IX. Aufenthalt in England, Zurückberufung und Entsendung nach Konstantinopel (1801–1802).

[119] An einem grauen Nebeltag hatte die ›el Carmen‹ vor Portsmouth Anker geworfen. Im Hafen lag eine große Flotte vor Anker, aber auch dieses großartige Schauspiel war kein heiteres, nicht einmal die Signale, mit denen die Admiralschiffe flaggten, denn sie waren nur ein Zeichen, daß sich die Admirale vereinten, um einen der ihren, den Admiral Parker, vor einem Kriegsgericht zu verhören.

Noch minder war die über die ›el Carmen‹ verhängte Quarantäne, welche ihre Reisenden an Bord zu bleiben verurteilte, geeignet, erheiternd zu wirken. Diese war um so absurder, als die beiden Überbringer der Depeschen, Sir Sidney Smith und Oberst Abercromby, sich sofort ans Land und nach London begeben durften, während alle anderen Offiziere, die Reisenden und die ganze Schiffsmannschaft auf unbestimmte Zeit das Schiff nicht verlassen durfte. Sir[119] Sidney sah die Unvernunft dieser Maßregel vollkommen ein, wenn ihn und Abercromby kein Pestverdacht traf, wie konnte er auf mich fallen, der die ganze Zeit seine Kabine geteilt hatte? Dazu wurden die beiden Überbringer der Depeschen nicht einmal irgendeiner Reinigung, einem Kleiderwechsel oder Durchräucherung unterzogen, sondern stiegen direkt vom Schiff in die Postchaise, die sie in 24 Stunden nach London brachte.

Sie trafen noch rechtzeitig dort ein, um das große Festmahl bei der Wahl des neuen Lordmajor von London mitzumachen. Der Umstand, daß ich das Schauspiel dieses großen Festmahles und den Jubel, mit welchem Sir Sidney als der Held des Tages bei ihm empfangen wurde, nicht erleben durfte, erhöhte meinen Verdruß über den despotischen Befehl der Admiralität, die auch nicht ein Jota von den ersten Grundzügen einer Quarantäne verstand. In das unter Quarantäne gestellte Schiff wurden Freudenmädchen eingelassen, und so statt der eingebildeten Pest die wirkliche eingeschleppt.

Die absurde Quarantäne dauerte zum Glück nur fünf Tage; die Vorstellungen Sir Sidneys bei der Admiralität hatten gewirkt. Am fünften Tage nach der Landung durften wir das Schiff verlassen. Die Mautbeamten waren den Offizieren gegenüber ungewöhnlich artig und nachsichtig. Da ich noch Mamelukenkleidung trug, konnte ich außer den zwei Shawlen, die den Kopfbund und Gürtel bildeten, wohl noch drei oder vier als zum Wechseln nötig durchbringen und brauchte sie nicht zu verbergen. Einige Offiziere baten mich, für sie Stoffe und Shawls in meinen weiten Mamelukenhosen einzuschmuggeln. Ich konnte den Bitten dieser guten Feld- und Reisekameraden nicht widerstehen und umwand Schenkel und Füße mit indischem Musselin und Shawls. Zum Glück wurde gar nicht weiter gefragt, und so wurde alles gerettet.

Bald saß ich mit meinem Bedienten Henna, einem syrischen Christen, in der Postchaise. Von Kingston bis London lief die Straße wie durch einen mit Lusthäusern geschmückten Garten, und selbst in den Vorstädten Londons ist das Grün der Flur auf freien Plätzen geschont und genährt[120] und mit Gittern und Gebüschen vor Fußgängern und Wagen geschützt.

Ich stieg im eleganten Quartier der Stadt, im Gasthause, das den Namen des Prinzen von Wales führte und in der Nähe des Schauplatzes der Mode, der berühmten Bondstreet, lag, ab; hier war auch Sir Sidney eingekehrt. Der erste Bekannte und Reisekamerad vom Bord des ›Tiger‹, den ich traf, war der junge Graf Frotté, der mich zu seinem Vater zum Speisen lud. Ich fand den ehrwürdigen Greis auf zwei Zimmer beschränkt, eines sein Speise- und Schreibzimmer, das andere sein Schlafgemach.

