V. Winterkreuzfahrten vor Alexandrien und Aufenthalt im Busen von Marmaris (1800/1801).

[62] Am dritten Tage, nachdem wir Rhodos verlassen, begegneten wir der Flotte des Kapudan-Paschas auf hoher See. Sie bestand aus zehn Linienschiffen und zwölf Fregatten oder Korvetten. Am 25. April 1800 hatte er in Konstantinopel seine Abschiedsaudienz genommen und hatte einen reichen Zobelpelz und einen diamantenen Reiher erhalten. Stolz auf die unerschütterliche Gunst seines Herrn hatte er alle Minister und auch den Keimaben dadurch, daß er keinen Abschied nahm, vor den Kopf gestoßen. Gern hätte er sich auch des wackeren Seemannes Kapudan Seid Ali, den er als Nebenbuhler um seine Großadmiralstelle fürchtete, durch die seidene Schnur vom Halse geschafft, es gelang der Valide, das Leben Seid Alis zu erhalten und das schon ausgesprochene Todesurteil in Verbannung nach Famangusta auf Zypern umzuwandeln. Den Kapudan-Pascha Kutschuk Hussein, mit dem ich von nun an bis zu seinem vier Jahre später erfolgten natürlichen Tode in steter Berührung blieb, sah ich hier zum erstenmal. Er war von kleiner, unscheinbarer Figur und häßlicher Gesichtsbildung. Er hatte einen aufgeweckten, durchdringenden Geist, sonst hatte er keine[62] großen Eigenschaften, er war treulos, unermeßlich eitel, verschwenderisch und prachtliebend, sein Hang zu Neuerungen war ebenso groß wie sein Durst nach seichter Kenntnis, der, viel mehr Neugierde als Wissensbegierde, leicht gestillt war und sich mit wenigem abfand, sich aber das Oberflächliche als gründliche Kenntnis anrechnete. Seine Vorliebe für alles Europäische verstärkte sein Vertrauter Ishakbey, der einst auf einem französischen Schiff nach Frankreich gefahren war, mehrere Jahre in Paris gelebt und sich dort Sprache, Liebenswürdigkeit und Manieren der Franzosen angeeignet hatte. Durch den Einfluß des Kapudan-Paschas wurde er in die Heimat zurückberufen und von diesem, obwohl ihm alle Kenntnis des Seewesens mangelte, als Kapitän der Flotte und als eine Art Generaladjutant des Großadmirals angestellt, versah aber bei diesem mehr die Dienste eines Obersthofmeisters oder vertrauten Kammerdieners. Mit dem für das Detail der Geschäftsführung so wichtigen Amte des Kipja war ein junger Mann von einigen dreißig Jahren betraut; er war klein, hatte ein nicht unangenehmes Gesicht, gefällige Manieren und eine katzenbuckelige Haltung. Ich hatte später oft mit ihm teils in Geschäften, teils als Gast des Kapudan-Paschas zu tun. Freilich konnte ich in dem damals so unbedeutend scheinenden Kipja Chabran nicht den späteren allmächtigen, rachsüchtigen Großvezier Cha bran-Pascha vermuten.

Noch vor Sonnenuntergang des Tages, an dem wir die Flotte des Kapudan-Paschas begegnet hatten, machte Sir Sidney diesem seinen Besuch und stellte mich ihm als einen deutschen, nach Ägypten bestimmten Reisenden vor, der so lange an Bord des ›Tiger‹ weilte, bis Ägypten offen, und aus Freundschaft den Dienst des Dolmetsch-Sekretärs mache. Am folgenden Tage gingen wir vor Jaffa vor Anker und nachdem die Schiffe des Kapudan-Paschas und Sir Sidneys das türkische Lager mit neunzig Kanonenschüssen begrüßt hatten, gingen die beiden Befehlshaber an Land. Am Abend machte Sir Sidney dem Großvezier einen Besuch, bei welchem Stunde und Förmlichkeit der feierlichen Audienz für den folgenden Tag bestimmt wurde. Ich verließ den ›Tiger‹ erst am nächsten Morgen und quartierte mich im Hause des[63] österreichischen Vizekonsuls Damiani ein, Sir Sidney war beim englischen Konsul abgestiegen. Ich besuchte ihn nicht, um nicht den Anschein zu erwecken, daß ich zur Audienz und Konferenz mitgenommen werden wolle. Als alles zum Aufbruch bereit war, ließ er mich holen, um ihn zu begleiten.

Den Zug eröffneten zwanzig Janitscharen zu Fuß, dann der Bewirtungskommissär der Fremden mit einigen türkischen Offizieren zu Pferd. Vor Sir Sidney marschierten englische Schiffssoldaten mit fliegender Fahne und klingendem Spiel. Den Commodore begleiteten Morrier, der Sekretär Lord Elgins, der jetzt Geschäftsträger im Lager des Großveziers war, die beiden Sekretäre Keith und Wright, der Dolmetsch Amaxaris und ich nebst einigen Offizieren des ›Tiger‹. Als die Konferenz beginnen sollte, wollte ich mich entfernen, Sir Sidney rief mich an und stellte mich durch den Dolmetsch dem Großvezier als seinen Sekretär für die orientalischen Sprachen vor, der als solcher der Konferenz beiwohnen müsse. Den vier osmanischen Ministern, nämlich dem Großvezier, dem Kapudan-Pascha, dem Reis-Efendi und Kipja-Bey, war meine Gegenwart gleichgültig, nicht willkommen sein konnte sie dem Sekretär Lord Elgins und dem russischen Dolmetsch Franchini, der wußte, daß ich das Vertrauen des Internuntius genoß und ihm genau berichten würde. Um keine Einwendung von diesem hervorzurufen, hielt ich mich bei dieser und den folgenden Konferenzen streng innerhalb der Schranken des stummen Beobachters.

So konnte ich alles weit besser bemerken, als wenn ich selbst mitgesprochen hätte, und war zugleich eine Kontrolle für den Dolmetsch Sir Sidneys. Die Konferenz drehte sich einzig um die Frage, ob der Großvezier oder Sir Sidney dem Befehlshaber des französischen Heeres General Klebér die von Lord Keith, dem Oberbefehlshaber der englischen Mittelmeerflotte, endlich erfolgte Zustimmung des englischen Ministeriums zum freien Abzuge der Franzosen aus Ägypten mitteilen solle. Sir Sidney erklärte, er sei nicht mehr bevollmächtigter Minister und könne nur als Befehlshaber der britischen Seemacht vor Alexandrien einschreiten.[64] Endlich bestürmte ihn der Großvezier, der wohl wußte, daß die Franzosen weit größeres Vertrauen in eine Mitteilung Sir Sidneys als in seine setzen würden, derart, daß Sir Sidney versprach, auch ein Schreiben durch einen seiner Offiziere abzusenden. Man kam überein, sich den Aufsatz der beiden Schreiben gegenseitig mitzuteilen.

