IV. Reise an Bord des ›Tiger‹ und Aufenthalt in Rhodos (1800).

[48] Am 22. Februar 1800, als ich vom Internuntius die Zustimmung zur Landreise und das nötige Geleite von Gesandtschaftsjanitscharen erhalten hatte, stieg ich zu Haiwan Serai zu Pferde.

Mein Aufbruch geschah bei herrlichem Sonnenuntergang, einem der schönsten, den ich je gesehen. Die Sonnenuntergänge des Mittelmeeres sind reiner, goldener, schmelzender als die nordischer Himmelsstriche, aber nur selten gewähren sie die Mannigfaltigkeit des Farbenspieles, der Glanzwirkung und der Glüheffekte wie die der Alpenländer.

Diesmal machte der Himmel Konstantinopels eine Ausnahme und die nachglühenden Streiflichter, die grünen und gelben Tinten des die Stadt der sieben Hügel überwölbenden Wolkenzeltes höhnten die Lampenkränze, die heute zum letztenmal alle Gallerien der Minarette krönten. Die Nacht war sternenhell, die Straße kotig und schlecht und so holperte ich auf ihr, die zwischen Leichensteinen vom Tore Siliwri (Elymbrias) ausgeht, im Schritte fort, und erst um Mitternacht kamen wir in Kütschük-Tschekmedsche (›Die kleine Ziehlade‹) an.

Da die Namen der beiden Dörfer Kütschük- und Bujuk-Tschekmedsche in gar keiner Beziehung zu den beiden alten Namen dieser Orte, wovon jenes Atyras, dieses Regium hieß, steht, so ist der Ursprung der türkischen Benennung als ›große und kleine Ziehlade‹ schwer zu erraten. Die große, eigentlich aus vier kleinen zusammengesetzte Brücke zwischen Klein- und Groß-Tschekmedsche über die Mündung des vereinten Stromes Bathynias ist ein der Zeit der höchsten Glorie osmanischer Macht würdiges Werk. Sie ward zu Ende der Regierung Suleimans des Gesetzgebers begonnen und im Anfang der Regierung seines Sohnes Selim II. vollendet.

Die Zeit des Beginnes und der Vollendung meldet die türkische, schön verschlungene Inschrift, die erste der zahlreichen, die ich auf dieser Reise abschrieb. So weit das Auge reichte, standen die Täler unter Wasser, nur schmale[49] Erdzungen trennten die Gewässer und gaben dem Ganzen das Ansehen eines von Kanälen durchschnittenen oder vom Meere überschwemmten Landes. Am frühen Abend erreichte ich Siliwri, das alte Selymbrias. Die Straße zieht längs der flachen Ufer hin, die sich eine Stunde vor Siliwri felsig erheben und mit denen die alten Mauern Selymbrias teilweise architektonisch verbunden sind.

Das Schloß hat vierhundert Schritte im Gevierte und ist von den drei Landseiten mit hohen Mauern umschlossen, die damals noch mit offenen Bogen gekrönt waren. Von der Wasserseite her ist die Stadt am stärksten befestigt, das erste Tor ist von zwei fünfeckigen, das zweite von zwei runden Türmen flankiert. Die aus Ziegeln gebauten Mauern des Schlosses sind von außen mit Steinquadern bekleidet, doch so, daß immer in einer Höhe von einigen Klaftern eine dreifache Ziegelreihe wie ein Gürtel durch den Steinwall zieht.

An manchen Stellen auf der Meerseite, das ist die östliche, sitzen die Mauern unmittelbar auf den Felsen auf. Auf der Südseite sind noch auf dem Fuße des Hügels große alte Brunnen zu sehen. Überall liegen große viereckige Steine herum von derselben Größe und Form wie die, womit die Mauern bekleidet sind, diese gaben, zum Teil zerstört, ihre Quadern zu Grundfesten von Häusern oder zu Leichensteinen her. Von Selymbria aus lief die alte lange Mauer bis nach Derkos ans Schwarze Meer, mit der Kaiser Anastasios das Dreieck der byzantinischen Halbinsel gegen die Streifzüge der Barbaren abschloß. Dem ganzen Dreiecke, dessen eine Seite eine Tagreise lang war, war das kleine Konstantinopel, dessen eine Seite eine Stunde lang war, eingeschoben.