Der alte Väter und sein hoffnungsvoller Sohn blieben in London, obwohl nach dem soeben geschlossenen Frieden die Ausgewanderten in hellen Scharen nach Frankreich zurückkehrten. Meine ersten neuen Bekanntschaften waren zwei levantinische Freunde Sir Sidneys, die mir den Namen nach bekannt waren. Sir Peter Abbot und Sir John Douglas, welcher im syrischen Feldzuge die Schiffstruppen des ›Tiger‹ unter Sir Sidneys Kommando geführt hatte. Sir Sidney hatte soeben das große, ihm von der levantinischen Handelsgesellschaft gegebene Festmahl mitgemacht, bei welchem Lord Grenville den Toast: ›Dem Helden des Nils, dem tapferen Befreier Akkas und dem Gedeihen der Levantecompany‹ ausgebracht hatte.

Dem österreichischen Gesandten Grafen Starhemberg hatte ich sogleich nach meinem Eintreffen meine Aufwartung gemacht; er lud Sir Sidney und mich nach seinem Landhause in Twickenham ein. Dort trafen wir den alten Gesandtschaftssekretär Freiherrn von Reigersfeld, der diesen Posten nun schon 35 Jahre versah, außerdem den Grafen Zichy, Herrn von Thierheim und die österreichischen Grafen Altenstein und Dietrichstein. Beide waren für längere Zeit in England, der eine, um von der englischen Regierung Geld einzukassieren, das sie ihm für ein Freikorps schuldete, Dietrichstein, um sich von dem politischen Sturme, der ihn von den Ufern der Newa an die der Donau zurückgeworfen, an denen der Themse zu erholen. Mit Graf Dietrichstein war ich schon seit Jahren bekannt.

Dieser, durch Gaben des Geistes wie des Herzens gleich[121] ausgezeichnete Mensch war bei weitem der talentvollste und kenntnisreichste aller österreichischen Staatsmänner, die ich von Kaunitz bis Metternich kennenzulernen Gelegenheit gehabt. Der Verkehr in London war die Grundlage unserer späteren Freundschaft. Ich muß, da er sich gegen mich immer offenherzig und wahrheitsliebend über alle Begebenheiten der Zeit und über die Zustände unserer Regierung und der Ministerien äußerte, näher auf die politischen Umstände eingehen, welche ihn damals nach London geführt hatten.

Graf Franz von Dietrichstein hat seine militärische Laufbahn mit zwanzig Jahren im Türkenkrieg unter Laudon begonnen. Im französischen Kriege hatte er sich bei der Belagerung von Valenciennes als Genieoffizier durch eine Sprengung ausgezeichnet und dafür das Theresienkreuz erhalten. Nachdem er als General dem Militärdienst entsagte, ist er der einzige Zivilist, der dieses militärische Ehrenzeichen trägt. Unter dem Ministerium Thugut widmete er sich der politischen Laufbahn und hatte, um dies tun zu können, der militärischen entsagt. Er arbeitete in der Staatskanzlei und wurde auch zu diplomatischen Sendungen verwendet.

Katharina II. hatte im Jahre 1791 Miene gemacht, der Koalition wider Frankreich beizutreten; es blieb aber beim Anschein, und der Krieg begann im nächsten Jahre. In den vier folgenden Jahren hatten sich Spanien, Neapel, Preußen, Holland und Toskana von der Koalition getrennt, und zu Ende des Jahres schien Katharina wirksam auftreten zu wollen. Sie befahl den Marsch von 60.000 Mann unter Suwarows Befehl. Sobald diese Nachricht in Wien eintraf, eilte Graf Dietrichstein als Kurier zu Erzherzog Karl, welcher Kehl belagerte. Auf der Rückreise nach Wien erhielt er die Nachricht vom Tode Katharinas und wurde bald darauf nach Petersburg gesandt, um Paul I. zur Thronbesteigung zu beglückwünschen.