Der Großvezier war der Ausbund gewöhnlicher osmanischer Politik und sich wohl bewußt, daß sein eigenes Benehmen kein Vertrauen verdiene, trotzdem aber voll Mißtrauen gegen alle anderen. Er war sehr abergläubisch auf gute und schlechte Tage, gute und schlechte Vorbedeutungen. Übrigens war er ein Mann von gutem Herzen.

Abends kam eine englische Fregatte in Sicht, Sir Sidney sandte mich zum Reis-Efendi, um ihm zu melden, daß die Ankunft derselben, welche Depeschen bringen dürfte, in der Abfassung der beschlossenen Schreiben einige Änderungen verursachen dürfte. Ich entledigte mich meines Auftrages und ritt zurück. Ich begegnete Sir Sidney und Morrier auf dem Wege ins Lager und ritt zur Seite, um von letzterem nicht erkannt zu werden, was auch gelang. Der Anlaß dieses nächtlichen Besuches des Commodore war die Ankunft der Fregatte, welche die Duplikate der Depeschen brachte, die vor ein paar Wochen mit einer Fregatte vor Budos untergegangen waren und durch welche das englische Ministerium dem freien Abzug der Franzosen aus Ägypten zustimmte. Um den erhaltenen Auftrag gleich zu vollziehen, bestieg Sir Sidney ein Pferd und ritt ins Lager, die Nachricht dem Großvezier und Kapudan-Pascha mitzuteilen. Am nächsten Morgen übersetzte ich die Aufsätze der beiden Schreiben des Großveziers und des Commodore ins Französische und Türkische. Noch am selben Abend (22. Juni) wurden die beiden Überbringer, ein türkischer Offizier und Leutnant Wright, mit dem Schreiben nach Kairo abgefertigt.

Am nächsten Morgen beschäftigte mich die Übersetzung eines sehr langen Schreibens Sir Sidneys an Murad-Bey, das Oberhaupt der Mameluken in Oberägypten, der nach langem Widerstand gegen Bonaparte Frieden geschlossen, diesen mit Klebér unter vorteilhaften Bedingungen[65] erneuert hatte und nach der Schlacht von El-Chankah nach Oberägypten zurückgekehrt war.

Sir Sidney kannte Murad-Bey als entschiedenen Feind der Franzosen, er verbürgte ihm das volle Vertrauen der Pforte und gab ihm Weisungen, mit den aus Indien über das Rote Meer ankommenden englischen Truppen das Einvernehmen zu pflegen. Von Keith, Bromley und mir begleitet, überbrachte Sir Sidney dieses Schreiben selbst dem Bey der Mameluken Hasan-el-Bondari, dem Freunde Murad-Beys, in der Sache der Türken und Engländer und erstattete einen ausführlichen Bericht über die letzte Belagerung Kairos durch die Franzosen und die Ursachen der Übergabe.

Am folgenden Tage gab die Abwesenheit seines Dolmetschers dem Commodore Gelegenheit, auch in Morriers Beisein bei einer vertraulichen Unterredung mit dem Großvezier meine Dienste als Dolmetsch in Anspruch zu nehmen; Morrier wohnte der Unterredung als stummer Zeuge bei. Sir Sidney teilte dem Großvezier die Übersetzung seines Schreibens an Murad-Bey mit, Jusuf-Pascha beteuerte feierlichst den Wunsch, mit Murad-Bey im besten Einvernehmen zu stehen, und bat den Commodore, den Bey in des Großveziers Namen dieser Gesinnung zu versichern.

Am 25. Juni fand eine große militärische Konferenz statt, in welcher der Plan des Feldzuges erörtert werden sollte, falls die Franzosen den ihnen angebotenen freien Abzug nicht mehr annehmen sollten. An ihr nahmen teil: der Großvezier, der Kapudan-Pascha, der Kipja-Bey, der Reis-Efendi, ein türkischer Sekretär als Protokollführer, Sir Sidney mit Keith, Amaxaris und mir, Morrier mit seinem Dolmetsch und der russische Dolmetsch Franchini. Rechts auf dem Sofa saß der Großvezier und der Kapudan-Pascha, links der Kipja-Bey und der Reis-Efendi, in der Mitte Sir Sidney und der russische Geschäftsträger Franchini; ihnen gegenüber die Sekretäre auf Stühlen ohne Lehnen, der türkische Protokollführer, der Dolmetsch Sir Sidneys und Morriers auf dem Teppich mit untergeschlagenen Beinen.

Die Ohnmacht des Osmanischen Reiches, die Unzulänglichkeit seiner Hilfsmittel zur Vertreibung der Franzosen ohne fremden Beistand trat bei dieser Konferenz klar[66] zutage. Der Faden der Unterredung wurde langsam und leise fortgesponnen, er lief hauptsächlich zwischen dem Großvezier und Sir Sidney, einigemal sprach der Reis-Efendi hitzig, der Kapudan-Pascha selten, der Kipja-Bey kaum einmal dazwischen. Rede und Gegenrede folgten in Zwischenräumen, welche durch lange Züge aus den Pfeifen ausgefüllt waren. Die Pfeife ist ein Vorteil, welchen die Konferenzen im Morgenland vor solchen im Abendlande voraus haben, sie gewährt beliebige Zeit zum Nachsinnen. Sie erleichtert auch dem Protokollführer sein Geschäft und läßt ihm mehr Zeit, die Reden zu Papier zu bringen.

Nach dreistündiger Unterredung, in welcher die Pfeifen mehrmals mit neu gefüllten ausgetauscht wurden, in der der Kapudan-Pascha seine Karten, von denen er nichts verstand, ausgebreitet und Franchini den Dolmetsch Sir Sidneys mehrmals unterbrochen und das Gesagte besser oder mehr in seinem Sinne übersetzt, Morrier viel von allgemeinem Angriff und Kriegslist gesprochen hatte, war man am Ende der Konferenz ebensoweit wie am Beginne und nicht das geringste war beschlossen worden. Sir Sidney stellte immer wieder die Notwendigkeit gleichzeitigen Angriffes an mehreren Punkten zu Land und zur See in eindringlichen Worten vor, aber der Großvezier sah sich durch den elenden Zustand seiner Truppen zu gänzlicher Untätigkeit verdammt und konnte zu keinem anderen Entschlusse kommen als zu dem, daß der Kapudan-Pascha und Sir Sidney zusammen nach der ägyptischen Küste segeln und dort den Angriff in der Gegend von Damiette oder Rosette gemeinsam ansetzen sollten.