Von Selymbria laufen die Ufer des Meeres eben fort, bis sie sich zu Eregli (Periclea, vormals Perinthos) wieder zum Vorgebirge erheben, von dem einst ein Tempel in die Propontis blickte. Auf den Ruinen des alten Tempels steht heute eine griechische Kirche oder vielmehr Kapelle, denn sie ist nur zwanzig Schritte lang.

Der 24. Februar war ein schöner Frühlingstag und die Luft gewitterschwül, es donnerte in der Ferne. Am folgenden[50] Morgen, als ich in Rodosto erwachte, stürmte der Nordwind und die Gegend war mit Schnee bedeckt. Zum erstenmal war ich Zeuge des so schnellen, aber hier nicht seltenen Überganges von donnerndem zu schneiendem Himmel, von sonnenklarer Gewitterschwüle zu eisigem Frost. Das stürmische Wetter hielt zehn Tage an, ohne daß eines der auf der Reede von Rodosto liegenden Fahrzeuge sich ins Meer, auch nur bis an die Dardanellen wagte. Während dieser Zeit bereitete ich mich durch die Lesung der Ilias auf die Ebene Troas vor.

Ich wohnte im Hause des englischen und österreichischen Agenten Köseyi, eines levantisierten Ungarn, dessen Großvater der Kammerdiener des in der dortigen Kirche an der Seite seiner Mutter begrabenen letzten Fürsten Rakoczy. Ich schrieb ihre Grabschriften ab, ebenso die auf dem armenischen Friedhof in Nikomedien gefundene Emmerich Tökölys. Tököly und Rakoczy büßten ihre Anhänglichkeit an die Türken, beide wurden aus ihrem Vaterlande an die beiden Gestade der Propontis verbannt und starben im Zeitraume von 30 Jahren. Tököly starb in Nikomedien im Jahre 1707, Rakoczy in Rodosto im Jahre 1735.

Nach zehn Tagen war das Meer so weit beruhigt, daß der Kapitän eines österreichischen Brigantino nach den Dardanellen die Segel spannte. Aber wie mein Mißgeschick mich zehn Tage in Rodosto gefesselt, so hielt es mich ebensolange an den Dardanellen zurück; in diesen Tagen tobten sich die Äquinoktialstürme aus. So mußte ich im Hause des österreichischen Vizekonsuls Chialli acht Tage feiern, bis ich endlich die Ebene von Troas besuchen konnte. Außer dem Hause des österreichischen Konsuls besuchte ich in Tschanak-Kalessi das des englischen, des Hebräers Ghormezzano, für den mir der englische Minister Spencer Smith Empfehlungsbriefe gegeben. Er hatte der Eröffnung des Grabhügels des Achilles durch Choiseul-Gouffier beigewohnt. Erst in der Hälfte März konnte ich nach Kunkalaa und von dort aus die Ebene von Troas besuchen, wo ich am 17. März die Quellen des Skamandros unter Steinen rauschen hörte. Nach meiner Rückkehr schiffte ich mich auf einer griechischen Sakolake nach Chios ein. Bei herrlicher Frühlingssonne[51] und frischem Nordwind durchschnitt das kleine Fahrzeug die Mündung der Meerenge, deren europäische Schlösser ›Meeresdamm‹ und ›Meeresschlüssel‹, das asiatische ›Schlüsselloch‹ heißt. Im Vorbeifahren grüßte ich noch einmal das Grab des Mannes, ›der hinsank im Streit dem gottlosen Hektor‹, die Gräber anderer griechischer und trojanischer Helden und die Ruinen von Alexandria-Troas, die zu besuchen ich mir bei der schon großen Verspätung meiner Reise nicht mehr gönnen konnte.

Ich las abwechselnd die Reisen des jüngeren Plinius und den Sallust und hörte den Wogen zu, die sich am Kiele des Fahrzeuges in vielstimmigem Geflüster brachen. Meinen Freunden Müller und Böttiger teilte ich die beiden Weihegesänge des ersten und zweiten Teiles der ›Schain‹ mit, deren ersten ich in der herbstlichen Tag- und Nachtgleiche an der nördlichen Mündung des Bosporus, den zweiten in der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche an der südlichen Mündung des Hellespont gedichtet hatte.

