus Schweiss besteht, oder wo der Schweiss bloss während der Hitze zugegen ist; und so noch unglaubliche andre Verschiedenheiten, vorzüglich in Rücksicht der Neben-Symptome, des besondern Kopfwehs, des bösen Geschmacks, der Uebelkeit, des Erbrechens, des Durchlaufs, des fehlenden oder heftigen Durstes, der Leib- oder der Gliederschmerzen besondrer Art, des Schlafs, der Delirien, der Gemüths-Verstimmungen, der Krämpfe u.s.w., vor, bei oder nach dem Froste, vor, bei oder nach der Hitze, vor, bei oder nach dem Schweisse, und so noch andre zahllose Abweichungen. Alle diese sind offenbar sehr verschieden geartete Wechselfieber, deren jedes, ganz natürlich, seine eigne (homöopathische) Behandlung verlangt. Unterdrückt, das muss man gestehen, können sie zwar fast alle werden (wie so oft geschieht) durch grosse, ungeheure Gaben Rinde und ihres pharmaceutischen, schwefelsauern Auszugs, Chinin, das ist, ihr periodisches Wiederkehren (ihr Typus) wird von ihr, obgleich oft erst nach gesteigerten und oft wiederholten Gaben, ausgelöscht, aber die Kranken, welche an solchen, nicht für Chinarinde geeigneten Wechselfiebern gelitten hatten, wie alle die, ganze Länder und selbst Gebirge überziehenden, epidemischen Wechselfieber sind, werden durch den so ausgelöschten Typus nicht gesund, nein! sie bleiben nun andersartig krank und kränker, oft weit kränker, als vorher, an eigenartigen, chronischen China-Siechthumen, die selbst durch ächte Heilkunst oft kaum in langer Zeit wieder zur Gesundheit herzustellen sind – und das sollte man Heilen nennen wollen?


124 Zuerst hat der um unsre wohlthätige Heilkunst mehr als jeder andre meiner Schüler sich verdient gemachte Hr. Regierungsrath, Freiherr, Dokt. von Bönninghausen diesen so viele Umsicht erfordernden Gegenstand am besten erläutert und die Wahl des für die verschiednen Fieber-Epidemieen hülfreichen Heilmittels erleichtert durch seine Schrift: Versuch einer homöopathischen Therapie der Wechselfieber, 1833. Münster bei Regensberg.


125 Diess sieht man an den nicht ganz seltnen Todesfällen, wo eine mässige Gabe Mohnsaft, im Fieber-Froste eingegeben, schnell das Leben raubte.


126 Grössere, oft wiederholte Gaben Chinarinde, auch wohl concentrirte China-Mittel, wie das Chininum sulphuricum, können solche Kranken allerdings von dem typischen Anfällen des Sumpf-Wechselfiebers befreien; die so Getäuschten bleiben aber andersartig siech, ohne antipsorische Hülfe.


127 Ich habe in den vorigen Ausgaben des Organons das völlige Auswirken-Lassen nur immer einer einzigen Gabe wohlgewählter homöopathischer Arznei auf einmal, ehe eine neue, oder die vorige wieder gegeben würde, anempfohlen – eine Lehre, die aus der gewissen Erfahrung entstand, dass theils durch eine grössere Gabe der obschon wohl gewählten Arznei (wie man neuerlich, wie durch einen Rückschritt, wieder in Vorschlag brachte), theils, was dasselbe ist, durch mehre kleine, dicht hinter einander gereichte Gaben derselben fast nie das möglichst Gute in Heilung der Krankheit, vorzüglich der chronischen auszurichten ist, und zwar, weil durch ein solches Verfahren die Lebenskraft sich nicht ruhig von ihrer Verstimmtheit durch natürliche Krankheit zur Umstimmung in ähnliche Arznei-Krankheit bequemt, sondern gewöhnlich so stürmisch von einer grössern Gabe oder auch dicht hintereinander wiederholten, kleinern Gaben selbst homöopathisch gewählter Arznei aufgeregt und empört zu werden pflegt, dass ihre Reaction in den meisten Fällen nichts weniger als heilbringend sich äussern kann, sondern mehr schadet als nützt. So lange nun kein hülfreicheres, als dieses damals von mir gelehrte Verfahren auszumitteln war, befahl die menschenfreundliche Sicherheitsregel: Si non juvat modo ne noceat, dem, Menschenwohl für seinen höchsten Zweck achtenden, homöopathischen Heilkünstler, im Allgemeinen gegen Krankheit des sorgfältig gewählten Arzneimittels nur eine einzige Gabe auf einmal und zwar die kleinste auf den Kranken wirken und so auch dieselbe auswirken zu lassen. Kleinste, sage ich, indem es für eine, durch keine Erfahrung in der Welt widerlegbare, homöopathische Heilregel gilt und gelten wird, dass des richtig gewählten Arzneimittels beste Gabe stets nur die kleinste sey in einer der hohen Potenzirungen ( M), sowohl für chronische, als für acute Krankheiten – eine Wahrheit, die das unschätzbare Eigenthum der reinen Homöopathik ist, und auch, so lange die Allöopathik (und nicht viel weniger die neuere Mischlingssecte, aus allöopathischem und homöopathischem Verfahren zusammengesetzt) noch am Leben der kranken Menschen wie ein Krebs zu nagen, und sie mit grössern und grossen Gaben Arznei zu verderben fortfährt, diese Afterkünste durch eine unübersehbare Kluft von der reinen Homöopathik entfernt halten wird.

Auf der andern Seite zeigt uns jedoch die Praxis, dass eine einzige dieser kleinen Gaben wohl in einigen, vorzüglich leichten Fällen von Krankheit zureiche, um fast Alles auszurichten, was durch diese Arznei vor der Hand möglich war, besonders bei kleinen Kindern und sehr zärtlichen und erregbaren Erwachsenen, dass aber in mehren, ja in den meisten Fällen von sowohl sehr langwierigen, schon weit gediehenen, oft durch vorgängige, unpassende Mittel verdorbenen, als auch in wichtigen acuten Krankheiten offenbar eine solche kleinste Gabe Arznei selbst in unserer hoch potenzirten Kraftentwicklung nicht zureichen könne, um durch sie alle von derselben Arznei überhaupt zu erwartende Heilwirkung ausgerichtet zu sehen, indem hierzu unstreitig mehre derselben einzugeben nöthig seyn möchte, damit die Lebenskraft von ihnen zu dem Grade pathogenetisch umgestimmt und ihre heilkräftige Reaction so hoch gespannt werde, dass sie den ganzen Theil der ursprünglichen Krankheit, den zu tilgen überhaupt im Vermögen des wohlgewählten homöopathischen Mittels lag, vollständig durch ihre Gegenwirkung auslöschen könne; die best gewählte Arznei in dieser kleinen Gabe, einmal gegeben, brachte da wohl etwas Hülfe, aber lange nicht genug.