Der Botschafter Graf Louis Cobenzl war von Baron Thugut nach Wien berufen worden, um nach dem Waffenstillstand von Leoben den Frieden von Campo Formio zu unterhandeln. Er ließ den Grafen Dietrichstein in Petersburg als Geschäftsträger zurück, ohne ihn als solchen dem[122] Zaren vorgestellt zu haben. Obwohl diesem der Verstoß gegen diplomatische Etikette mißfiel, sah er den Grafen doch gern bei Hof.

Dietrichstein unterzeichnete und übergab die Geschäftsnoten, empfing und fertigte die Kuriere des Hofes ab. Kaiser Paul wollte um jeden Preis den Frieden erhalten, schwor aber zugleich, daß er die von seiner Mutter eingegangenen Verbindlichkeiten erfüllen wolle. Die Präliminarien von Leoben hatten in Wien und in Petersburg alle Minister, nur den Baron Thugut nicht, über die friedfertige Gesinnung Frankreichs getäuscht. Der Friede von Campo Formio mißfiel dem Zaren der Jonischen Inseln wegen. Von unverläßlichen Korrespondenten erhielt er die falsche Nachricht, daß Bonaparte in Saloniki gelandet sei und über Konstantinopel nach der Krim ziehen wolle. Zugleich hatte ein Sturm die von Lord Keith befehligte englische Flotte von Cadix abgetrieben. In aller Eile wurden 100.000 Mann, zumeist Reiterei, an der finnländischen Küste mobil gemacht und dem kaiserlichen Hofe die vereinbarte Hilfe von 60.000 Mann zugeschickt. Dietrichstein hatte also vor der Rückkehr Cobenzls nach Petersburg alles erhalten, was er wünschte, und das Hilfskorps hatte vor ihm die russische Grenze überschritten. Mit seinen politischen Verhandlungen hatte er auch die seiner Vermählung durchgeführt, und am 16. Juli 1797 vermählte er sich mit Gräfin Alexandrine Schuwaloff.

Die Wahl war keine glückliche. Der exzentrische Geschmack der kunstliebenden, orthodoxen und hyperkatholischen Gräfin stimmte nicht zu der freisinnigen Lebensansicht ihres Gatten, und bald öffnete sich durch seine Reisen, besonders durch seine letzten nach England, wo er mit einer jungen Französin lebte, eine immer tiefer werdende Kluft zwischen ihnen.

Im Frühling 1799 war Graf Dietrichstein nach dem Tode des Fürsten Reuß als Gesandter nach Berlin geschickt worden, um dort die Schwierigkeiten zu beheben, welche dem Beitritt Preußens zur Koalition entgegenstehen konnten. Obwohl diese behoben wurden, erklärte Preußen, daß es[123] trotzdem bei seinem friedfertigen System beharre. In einer Konferenz zwischen Thomas Grenville, dem englischen, Graf Panin, dem russischen Gesandten, und Graf Dietrichstein erklärte sich dieser gegen den Ersatz des österreichischen Heeres, das in der Schweiz von Erzherzog Karl befehligt wurde, durch ein russisches und hob hervor, daß es weit zweckmäßiger wäre, das unter Korsakoff heranziehende russische Heer gegen Mainz marschieren zu lassen. Panin stimmte ihm bei. Grenville entgegnete, daß die erste Maßregel bereits von seinem Hof angenommen worden sei. Nach langen Gegenvorstellungen stimmte Österreich dem vom britischen Kabinett aufgestellten Verlangen, daß das für Österreich bestimmte Hilfskorps Suwarows sich mit dem unter Korsakoff vereinige und der Erzherzog dem ersten in der Schweiz Platz mache, bei, und Graf Dietrichstein fuhr anfangs August zu Erzherzog Karl und brachte ihm den Befehl des Kaisers der russischen Armee in dem Maße, als sie in der Schweiz einrücke, Platz zu machen. In der Zwischenzeit hatte Suwarow mit Melas und Chasteler, dem Generalquartiermeister des österreichischen Heeres den Feldzug in Italien eröffnet. Ohne den Rat des Letzteren würde Suwarow in Piemont vorgerückt sein, statt Macdonald an der Trebbia zu schlagen. Melas entschied das Los der Schlacht von Cassano Novi und an der Trebbia und verhinderte den schon beschlossenen Rückzug Suwarows, was dieser öffentlich eingestand und Melas seinen Befreier nannte. Als Dietrichstein von der Schweiz zurückkam, begleitete er den Erzherzog-Palatin nach Petersburg, der dort seine Braut holte. Der Empfang Dietrichsteins beim russischen Hofe war ein ganz anderer, als sein erster Aufenthalt und seine Vermählung erwarten ließ. Kaiser Paul war durch Ränkeschmiede, denen die Eifersucht Cobenzls in die Hand arbeitete, gegen Dietrichstein so eingenommen, daß diesem der Graf Narischkin erklären mußte, daß für ihn kein Platz im Palast von Gatschina sei und der Kaiser nur erlaubt habe, daß er der Trauungsfeierlichkeit beiwohne, dann müsse er zurückkehren. Er reiste gleich nach Wien und zog sich nach seines Freundes und Gönners, des Freiherrn von Thugut Rücktritt und der Übernahme des Ministeriums durch Graf[124] Cobenzl von aller Geschäftstätigkeit zurück. Im Juni 1801 ging er nach England.