Selbst auf der kurzen Fahrt von den Dardanellen nach Chios war der Wind nicht immer günstig, wir landeten auf Mytilene für einige Stunden. In Chios blieb ich nur einen Tag, er mußte mir genügen, um mit dem zauberischen Gemälde der Armidagärten dieses feenhaften Eilandes mein schönheitsdurstiges Auge zu füllen; ich ritt nach der sogenannten Schule Homers, und der folgende Morgen fand mich in einem anderen Fahrzeug unterwegs nach Rhodos. Nie im Leben schien mir eine Fahrt so kurz wie diese, der beständige Wechsel der nahenden und fliehenden Inseln, die immer fortwährende Veränderung der Perspektive, die Erinnerungen an die Begebenheiten aus der Geschichte und den Sagen, von denen jede dieser Inseln ein Schauplatz war, der blaue Himmel, alles umfloß mich mit unaussprechlichem Zauber.

Die ortsbeschreibenden Ergebnisse meines mehrmaligen Aufenthaltes auf Rhodos, diesem Sonnen- und Roseneiland, habe ich in den ›Topographischen Ansichten auf einer Reise durch die Levante‹ niedergelegt. Bei meiner ersten Landung beschäftigte mich natürlich nichts so sehr, als die Stelle zu finden, wo der berühmte Sonnenkoloß stand.[52] Gedrängt von dem Wunsche, meine bisherige Schneckenreise zu beschleunigen, nahm ich mir diesmal zu längerem Aufenthalt und wissenschaftlichen Untersuchungen keine Zeit. Ich stieg bei einem englischen Schiffskommissär, dem ich von Spencer Smith empfohlen war, ab. Vergebens hielt ich Umschau nach einem dalmatinischen Schiff, mit Mühe fand ich Platz auf einem griechischen, auf welchem sich einige zwanzig Albanesen, die ins Lager des Großveziers bestimmt waren, nach Larnaca eingeschifft hatten.

Dies war nun die vierte Metastrophe meines Reisehymnus und die unangenehmste von allen durch das Zusammensein mit diesen Haufen roher und ungezügelter Barbaren. Sie zwangen den Kapitän mit ihren Pistolen, in Limassol zu landen, obwohl seine Fracht nach Larnaca bestimmt war. Die Landung an diesem Orte der Insel war mir zwar unangenehm, denn sie lenkte mich abermals von der Linie meiner ägyptischen Reise ab, um so erwünschter war mir die Befreiung von der albanesischen Rotte. Bis zu meiner Landung in Limassol war nun ein voller Monat seit meiner Abreise von Konstantinopel vergangen.

Ein großes türkisches Transportschiff, das in ein paar Tagen nach Alexandrien abgehen sollte, lag auf der Reede von Limassol, ich dingte mir die Mitfahrt aus und sandte einen Eilboten an den englischen Konsul in Larnaca mit den Depeschen von Spencer Smith, die ich ihm selbst zu übergeben gerechnet hatte. Nach einem Ausflug nach San Nicolo, wo ich die Ruinen eines Tempels fand, schiffte ich mich zum fünftenmal ein. Auf dem türkischen Transportschiffe befand ich mich weit behaglicher als auf allen, die ich bisher benützt hatte. Wir waren kaum einige Stunden unterwegs, als wir mehrere Kauffahrteischiffe begegneten und durch sie die Hiobspost der neuerlich über Alexandrien und Ägypten verhängten Seesperre vernahmen: die Konvention von El-Aarish war nicht genehmigt worden. Der türkische Kapitän kehrt um und steuerte nach Larnaca. Dort feierte ich die Osterwoche und noch zwei weitere, weil ich nun nach der verbreiteten Schreckensnachricht der neuerlichen Absperrung Ägyptens kein dorthin segelndes Schiff fand. Ich lebte im Hause des kaiserlichen Vizekonsuls,[53] eines sehr förmlichen Maltesers, der mich bei den Osterbesuchen, die sich die Konsuln gegenseitig erstatteten, bei diesen und in anderen zypriotischen Häusern vorstellte.