Dieselbe Gabe des gleichen Mittels aber sehr bald wieder und wieder zu geben, getraute sich der sorgfältige, homöopathische Arzt nicht, da er keinen Vortheil, wohl aber, am öftersten, während genauer Beobachtung, gewissen Nachtheil davon mehrmals erfahren hatte. Er sah gewöhnlich Verschlimmerung, wo er selbst die kleinste Gabe des geeignetsten Mittels, wenn er sie heute gereicht, morgen und übermorgen wiederholt hatte.

Um nun, wo er von der genauesten Wahl seiner homöopathischen Arznei überzeugt war, mehr Hülfe für den Kranken zu schaffen, als ihm bisher durch Verordnung einer einzigen kleinen Gabe gelang, kam er natürlich oft auf den Einfall, die Gabe, weil es aus obigen Gründen nur eine einzige seyn sollte, um so mehr zu verstärken, und z.B. statt eines einzigen feinsten Streukügelchens mit Arznei in höchster Potenzirung befeuchtet, wohl ihrer 6–7–8 auf einmal, auch wohl halbe und ganze Tropfen davon zu reichen. Aber, fast ohne Ausnahme, war der Erfolg weniger günstig, als er hätte seyn sollen, oft wirklich ungünstig, oft auch sehr übel, – ein Schaden, der bei einem so behandelten Kranken schwerlich wieder gut zu machen ist.

Auch niedrigere Potenzirungen des Mittels in grosser Gabe dafür zu nehmen, gibt hier kein wahres Auskunft-Mittel.

Eine Verstärkung der einzelnen Gaben homöopathischer Arznei bis zur Bewirkung des gedachten erforderlichen Grades pathogenetischer Anregung der Lebenskraft zur heilkräftigen, hinreichenden Reaction erfüllt daher, wie auch die Erfahrung lehrt, die gewünschte Absicht keinesweges. Die Lebenskraft wird dadurch allzu heftig und allzu plötzlich angegriffen und empört, als dass sie zu einer allmähligen, gleichmässigen, heilsamen Gegenwirkung Zeit hätte, sich zu ihrer Umstimmung einzurichten, daher sie sich bestrebt, das in Uebermass sie anfallende Arzneiliche, wie einen Feind, von sich zu stossen durch Erbrechen, Durchfall, Fieber, Schweiss u.s.w., und so das Ziel des unbedachtsamen Arztes zum grössten Theile oder gänzlich zu verrücken und zu vereiteln; – es wird sehr wenig oder nichts Gutes zur Heilung der Krankheit damit ausgerichtet, vielmehr wird der Kranke dadurch sichtbar geschwächt, und man darf nun in langer Zeit nicht daran denken, auch nur die kleinste Gabe desselben Mittels dem Kranken wieder zu reichen, wenn sie nicht nachtheilig auf ihn wirken soll.

Doch auch eine Menge dicht nach einander wiederholter kleinster Gaben zu derselben Absicht häufen sich im Organismus zu einer Art übergrossen Gabe an, mit (wenige seltne Fälle ausgenommen) ähnlich üblem Erfolge; die Lebenskraft wird da, ohne sich zwischen jeder, obschon kleinen Gabe wieder erholen zu können, gedränget und übermannet, und so, unvermögend, heilkräftig zu reagiren, nur passiv zur unwillkürlichen Fortsetzung der ihr so aufgezwungenen, überstarken Arzneikrankheit genöthigt, wie, auf ähnliche Weise, beim allöopathischen Missbrauche grosser, gehäufter Gaben einer und derselben Arznei zum langdauernden Schaden des Kranken tagtäglich von uns wahrgenommen wird.

Um daher nun, unter Vermeidung der hier von mir angedeuteten Fehlwege, gewisser als bisher zum Ziele zu gelangen und die gewählte Arznei so zu reichen, dass sie ohne Nachtheil für den Kranken zu ihrer grössten Wirksamkeit gelangen müsse, damit sie im gegebenen Krankheits-Falle alles mögliche Gute ausrichte, was nur in ihrem Vermögen überhaupt liegt, befolgte ich in neueren Zeiten einen eigenen Weg.

Ich erkannte, dass man, um diese rechte Mittelstrasse zu finden, sich nach der Natur der verschiedenen Arzneimittel sowohl, als auch nach der Körper-Beschaffenheit des Kranken und der Grösse seiner Krankheit richten müsse, so dass, – um ein Beispiel am Gebrauche des Schwefels in chronischen (psorischen) Krankheiten zu geben, – die feinste Gabe desselben (Tinct. sulph. X°) selbst bei robusten Personen und bei entwickelter Psora nur selten öfter, als alle 7 Tage, mit Vortheil zu wiederholen sey, ein Zeitraum, den man um so mehr noch zu verlängern hat, wenn schwächlichere und erregbarere Kranke dieser Art zu behandeln sind, da man dann wohl thut, nur alle 9, 12, 14 Tage eine solche Gabe zu reichen, was man nun so lange wiederholt, bis die Arznei aufhört, dienlich zu seyn. Da findet man dann (um den Schwefel als Beispiel beizubehalten), dass in psorischen Krankheiten selten weniger als 4, oft aber 6, 8, auch wohl 10 solcher Gaben (Tinct. sulph. X°) zur vollständigen Vernichtung des ganzen von Schwefel überhaupt tilgbaren Theils der chronischen Krankheit erfordert werden, in solchen Zeiträumen nach einander zu reichen, – vorausgesetzt, dass noch kein allöopathischer Missbrauch des Schwefels vorausgegangen war. So lässt sich selbst ein frisch entstandener (primärer) Krätz-Ausschlag bei nicht allzu schwächlichen Personen, auch wenn er den ganzen Körper überzogen hätte, durch eine alle 7 Tage gereichte Gabe Tinct. sulph. X° binnen 10, 12 Wochen (also mit 10, 12 solcher Streukügelchen) rein heilen, so dass man nicht oft noch ein paar Gaben Carb. veg. X° (ebenfalls jede Woche Eine gegeben) zu Hülfe zu nehmen nöthig hat, ohne die mindeste äussere Behandlung, als öftere reine Wäsche und gute Lebensordnung.

