X. Die letzten drei Monate des Jahres 1802 in Konstantinopel.

[132] Ich bedurfte einiger Wochen, bis ich von den beständigen Aufregungen dreijährigen Reisens zur Ruhe und in ein ordentliches Geleise studiosen Geschäftslebens kam, bis ich mich von der großen Freiheit, in der ich unter Engländern auf der Flotte, im Heere und in London gelebt, nach und nach in das zeremoniöse Formenwesen kleinstädtischer Diplomatie in Pera und den jesuitischen Pedantismus meines Vorgesetzten eingewöhnt, bis ich in Bücher und Schriften Ordnung und für die fünf bis sechs freien Morgenstunden eine ordentliche Einteilung zustande gebracht hatte.

Der russische Gesandte Herr von Italinski hatte in den ersten Monaten meiner Anwesenheit Herrn von Tomara abgelöst. Obwohl schon ein Sechziger, hatte er gleich bei seinem Eintreffen den Entschluß gefaßt, Arabisch zu lernen und hatte ihn mit großer Beharrlichkeit durchgeführt, so daß er Gelesenes bald verstand, ohne ein Wort richtig auszusprechen. Gemeinschaftliche Liebhaberei für das Studium des Arabischen und den Ankauf arabischer Handschriften brachten mich mit Herrn von Italinski bald in ein näheres Verhältnis, das in wirkliche Freundschaft überging.

Den Pfortendolmetsch frug ich nach dem Reichshistoriographen und erfuhr, daß es Nesif sei, dessen Reichsgeschichte, die bis zum Frieden von Kainardschi reicht, bis heute die letzte gedruckte ist, und daß Selim-Efendi eine Geschichte des ägyptischen Feldzuges geschrieben habe. Ich behielt das Ziel, einst eine Geschichte des osmanischen Reiches zu schreiben, fest im Auge und versäumte während meines ganzen Aufenthaltes keine Gelegenheit, die nötigen Vorkenntnisse und Hilfsmittel zu sammeln. Daher gehörte auch der Besuch von Bücherbuden auf dem Bazar und die Bekanntschaft mit Buchhändlern zum ersten, was ich tat.

Die nähere Bekanntschaft mit den Mitgliedern des diplomatischen Korps ergab sich von selbst. Außer Herrn von Italinski schätzte ich den neapolitanischen Gesandten, den Grafen Ludolf, als einen vielseitig und literarisch gebildeten Mann sehr. Oft speiste ich beim spanischen Gesandten[133] Herrn von Cavral. Er verschaffte mir die beiden auf Kosten der spanischen Regierung herausgegebenen Werke des Casirius und Ibn Aurams über den Ackerbau. Von den Gesandten, die ich vor drei Jahren gekannt hatte, fand ich noch den preußischen Freiherrn von Knobelsdorff und seinen Schwiegervater, den holländischen Botschafter van Dedern, die beide schon nach wenigen Wochen abgelöst wurden, van Dedern durch seinen Sohn, Knobelsdorff durch Bielefeld. Die Frau und die Töchter des dänischen Geschäftsträgers Freiherrn von Hübsch waren Muster der Liebenswürdigkeit, Haus und Garten in Pera standen allen Fremden offen, aller Zwang der Etikette war verbannt. Dort verlebte ich viele der angenehmsten Stunden meines Aufenthaltes in Pera und Bujukdere.

Meine Gefühle inniger Freundschaft und mein Verlangen nach solcher fanden im Hause meines Kollegen, des Internuntiaturkanzlers Herrn von Raab Erwiderung.