Da sich kein Schiff fand, das zum englischen Geschwader fuhr, auch keines von diesem ankam, blieb mir nichts übrig, als ein kleines Fahrzeug zu mieten, das mich zum englischen, vor Alexandria kreuzenden Geschwader bringen sollte. Dies war meine sechste Einschiffung seit Konstantinopel, die armseligste von allen, und sie brachte mich ebensowenig ans Ziel wie die übrigen fünf. Zu meinem Glück erschien ein englisches Transportschiff, das mich sogleich an Bord nahm; dieses siebente Fahrzeug brachte mich am 22. April, also volle zwei Monate, nachdem ich Konstantinopel verlassen, an Bord des ›Tiger‹, wo mich Sir Sidney Smith gastfreundlichst aufnahm.

Kriegsschiffe hatte ich in Konstantinopel in allen Größen gesehen, doch war ich bisher nur an Bord von Kauffahrteischiffen und Briggs gewesen. Ein Koloß wie der ›Tiger‹, an dessen Bord sich anderthalbhundert Menschen befanden, der achtzig Kanonen führte, war für mich eine neue Erscheinung.

Ich war auf die Bekanntschaft des Kommandanten Sir Sidney Smith, des Helden meines Gedichtes ›Die Eroberung von Akri‹, gespannt und hatte bei meiner Ankunft auf dem vor der Küste Ägyptens kreuzenden ›Tiger‹ für nichts anderes als für den Befehlshaber des Geschwaders Auge und Ohr. Ich fand Sir Sidney in der Abfertigung von Depeschen begriffen, auf welche eine dem ›Tiger‹ folgende Brigg wartete. Das Wort der Araber: ›Erst das Brot gebrochen, dann das Wort gesprochen‹ und die gastfreundliche Sitte, erst den Gast zu bewirten, ehe Geschäfte verhandelt werden, war bei Sir Sidney ins Leben übergegangen.

Sir Sidney war ein blühender, schöner Mann von 36 Jahren, von mittlerer Statur und schmächtigem Aussehen. Lichtbraune Haare umgaben in reichen natürlichen Locken die hohe, schön gewölbte Stirn, aus der Verstand und Seelengüte sprachen. Sanftmut milderte das Feuer der helleuchtenden blauen Augen, das nur im ernsten Kampf des Streites oder Wortes drohend brannte. Gewöhnlich[54] ruhig und sanft in seinen Bewegungen, beflügelte er dieselben am Tage der Schlacht und in den Stunden entscheidender Unternehmung und umgekehrt dämpfte sich in solchem Falle die gewöhnliche Lebendigkeit seines Geistes und Gespräches, und er ward um so ruhiger und kälter, je größer die Gefahr. So lernte ich ihn freilich nicht beim ersten Anblick, erst in Tagen der Schlacht und Gefahren kennen.

Auch die nächste Umgebung Sir Sidneys bot interessante Charaktere. Vor allem sein Sekretär Keith, ein hochgewachsener Schotte von nicht dreißig Jahren; er hatte einige Zeit in Frankreich gelebt und hatte sich das Französische in Sprache und Schrift besser angeeignet, als dies bei Engländern insgemein der Fall ist, allerdings nicht so gut wie Sir Sidney. Sein großmütiger Sinn wetteiferte mit dem Sir Sidneys bis zu an Verschwendung grenzende Freigebigkeit, er hielt die Papiere seines Vorgesetzten in besserer Ordnung, als er sie für sich gehalten hätte. Ungeachtet seiner großen Verehrung und Anhänglichkeit für Sir Sidney war er nichts weniger als dessen blinder Verehrer und Schmeichler wie der Schiffsleutnant Wright, der sein Gefährte in französischer Gefangenschaft gewesen und seine Verehrung bis zur bewußten Anbetung trieb, er ahmte den Gang, die Haltung, die Art, den Mantel und das Haar zu tragen, sklavisch nach. Diese beiden besten und treuesten Freunde Sir Sidneys fanden einen tragischen Tod, Keith noch im ägyptischen Feldzug in den Fluten des Nils und Wright später im französischen Kerker, gleich Pichegru von Bütteln erdrosselt.