Wenn auch für andre grosse chronische Krankheiten, allem Ermessen nach, 8, 9, 10 Gaben Tinct. sulph. (zu ) erforderlich geachtet würden, so ist's in solchem Falle doch vorzüglicher, statt sie in einer unmittelbaren Aufeinander-Folge zu reichen, nach jeder, oder jeden zwei, drei Gaben eine Gabe anderer, nächst dem Schwefel hier vorzüglich homöopathisch dienlicher Arznei (meist hep. sulph.) einzuschieben, und diese ebenfalls nur 8, 9, 12, 14 Tage wirken zu lassen, ehe man wieder eine Reihe von drei Gaben Schwefel anfängt. Nicht selten sträubet sich jedoch die Lebenskraft, mehre Gaben Schwefel, so erforderlich sie auch für das chronische Uebel wären, selbst in den angegebenen Zwischenräumen, ruhig auf sich wirken zu lassen, und deutet dies Widerstreben durch einige, obschon mässige Schwefel-Symptome an, die sie in der Cur am Kranken laut werden lässt. Da ist es zuweilen rathsam, eine kleine Gabe Nux vom. X°, auf 8 bis 10 Tage Wirkung, zu reichen, um die Natur geneigt zu machen, den Schwefel in fortgesetzten Gaben wieder auf sich ruhig und mit gutem Erfolge wirken zu lassen. In geeigneten Fällen ist Puls. X° vorzuziehen.

Am widerspenstigsten zeigt sich aber die Lebenskraft, den, obschon höchst indizirten Schwefel heilsam auf sich wirken zu lassen, zeigt sogar sichtbare Verschlimmerung des chronischen Uebels, selbst auf die kleinste Schwefelgabe, ja sogar auf das Riechen an ein Senfsamen grosses, mit Tinct. sulph. X befeuchtetes Streukügelchen, wenn der Schwefel schon vorher (sogar Jahrelang vorher) in grossen Gaben allöopathisch gemissbraucht worden war. Dies ist ein, die beste ärztliche Behandlung der chronischen Krankheiten fast unmöglich machender, beklagenswerther Umstand unter den Vielen, die uns die allgewöhnliche Verpfuschung der chronischen Krankheiten durch die alte Schule betrauern lassen würde, wenn es hier nicht einige Abhülfe gäbe.

Man darf in solchen Fällen den Kranken nur an ein Senfsamen grosses Streukügelchen, mit Mercur. metall. X befeuchtet, ein einziges Mal stark riechen, und dies Riechen etwa 9 Tage wirken lassen, um die Lebenskraft wieder geneigt zu machen, dem Schwefel (wenigstens durch Riechen an Tinct. sulph. X°) wohlthätigen Einfluss auf sich zu verstatten, – eine Entdeckung, die wir dem Herrn Doctor Griesselich in Carlsruhe zu verdanken haben. –

Von den andern antipsorischen Mitteln (ausser etwa Phosph. X) hat man weniger Gaben in ähnlichen Zwischenräumen zu reichen nöthig (von Sepia und Sil. in längern, ohne Zwischenmittel, wo sie homöopathisch angezeigt sind), um die Absicht zu erreichen, alles von der angezeigten Arznei überhaupt im gegebenen Falle Heilbare zu tilgen. Heb. sulph. cali X kann selten in kürzern Zwischenräumen als alle 14, 15 Tage eingegeben oder gerochen werden.

Es versteht sich, dass, um solche Gaben-Wiederholung zu unternehmen, der Arzt von der ganz richtig getroffenen homöopathischen Wahl seiner Arznei vorher überzeugt seyn müsse.

In acuten Krankheiten richtet sich die Wiederholungs-Zeit der passend gewählten Arznei nach dem mehr oder weniger schnellen Verlaufe der zu bekämpfenden Krankheit, so dass sie, wo nöthig, nach 24, 16, 12, 8, 4, auch wohl in weniger Stunden zu wiederholen ist, wenn die Arznei zwar ohne Anstoss – ohne neue Beschwerden zu erzeugen, – bessert, aber für den reissend schnellen und gefährlichen Fortgang des acuten Uebels nicht hinlänglich schnell, so dass in der schnellst tödtlichen Krankheit, die wir kennen, in der Cholera, beim Anfange der Erkrankung, alle 5 Minuten ein (bis zwei) Tropfen dünner Kampher-Auflösung eingegeben werden muss, um schnelle und gewisse Hülfe zu verschaffen, bei der mehr entwickelten Cholera aber ebenfalls Gaben von Cuprum, Veratrum, Phosphor u.s.w. (X°) oft alle 2, 3 Stunden, auch wohl Arsenik, Holzkohle u.s.w. in ähnlich kurzen Zeiträumen.

Bei Behandlung der sogenannten Nervenfieber und anderer anhaltender Fieber richtet man sich ebenfalls mit der Wiederholung der sich hülfreich erweisenden Arznei in den kleinsten Gaben nach obiger Cautel.

In syphilitischen Krankheiten reiner Art fand ich gewöhnlich eine einzige Gabe Quecksilber-Metall (X°) zulänglich; doch waren auch nicht selten zwei oder drei solcher Gaben nöthig, wo nur die mindeste Complication mit Psora ersichtlich war, in Zeiträumen von 6, 8 Tagen gereicht.

In den Fällen, wo diese oder jene Arznei zwar dringend angezeigt, der Kranke aber sehr aufregbar und schwach ist, dient mehr und sichrer, als das Eingeben substanzieller, obgleich feinster Gaben der hochpotenzirten Arznei, das einmalige Riechen an ein, mit derselben befeuchtetes trocknes Streukügelchen etwa von Senfsamen-Gröse, indem die Mündung des dasselbe enthaltenden Gläschens erst in das eine, dann auch wohl (wenn die Gabe stärker seyn soll) in das andre Nasenloch gehalten und ein augenblicklicher Odemzug gethan wird, wovon die Wirkung eben so lange vorhält, als die von den substanziellen Einnehme-Gaben, daher auch dieses Riechen in nicht geringern Zeiträumen wiederholt werden darf.