Da ich die ersten zwei Veziere des Reiches, den Großvezier und den Kapudan-Pascha von Syrien und Ägypten her gut kannte, sah ich sie, besonders den letzteren, öfters, als es meine Stellung sonst mit sich gebracht hätte. Der Großvezier war zwar immer noch dem Titel nach mit dem ersten und wichtigsten Amte des Reiches bekleidet, hieß immer noch der ›unumschränkte Bevollmächtigte des Herrn der Erde und des Staates, der Inhaber des edelen Siegels und der großen Regierungsgewalt‹, aber sein Wirkungskreis entsprach nicht mehr dem ursprünglichen des Lenkers der Regierungsgeschäfte. Er teilte ihn mit drei anderen, weit mächtigeren Männern, die die Posten, auf denen sie standen, dem titularen des Großveziers vorzogen. Diese drei waren der Kapudan-Pascha, der Milchbruder und Schwager des Sultans; er hatte das Amt des Großadmirals und das Ansehen der von europäischen Schiffbauern erbauten Flotte zu größter Bedeutung erhoben. Durch seine Vertraulichkeit und Verwandtschaft mit dem Sultan gebot er nicht nur im Seewesen unumschränkt, sondern wurde auch in den wichtigsten Staatsangelegenheiten immer um Rat gefragt und war besonders seit dem von ihm veranlaßten Meuchelmord der Mameluken am Hof gescheut und gefürchtet.[134]

Seine Macht war aber geringer als die des allmächtigen Kiaja, des Obersthofmeisters der Valide, der Sultanin-Mutter, Jusuf Aga. Er war ein unwissender, roher Türke, beherrschte aber durch seine Herrin Sultan und Reich. Ob er zu seiner Gebieterin in näherem und innigerem Verhältnis stand, konnte bei dem dichten Schleier, der über den Harems ruht, nicht sicher behauptet werden. Die vierte dieser Säulen damaliger osmanischer Herrschaft war Dschelebi-Efendi, er war der weitaus beste politische Kopf im ganzen Reich.

Seine Denkschrift über die Moldau spricht von gesunden politischen Ansichten und einem klaren, denkenden Kopf. Seine Persönlichkeit vereinte Würde mit den Formen größter, natürlicher Artigkeit. Sein Streben galt aufrichtig und eifrig dem allgemeinen Besten, ohne Rücksicht auf die eigene Person, so daß es für ihn und die Sache gleichgültig war, welche untergeordnete Stelle er im Ministerium einnahm, da er doch überall mit Rat und Tat aushelfen mußte und eine genaue Kenntnis europäischer Politik besaß. Ich machte seine Bekanntschaft als Sekretär der Admiralität in Tersane, dem Arsenal des Seewesens, wo ich den Kapudan-Pascha ebenso oft in seinem Diwansaal als in seinem Palaste besuchte.

Diesen Palast hatte der Kapudan-Pascha selbst gebaut, er war halb mit dem Glanze europäischen Luxus, halb in orientalischem Geschmack ausgesattet. Zwischen den malerisch gruppierten Waffen hingen englische Kupferstiche, die Darstellungen berühmter Seeschlachten. Vergoldete Plafonds, die Fenster vielfach mit Spiegeln verkleidet, die Sophas aus rotem Samt mit gestickten Polstern. Ich sah dort ein Kohlenbecken, ein ›Mongel‹, aus reich vergoldetem Erz in Gestalt eines Blumenbeckens mit einem Durchmesser von drei Schuh. Dieses ›Mongel‹ hatte 40.000 Piaster gekostet, war aber nie bezahlt worden.

Am 1. November fand die Antrittsaudienz beim Sultan statt, ihre Besprechung für den amtlichen Bericht nach Hot oblag mir. Obwohl solche Audienzen vielfach beschrieben worden sind, muß ich doch einige Umstände, die meine besondere Aufmerksamkeit erweckten, hier erwähnen. Die erste Station war unter dem ersten Tore des Serai, wo der[135] Gesandte sich auf die Bank vor dem Gemach des Henkers niedersetzen mußte. Für Veziere, Statthalter, Minister und Generäle ein gefährlicher Eintritt, sie konnten die Schwelle des hohen, kaiserlichen Tores nur mit der Ungewißheit überschreiten, unter demselben vom Henker in Empfang genommen zu werden. Der Zweck des Zeremoniells, demnach sich der Gesandte auf diese Bank zu setzen hatte und vor dem Gemach des Henkers die Erlaubnis weiteren Einlasses erwarten mußte, war der, auch dem Gesandten die Furcht der Großen des Reiches einzuflößen. Hier mußte der Gesandte warten, bis der Großvezier durch das Tor in das Serai einritt, dann erst durfte er sein Pferd wieder besteigen und dem Großvezier folgen. Vor dem Gesandten ritt der Gesandtschaftssekretär, der das Beglaubigungsschreiben in einem Überwurf aus Goldstoff hoch auf den Händen trug, sein Pferd führten zwei Sattelknechte.