Diesen beiden zunächst steht die Trias seiner französischen Freunde, Du Roi, Tromelin und Frotté, welche mit ihm die Gefangenschaft im Temple geteilt und zu seiner Befreiung aus derselben das ihrige beigetragen hatten. Du Roi, der tüchtigste von den Dreien, hatte als Offizier des Direktoriums verkleidet mit gefälschtem Befehl Sir Sidney Smith und den mit ihm unter dem Namen Dromley als Engländer gefangengehaltenen emigrierten Tromelin aus dem Temple befreit, als geschickter Artillerieoffizier hatte er das Meiste zur Verteidigung Akkas beigetragen. Ihn sah ich nur ein paar Wochen lang, bei der Ankunft des[55] ›Tiger‹ in Rhodos verließ er uns und reiste über Wien nach England.

Mit Frotté und Tromelin lebte ich lange genug zusammen, um sie kennenzulernen. Der erste, ein junger, hochherziger Normanne, hatte in seinen Adern dasselbe Blut, das seine nächsten Verwandten für den alten Glauben und das alte Königtum vergossen, auch er starb später im französischen Kerker. Tromelin war das Nonplusultra französischer Frivolität, Gourmandise, Oberflächlichkeit und Redseligkeit, deren Strom sich besonders über politische Gegenstände am breitesten ergoß. Er kehrte noch unter Napoleons Regierung ins Vaterland zurück und diente in der Armee als Maréchal de Camp. Ich konnte mich nie näher mit ihm befreunden, während mich des jungen Grafen Frotté normannischer Charakter, Ernst und solide Biederkeit sehr ansprach und ich ihm aufrichtig zugetan war. In ungeheurem Abstand von dieser Pentas der Freunde und Handlanger des Dienstes stand der Dolmetsch, der Zypriot Amaxaris, das heißt Wagner, so genannt, weil sein Vater wirklich das Gewerbe der Herstellung unförmlicher türkischer Arbas trieb, die sein Sohn vielleicht besser gelenkt hätte als das Amt des Dolmetsch, das er hier bekleidete. Sein Äußeres war sehr bettelhaft, er war roh und unerzogen, Arabisch konnte er gar nicht, Türkisch so wenig, daß er es kaum lesen konnte. Er verstand die Geschäftsschreiben des Großveziers und Kapudan-Paschas, mit denen Sir Sidney seit der Unterhandlung der Konvention von El-Aarish in beständigem diplomatischem Verkehr war, gar nicht und war nicht imstande, sie weder französisch noch italienisch richtig zu übersetzen.

Seine Muttersprache Griechisch sprach er in der verderbtesten aller Mundarten, in der zyprischen. Obwohl meine Verwendung als Dolmetsch-Sekretär nicht im Zweck und Auftrag meiner Sendung lag, sah Sir Sidney doch bald ein, daß ihm meine Gegenwart als Dolmetsch-Sekretär nützlich sein könne, und mir konnte nichts erwünschter sein, als durch diese Verwendung den Gang der ägyptischen Lage genau kennenzulernen, welche die wichtigste Frage der levantinischen Politik war.[56]

Ich konnte aus dem Türkischen oder Arabischen ins Französische, Italienische oder Englische übersetzen, sprach Türkisch wie Deutsch und konnte mich im Arabischen mit dem Fürsten des Libanon, Emir Behir, der sich als hilfeflehender Flüchtling vor des Tyrannen Dschefar-Pascha Übermacht an Bord des ›Tiger‹ befand, und mit seinem Gefolge einigen.

Von den englischen Schiffsoffizieren, die mich manchmal in ihre ›Mass‹ zu Tische luden, gefiel mir besonders der wackere erste Leutnant Bushby, ein glänzender Seemann, und von den Midshipmen der schlanke und behende Barrow, der sich später mit der Herausgabe der Lebensbeschreibung Sir Sidneys beschäftigte, dem er, wie die meisten Offiziere des ›Tiger‹, mit Bewunderung und Anhänglichkeit ergeben war.