128 Da nach allen Erfahrungen fast keine Gabe einer specifisch passenden, homöopathischen Arznei bereitet werden kann, welche zur Hervorbringung einer deutlichen Besserung in der angemessenen Krankheit zu klein wäre (§. 161. 279.), so würde man zweckwidrig und schädlich handeln, wenn man, wie von der bisherigen Arzneikunst geschieht, bei Nicht-Besserung oder einiger, obschon nur kleiner Verschlimmerung, dieselbe Arznei, in dem Wahne, dass sie ihrer geringen Menge (ihrer allzu kleinen Gabe) wegen nicht habe dienlich seyn können, dieselbe Arznei wiederholen, oder sie wohl gar an Gabe noch verstärken wollte. Jede Verschlimmerung durch neue Symptome – wenn in der Geistes- und Körper-Diät nichts Böses vorgefallen ist – beweiset stets nur Unangemessenheit der vorigen Arznei in diesem Krankheitsfalle, deutet aber nie auf Schwäche der Gabe.


129 Wie ich im Vorworte zum Ignazsamen (im zweiten Theile d. reinen Arzneimittellehre) umständlicher angegeben habe.


130 Die Besserungszeichen am Gemüthe und Geiste lassen sich aber nur dann bald nach dem Einnehmen der Arznei erwarten, wenn die Gabe gehörig (d.i. möglichst) klein war; eine unnöthig grössere, selbst der homöopathisch passendsten Arznei, wirkt zu heftig und stört Geist und Gemüth anfänglich allzu sehr und allzu anhaltend, als dass man die Besserung an ihnen bald gewahr werden könnte. Hier bemerke ich, dass gegen diese so nöthige Regel am meisten von dünkelhaften Anfängern in der Homöopathik und von den aus der alten Schule zur homöopathischen Heilkunst übergehenden Aerzten gesündigt wird. Diese scheuen aus alten Vorurtheilen die kleinsten Gaben der tiefsten Verdünnungen der Arzneien in solchen Fällen und müssen so die grossen Vorzüge und Segnungen jenes in tausend Erfahrungen heilsamst befundenen Verfahrens entbehren, können nicht leisten, was die ächte Homöopathik vermag, und geben sich daher mit Unrecht für ihre Schüler aus.


131 Die sanftesten Flötentöne, die aus der Ferne in stiller Mitternacht ein weiches Herz zu überirdischen Gefühlen erheben und in religiöse Begeisterung verschmelzen würden, werden unhörbar und vergeblich unter fremdartigem Geschrei und Tags-Getöse.


132 Kaffee; feiner chinesischer und andrer Kräuterthee; Biere mit arzneilichen, für den Zustand des Kranken unangemessenen Gewächssubstanzen angemacht; sogenannte feine, mit arzneilichen Gewürzen bereitete Liqueure; alle Arten Punsch; gewürzte Schokolade; Riechwasser und Parfümerieen mancher Art; stark duftende Blumen im Zimmer; aus Arzneien zusammengesetzte Zahnpulver und Zahnspiritus, Ruchkisschen; hochgewürzte Speisen und Saucen; gewürztes Backwerk und Gefrornes; rohe, arzneiliche Kräuter auf Suppen; Gemüsse aus Kräutern, Wurzeln und Keim-Stengeln, welche Arzneikraft besitzen; alter Käse und Thierspeisen, welche faulicht sind, oder (wie Fleisch und Fett von Schweinen, Enten und Gänsen, oder allzu junges Kalbfleisch und saure Speisen) arzneiliche Nebenwirkungen haben, sind eben so sehr von Kranken dieser Art zu entfernen, als jedes Uebermass der Genüsse, selbst des Zuckers und Kochsalzes, so wie geistige Getränke, Stubenhitze, schafwollene Haut-Bekleidung (die bei warmer Luft erst mit baumwollener, dann mit leinener zu vertauschen ist), sitzende Lebensart in eingesperrter Stuben-Luft, oder öftere, bloss negative Bewegung (durch Reiten, Fahren, Schaukeln), übermässiges Kind-Säugen, langer Mittagsschlaf im Liegen (in Betten), Nachtleben, Unreinlichkeit, unnatürliche Wohllust, Entnervung durch Lesen schlüpfriger Schriften, Gegenstände des Zornes, des Grames, des Aergernisses, leidenschaftliches Spiel, übertriebne Anstrengung des Geistes und Körpers, sumpfige Wohngegend, dumpfige Zimmer, karges Darben u.s.w. Alle diese Dinge müssen möglichst vermieden oder entfernt werden, wenn die Heilung nicht gehindert oder unmöglich gemacht werden soll. Einige meiner Schüler scheinen durch Verbieten noch weit mehrer, ziemlich gleichgültiger Dinge die Diät des Kranken unnöthig zu erschweren, was nicht zu billigen ist.


133 Diess ist jedoch selten. So hat z.B. in reinen Entzündungskrankheiten, wo Akonit so unentbehrlich ist, was durch Gewächssäure-Genuss im Organism aufgehoben werden würde, der Kranke fast stets nur auf reines kaltes Wasser Verlangen.


134 Alle rohe Thier- und Pflanzensubstanzen haben mehr oder weniger Arzneikräfte und können das Befinden der Menschen ändern, jedes auf seine eigne Art. Diejenigen Pflanzen und Thiere, deren die aufgeklärtesten Völker sich zur Speise bedienen, haben vor den übrigen den Vorzug eines grössern Gehaltes an Nahrungstheilen, und weichen auch darin von den übrigen ab, dass die Arzneikräfte ihres rohen Zustandes theils an sich nicht sehr heftig sind, theils vermindert werden durch die Zubereitung in der Küche und Haushaltung, durch Auspressen des schädlichen Saftes (wie die Cassave-Wurzel in Süd-Amerika), durch Gähren (des Rocken-Mehls im Teige zur Brodbereitung – ohne Essig bereitetes Sauerkraut und saure Gurken), durch Räuchern und durch die Gewalt der Hitze (beim Kochen, Schmoren, Rösten, Braten, Backen), wodurch die Arzneitheile mancher solcher Substanzen zum Theil zerstört und verflüchtigt werden. Durch Zusatz des Kochsalzes (Einpökeln) und Essigs (Saucen, Salate) verlieren wohl die Thier- und Gewächs-Substanzen viel von ihrer arzneilichen Schädlichkeit, erhalten aber wieder andre Nachtheile von diesen Zusätzen.