Nach der Konferenz besuchte Sir Sidney den Kapudan-Pascha und sprach mit ihm von der großen Gefahr, welche das Osmanische Reich bedrohe, wenn die französische Flotte von Brest ausliefe und vor einer englischen im Mittelmeer einträfe. Es bliebe dann nur die Möglichkeit, daß die türkische Flotte sich in die Bucht von Marmaris, in den Hafen von Smyrna oder in die Dardanellen zurückziehe. Hussein-Pascha hörte mit großer Ruhe zu. Am selben Abend erhielt Sir Sidney ein Schreiben des Generals Menou aus Kairo, welches den Tod General Klebérs, der am 14. Juni 1800[67] von einem fanatischen Türken ermordet worden war, und seinen Entschluß mitteilte, Ägypten nicht zu räumen, bis nicht die Ratifikation der Konsuln der Republik eingelangt sei. Sir Sidney war sehr betrübt über Klebérs Ermordung, er begab sich mit Morrier zum Großvezier. Er ließ mich in der Stadt suchen und als ich auch eintraf, fand ich die ganze Gesellschaft ohne alles Zeremoniell auf einem kleinen Sofa beisammensitzen in augenscheinlicher Verwirrung und Bestürzung. Franchini übersetzte auf Sir Sidneys Verlangen den Brief Menous Satz für Satz, war aber durch meine Gegenwart sichtlich verwirrt. Bei dieser nächtlichen Konferenz zeigte sich die russische Politik ebenso schleierlos wie bei der militärischen. Franchini hatte offensichtlich nur die Aufgabe, den Knäuel der ägyptischen Sache möglichst zu verwirren und die türkischen Minister dadurch, daß er immer von etwas anderem als dem in Frage stehenden Gegenstande sprach, vom richtigen Wege abzuführen. Er warf den türkischen Ministern Zweifel auf, ob die Nachricht von der Ermordung Klebérs nicht eine von diesem selbst ersonnene Kriegslist sei. Ich flüsterte dies Sir Sidney zu, und er machte durch seine kategorische Sprache dem Gerede Franchinis ein Ende. An Stelle der Zweifel, die den Ministern so angenehm waren, trat nun bei ihnen die größte Mut- und Hilflosigkeit. Der Großvezier, der im Schreiben Menous einen Vorboten neuer Feindseligkeiten sah, bat den Commodore, den General durch ein neues Schreiben zu friedlichem Ausgleich und zur Räumung Ägyptens einzuladen. Der Reis-Efendi bat mich, ihm alle Schreiben Menous schriftlich zu übersetzen. Der Kapudan-Pascha sprach kein Wort. Morrier schwieg, und man trennte sich ohne einen anderen Beschluß als den, daß für den nächsten Tag die feierliche Abschiedsaudienz des Kapudan-Paschas und des Commodore beim Großvezier festgesetzt wurde.

Die geheime Unterredung, welche dieser Audienz vorausging, wurde mit der Lesung der von mir gemachten Übersetzung des Antwortschreibens Sir Sidneys an General Menou eröffnet. Die türkischen Minister baten, den Zusatz zu machen, daß er von der Unschuld der osmanischen Minister an der Ermordung Klebérs überzeugt sei. Sir Sidney[68] war der Überzeugung, daß der Großvezier allerdings einer solchen Schandtat nicht fähig sei und war, was die Person dieses betrifft, dazu bereit. Da er aber von der Unschuld der anderen Minister nicht überzeugt war, ging er auf den Vorschlag Kipja-Beys, die Unschuld des ganzen Ministeriums zu verbürgen, durchaus nicht ein, und die Redseligkeit des bisher so schweigsamen Kipja-Bey war nicht geeignet, den Verdacht seiner Beteiligung an dem Morde zu vermindern.

Die Abfahrt der türkischen Flotte wurde für den 28. Juni festgesetzt, die von Sir Sidney gemachten Vorschläge eines Planes gemeinsamer Maßregeln blieben unbeachtet. Der Großvezier schmeichelte sich noch immer, eine seinen Wünschen günstige Antwort Menous zu erhalten und die übrigen Minister bestärkten diese Hoffnung. Endlich sagte Sir Sidney, daß man, selbst wenn Menou sich wirklich zur Räumung verstehen sollte, sich doch vergewissern müsse, ob Rußland diese nicht hindere. Aus dem Munde des englischen Befehlshabers klang dies sonderbar, denn nicht Rußland, sondern England hatte Einspruch gegen die Konvention erhoben. Franchini war nicht anwesend und Reis-Efendi verteidigte das russische Kabinett mit größter Wärme.

Der Großvezier stimmte bei und bat Sir Sidney, in seinem Namen und unter seiner Bürgschaft die Franzosen der vollkommenen Zustimmung Rußlands zu versichern. Nach dieser geheimen Unterredung wendete sich der Großvezier an den Kapudan-Pascha und Sir Sidney und sagte: Nachdem sie nun in See stechen, müßten sie ihm erlauben, ihnen einen Pelz anziehen und ihren Gefährten einen Shawl um den Kopf winden zu lassen, um sie vor Erkältung zu schützen. Der Kapudan-Pascha und Sir Sidney erhielten Zobelpelze, Keith und ich schöne Shawls. Dann wurden die Kapitäne der osmanischen Flotte eingeführt. Dem Range nach traten sie vor, bückten sich bis zur Erde und küßten den Kleidsaum des Großveziers; er richtete jeden auf, ermunterte und belobte sie und hielt dann an alle eine Anrede: ›Zieht hin, meine Söhne, zieht wider die Feinde der Religion und des Reiches, ertragt die Beschwerden der See[69] wie Eure Brüder zu Lande die der Wüste. Ihr seid die siegreichen Kämpfer des rechtgläubigen Volkes. Ich werde Zeuge Eurer Taten sein. Euer Arm sei stark und Euer Antlitz weiß!‹ Der gewöhnliche Zuruf, mit dem der Großvezier beim Eintritt in den Diwansaal begrüßt wird: ›Gottes Barmherzigkeit und Segen über ihn!‹ ertönte und dann fand der feierliche Abzug statt. An der Spitze Sir Sidney mit seinen Offizieren und Seesoldaten mit wehender Fahne und klingendem Spiel, nach ihm der Kapudan-Pascha mit den Kapitänen der osmanischen Flotte, seinen Wachen und seinen Kapellen türkischer Musik.