Das englische Schiffsleben hatte trotz seiner Eintönigkeit für mich den großen Reiz der Neuheit. Mit dem Übel der Seekrankheit und allem Ungemach kleiner Fahrzeuge war ich auf meinen sieben flachen Schiffen vertraut geworden, nun lernte ich den Komfort eines großen englischen Kriegsschiffes kennen, auf welchem der minderen Bewegung wegen der Anlaß zur Seekrankheit viel geringer ist.

Als ich an Bord des ›Tiger‹ kam, waren sechs Wochen verflossen, seit Sir Sidney Smith von Lord Keith, dem Oberbefehlshaber der englischen Flotte im Mittelmeer, die Nachricht von der Nichtgenehmigung der Konvention von El-Aarish erhalten und davon augenblicklich den Großvezier und den General Klebér, mit welchem die Konvention abgeschlossen worden war, verständigt hatte. Die Nichtgenehmigung dieser am 21. Januar zwischen dem französischen Bevollmächtigten General Dessayx, dem Verwalter der Finanzen Toussielques einerseits, dem Deftertar Raschid Mustafa und dem Reis-Efendi Mustafa Redich andererseits abgeschlossenen Konvention ist die Ursache des mit großem Aufwand von Blut und Geld in Ägypten geführten englischen Feldzuges. Sir Sidney Smith hatte zwar keine spezielle Vollmacht zur Vermittlung, handelte aber trotzdem im Sinne seiner Verhaltungsbefehle und hatte den größten Anteil an dem Zustandekommen. Noch waltet[57] über der Vorgeschichte dieses Feldzuges manches Dunkel, ich halte es daher der Mühe wert, zur Aufhellung desselben die genaue Kenntnis der Lage zu benützen, in die mich bald nach meinem Eintreffen an Bord des ›Tiger‹ das Vertrauen Sir Sidneys setzte. Ein Rückblick auf die Begebenheiten des vorhergehenden Jahres (1799) ist nötig.

Obwohl die erwähnte Konvention, welche den Franzosen den freien Abzug aus Ägypten mit ihren Waffen und Habseligkeiten gewährte, die von El-Aarish heißt, weil sie in diesem kleinen Fort am Ende der Küste gegen Syrien von den französischen und türkischen Bevollmächtigten unterzeichnet wurde, wurde sie doch nicht dort, sondern an Bord des ›Tiger‹ von Sir Sidney mit Dessayx und Toussielques unterhandelt. Diese Unterhandlung fand anfangs ohne Wissen des Großveziers, aber mit Zustimmung des englischen Botschafters in Konstantinopel und des russischen Ministers Tomara statt, der letztere leitete den Botschafter und gab der Unterhandlung so lange seinen Beifall, als er nicht an einen Erfolg derselben glaubte. Seine Sprache änderte sich, sobald sie zustande gekommen war. Im Lager des Großveziers befand sich der russische Dolmetsch Franchini, Lord Elgin hatte seinen Privatsekretär Morier dahingeschickt.

In einem Schreiben vom 16. November 1799 an Sir Sidney Smith hatte Lord Elgin den Bemühungen desselben, zwischen Franzosen und Türken einen Ausgleich zur Räumung Ägyptens zu bewirken, seine volle Zustimmung gegeben, als dieser Ausgleich aber ohne sein Zutun zustande kam, erwachte seine kleinliche diplomatische Scheelsucht, mit welcher er während seines ganzen Aufenthaltes in Konstantinopel die beiden Brüder Smith verfolgte und ihnen Prügel unter die Füße warf.

Sobald die Nachricht von der Unterzeichnung der Konvention nach Konstantinopel kam, worauf Baron Herbert sofort meine Reise anbefahl, tadelten Lord Elgin und Tomara Sir Sidneys Benehmen und behaupteten, Sir Smith habe ganz gegen seine Verhaltungsmaßregeln gehandelt. Tomara wollte nichts von dem Artikel der Konvention wissen, welcher sowohl vonseiten der Pforte als von der Englands[58] und Rußlands Pässe und sicheres Geleit für die französischen Transportschiffe stipulierte. Die Türken waren, nachdem El-Aarish am 28. Dezember kapituliert hatte, leicht zu überreden, daß das Heer des Großveziers auch ohne Konvention die Franzosen mit Gewalt aus Ägypten zu vertreiben imstande sei.