Im folgenden beschreibt Hammer ausführlich seinen Aufenthalt in England, die Menschen, die er dort kennengelernt, die Besuche, die er gemacht, die Sehenswürdigkeiten, die er gesehen. Er reiste von London aus nach Windsor, mehrmals nach Bath, nach Warwick-Castle und Oxford, wo er die Bibliotheken und Colleges besichtigte, auch Marlboroughs Schloß Blenheim suchte er auf. Die Bekanntschaft des Orientalisten Wilkins wurde besonders wertvoll für Hammer, weil dieser später die Herausgabe der Übersetzung des arabischen Werkes Bin Washihs, die Hammer auf der Seereise von Ägypten nach England vollendet hatte, besorgte.

Als Hammer von Oxford nach London zurückkam, fand er einen Brief des österreichischen Gesandten Grafen Starhemberg: ein kategorisches Befehlsschreiben des Ministers Graf Cobenzl war eingelangt, welches die sofortige Rückkehr Hammers nach Wien anordnete. Sein Aufenthalt in England hatte vom November 1801 bis zum 1. April 1802 gewährt.


Am letzten März 1802 übernahm ich die Depeschen von Graf Starhemberg und befahl meinem Bedienten, um zwei Uhr nachts sich bei der nach Harwich abgehenden Mail einzufinden, ich selbst ging noch auf einen großen Rout und blieb dort so lange, daß ich keine Zeit zum Umkleiden mehr hatte und mit seidenen Strümpfen und den Claque unter dem Arm die Mail bestieg. Die Überfahrt nach Kuxhaven dauerte sechsunddreißig Stunden, dort brauchte ich drei, um einen Wagen zu kaufen. Auf dem Wege über Braunschweig und Leipzig hielt ich mich in Halberstadt auf, um Gleim persönlich kennenzulernen. Ich fand einen gutmütigen alten Mann, ohne jede Spur des Feuers und der Kriegsfreude des preußischen Grenadiers. In Dresden traf ich zur Essensstunde beim österreichischen Gesandten Grafen Metternich ein, den ich damals zum erstenmal sah und von ihm und seiner Gemahlin freundlichst empfangen und zu Tische behalten[125] wurde. Ich schenkte dem Grafen, der sich lebhaft für Altertümer interessierte, eine Hand voll kleiner ägyptischer Idole, wie sie bei Mumien häufig gefunden werden. Am zehnten Tage nach meiner Abreise, am 10. April, traf ich vormittags in Wien in der Staatskanzlei ein.

Ich muß hier die Ursachen näher berühren, welche meinen Aufenthalt in England durch die Zurückberufung verkürzten. Daran war ein einziger mir nicht wohlgesinnter Vorgesetzter Schuld, und zwar nicht der Vizestaatskanzler Graf Louis Cobenzl, in dessen Namen mir der Befehl sofort zurückzukehren zukam, sondern der bisherige Hofdolmetsch, jetzt Referent für die orientalischen Angelegenheiten, Stürmer.