Den Tag nach dieser Abschiedsaudienz war ich mit Reinschriften der türkischen Übersetzung des Schreibens Sir Sidneys an General Menou, einem Bericht an den Internuntius und den Abschriften (B. 6) beschäftigt, welche der Grroßvezier nach Konstantinopel sandte. In der Nacht vom 28. auf den 29. Juni wurden die Anker gelichtet.

Nach einer Fahrt von fünf Tagen und Nächten zwangen uns ungünstige Winde, am 3. Juli 1800 vor Larnaca vor Anker zu gehen. Am 9. bestieg ich die englische Brigg ›The Transfer‹, um dem Kapudan-Pascha zu helfen, der die Anker gelichtet, während Sir Sidney noch vor Larnaca blieb. Am 10. begab ich mich an Bord zum Kapudan-Pascha, um von ihm seine Schreiben an Lord Nelson und Lord Keith zu verlangen. Er las mir fünf Schreiben vor und bat mich, sie zu übersetzen, womit ich mich an Bord der ›Transfer‹ beschäftigte, am 11. rief er mich durch ein Signal zu sich an Bord. Er hatte soeben Depeschen aus dem Lager mit der Abschrift der Antwort Menous auf die Schreiben des Großveziers und Sir Sidneys, welche noch an General Klebér gerichtet waren, erhalten. Er ließ mich zwei Zeilen an Sir Sidney schreiben, worin er sich auf meinen mündlichen Bericht auf diese Schreiben bezog. Die Brigg lief gegen Larnaca, und wir begegneten am Abend den ›Tiger‹. Ein zerbrochener Mast zwang diesen, wieder nach Zypern zu segeln und dort einige Tage zu bleiben, während der Kapudan-Pascha vor Alexandrien kreuzte.

Der ›Tiger‹ segelte der Flotte nach der Küste von Alexandria nach. Eines Morgens hatte ich eine lange politische[70] Unterredung mit dem Kapudan-Pascha, über die ich an den Internuntius berichtete. Hussein-Pascha ließ seinem Unwillen gegen Rußland darin freien Lauf. Rußland, sagte er, habe das Bündnis mit der Pforte nur geschlossen, um seine Flotte ins Mittelländische Meer zu bringen und sich der Jonischen Inseln zu bemächtigen, die Schiffe der Hohen Pforte für russische zu erklären und sie zu stehlen. Er verhehlte auch nicht seinen persönlichen Groll gegen den russischen Gesandten Tomara, der ihm im vorigen Jahr den üblichen Besuch verweigert hatte. Dieser habe auch die Konvention von El-Aarish der Pforte als ungültig erklärt, da Sir Sidney keine Vollmacht zur Vermittlung gehabt habe. Ich sprach meine Meinung dahin aus, daß keiner der Anschläge des Großveziers erfolgreich sein könne, so lange Franchini im Lager weilt. Der Kapudan-Pascha nannte den Reis-Efendi ein ›blindes Tier‹, welches die Geschäfte des Lagers und der Pforte in die Hände Rußlands gibt, dessen erstes Interesse darin besteht, sie zu verwirren. Dann fragte er mich um meine Ansicht über die Wahrscheinlichkeit eines Bündnisses zwischen Rußland und Frankreich und die der Räumung Ägyptens.

Ich antwortete, freimütig, daß ich ersteres für unwahrscheinlich halte, und daß die Landung eines englischen Heeres in Ägypten das einzige Mittel ist, die Franzosen von dort zu verjagen. Dann sprachen wir über Personen, über Tomara, Lord Elgin, Sir Sidney und Spencer Smith, Klebér und Menou.

Die Einnahme Genuas wurde von den beiden Flotten mit einem königlichen Salut (royal salute) von einundzwanzig Kanonenschüssen gefeiert. Vom Hintermaste der Admiralschiffe wehte die große Sultansflagge und die große englische. Nachdem die einundzwanzig Schüsse von allen Schiffen wiederholt waren, tönte von Bord des türkischen Admiralschiffes laute Musik, von Bord des englischen dreimaliges Hurrah. Diese Siegesfeier gab dem Kapudan-Pascha erwünschte Gelegenheit, seine Gastfreundschaft in fränkischem Aufzuge paradieren zu lassen. Zu Konstantinopel hatte er sich europäisches Tafelgeschirr und Tischzeug angeschafft, hatte Weine und einen französischen Koch an Bord, aber bisher[71] hatte er von allem noch nie Gebrauch machen können. Nun war der Augenblick gekommen, seine Liberalität, seine Pracht- und Frankenliebe zu entfalten. Über das, was sich bei solcher Gelegenheit schickt und ziemt, wußte sein Flottenkapitän Isakh-Bey, der so lange in Paris gelebt, Bescheid.

Heute sind Gastmahle im europäischen Stile in Konstantinopel keine Seltenheit mehr, das Eis brach aber Hussein-Pascha durch dieses, das er Sonntag, den 27. Juli 1800, dem englischen Commodore Sir Sidney Smith, den ersten Offizieren und den Sekretären dieses an Bord seines Schiffes gab.

Der Kapudan-Pascha saß zu oberst der Tafel, ihm zur Rechten Sir Sidney, ich neben ihm als sein Dolmetsch. Die Speisen waren gut zubereitet, die Weine wurden von Bromley und den anderen Herren sehr gelobt. Der Kapudan-Pascha trank ebenso wie ich keinen Wein und brachte mit einem Glas Wasser die Toaste auf den König von England, den deutschen Kaiser, Lord Keith und die Generale Gottersheim und Melas aus, welche Sir Sidney mit denen auf den Sultan, die Pforte, den Kapudan-Pascha, die Flotte und das Lager erwiderte.

Isakh-Bey, dem als Kapitän der osmanischen Flotte nach dem Pascha und Sir Sidney der erste Platz an der Tafel gebührt hätte, war nicht einmal beigezogen, sondern machte den Haushofmeister und wechselte sogar selbst mehrmals die Teller.