Dem Großvezier gingen der Hofmarschall (Tschenschbaschi) und der Oberstkämmerer (Kapidschilar Kiajasi) mit silberbeschlagenen Stöcken voraus, die sie abwechselnd auf das Pflaster aufstießen. Im Diwansaal saß der Großvezier allein in der Mitte, ihm zur Rechten und Linken auf den Seitenbänken die beiden Heeresrichter von Rumuli und Anatoli, die drei Defterdare und der Staatssekretär des Mamersch. Die Minister des Äußern und Innern (der Reis-Efendi und Kiaja-Bey) hatten keinen Sitz im Diwan.

Obwohl der Reis-Efendi keinen Sitz hatte, war er doch als Staatssekretär des Großveziers anwesend und hockte auf dem Boden. Der Kiaja-Bey konnte nie anwesend sein, weil er als Stellvertreter des Großveziers, wenn dieser von der Hohen Pforte, seinem Palast, abwesend war, dort als sein Stellvertreter bleiben mußte. Während des Diwans waren meine Augen auf das mit goldenen Stäben vergitterte Fenster ober dem Vezier gerichtet, hinter welchem der Sultan ungesehen den Diwanverhandlungen beiwohnen konnte. Seine Gegenwart verriet sich manchmal durch das Gefunkel eines diamantenen Reihers hinter den Stäben. Nach aufgehobenem Diwan wurden vor dem Großvezier und den anderen Mitgliedern des Diwans kleine runde Tische gedeckt, der Internuntius speiste mit dem Großvezier allein,[136] die Gesandtschaftsbeamten an den Tafeln der Mitglieder des Diwans. Mehr als hundert Speisen wurden von einer Reihe hart aneinanderstehender Diener hereingehändigt, dann jede für einige Sekunden auf die Tafel gesetzt, abgehoben und auf der anderen Seite durch eine Reihe von Aufwärtern hinausbefördert; sie durchflogen den Saal in weniger als einer halben Stunde und dienten nur als Schaugerichte in den verschiedensten Farben. Ein gesticktes Tuch, um damit den Mund abzuwischen, wurde jedem der Gäste in den Busen geschoben, und die zur Audienz Geladenen wurden nach ihrem Range mit Zobel- oder Hermelinpelzen oder mit Oberkleidern bekleidet. Nachdem der Gesandte und sein Gefolge auf diese Weise nach dem türkischen Zeremoniell gefüttert und bekleidet vor dem Throne des Padischah zu erscheinen würdig erachtet waren, wurden wir aus dem zweiten Hofe des Serai zu ebener Erde durch einen dunkeln Gang in den durch ein einziges Fenster erleuchteten Audienzsaal geführt, jeder von uns von zwei Kämmerern begleitet. Beim Erscheinen vor dem Thron hielten die beiden Kämmerer den Eingeführten mit einer Hand unter dem Arm, die andere hielten sie auf sein Hinterhaupt und beugten ihm den Kopf. Am unanständigsten fand ich die Habgier, mit welcher sich das Gefolge des Gesandten, welches nicht in den Thronsaal zugelassen, Kapitäne, Kaufleute, Gäste und Dienerschaft, auf die auszuteilenden Kaftane warfen. Dazu kamen Mengen von Juden, welche nach der Beteiligung mit dem Beteilten um den Kaftan schacherten, um ihn sofort mit ein paar Piastern Gewinn wieder ans Zeremonienmeisteramt zu verkaufen. Diese Kaftane, deren Wahl nicht nach der Zahl des Gefolges, sondern nach dem Ansehen des Botschafters oder Gesandten bemessen wurde, waren aus dem gröbsten Camelot, weiß und gelb gestreift, was Gold und Silber vorstellen sollte, mit zwei langen Ärmeln, die bis auf den Boden nachschleppten.