Ignaz Stürmer war der Sohn eines Schneiders in Brünn. Bei der Aufhebung des Jesuitenordens war er in diesem noch nicht zum Priester geweiht, hatte sich aber die Grundsätze und die Politik des Ordens ganz zu eigen gemacht. Diese klebten ihm sein Leben lang an, und er dankte ihnen vorzüglich sein Weiterkommen bis zur Stelle des Internuntius, zu dem er soeben ernannt worden war. Er war vom Kopf bis zum Fuß ein schulgerechter Jesuit.

Zuerst kam ich mit ihm während der Anwesenheit des türkischen Botschafters im Jahre 1792 in Berührung; er verwendete damals als Hofdolmetsch die Zöglinge der orientalischen Akademie zu untergeordneten Arbeiten des Dolmetschdienstes, zu Abschriften und Übersetzungen. Nach der Aufhebung des Ordens war Stürmer durch den Jesuiten Nekrep, den Direktor der orientalischen Akademie, in diese aufgenommen worden und lernte dort Türkisch und Französisch mit sehr schlechter Aussprache. Er erwarb sich auch einige Kenntnis im Persischen und wurde Mitarbeiter des neuen Meninski und der von Jenisch, dem damaligen orientalischen Referenten herausgegebenen persischen Anthologie. In Konstantinopel hatte er seine Laufbahn als Dolmetsch unter dem Internuntius Baron Herbert-Rathkeal begonnen, diesem aber wegen seines jesuitischen Wesens nie zugesagt.

Im Türkenkriege wurde Stürmer als Dolmetsch Kaiser Josef zugeteilt, da der erste Dolmetsch der Internuntiatur, Stürmers Schwiegervater, Testa, nicht deutsch verstand,[126] stark hinkte, und daher in der Armee nicht brauchbar war. Dann wurde Stürmer Hofdolmetsch in der Staatskanzlei. Er führte als solcher über die Botschaft Ratib Effendis ein ausführliches Tagebuch, dessen zahlreiche Beilagen von Brunebarbe und mir abgeschrieben und übersetzt wurden.

Meine Sendung nach Ägypten und die Befugnis, so lange bei Sir Sidney Smith zu bleiben, als ich ihm nützlich sein konnte, dankte ich der Gunst und Gönnerschaft des Internuntius Baron Herbert-Rathkeal. Diese Vergünstigung war keine Empfehlung bei Stürmer, der ihm spinnefeind war. Seitdem Stürmer an Stelle Jenischs orientalischer Referent war, fand er an der Geschäftsführung Herberts vieles auszusetzen und zu tadeln. So hatte er denn auch meine ägyptische Sendung nicht mit den besten Augen angesehen und die mir von Herbert erteilte Befugnis, Sir Sidney bis nach England zu begleiten, in den Depeschen im Namen des Ministers mißbilligt. Als nach Thuguts Abtreten Cobenzl die Leitung der auswärtigen Geschäfte übernahm, war es Stürmer um so leichter, den neuen Minister, der nie von mir gehört hatte, seine Ansichten unterzuschieben, nach Herberts Tod die Ernennung zum Internuntius zu erhalten und als solcher über mich, als einen Beamten der Internuntiatur, die unumschränkte Autorität durch Machtbefehle in Anspruch zu nehmen.

Ich hatte, sobald ich in der Bucht von Abukir die Fregatte ›El Carmen‹ mit Sir Sidney bestiegen, den Hauptbericht über meine ägyptische Sendung ins Reine geschrieben und durch einen Schnellsegler, dem wir begegneten, zur See nach Konstantinopel, die Duplikate der Berichte von Malta nach Wien befördert und hoffte, die Empfangsbestätigung bei meiner Landung in England zu finden, was aber nicht der Fall war. Acht Tage nach meiner Ankunft hatte ich dem Baron Herbert davon Meldung erstattet und dann – ich war nicht befugt, unmittelbare Berichte nach Wien zu richten – zwei von mir verfaßte Memoirs über die Lage der Mameluken nach dem Meuchelmorde ihrer ausgezeichneten Beys dem Grafen Starhemberg zur Einbegleitung an den Minister der auswärtigen Geschäfte, den Grafen Cobenzl, überreicht. Der Stil meiner an Baron Herbert erstatteten[127] Berichte wurde von Stürmer als ›trop leste et trop cavalier‹ befunden. Alles, was mir über orientalische Geschäfte in die Hand kam, hatte ich immer dem Internuntius eingeschickt. Das schönste Zeugnis über meine Geschäftstätigkeit ist das Schreiben, welches mir Sir Sidney an den Grafen Cobenzl mitgab. (B. 17.) Durch ihn und Lord Hawkesbury hatte ich Anträge bekommen, in englische Dienste überzutreten, selbst Graf Starhemberg redete mir dazu zu. (B. 18.) Ich wies den Antrag wie auch den einer Geldbelohnung für die geleisteten Dolmetscherdienste zurück und erbat mir nur ein Empfehlungsschreiben von Lord Hawkesbury an den Grafen Cobenzl und an den englischen Gesandten in Wien, Mr. Paget, die ich beide erhielt.