Nach der Tafel berieten Sir Sidney und der Kapudan-Pascha den Inhalt eines am Morgen aus dem Lager eingelangten Schreibens des Großveziers, in welchem dieser die Zerstörung der französischen Batterien zu Tina am Manzalasee verlangte, damit Tahir-Pascha sich dieses Postens bemächtigen könne. Es wurde verabredet, daß an dem zum Angriff bestimmten Tage zwei türkische Korvetten in ihren Schaluppen vierzig bis fünfzig Schiffssoldaten des Kapudan-Paschas und zwanzig bis fünfundzwanzig des ›Tiger‹ unter Schiffsleutnant Wright ans Land setzen sollten, und am folgenden Tage wurde ein schnellsegelndes Botenschiff mit diesem Plane ins Lager des Großveziers entsendet.[72]

Am selben Tage hatten die Schaluppen des ›Tiger‹ und die Korvette ›The Petrel‹ in der Bucht von Abukir eine von Arabern bemannte französische Dscherme genommen. Dafür wurden der Kapitän der Korvette und der befehligende Offizier des ›Tiger‹ vom Kapudan-Pascha mit Hermelinpelzen bekleidet. Die drei Admirale der türkischen Flotte besuchten den Commodore in ihren feierlichen Zeremonienkleidern, er behielt sie zu Tisch und als sie den ›Tiger‹ verließen, grüßte er sie mit siebzehn Kanonenschüssen, die das Schiff des Kapudan-Paschas mit ebensovielen erwiderte.

Ein Kurier aus Konstantinopel brachte dem Kapudan-Pascha drei Schreiben von Lord Keith, die englisch geschrieben waren und die ich übersetzen mußte, da niemand in der ganzen osmanischen Flotte Englisch verstand. Das erste war eine Danksagung für das Glückwunschschreiben des Kapudan-Paschas zur Übernahme des Oberbefehles Lord Keiths im Mittelmeer, das zweite enthielt die neuerliche Versicherung, daß seinerseits dem freien Abzug der Franzosen aus Ägypten nichts entgegenstehe; das dritte zeigte die Wegnahme von zwei spanischen Fregatten und acht Kauffahrteischiffen an, die von Cadix nach Amerika segeln wollten. Nachmittags kam die englische Fregatte ›Mercure‹ mit der Hiobsbotschaft des Verlustes von Genua, dessen Einnahme wir erst vor drei Tagen gefeiert hatten, zugleich brachte sie die Nachricht, daß die französische Flotte wahrscheinlich demnächst aus Brest auslaufen werde und daher die englischen Truppen vorläufig zur Deckung Siziliens nötig und nicht so bald zu einer Landung in Ägypten verfügbar seien. Ein weiteres langes Schreiben Lord Keiths legte dem Kapudan-Pascha die Notwendigkeit engster Verbindung der osmanischen Seemacht mit der englischen nahe und enthielt die unangenehme Nachricht, daß der Admiral Sir Richard Pickerton bestimmt sei, Sir Sidney Smith im Oberbefehl der britischen Flotte vor Alexandrien abzulösen.

Am folgenden Morgen wurde beschlossen, sich nach Suda in Kandia zu begeben, um die vom Westen kommenden Schiffe besser zu überwachen und ihre Fahrt hindern zu können. Einige Korvetten und Kanonierschaluppen sollten an der ägyptischen Küste für die Landung Tahir-Paschas[73] zurückbleiben. Am nächsten Morgen gab der Kapudan-Pascha die Art und Weise an, wie er Sir Sidneys Schreiben an den Großvezier abgefaßt wünsche, nämlich so, daß Sir Sidney die Verantwortung für den Aufbruch der Flotte nach Westen auf sich nehme und dem Großvezier die baldige Rückkehr in die Gewässer von Alexandrien versichere.

Am 4. August kam der Kapudan-Pascha an Bord des ›Tiger‹. Es wurden alle Verabredungen des Aufbruches nach Westen umgestoßen, der Pascha erklärte, es sei ihm unmöglich, abzusegeln, bevor seine Flotte nicht zu Fenica Wasservorrat aufgenommen. In Wahrheit aber wollte Hussein den vom Admiral Pickerton zu bestimmenden Maßregeln nicht vorgreifen, auf jeden Fall aber die Genehmigung von Konstantinopel abwarten. Zwei Tage später teilte der Kapudan-Pascha ein von Menou erhaltenes Schreiben mit und man kam dahin überein, daß am nächsten Morgen eine englische und eine türkische Fregatte nach Damiette segeln und dort die Gefangenen austauschen sollten. Am folgenden Morgen segelte der ›Tiger‹ nach Zypern, um Ochsen an Bord zu nehmen, und der Kapudan-Pascha nahm zu Fenica Wasser. Am 10. August ankerten wir auf der Reede von Bapho.

Pocoke äußert in seiner Reisebeschreibung die Vermutung, daß die Ruinen von Alt-Paphos nicht im jetzigen Bapho, sondern in dem drei Stunden entfernten Kukla zu finden seien. Ich begab mich dorthin und besah die Ruinen, deren Inschriften keinen Zweifel darüber ließen, daß es die des berühmtesten Tempels der Aphrodite seien. Am nächsten Tage durchstreifte ich die Mauern des alten Ktyma. An den Internuntius berichtete ich den Fund des Tempels von Paphos und beantwortete sein Schreiben. Ich ritt nochmals nach Kukla, wo ich in einer niederen, halbverschütteten Grabhöhle die phönizische Inschrift fand, die ich in den topographischen Ansichten wiedergab. (Nr. 69, B. 7, 8.)

Auf meine Bitte bewilligte mir Sir Sidney das große Schiffsboot und die nötige, mit Hauen und Spitzbeilen versehene Bemannung, um ein von mir entdecktes, wohlerhaltenes Stück Mosaikfußbodens auszugraben und es mit einigen Inschriftsteinen an Bord zu bringen. Keith und Bromley[74] fuhren mit. Bromley wußte alles besser und legte überall mit Hand an. Ich glaube, er hatte an diesem Nachmittag zu viel Port oder Claret im Kopf. Er hieb schonungslos in das Mosaik und hatte es bald ganz zertrümmert. Ich war über diese Barbarei sehr aufgebracht, er lachte mich aber nur aus. Am folgenden Morgen brachten wir ein Stück Getäfel mit zwei Inschriftsteinen und zwei große Stücke des Mosaik an Bord des ›Tiger‹. Der größere der beiden Steine (Topographische Ansicht Nr. 50) wurde von Sir Sidney verschenkt, der kleinere aus rotem Marmor (Nr. 49) befindet sich im Kaiserlichen Antikenkabinett in Wien.

Nachdem der ›Tiger‹ seine Verproviantierung vollendet hatte, ging er am 23. August abends unter Segel; ich hatte kaum meinen Bericht über die Ruinen des Tempels verfaßt, als ich in heftiges Fieber verfiel, welches ich mir bei der Untersuchung der Tempelruinen in der brennenden Augusthitze zugezogen hatte.