Doch auch die arzneikräftigsten Pflanzen verlieren ihre Arzneikraft zum Theil oder auch gänzlich durch solche Behandlungen. Durch völliges Trocknen verlieren alle Wurzeln der Iris-Arten, des Märrettigs, der Aron-Arten und der Päonien fast alle ihre Arzneikraft. Der Saft der heftigsten Pflanzen wird durch die Hitze der gewöhnlichen Extract-Bereitung oft zur ganz unkräftigen, pechartigen Masse. Schon durch langes Stehen wird der ausgepresste Saft der an sich tödtlichsten Pflanzen ganz kraftlos; er geht von selbst bei milder Luftwärme schnell in Weingährung (und hat schon dann viel Arzneikraft verloren) und unmittelbar darauf in Essig- und Faul-Gährung über, und wird so aller eigenthümlichen Arzneikräfte beraubt; das sich zu Boden gesetzte und ausgewaschene Satzmehl ist dann völlig unschädlich, wie anderes Stärkemehl. Selbst beim Schwitzen einer Menge über einander liegender, grüner Kräuter geht der grösste Theil ihrer Arzneikräfte verloren.


135 Buchholz (Taschenb. f. Scheidek. u. Apoth. a.d.J. 1815. Weimar, Abth. I. VI.) versichert seine Leser (und sein Recensent in der Leipziger Literaturzeitung 1816. N. 82. widerspricht nicht): diese vorzügliche Arzneibereitung habe man dem Feldzuge in Russland zu danken, von woher sie (1812) nach Deutschland gekommen sey. Dass diese Entdeckung und diese Vorschrift, die er mit meinen eignen Worten aus der ersten Ausgabe des Organon's der rat. Heilkunde §. 230. und Anmerk. anführt, von mir herrühre, und dass ich sie in diesem Buche schon zwei Jahre vor dem russischen Feldzuge (1810 erschien das Organon) zuerst der Welt mittheilte, das verschweigt er, nach der edeln Sitte vieler Deutschen, gegen das Verdienst ihrer Landsleute ungerecht zu seyn. Aus Asiens Wildnissen her erdichtet man lieber den Ursprung einer Erfindung, deren Ehre einem Deutschen gebührt. Welche Zeiten! Welche Sitten!

Man hat wohl ehedem auch zuweilen Weingeist zu Pflanzensäften gemischt, z.B. um sie zur Extractbereitung einige Zeit aufheben zu können, aber nie zur Absicht, sie in dieser Gestalt einzugeben.


136 Obwohl gleiche Theile Weingeist und frisch ausgepresster Saft, gewöhnlich das angemessenste Verhältniss ist, um die Absetzung des Faser- und Eiweiss-Stoffes zu bewirken, so hat man doch für Pflanzen, welche viel zähen Schleim (z.B. Beinwellwurzel, Freisam-Veilchen u.s.w.) oder ein Uebermass an Eiweissstoff enthalten (z.B. Hundsdill-Gleiss, Schwarz-Nachtschatten u.s.w.), gemeiniglich ein doppeltes Verhältniss an Weingeist zu dieser Absicht nöthig. Die sehr saftlosen, wie Oleander, Buchs- und Eibenbaum, Porst, Sadebaum u.s.w., müssen zuerst für sich zu einer feuchten, feinen Masse gestossen, dann aber mit einer doppelten Menge Weingeist zusammengerührt werden, damit sich mit ihm der Saft vereinige, und so, durch den Weingeist ausgezogen, durchgepresst werden könne; man kann letztere aber auch getrocknet zur millionfachen Pulver-Verreibung mit Milchzucker bringen, und dann nach Auflösung eines Grans davon ferner verdünnen mit Potenzirung.


137 Um sie als Pulver zu verwahren, bedarf man einer Vorsicht, die man gewöhnlich bisher in Apotheken nicht kannte und daher Pulver von selbst gut getrockneten Thier- und Gewächs-Substanzen in wohlverstopften Gläsern nicht unverdorben aufheben konnte. Die auch völlig trocknen, ganzen, rohen Gewächs-Substanzen enthalten doch noch immer als unentbehrliche Bedingung des Zusammenhanges ihres Gewebes einen gewissen Antheil Feuchtigkeit, welcher zwar die ganze, ungepülverte Drogue nicht hindert, in einem so trocknen Zustande zu verharren, als zu ihrer Unverderblichkeit gehört, für den Zustand des feinen Pulvers aber überflüssig zuviel wird. Die im ganzen Zustande völlig trockne Thier- und Gewächs-Substanz giebt daher, fein gepülvert, ein einigermaßen feuchtes Pulver, welches, ohne in baldige Verderbniss und Verschimmelung überzugehen, in verstopften Gläsern nicht aufgehoben werden kann, wenn es nicht vorher von dieser überflüssigen Feuchtigkeit befreiet worden war. Diess geschiehet am besten, wenn das Pulver auf einer flachen Blechschale mit hohem Rande, die in einem Kessel kochenden Wassers schwimmt (d.i. im Wasserbade), ausgebreitet und so weit mittels Umrührens getrocknet wird, dass alle kleinen Theile desselben (nicht mehr klümperig zusammenhängen, sondern) wie trockner, feiner Sand sich leicht von einander entfernen und leicht verstieben. In diesem trocknen Zustande lassen sich die feinen Pulver, auf immer unverderblich, in wohl verstopften und versiegelten Gläsern aufbewahren in ihrer ursprünglichen, vollständigen Arzneikraft, ohne je mietig oder schimmlicht zu werden; am besten, wenn die Gläser vor dem Tageslichte (in verdeckten Büchsen, Kasten, Schachteln) verwahrt werden. In nicht luftdicht verschlossenen Gefässen und nicht vom Zugange des Sonnen- und Tageslichtes entfernt, verlieren alle Thier- und Gewächs-Substanzen mit der Zeit immer mehr und mehr an ihrer Arzneikraft selbst im ganzen Zustande, weit mehr aber im Pulverzustande.