Bei meiner Ankunft wurde ich sofort dem Grafen Cobenzl angemeldet und übergab ihm das an ihn adressierte Paket, außer diesem hatte ich noch einige zwanzig Briefe von den verschiedensten Bekannten, die mich empfahlen. Graf Cobenzl verlangte, daß ich sie ihm übergebe und verpflichtete sich, sie besorgen zu lassen. Dann wurde ich höflich entlassen. Ich hatte einen schlimmeren Empfang erwartet. Stürmer freilich sparte nicht mit Vorwürfen wegen meines verlängerten Aufenthaltes in England und ging sogleich auf meine Dienstbestimmung als Dolmetsch nach Konstantinopel über. Während meines ersten Aufenthaltes dort und im Lager des Großveziers hatte ich genug von dem Treiben der Dolmetsche gesehen, und das Amt war mir, obwohl eine reiche Quelle von Einkünften, schon durch die Natur seines mehr oder minder ränkevollen und erniedrigenden Verkehrs mit der Pforte in der Seele verhaßt. Ich erklärte also, daß ich dadurch, daß ich für meine den Engländern geleisteten Dienste keinerlei Erkenntlichkeit angenommen habe, wohl eine Beförderung als Belohnung zu verlangen das Recht habe, ich werde daher nur in der Eigenschaft als Legationssekretär nach Konstantinopel zurückkehren.

Diese unvermutete Erklärung wurde von Stürmer um so mißbilligender aufgenommen, als seit mehr als einem halben Jahrhundert in Konstantinopel kein Legationssekretär systemisiert war, sondern nur der erste Gesandtschaftsdolmetsch[128] ohne diesen Titel den Rang desselben einnahm. Mein Begehren konnte Stürmer um so weniger behagen, als er die Stelle des ersten Dolmetsches, nachdem sein Schwiegervater Bartholomäus Testa pensioniert worden war, keinen der anderen beiden Dolmetsche, sondern einem Fremden, dem schwedischen Dolmetsch Carl Testa bloß deshalb verliehen hatte, weil er ein Verwandter seiner Frau war. Seit dieser ersten Ungerechtigkeit gegen das ganze Personal der Internuntiatur hat an dieser der Nepotismus der Familien Stürmer und Testa üppig gewuchert, und die besten und einträglichsten Stellen wurden Patrimonialgut dieser beiden Familien.

Mein offenes, selbständiges, aber nicht unbescheidenes Wesen, das durch den Verkehr mit Engländern noch gefestigt worden war, sagte Stürmer ebensowenig zu, als mir sein jesuitisches. Außerdem kränkte mich gleich in den ersten Tagen sein arger Mangel an Schicklichkeitsgefühl. In Gibraltar hatte ich eine sehr schöne Kufische Goldmedaille gekauft und schenkte sie ihm für seine Sammlung orientalischer Münzen. Er nahm sie an und sandte mir einige Tage später als Gegengeschenk eine von ihm getragene, goldbordierte Uniformweste, die ihm bei seiner Internuntiusuniform überflüssig, aber von einem Dolmetsch getragen werden könne. Natürlich trug ich die Weste nie, sondern verschenkte sie sofort.