Langsam wurden die Fieberanfälle weniger heftig, kamen aber doch täglich wieder, in den fieberfreien Stunden besorgte ich die Briefübersetzungen für Sir Sidney.

Während des Septembers kreuzte der ›Tiger‹ mit der Flotte des Kapudan-Paschas bei Alexandrien, sie kaperten kleine befrachtete Kauffahrteischiffe; trotz größter Aufmerksamkeit lief eines Nachts eine französische Brigg mit Mannschaft und Munition in den Hafen von Alexandrien ein. Es mag unglaublich scheinen, daß eine ganze Flotte nicht mit vollkommener Sicherheit einen Hafen abzusperren vermag. Die heftigen, gegen die Küste gerichteten Windstöße, welche die blockierenden Schiffe besonders des Nachts zwingen, sich von der Küste fernzuhalten, um nicht gegen diese getrieben zu werden, begünstigen die Einfahrt der den Hafen suchenden Schiffe bei Nacht und Nebel. Die auslaufenden freilich fallen der kreuzenden Flotte um so leichter in die Klauen. Ich war sehr erstaunt, als mir viele Monate später der Purser des Schiffes ebenso viele harte Piaster ›Prize Money‹ wie jedem Matrosen auszahlte, weil nach englischem Teilungsgesetz allen, die sich auf einem angreifenden Kriegsschiff befinden, der gleiche Anteil an Prisengeld gebührt. Nach acht Tagen setzte das Fieber aus,[75] ich litt an heftigen Kopfschmerzen. Nie hat mich Sir Sidneys liebevolle Freundschaft so sehr gerührt als in dieser Periode meiner Krankheit. Er hatte mich in seine eigene Kajüte genommen und wachte über mich wie ein Krankenwärter. Das Fieber kam mit großer Heftigkeit und mit Phantasieren wieder, in einem solchen Anfall wollte ich nachts aus dem Kajütenfenster springen. Sir Sidney brachte mich mit Gewalt auf mein Lager zurück. Schlaflose Nächte, in denen ich bei Sinnen war, kürzte Sir Sidney durch lange Gespräche über die Kraft des Willens, die er noch viel höher anschlug als ich. Unsere nächtlichen Gespräche gingen auch ins Ethische über, Sir Sidneys Gesinnung und Streben zeigte sich mir in schönstem und klarstem Lichte. ›Progress and no selfishness‹ war sein Motto. Am 8. Oktober landete der ›Tiger‹ zu Rhodos, wo ein englischer Kutter die Nachricht von der Übergabe Maltas und mir ein Schreiben des Internuntius brachte, das mich anwies, meine Reise, da Sir Sidney abberufen und Ägypten noch verschlossen, nach Haleb und von da weiter nach Persien fortzusetzen. Für den Augenblick war es unmöglich, diese Weisung zu befolgen, da ich krank war und Sir Sidney noch nicht nach Westen segelte. Das Fieber hatte mich seit einigen Tagen verlassen und ich fühlte mich stark genug, um an Land und spazieren zu gehen. Ich wohnte einem Gastmahl bei, welches der englische Schiffsbaumeister Spurrung dem Commodore und seinem Geleite gab, und zog mir dabei die Rückkehr meines Fiebers zu, das mich drei Tage lang bis zur gänzlichen Entkräftung schüttelte.

Sir Sidney hatte auf Nachrichten von England hin vorderhand um so mehr vor Alexandrien zu bleiben beschlossen, als sein Nachfolger Admiral Pickerton noch nicht angekommen war. Er begab sich auf einem Boot von Rhodos nach der diesem Eiland in Asien gegenübergelegenen Bucht von Marmaris und den Meerbusen von Makri, um die Tauglichkeit der beiden zur Aufnahme der englischen Flotte zu untersuchen.

Ich war zu schwach, ihn zu begleiten, ließ mich aber, um meine Sehnsucht nach dem Lande zu befriedigen, ans Gestade und auf den Hügel Sünbüllü bringen. Oben ließ ich[76] nahe der Quelle unter Bäumen meinen Teppich ausbreiten und legte mich auf ihn nieder.

Ich fühlte mich todesmatt und wollte lieber auf dem Lande und in schöner Umgebung als auf dem Schiffe sterben. Nur kurze Zeit hatte ich dem Rauschen der Quelle und dem Leben der Natur um mich gelauscht, als ich die Wiederkehr von Gesundheit und Kraft deutlich empfand. Bis gegen Sonnenuntergang blieb ich liegen und ward auf Rhodos vom zyprischen Fieber geheilt.

Am folgenden Tage fuhr der ›Tiger‹ in den Meerbusen von Makri, wo Sir Sidney auf sein Schiff wartete. Dieser herrliche Meerbusen mit seinen sieben Eilanden mit den Felsengräbern des alten Telmissos und seiner weit ausgedehnten Nekropolis, die Ritterinsel mit dem verfallenen Schloß der Johanniter, die vielfarbigen Schattierungen und vielgestaltigen Formen der Felsenufer rief mir die in dieser Gegend bezwungene Chimaira ins Gedächtnis und die vielfachen Wandlungen des Seegreises Proteus.

Am Abend des Tages, an welchem der ›Tiger‹ angekommen, lief auch der Kapudan-Pascha ein und kam am folgenden sogleich an Bord. Er trug zehntausend Kilogramm zur Verproviantierung von Malta an und begehrte eine Konferenz mit Sir Sidney, in der am folgenden Tage beschlossen wurde, daß der Kapudan-Bey mit zwei Kriegsschiffen, zwei Fregatten, einer Korvette und fünf kleinen Fahrzeugen das Meer den Winter hindurch halten solle, der Kapudan-Pascha nach Konstantinopel segle, dort Truppen sammle und in den ersten Tagen des Frühlings zurückkomme. Er war hocherfreut darüber, daß Sir Sidney vorläufig blieb und versprach, dem Sultan einen wahren Bericht über den Zustand des Lagers zu geben. An den folgenden Tagen beschäftigte mich das Abschreiben der Inschriften der Akropolis und der Nekropolis im alten Telmissos. Zwar brachte mir dies keinen Fieberrückfall, aber eine starke Erkältung, die mich an Bord zu bleiben zwang. Der Pascha ließ sich nach meinem Befinden erkundigen und da es morgenländische Sitte ist, solche Anfragen mit einem Geschenke zu begleiten, und er wußte, daß ich mich für alte Steine interessierte, sandte er mir die ältesten, die es gibt, denn sie[77] sind so alt wie die Erde. Es war ein Korb mit Kieseln, den ein anderer mit Erfrischungen begleitete.