138 Ich zog, um eine bestimmte und gemässigte Norm zur Kraft-Entwickelung der flüssigen Arzneien zu halten, zwei Schüttel-Schläge für jedes Glas den ehedem öfteren vor (bei denen sie allzu hoch potenzirt wurden) aus vielfacher Erfahrung und genauer Beobachtung. – Es giebt dagegen Homöopathiker, welche bei ihren Kranken-Besuchen die homöopathischen Arzneien in flüssiger Form mit sich herumtragen und dennoch behaupten, dass diese mit der Zeit nicht höher potenzirt sich fänden, dadurch aber keinen genauen Beobachtungs-Geist zeigen. Ich lösete einen Gran Natron in einem Lothe, mit etwas Weingeist vermischtem Wasser in einem zu 2/3 damit angefüllten Glase auf und schüttelte diese Auflösung eine halbe Stunde lang ununterbrochen und die Flüssigkeit war an Potenzirung und Kräftigkeit der 30sten Kraft-Entwickelung an die Seite zu setzen.


139 Wie umständlicher noch in den Vorworten zu den Arzneien in der dritten Auflage des zweiten Theils der reinen Arzneimittellehre angegeben ist.


140 Es haben zwar einige Homöopathiker versucht, in Fällen, wo sie für den einen Theil der Symptome eines Krankheits-Falles das eine, für den andern Theil derselben aber ein zweites Arzneimittel passend homöopathisch erachteten, beide Arzneimittel zugleich, oder fast zugleich einzugeben; aber ich warne ernstlich vor einem solchen Wagstück, was nie nöthig seyn wird, wenn's auch zuweilen dienlich schiene.


141 Bei der treffend homöopathisch für den wohl überdachten Krankheitsfall gewählten und innerlich gegebenen Arznei nun vollends noch einen aus andern Arzneistoffen gewählten Thee trinken, ein Kräutersäckchen oder eine Bähung aus mancherlei andern Kräutern auflegen, oder ein andersartiges Klystier einspritzen, und diese oder jene Salbe einreiben zu lassen, wird der vernünftige Arzt dem unvernünftigen allöopathischen Schlendriane überlassen.


142 Das in neuern Zeiten von einigen, wenigen Homöopathikern den grössern Gaben ertheilte Lob beruht darauf, dass sie theils niedrige Potenzirungen der zu reichenden Arznei wählten, wie etwa ich selbst vor 20 Jahren in Ermangelung bessern Wissens gab, theils dass die Arzneien nicht völlig homöopathisch gewählt waren.


143 M.s. Anm. zu §. 246.


144 Sie mögen sich von den Mathematikern erklären lassen, wie wahr es sey, dass eine in noch so viele Theile getheilte Substanz auch in ihren denkbar kleinsten Theilen immer noch Etwas von dieser Substanz enthalten müsse, und der denkbar kleinste Theil nicht aufhöre, etwas von dieser Substanz zu seyn, also unmöglich zu Nichts werden könne; – sie mögen sich, wenn sie zu belehren sind, von den Physikern sagen lassen, dass es ungeheure Kraftdinge (Potenzen) giebt, welche ganz ohne Gewicht sind, wie z.B. der Wärmestoff, der Lichtstoff u.s.w., also immer noch unendlich leichter, als der Arzneigehalt der kleinsten Gaben der Homöopathie; – sie mögen die Schwere von Gallenfieber erzeugenden Kränkungsworten oder das Gewicht der die Mutter tödtenden Trauernachricht von ihrem einzigen Sohne wägen, wenn sie können; – sie mögen einen hundert Pfund zu tragen fähigen Magnet nur eine Viertelstunde berühren, und durch die empfundnen Schmerzen sich belehren, dass auch gewichtlose Einflüsse die heftigsten Arzneiwirkungen im Menschen hervorbringen können; – und die Schwächlinge unter ihnen mögen ihre Herzgrube nur leise mit der Daumenspitze eines kräftig gewilleten Mesmerirers einige Minuten berühren lassen, und unter den widrigsten Gefühlen, die sie da erleiden, es bereuen, dass sie der unendlichen Natur die Gränzen ihrer Wirksamkeit abstecken wollten; die Geistes-Armen!

Wähnt der die homöopathische Heilart versuchende Allöopath, zu so kleinen und so tief verdünnten Gaben sich nicht entschliessen zu können, so frage er sich nur selbst, was er damit wage? Hätte der bloss das Wägbare für etwas Wirkliches, alles Unwägbare für Nichts schätzende Unglaube recht, so könnte ja doch auf eine ihm so nichtig deuchtende Gabe nichts Schlimmeres erfolgen, als dass gar keine Wirkung entstünde – doch immer also etwas weit Unschuldigeres, als was auf seine zu grossen Gaben allöopathischer Arznei erfolgen muss. Warum will er seine mit Vorurtheilen gepaarte Unerfahrenheit für competenter halten, als die durch That sich bewährende vieljährige Erfahrung? Und zudem wird ja die homöopathische Arznei bei jeder Theilung und Verkleinerung durch Reiben oder Schütteln potenzirt! – eine vor mir nicht geahnete, so mächtige Entwickelung der inwohnenden Kräfte der Arznei-Substanzen, dass ich in den letztern Jahren durch überzeugende Erfahrung genöthigt ward, die ehemals vorgeschriebenen zehn Schüttelschläge nach jeder Verdünnung bis auf zwei einzuschränken.


145 Gesetzt, 1 Tropfen einer Mischung, welche 1/10 Gran des Arzneistoffs enthält, thue eine Wirkung = a, so wird ein Tropfen einerverdünntern, welcher 1/100 Gran des Arzneistoffs enthält, nur etwa eine Wirkung thun = a/2; wenn er 1/10000 Gran des Arzneistoffs enthält, etwa = a/4; wenn er 1/100000000 Gran des Arzneistoffs enthält, eine Wirkung thun = a/8; und so wird, so fort, bei gleichem Volumen der Gaben, durch jede (vielleicht mehr als) quadratische Verkleinerung des Arzneigehalts die Wirkung auf den menschlichen Körper sich doch nur jedesmal etwa zur Hälfte mindern. Einen Tropfen einer Decillion-Verdünnung von Krähenaugen-Tinctur habe ich ziemlich genau halb so viel als einen Tropfen quintillionfacher Verdünnung, sehr oft, wirken sehen, unter denselben Umständen und bei denselben Personen.