Auch Baron Thugut in Wien mißbilligte die Konvention, da er eine bedeutende Stärkung des französischen Heeres in Italien als ihre Folge befürchtete. Sicher wäre durch die Ankunft des ägyptischen Heeres der Franzosen die Stellung des österreichischen in Italien verschlechtert worden und es ist ein sonderbarer Zufall, daß die Schlacht von Marengo (14. Juni 1800) wirklich durch den aus Ägypten angekommenen General Dessayx, den Unterhändler der Konvention von El-Aarish, entschieden wurde, der in ihr fiel.

Die Türkei hatte die Konvention sofort genehmigt, und der Großvezier hatte schon die Spitze seines Heeres von Syrien aus durch die Wüste in Bewegung gesetzt. Er drang auf die schnellere Räumung der in der Konvention genannten Plätze, besonders Kairos. Dieses sollte am 40., spätestens am 45. Tage nach erfolgter Genehmigung geräumt werden. Klebér zweifelte nicht an der Genehmigung der Konvention durch die verbündeten Mächte, obwohl diese beim Abschluß nicht einmal durch Bevollmächtigte vertreten waren, und wünschte Ägypten je eher je lieber zu verlassen, da das Andrängen des türkischen Heeres in Kairo bereits große Beunruhigung hervorrief. Er gab den Anträgen des Großveziers nach und hatte die Räumung der Zitadelle für den 12. März, an welchem die 45 Tage verflossen waren, zugesagt. Dem Großvezier mißfiel die Wahl dieses Tages – ein Mittwoch. Er war abergläubisch wie alle Türken. Er bat daher die Räumung auf den folgenden Donnerstag, als den Tag, den der Prophet als von Gott gesegnet erklärt, festzusetzen. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag traf Sir Sidneys Schreiben an General Klebér ein, in welchem diesem mit der größten Offenheit und Redlichkeit die vom britischen Ministerium verweigerte Genehmigung der Konvention mitgeteilt und er gebeten[59] wurde, Kairo dem Großvezier nicht eher zu übergeben, als bis diese Genehmigung erfolgt sei. So rächte sich der Aberglaube durch die um 24 Stunden verschobene Erfüllung einer vernunftmäßigen Pflicht.

Bei El-Chanka erlitt der Großvezier eine schwere Niederlage am 20. März. Das Schreiben, durch welches der Großvezier dem Commodore Nachricht von der verlorenen Schlacht und seiner Flucht nach El-Aarish gab, scheint in der größten Verwirrung vom Großvezier eigenhändig geschrieben worden zu sein.

Alle üblichen Eingangsformeln und Komplimente fehlen, es zeigte sich nicht die schöne Hand der Staatskanzlei, sondern eine flüchtige und unschöne, keine Floskeln und schwülstigen Phrasen kamen vor, es war einfach und natürlich, jedoch wie alle osmanischen Staatsschreiben ohne Datum. Dieser Mangel des Datums war bis in die jüngste Zeit politische Kabinettmaxime türkischer und persischer Staatsschreiben. Das geschriebene Wort sollte nur eine bloße Förmlichkeit der Staatskanzlei vorstellen und so wenig wie möglich sagen, die nähere Bestimmung der Daten und Tatsachen war immer der mündlichen Ergänzung des Überbringers vorbehalten. Dieses auf der Flucht des Großveziers nach El-Aarish abgefertigte Schreiben an Sir Sidney, ein Schreiben desselben, sogleich nach der Ankunft von Sir Sidneys Warnungsschreiben an Klebér vom Großvezier in gerechtem Unwillen über die Nichtgenehmigung der Konvention durch England erlassenes und ein drittes aus Jaffa datiertes waren die jüngsten Schreiben, welche mir Sir Sidney gleich nach meiner Ankunft an Bord des ›Tiger‹ zum Übersetzen gab. (B. 2, 3, 4.)