Am 1. November lief eine der schönsten englischen Fregatten, ›Penelope‹, in den Meerbusen von Makri ein und ankerte in der Nähe des ›Tiger‹. Zwei Offiziere der Landtruppen, Oberst Anstruther und Oberstleutnant Murrey, kamen an Bord und meldeten sich bei Sir Sidney. Sie waren vorausgesandt, um die Örtlichkeit des besten Sammelplatzes der Truppentransporte zu besichtigen und mit dem Großvezier die Verpflegung zu besprechen.

Am folgenden Tage fand eine Konferenz mit Sir Sidney und den Offizieren des Generalstabes beim Kapudan-Pascha statt, in ihr wurde über den besten und sichersten Ankerplatz für die Flotte, welche in den ersten Monaten des nächsten Jahres erwartet wurde, beraten. Sir Sidney hatte vor kurzem beide Buchten durchforscht und schlug die von Marmaris vor.

Am nächsten Morgen sandte ich dem Kapudan-Pascha mein Abschiedsschreiben in französischen Versen mit beigefügter türkischer Übersetzung; er war mit meinen während des Sommers und Herbstes geleisteten Sekretärdiensten so zufrieden, daß er mir die erbetenen Empfehlungsschreiben nach Haleb und Damaskus mit einem sehr schmeichelhaften Billett (es befindet sich in der Autographensammlung der Hofbibliothek) und ein Geschenk von 1500 Piastern sandte. Sir Sidney gab mir Empfehlungsbriefe an Harford Jones und Samuel Manessy, die Residenten der Ostindischen Kompagnie in Bafa und Bagdad, und rechtfertigte durch ein meinem Bericht an den Internuntius beigelegtes Schreiben mein längeres Verweilen an Bord des ›Tiger‹.

Beim Abschied bat mich der Pascha, mich nicht aus diesen Gewässern zu entfernen; ich versprach dies, solange Sir Sidney bleibe, erklärte aber, es ohne besondere Weisung des Internuntius und des Hofes nicht länger tun zu können. Der Pascha sagte, dies sei seine Sache und er hoffe mich in drei bis vier Monaten wieder zu sehen.

In der Nacht lichtete der Kapudan-Pascha die Anker und an seiner Stelle blieb der Kapudan-Bey als oberster Befehlshaber des türkischen Geschwaders zurück, ein alter,[78] ausgepichter Seemann, der bei der Flottenverbrennung von Tscheschme als Matrose-Segelschneider mit einem Teil des Schiffes in die Luft flog und unbeschädigt ins Meer zurückfiel.

An den drei folgenden Tagen wurde vergeblich versucht, aus Makri auszulaufen, der Sturm zwang die Schiffe immer wieder in den Golf zurück. Sir Sidney und die Offiziere gingen an Bord des Kapudan-Bey oder an Land, ich hatte alle Hände voll zu tun mit der Aufzeichnung meiner gemachten Beobachtungen, mit der Übersetzung von Berichten und Schreiben an den Internuntius. Am 23. November liefen wir aus und ankerten am folgenden Tage in Rhodos, von wo die Offiziere des Generalstabes sogleich, von Keith begleitet, ins Lager des Großveziers abgingen. Am 1. Dezember stach der ›Tiger‹ in See und kreuzte während der nächsten sechs Wochen zwischen Kandia und der afrikanischen Küste.

Nach wenigen Tagen begann es heftig zu stürmen und obwohl es mit dem Kapudan-Pascha verabredet war, daß die von ihm zurückgelassenen Schiffe ohne Rücksicht auf den Tag San Dimitris, nach welchem türkische und griechische Fahrzeuge das Mittelmeer seiner Stürme wegen als unsicher fürchten, dasselbe halten und mit dem ›Tiger‹ kreuzen sollten, so konnte man doch darauf wetten, daß die türkische Kreuzfahrt von kurzer Dauer sein werde. Wirklich gab nach kaum 24 Stunden die türkische Fregatte Notsignal und bat um die Erlaubnis, einen Hafen aufzusuchen.

Die Stürme hielten nicht an, kehrten aber mit beständigem Wetterwechsel wieder. Oft war der Wind so mächtig, daß alle Segel bis auf eines eingezogen werden mußten und auch dieses oft zerrissen wurde. Die ersten zwei Wochen des Dezember waren einförmig vergangen, am fünfzehnten kam bei heiterem Wetter und frischem Wind ein verdächtiges Segel in Sicht, das vor dem ›Tiger‹ nach Westen floh. Die Jagd dauerte einige Stunden, und wir waren in ungeduldigster Erwartung eines Seegefechtes. Alle Vorbereitungen dazu wurden getroffen, die Verdecke von allem, was die Bedienung der Kanonen hindern konnte, gesäubert, die Kanonen vor ihre Mündungen geschoben und die Munition[79] bereitgestellt. Zu unser aller Leidwesen blieb es bei diesen Vorbereitungen. Das Schiff war zwar ein feindliches, aber kein bewaffnetes. Als wir in Reichweite eines Kanonenschusses waren, wurde es zuerst durch einen blinden, dann durch einen scharfen Schuß zum Gehorsam gerufen, und der Kapitän kam mit einigen Franzosen an Bord.

Der eine derselben erregte meine große Neugierde und mein politisches Interesse, es war der durch die Vorteile, die er aus dem Sturze Robespierres zog und mehr noch durch seine schöne Gattin berühmte Tallien. Sir Sidney empfing ihn gastfreundlich und behielt ihn etliche Tage an Bord, um aus den Gesprächen mit ihm möglichst viele ägyptische Neuigkeiten zu erfahren. Die Depeschen, die er mit Klebérs Papieren nach Frankreich bringen sollte, hatte er, als sich das Schiff ergeben mußte, ins Meer geworfen. Wir erfuhren nicht viel Neues von ihm aus Ägypten.

Die zweite Hälfte des Dezember verfloß wie die erste in der Eintönigkeit des Kreuzens zwischen Kreta und Afrika. Mit der Sonnenwende des Winters wendete sich auch unser langweiliges Kreuzen seinem Ende zu. Admiral Pickerton erschien, der Nachfolger Sir Sidneys im Oberbefehl der britischen Flotte vor Alexandrien bis zur Ankunft von Lord Keith. Er war ein liebenswürdiger, vortrefflicher alter Seemann, und Sir Sidney und ich waren bald auf dem besten Fuß mit ihm. Meine Zeit wurde nun wieder von vielerlei Übersetzungen in Anspruch genommen. Starke Westwinde zwangen die Flotte, wieder gegen Alexandrien zu segeln, in dessen Hafen trotz aller Wachsamkeit später mehrere Kriegsschiffe mit Truppen den Weg fanden. So endete das 18. Jahrhundert und begann das 19. für mich im Mittelländischen Meer.