146 Am zweckmässigsten bedient man sich hiezu feiner Zucker-Streukügelchen, von der Grösse des Mohnsamens; wo dann ein solches, mit der Arznei befeuchtet, in das Vehikel geschoben, eine Arzneigabe bewerkstelligt, die etwa den dreihundertsten Theil eines Tropfens enthält, indem dreihundert solcher kleinen Streukügelchen von einem Tropfen Weingeist hinreichend benetzt werden. Ein solches Streukügelchen allein auf die Zunge gelegt, ohne etwas nach zu trinken, vermindert die Gabe ungemein. Hat man aber Ursache, bei einem sehr feinfühligen Kranken die möglichst kleinste Gabe anzuwenden und den schnellsten Erfolg herbeizuführen; da dient das blosse einmalige Riechen (m.s. die Anm. zu §. 288.).


147 Bloss die einfachsten unter allen Reizmitteln, Wein und Weingeist, vermindern ihre erhitzende und berauschende Wirkung in der Verdünnung mit vielem Wasser.


148 Durch das Wort innig will ich hier so viel sagen: dass, wenn z.B. der Tropfen einer arzneilichen Flüssigkeit mit 100 Tropfen Weingeist einmal umgeschüttelt, d.i., das beides enthaltende Gläschen, in der Hand gehalten, mit einmaligem starkem Schlage des Arms von oben herab schnell bewegt worden ist, wohl schon eine genaue Mischung beider entstanden ist, mit zwei, drei, zehn und mehren solchen Schlägen aber diese Mischung noch weit inniger, d.i., die Arzneikraft noch weit mehr potenzirt und, so zu sagen, der Geist dieser Arznei immer mehr entfaltet, entwickelt und in seiner Wirkung auf die Nerven weit eindringlicher gemacht wird. Wenn man also mit den tiefen Verdünnungen den so nöthigen Zweck der Verkleinerung der Gaben in Hinsicht der Milderung ihrer Kräfte auf den Organism erreichen will, so thut man wohl, jedem der 20, 30 u.s.w. Verdünnungsgläser nicht mehr als zwei solche Schüttelungs-Schläge zu geben, und so die Arzneikraft nur mässig zu entwickeln. Auch wird man wohl thun, bei der Verdünnung der Arzneien in trockner Pulvergestalt mit dem Zusammenreiben in der porcellanenen Reibeschale Mass zu halten, und z.B. einen Gran der rohen, ganzen Arznei-Substanz, bei seiner Vermischung mit den ersten 100 Gran Milchzucker nur Eine Stunde mit Kraft zu reiben, ferner die Verdünnung eines Grans dieser Mischung mit andern 100 Gran Milchzucker (zu 1/10000 Verdünnung) auch nur Eine Stunde, und die dritte Verdünnung (zu 1/1000000) ebenfalls durch einstündiges, kräftiges Zusammenreiben eines Grans der vorigen Mischung mit 100 Gran Milchzucker zu einer solchen Verdünnung der Arznei zu bringen, dass die Kraftentwickelung derselben gemässigt bleibt. Die genauere Art, wie hiebei zu verfahren ist, findet man in den Vorworten der 3ten Ausgabe des zweiten Theils der reinen Arzneimittellehre, 1833.


149 Je höher man die, mit Potenzirung (durch zwei Schüttelschläge) verbundene Verdünnung treibt, desto schneller wirkend und eindringlicher scheint das Präparat die Lebenskraft arzneilich umzustimmen und das Befinden zu ändern, mit nur wenig verminderter Stärke, selbst wenn man diese Verrichtung sehr weit treibt, – statt, wie gewöhnlich (und meist hinreichend) ist, zu M, nun bis zu M M, g, K, und höher; bloss dass dann die Wirkung immer kürzer anzuhalten scheint.


150 Vorzüglich in Dunstgestalt durch Riechen und Einziehung des stets ausströmenden Arzneidunstes eines mit hoher Kraft-Entwickelung einer Arznei-Flüssigkeit benetzten Streukügelchens, welches trocken in einem kleinen Fläschchen liegt, wirken die homöopathischen Mittel am sichersten und kräftigsten. Die Mündung des geöffneten Fläschchens lässt der homöopathische Arzt den Kranken erst in das eine Nasenloch halten und im Einathmen die Luft daraus in sich ziehen und dann wohl auch so, wenn die Gabe stärker seyn soll, mit dem andern Nasenloche riechen, mehr oder weniger stark, je nachdem er die Gabe bestimmt und steckt es dann verstopft wieder in sein Taschen-Etuis, auf dass kein Missbrauch damit getrieben werden könne, und wenn er nicht will, bedarf er so keines Apothekers mehr zu seinen Heilungen. Ein Streukügelchen, wovon 10, 20 bis 100 einen Gran wiegen, mit der 30sten potenzirten Verdünnung befeuchtet und dann getrocknet, behält zu diesem Behufe seine volle Kraft wenigstens 18 bis 20 Jahre (so weit reichen meine Erfahrungen) unvermindert, gesetzt auch, dass das Fläschchen indess 1000 Mal geöffnet worden wäre, wenn es nur vor Hitze und Sonnenlicht verwahrt wird. Sollten die Nasenlöcher beide durch Stockschnupfen oder Polypen verstopft seyn, so athmet der Kranke durch den Mund, während er die Mündung des Gläschens zwischen den Lippen hält. Kleinen Kindern hält man im Schlafe dasselbe dicht an das eine und das andre Nasenloch und kann des Erfolgs gewiss seyn. Dieses Einathmen des Arzneidunstes berührt die Nerven in den Wänden der geräumigen Höhlen, die er durchgeht, ungehindert und stimmt so die Lebenskraft auf die mildeste und doch kräftigste Weise heilkräftig um, weit vorzüglicher, als jede andre Art des Eingebens in Substanz durch den Mund. Alles was nur durch Homöopathik geheilt werden kann (und was könnte sie nicht, ausser den nicht manuell-chirurgischen Uebeln, heilen?) an höchsten chronischen, nicht gänzlich allöopathisch verdorbnen, so wie an acuten Krankheiten, wird am sichersten und gewissesten durch dieses Riechen geheilt. Schon seit einem Jahre weiss ich unter den so vielen Kranken, die meine und meines Gehülfen Beistand suchten, kaum einen vom Hundert zu nennen, dessen chronisches oder acutes Leiden wir nicht mit dem erwünschtesten Erfolge bloss mittels dieses Riechens behandelt hätten; in der letzten Hälfte dieses Jahres bin ich aber zur Ueberzeugung gelangt (was ich vorher Niemand geglaubt haben würde), dass diess Riechen die Kraft der Arznei auf diese Weise, wenigstens in gleichem Grade von Stärke und zwar noch ruhiger und doch eben so lange auf den Kranken ausübt, als die durch den Mund genommene Gabe Arznei, und dass daher die Wiederholungs-Zeiten des Riechens nicht kürzer zu bestimmen seyen, als bei der Einnahme der materiellen Gabe durch den Mund.