Mein erster Gang nach der Staatskanzlei war zu dem edlen Menschenfreund Karl Harrach. Er war ebenso redselig als schreibfaul. In der ersten halben Stunde unseres Zusammenseins gab er mir Bericht über die allgemeine Politik, den Barometerstand der Hofluft, die Stellung der Minister zum Kaiser und untereinander. Mich interessierte natürlich am meisten die, von denen mein Schicksal abhing, der Vizekanzler Graf Cobenzl und der Kabinettminister, der frühere Obersthofmeister und Erzieher des Kaisers, Graf Colloredo. Da ich Cobenzl ganz unbekannt war, konnte ich mich nur an diesen und an den Staatsrat der Staatskanzlei, Freiherrn von Collenbach, halten. Collenbach war der Bruder der Baronin Herbert-Rathkeal, ein tätiger Geschäftsmann von wenig Worten, dem aller Verfolgungsgeist[129] fremd war. Ich war ihm durch seine Schwester, seinen Schwager und seine Nichte, Mrs. Spencer Smith, bekannt. In der Waage meines künftigen Schicksals war er eines der Gegengewichte wider Stürmers jesuitischen Einfluß, ein zweites fand ich in der Schwester des Grafen Cobenzl, der Gräfin Rombeck, einer geistreichen und liebenswürdigen Frau, an die ich Empfehlungsbriefe von Graf Starhemberg mitgebracht hatte. Als ich bei Mr. Paget Besuch machte, erzählte er mir, er habe dem Grafen Cobenzl eine Szene darüber gemacht, weil dieser das von mir mitgebrachte Schreiben Lord Hawkesburys so ungeschickt entsiegelt und mit ganz schlechtem Siegelwachs verschlossen, ihm habe zustellen lassen. Ich hatte mehrere Pakete feinsten englischen Siegelwachses mitgebracht und gab davon ein paar dem Geheimsekretär des Ministers. Ich erzählte ihm Pagets Äußerung und empfahl ihm den künftigen Gebrauch dieses Wachses für solche Fälle im Chiffrekabinett. Einige Tage später erhielt ich die Pakete durch Staatsrat von Collenbach zurück, wobei er nur bemerkte, der Minister habe ihm die Rückstellung aufgetragen.

In der ersten Unterredung, die ich mit Graf Cobenzl bald nach meiner Ankunft in Wien über meine künftige Dienstbestimmung hatte, nahm er meine Bitte um Beförderung zum Legationssekretär nicht unfreundlich auf und ließ mir die Wahl, ob ich als solcher nach Spanien oder Konstantinopel gehen wollte. So groß meine Reiselust auch war und mich die Bibliotheken des Escurial und der Alhambra lockten, so zog mich doch ein zweiter Aufenthalt in Konstantinopel mehr an, als einer in Spanien, und ich habe damit sicher die bessere und für meine Ausbildung als Orientalist zweckmäßigere Wahl getroffen. In den ersten Tagen des Mai wurde ich zum Legationssekretär mit dem früheren Gehalte von eintausend und einer persönlichen Zulage von fünfhundert Gulden ernannt.

Graf Cobenzl wollte mir diese gute Nachricht selbst mitteilen und hatte mich für neun Uhr zu sich bestellt, ich wurde sogleich vorgelassen und fand den Minister auf seinem Leibstuhle sitzend in ein Gespräch mit seinem Koch vertieft, der ihm eine Speisenliste zur Auswahl vorlegte.[130] Dieser Zug allein genügt, den Charakter dieses gutherzigen, aber sehr launischen Welt- und Lebemannes zu umreißen. Er war ebenso häßlich wie liebenswürdig, unrein und liederlich, in seinem Anzug sah er eher einem verlumpten Schauspieler als einem Staatsminister ähnlich. Von seiner Zerstreutheit waren viele seltsame Anekdoten im Umlauf.