Mit 1. Januar 1801 waren die beiden Abteilungen der Flotte, welche die nach Ägypten bestimmten, von General Sir Ralph Abercromby befehligten Truppen an Bord hatten, in der Bucht von Marmaris eingelaufen. Wir kreuzten noch die erste Woche des Jahres vor Alexandrien, bis uns am 7. der Dreidecker ›Minotaurus‹ ablöste. Hälfte Januar ankerte der ›Tiger‹ im Hafen von Rhodos nach siebenwöchiger Kreuzfahrt zwischen Kandia und Afrika.[80]

In Rhodos erwartete mich ein Schreiben des Internuntius, welches mir den Tschaouschbashi (Reichsmarschall) Mustapha-Bey empfahl. Ich hatte ihn in Konstantinopel als Intendanten des Tersane Emini verlassen, jetzt war er als Pfortenkommissär mit der außerordentlichen Kommission der Verpflegung der englischen Flotte und Armee beauftragt. Es war für mich sehr schmeichelhaft, daß dieser eines der ersten Reichsämter bekleidende Emir mir und nicht ich ihm empfohlen wurde. (B. 9.)

Am Tage nach unserem Einlaufen in Rhodos kam Admiral Lord Keith von Marmaris und besuchte mit Sir Sidney den Tschaouschbashi, die Unterredung dauerte bis Mitternacht.

Am 17. Januar ging der ›Tiger‹ unter Segel und begab sich in die Bucht von Marmaris. Ungünstige Winde hinderten uns an diesem und am folgenden Tage am Einlaufen und erst am Abend umschloß uns wie die ganze englische Flotte und Armee die von allen Seiten von Bergen umgebene Bucht. Die Truppen waren teilweise am Lande unter Zelten beherbergt, was für sie nach der langen Einschiffung eine große Erleichterung war. Sir Sidney speiste mit seinem Sekretär und mir abwechselnd an Bord des Admirals Lord Keith, des Vizeadmirals Pickerton oder des Kapitäns Blackwood oder lud diese zu sich.

Am 25. war große Übung der Truppen und Boote. Der Landungsversuch ging vortrefflich vonstatten, in wenig mehr als einer Viertelstunde waren mit allen Booten der Flotte alle Truppen vom Bord der Schiffe ans Land gebracht. Der Eifer und die Tüchtigkeit, mit welcher Sir Sidney bei diesem Landungsmanöver die Truppen befehligte, trugen zweifellos dazu bei, die so lange zurückgehaltene Bestimmung Lord Keiths über die Wirksamkeit Sir Sidneys bei der Landung in Ägypten zur Reife zu bringen. Drei Tage nach dieser Übung verlautete, daß Sir Sidney bei der Landung eine Abteilung Matrosen befehligen werde. War auch diese Rolle für Sir Sidney eine untergeordnete, so dünkte er sich doch für sie nicht zu schlecht und war überzeugt, daß sie ihm Gelegenheit geben werde, dem Vaterland nützlich zu dienen und sich auszuzeichnen.[81]

Am 14. wurde auf den türkischen Schiffen das Bairamfest gefeiert und vom Schiffe des Kapudanbey mit aufgezogenen neuen Flaggen und Kanonenschüssen verkündet. Am folgenden Tage gab der ›Foudroyant‹ das Signal segelfertig zu machen. Es vergingen noch acht Tage bis die Flotte am 22. Februar auslief. Ein herrlicherer Anblick einer zu großer Unternehmung auslaufenden Flotte mag seit der Armada kaum gesehen worden sein. Hundertsiebenundsiebzig Segel von allen Gattungen der Kriegs- und Transportschiffe floß wie ein unübersehbarer Zug weißer Schwäne bis an das äußerste Ende des Gesichtsfeldes, wo Meer und Himmel sich einen.

Vier Tage lang segelte die Flotte an die ägyptische Küste, am 27. trennte ein starker Wind dreißig Schiffe von ihr. Vor Sonnenuntergang kam die Küste in Sicht und die Flotte machte kehrt und segelte erst am folgenden Morgen wieder dem Lande zu. Am 1. März kam das Land beim Araberturm in Sicht und am folgenden Morgen ankerte die ganze Flotte auf der Reede von Abukir, in denselben Gewässern, in denen Nelson die Schlacht geschlagen. Das Admiralschiff ›The Foudroyant‹ ritt über den Trümmern des in die Luft gesprengten französischen ›L'Orient‹.

Während die Flotte in der Bucht von Abukir vor Anker ging, segelte eine Fregatte mit gehißter französischer Flagge ungehindert in den Hafen von Alexandria. Sie hatte sich der englischen Flotte in der Nacht angeschlossen, hatte mit ihr unerkannt manövriert und alle Signale gehörig beantwortet und feierte nun den Triumph der Geschicklichkeit und des Mutes ihres Kapitäns. In der Nacht lief auch eine französische Brigg in Alexandria ein. Der Verdruß über dieses doppelte Kriegsglück der Franzosen wurde durch die schlimme Nachricht verstärkt, nach der ein englischer Major bei einem Kundschaftsgange an der Küste von Abukir getötet, ein anderer gefangengenommen worden war. Am selben Tage fuhr Sir Abercromby mit seinen Stabsoffizieren auf Erforschung des Zustandes der Küste und des Einganges des Sees von Mehadia aus und sandte am Abend zwei Offiziere mit Meldungen darüber an Sir Sidney. Noch abends erfolgte der Landungsbefehl für[82] den nächsten Tag, wenn es das Wetter gestatte. In der Nacht traten schwere Stürme ein, die den Tag über ununterbrochen andauerten. Trotzdem erforschte Sir Sidney den Eingang des Sees von Mahadia unter den Kanonen einer dort wachenden französischen Kanonenschaluppe. Die Franzosen flohen in Dschermen und leichten Küstenfahrzeugen, bevor die Mannschaft der englischen Boote die Schaluppe erstiegen. Die Kanonen wurden vernagelt, ein Franzose gefangen. Am 7. März war das Wetter heiter, die See ruhig. Die Landung wurde auf den nächsten Tag verschoben, um Munition und Vorräte zu verteilen und die Transportschiffe dem Lande zu nähern. Abends befahl das Admiralschiff, zwei Stunden nach Mitternacht mit der Ausschiffung der Truppen zu beginnen.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 62-83.
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