151 Auch ein Kranker ohne Geruchssinn hat vom Riechen gleich vollkommene Arznei-Wirkung und Heilung zu erwarten.


152 Das Einreiben scheint die Wirkung der Arzneien nur dadurch zu befördern, in wiefern das Reiben an sich die Haut empfindlicher, und so die lebende Faser empfänglicher macht, die Arzneikraft gleichsam zu fühlen und diess Befinden umstimmende Gefühl dem ganzen Organism mitzutheilen. Das vorgängige Reiben der innern Seite des Oberschenkels macht die nachgängige blosse Auflegung der Quecksilbersalbe eben so arzneikräftig, als wenn die Salbe selbst auf diesem Theile zerrieben worden wäre, was man Einreiben nennt, indem es sehr zweifelhaft bleibt, ob das Metall selbst, in Substanz, mittels dieser Verrichtung des sogenannten Einreibens in das Innere des Körpers eindringen könne, oder von den Saugadern aufgenommen werden möchte, oder beides nicht. Die Homöopathik hat jedoch fast nie das Einreiben irgend einer Arznei und eben so wenig einer Quecksilbersalbe zu ihren Heilungen nöthig.


153 Die kleinste homöopathische Gabe, die aber oft Wunder thut am gehörigen Orte. Nicht selten überhäufen ihre Kranken in schwierigen Krankheiten die sich für überflüssig weise dünkenden unvollkommenen Homöopathiker mit schnell aufeinander folgenden Gaben verschiedner Arzneien, obschon homöopathisch gewählt und in hoher, potenzirter Verdünnung gereicht, und setzen sie so in einen dergestalt überreizten Zustand, dass Leben und Tod mit einander ringt und die mindeste fernere Arznei sie unausbleiblich tödten würde. Da bringt bloss ein sanfter mesmerischer Strich und die öftere, kurze Auflegung einer gutmüthigen Hand auf die vorzüglich leidende Stelle wieder harmonische Gleichvertheilung der Lebenskraft durch den Organism und so Ruhe, Schlaf und Genesung zuwege.


154 Obgleich durch diese, von Zeit zu Zeit zu wiederholende locale Ergänzung der Lebenskraft keine bleibende Heilung erreicht werden kann, wo, wie oben gelehrt, ein allgemeines inneres Siechthum, wie immer, dem alten Localübel zum Grunde liegt, so ist doch diese positive Kräftigung und unmittelbare Sättigung mit Lebenskraft (die so wenig, als Essen und Trinken bei Hunger und Durst, in die Kategorie der Palliative gehört) keine geringe Beihülfe bei der wirklichen Cur des ganzen Siechthums durch homöopathische Arzneien.


155 Vorzüglich eines solchen, deren es wenige unter den Menschen giebt, welcher bei grosser Gutmüthigkeit und vollständiger Körperkraft einen sehr geringen Begattungs-Trieb besitzt, den er mit leichter Mühe völlig unterdrücken kann, bei welchem also alle die sonst auf Bereitung des Samens zu verwendenden, feinen Lebens-Geister in Menge bereit sind, durch willenskräftige Berührung andern Menschen sich mitzutheilen. Einige dergleichen heilkräftige Mesmerirer, die ich kennen lernte, hatten alle diese besondre Eigenschaft.


156 Mit Fleiss gedenke ich hier, wo ich von der entschiedenen und sichern Heilkraft des positiven Mesmerisms zu sprechen hatte, nicht jener Uebertreibung desselben, wo durch oft halbe, ja ganze Stunden auf einmal wiederholte Striche dieser Art, selbst täglich fortgesetzt, bei nervenschwachen Kranken jene ungeheure Umstimmung des ganzen Menschenwesens herbeigeführt ward, die man Somnambulism nennt, worin der Mensch, der Sinnenwelt entrückt, mehr der Geisterwelt anzugehören scheint – ein höchst unnatürlicher und gefährlicher Zustand, wodurch man nicht selten chronische Krankheiten zu heilen gewagt hat.


157 Dass die entweder positiv oder negativ zu mesmerirende Person an keinem Theile mit Seide bekleidet seyn dürfe, ist eine schon bekannte Regel.


158 Einer chronisch schwächlichen, lebensarmen Person ist daher ein, vorzüglich sehr schneller, Negativstrich äusserst schädlich.


159 Ein zehnjähriger, kräftiger Knabe auf dem Lande ward, wegen einer kleinen Unpässlichkeit, früh von einer sogenannten Streicherin mit beiden Daumenspitzen von der Herzgrube aus, unter den Ribben hin, sehr kräftig, mehrmal gestrichen, und er verfiel so gleich mit Todtenblässe in eine solche Unbesinnlichkeit und Bewegungslosigkeit, dass man ihn mit aller Mühe nicht erwecken konnte und ihn fast für todt hielt. Da liess ich ihm von seinem ältesten Bruder einen möglichst schnellen, negativen Strich vom Scheitel bis über die Füsse hin geben, und augenblicklich war er wieder bei Besinnung, munter und gesund.


A1 »Der nach den verborgnen Verhältnissen im Innern des Organisms forschende Arzt kann täglich irren; der Homöopathiker aber, wenn er mit gehöriger Sorgfalt die gesammte Symptomen-Gruppe auffasst, hat einen sichern Wegweiser und ist es ihm gelungen, die ganze Symptomen-Gruppe zu Krankheits-Ursache gehoben.« Rau, a.a.O. S. 103.


A2 Und dennoch (aber vergeblich) beruft sich die neue Mischlings-Sekte auf diese Anmerkung, um überall in Krankheiten solche Ausnahmen von der Regel anzutreffen und recht bequem ihre allöopathischen Palliative anzubringen, sowie zur Gesellschaft auch andern verderblichen, allöopathischen Unrath, einzig um sich die Mühe zu ersparen, das treffende homöopathische Heilmittel für jeden Krankheitsfall aufzusuchen – man möchte sagen, – sich die Mühe zu ersparen, homöopathische Aerzte zu seyn und gleichwohl dergleichen scheinen zu wollen; ihre Thaten sind aber auch darnach; sie sind gering.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Dresden, Leipzig 51833, S. 302-304.
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