Während der Wintermonate lernte ich die Halwagesellschaften kennen. Türkische große und reiche Leute laden sich auf solche gegenseitig ein. Sie haben ihren Namen von Halwa, einem Honigkuchen, von dem es einige zwanzig Arten gibt. Kaffee, Sorbet und Halwa wird herumgereicht;[137] das eigentliche Fest besteht aus den Vorstellungen von Possenreißern, Taschenspielern, wollüstigen Tänzen und Zoten des Schattenspiels und der Marionetten. Die Tänzer waren griechische Knaben, die Sprecher Armenier; der Türke ist als Sieger und Herr zu stolz, sich zum Possenreißer zu erniedrigen. Die Knaben tanzten als Ganymede, auch als ägyptische Almen, und ließen der Einbildung nichts übrig. Die Vorstellungen des chinesischen Schattenspiels waren ernst und lustig. Die Harlekine rissen nur Zoten, deren Stoff aus den Erzählungen Deli Buraders, des türkischen Boccaccio, genommen waren.

Je schlüpferiger die Vorstellung, desto größer war der Beifall. Diesem Schauspiel und dieser Unterhaltung wohnten aber nicht nur verderbte Männer bei, sondern auch die Frauen in den Harems genossen sie.

Eines der größten Halwafeste machte ich im Arsenal mit. Die Versammlung bestand aus türkischen Kapitänen und griechischen Schiffsbaumeistern. Meine Einladung dazu dankte ich der besonderen Gunst Kapudan-Paschas, neben dem ich in der ersten Reihe saß. Am nächsten Tage wurde ein eben vollendeter Dreidecker in Gegenwart des Sultans von Stapel gelassen. Der günstigste Augenblick hiezu war von den Hofastronomen schon lange vorher bestimmt worden. Der Kapudan-Pascha selbst zählte auf seiner Uhr Minute für Minute, und in der entscheidenden brachen die letzten Stützen des dreistöckigen Schiffes unter dem Beil, und es rollte unter dem Getöse türkischer Musik in die hochaufschäumende See. Alle Schiffe des Hafens flaggten und donnerten Kanonengrüße. Der Kapudan-Pascha verteilte Pelze und Medaillen an die Schiffbauer und ihre Leute, er selbst wurde durch den Beifall des Sultans belohnt.

Bei diesem Stapellauf befand ich mich in Gesellschaft des englischen Schiffbaumeisters Crosby. An seinem Tische machte ich am nächsten Tage die mir sehr interessante Bekanntschaft des persischen Mirba Abu Thelib Chan, der von seiner englischen Reise nach Indien zurückkehrte. Er erwähnte mich in seiner Reisebeschreibung, die in Indien persisch gedruckt, in Europa in englischer und französischer Sprache erschien. Durch einen Mißgriff des Übersetzers,[138] welcher die drei Konsonanten meines Namens H M R mit der folgenden Verbindungspartikel U in eins zusammenzog und die Vokale nach Gutdünken einsetzte, entstand aus meinem Namen ›Himru‹, was mir in der Folge als Spitzname geblieben ist.

In der Politik der Pforte waren die beiden letzten Monate des Jahres durch die Unterhandlungen der Engländer mit den Mameluken in Ägypten sehr wichtig. Während England sich der Beys mit geringem Erfolge annahm, unterhandelte Rußland mit um so größerem in betreff der Moldau und der Wallachei. Die Regierungszeit der Fürsten wurde von den bisherigen drei Jahren auf sieben Jahre verlängert, die Wahl derselben den Bojaren anheimgestellt und dadurch Rußlands Einfluß auf diese beiden Länder auf neuer, unerschütterlicher Grundlage befestigt. Diese englischen und russischen Verhandlungen waren das Werk des englischen Botschafters Lord Elgin und des russischen Gesandten Herrn von Tomara.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 132-139.
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