Ich verlebte vierzehn Tage im elterlichen Hause in Graz und wäre noch länger geblieben, wenn nicht bei meiner Abreise mir mitgeteilt worden wäre, daß der Internuntius zu Beginn des Juni nach Konstantinopel reise. Der Unruhen in der Wallachei wegen wurde die Reise zum 12. August von Woche zu Woche verschoben. Diese Zeit verbrachte ich in Wien auf die angenehmste Art im vertrauten Kreise alter Freunde und in dem neuer Bekannter und Gönner. Diese waren der geistreiche Fürst Sinzendorf und der Staatsminister Graf Zinzendorf, Landkomthur des deutschen Ordens. Harrach war mit ihm als deutscher Herr und als Freund auf vertrautem Fuß, und ich hatte ihm ein Empfehlungsschreiben der Gräfin Starhemberg mitgebracht. Beim Grafen Zinzendorf traf ich zum ersten mal meinen Landsmann, den Grafen Purgstall. Er war nur ein Jahr älter als ich, hatte England und Schottland bereist und sich mit der Schottin Anna Johanna aus dem alten Geschlechte der Cranstown vermählt. Als Landsleute mit gleicher Vorliebe für England, mit gleichem Durste nach Kenntnissen kamen wir uns auch als Freunde näher.

Ich wohnte bei meinem Lehrer und Freund Chabert, besuchte Teimers oft und auch das Haus der Mutter meines Freundes, Baronin Krufft. Beim Hofzahnarzt Laveran speiste ich mit dem einflußreichen Polizeihofrat Schilling. Kurz nach meiner Ernennung zum Legationssekretär und vor meiner Abreise nach Graz erhielt Chabert eine Vorladung der Niederösterreichischen Regierung, ›daß er dort zu erscheinen habe und sich über eine ohne Zensurbewilligung eingerückte Übersetzung eines Ghaseles zu verantworten habe, auch soll er den »Sprachknaben« Hammer mitbringen.‹ Chabert wollte mich bestimmen, meine Abreise nach Graz zu verschieben und mit ihm an dem bestimmten Tag bei der Regierung zu erscheinen. Ich beantwortete die[131] Vorladung: ›Der Legationssekretär Herr von Hammer steht unter keinem Hofmeister, der ihn mitzubringen habe, er wird nach seiner Rückkehr von Graz erscheinen, vorausgesetzt, daß er bis dahin eine seinem Range entsprechende Vorladung erhalten hat.‹ Diese kam, und ich wurde von einer zahreichen Kommission verhört.

Der Präsident forderte mich auf, mich über die Übertretung des Zensurgesetzes, demnach nichts im Auslande gedruckt werden durfte, was nicht die Zensur passiert hatte, zu verantworten. Ich gab zu Protokoll: ›Auf meinen Reisen in Kleinasien, Ägypten und England sei mir die »Wiener Zeitung« mit dieser Verordnung nicht zu Gesicht gekommen.‹ Als ich das nächstemal Hofrat Schilling traf und mich bei ihm über diese Plackerei beklagte, schob er das Ganze auf Untergeordnete der Zensurbehörde. Freiherr von Thugut hatte mich durch seinen Vertrauten, dem Botschaftsrat Krutscher ersuchen lassen, ihn einen Tag in Ödenburg, wohin er sich von Wien zurückgezogen hatte, zu besuchen. Um dies unbemerkt zu tun, benützte ich meine Fahrt nach Graz und fuhr über Ödenburg statt über Schottwien. Thugut erwartete mich um neun Uhr zum Frühstück. Der Empfang bei dem Minister in Ungnade stach gewaltig von dem ab, den der mir noch im Amt Stehende bereitet hat. Graf Dietrichstein mußte mich weit über Verdienst empfohlen haben. Nach dem Frühstück gingen wir vier Stunden lang in seinem Zimmer auf und ab, währenddem ich ihm von Konstantinopel, Ägypten und England erzählen mußte. Um ein Uhr speisten wir, dann wurde Spaziergang und Gespräch durch volle sechs Stunden bis neun Uhr abends ohne Unterbrechung fortgesetzt. Ich staunte über die Rüstigkeit des Sechzigers, mich übermannte die Müdigkeit, und ich sank mehr tot als lebend in die Postchaise.

Am 12. August trat ich mit dem Internuntius die Reise nach Konstantinopel an, mit uns reiste der Sprachknabe Freiherr von Ottenfels-Gschwind und der Paßdirektor Steindl.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 119-132.
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