Zehn Tage nach meiner Ankunft auf dem ›Tiger‹, welcher aus den alexandrinischen Gewässern nach Rhodos segelte, erstattete ich meinen ersten Bericht an den Internuntius, dem ich die Abschrift dieser Schreiben, der Konvention von El-Aarish und einer von Keith, dem Privatsekretär Sir Sidneys, entworfenen Charakterskizze Klebérs beilegte. (B. 5.) Zwei Tage später landeten wir auf Rhodos. Wir erwarteten die Flotte des Kapudan-Paschas, deren Auslaufen aus Konstantinopel angekündigt war. Sir Sidney[60] setzte voraus, daß das britische Ministerium nun nach der Niederlage des Großveziers den Fehler einsehen werde, den es durch die Verweigerung der Ratifikation begangen, und ihn durch die Bestätigung der Konvention in Bälde gutmachen werde und verweilte in diesen Erwartungen volle sechs Wochen auf Rhodos. Ich verlebte diese Zeit vom Mai bis in die erste Hälfte des Juni im Genuß der schönen Natur und des milden Himmelsstriches in heiterer und freier Muße. Durch die lange Seereise von Konstantinopel an Bord des ›Tiger‹ war ich ermüdet und an Zeitverschwendung gewöhnt, so ließ ich es mir in süßer ländlicher Ruhe nur zu wohl sein und vertrödelte die Zeit, die ich besser zu Ausflügen ins Innere der Insel und zu Forschungen hätte verwenden können, in Spazierritten mit Sir Sidney und Spaziergängen mit Keith und Frotté. In den Morgenstunden ordnete ich die orientalische Korrespondenz Sir Sidneys oder setzte dieselbe fort, wie zum Beispiel an Emir Behir, welcher den ›Tiger‹ noch vor unserer Ankunft in Rhodos verlassen hatte. Vormittags begleitete ich Sir Sidney auf seinem fast täglichen Besuche bei Hassan-Bey, dem Mutaselim der Insel, dessen Mitwirkung in allen die Verproviantierung der Flotte betreffenden Fragen wesentlich war.

Die meisten Gassen der Vorstädte von Rhodos, viele auch in der Stadt, sind durch bloße Mauern der Gärten oder der Häuser gebildet, die Fenster gehen nicht auf die Gasse, sondern in den inneren Hof oder Garten, daher wandelt man wie auch in anderen orientalischen Städten nur zwischen Mauern mit verschlossenen Türen. Einmal geriet ich in eine solche abgelegene einsame Gasse, die in gerader Linie aufs Meer zulief, so daß man gerade auf den im Hafen liegenden ›Tiger‹ sah. In der Mitte der Straße fand ich einen griechischen Altar, dessen verwitterte Inschrift ich entzifferte.

Eines Morgens fand ich in meinem Bette einen ziemlich großen Skorpion. Der Fund wurde beim Frühstück besprochen und es wurde beschlossen, in durch Öl in einer Flasche so in die Enge zu treiben, bis er sich selbst erstechen würde. Ich hatte dies noch nie gehört und auch den anderen war dieses Schauspiel neu und unglaublich. Es traf aber[61] alles ein, wie es Sir Sidney vorausgesagt hatte. Als die Flasche verstopft und auf die Seite gelegt war, so daß der Skorpion im Öl zu ersticken nahe war, tötete er sich selbst mit seinem Stachel. Der einzige bekannte Selbstmörder unter den Tieren.

Diese sechs Wochen der Frühlingsferien auf Rhodos waren schnell und angenehm verflossen, ich ahnte nicht, daß sich dort eine türkische Bibliothek befand und erfuhr es leider zu spät. Es war die des Reis-Efendi, der ein halbes Jahr vorher hingerichtet worden war, desselben, der als Gesandter in Wien meine Sprachkenntnisse belobt hatte. Auch nach diesen sechs Wochen war die ersehnte Genehmigung aus London noch nicht eingetroffen, die Flotte des Kapudan-Pascha kreuzte vor Alexandrien. In der Nacht vom 16. Juli lichtete der ›Tiger‹ seine Anker.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 48-62.
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