XIII. Jean Paul Fr. Richter

[168] Ich lernte Jean Paul schon bei seiner ersten kürzern Anwesenheit in Berlin im Frühjahr 1800 kennen. Er wohnte damals in einem ziemlieh obscuren Wirths-oder eigentlich Kaffeehause, ja das vulgäre Wort »Kneipe« möchte für dasselbe das bezeiehnendste Wort gewesen sein. Mit ihm, dem überaus Unbefangenen, wohnte dort die schon von mir erwähnte Sophie Bernhard, geborne Gad, welche später Domeier, den Leibarzt des Herzogs von Susser, heirathete, dessen Bekanntschaft sie in Berlin gemacht hatte, wohin er im Gefolge des Herzogs gekommen war. – Sophie Bernhard war eine geistreiche und sehr gutmüthige Fran, nichts weniger als schön, aber sehr empfänglichen Herzens, und vorzugsweise richtete sich ihr Gefühl auf Literaten. Da sie mit einer großen Fülle des Busens gesegnet war, so wurde in Berlin scherzweise von ihr gesagt: sie lege die Gelehrten an ihre Brüste.

Richter war im Allgemeinen in Berlin nicht eben wählig hinsichts seiner Wohnungen, und einmal hatte er sich in dem Hause in der neuen Friedrichsstraße, in welchem ich[169] wohnte, ein ziemlich schlechtes Stübchen im Hofe gemiethet. Dies hinderte jedoch nicht, daß die ausgezeichnetsten und vornehmsten Damen dort bei ihm vorfuhren, und ihn besuchten, und besonders viel war die bekannte Gräfin Schlaberndorf, zugleich eine Freundin Sophiens, dort bei ihm.

Ueberhaupt ist es kaum zu beschreiben, wie viel Aufmerksamkeit ihm von den Frauen, selbst von denen der höchsten Stände, erwiesen wurde. Sie wußten es ihm Dank, daß er sich in seinen Werken so angelegentlich mit ihnen beschäftigt, und bis in die tiefsten Falten ihres Sinnes und Gemüths zu dringen gesucht hatte; hauptsächlich aber dankten es ihm die Frauen von höherer Bildung und die vornehmen Damen, daß er sie so viel bedeutender und idealer darstellte als sie in der That waren. Dies hatte jedoch seinen Grund darin, daß, als er zuerst Frauen der höheren Stände schilderte, er in Wirklichkeit noch gar keine solche kannte, und einer reichen und wohlwollenden Einbildungskraft hinsichtlich ihrer freien Spielraum ließ, diejenigen aus diesen Klassen jedoch, welche er später kennen lernte, alles anwendeten, um die ihnen schmeichelhafte Täuschung in ihm zu erhalten, und ihm möglichst ideal zu erscheinen. So hat er die Frauen der höheren Stände, so viele er deren auch später sah, eigentlich niemals kennen gelernt, ja diejenigen, deren Bekanntschaft er machte, in gewisser Beziehung immer falsch beurtheilt. Nicht als ob er die Bedeutenden für unbedeutend gehalten hätte – das Umgekehrte begegnete ihm wohl bisweilen, – aber die Kenntniß der Eigenschaften, welche eben ihre Eigenthümlichkeit ausmachten, erlangte er am wenigsten, weil fast Keine sich ihm gab wie sie war, sondern meist Alle ihm[170] nur ihre glänzendsten Seiten zuwendeten, welche selten ihre bezeichnenden waren. Dadurch verwirrte sich auch sein Urtheil hinsichtlich der Wenigen, welche ihm für nichts anderes gelten wollten als für das was sie wirklich waren, und ich rechne mich zu diesen. Er war viel, und ich glaube gern in unserem Hause, aber zu meinem Verdruß glaubte ich zu bemerken, daß er in mir vor Allem eine von ihm vorausgesetzte Gelehrsamkeit achtete, eine Eigenschaft, auf welche ich weder Anspruch hatte, noch machte1.

Zeichnete ihn die Berliner Gesellschaft aus, so stellte er seinerseits diese sehr hoch. Es war die Mischung aller Stände innerhalb derselben, welche ihm besonders behagte, und allerdings contrastirte die hiesige Gesellschaft in dieser Beziehung sehr von der damaligen sächsischen, welche er bis dahin vorzugsweise gekannt hatte. –

Man darf übrigens von seiner Schreibart keinen Schluß auf seine Unterhaltung ziehen, wozu man um so eher geneigt sein könnte, wenn man findet, daß fast jedes seiner kleinsten Handbillets den Styl seiner Schriften trägt. Er sprach anspruchslos, klar, geordnet und sehr selten humoristisch. Dabei war er sehr eingehend, und ließ noch lieber mit sich sprechen als daß er selbst gesprochen hätte. – Er war von tiefem Gefühl, namentlich für seine Freunde, und es war mir immer rührend, wenn er mir von seinem Freunde Emanuel sprach, für welchen, als einen Juden, er ein besonderes[171] Interesse in mir voraussetzen konnte. Emanuel wollte im Herbst 1801 nach Berlin kommen. Er empfahl ihn mir brieflich als »seinen Glaubensgenossen in höherem Sinne«, der nach Berlin, »der hohen Schule seiner Religionsgenossen« reisen wolle. Aber Emanuel, der jedenfalls ein ausgezeichneter Mann gewesen sein muß, und dessen Bekanntschaft ich gern gemacht hätte, kam nicht, schickte jedoch den Brief. –

Von den Damen, welche von der zuvorkommendsten und schmeichelhaftesten Anfmerksamkeit für Richter waren, sind selbst die Königin Louise und ihre Schwester, die damalige Prinzeß Louis von Preußen, nicht auszunehmen. Die Königin führte ihn selbst in Sanssouci umher, und die Aufmerksamkeiten, welche ihre hohe Stellung sie verhinderte ihm persönlich zu zollen, ließ sie ihm durch ihren ebenfalls für ihn sehr eingenommenen Bruder, den Prinzen Georg, jetzigen Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, erweisen. Unter den Damen des Hofes war viel und mit hoher Anerkennnng die Rede von Jean Paul, und als er beabsichtigte, sich in Preußen niederzulassen, wurde der König sogar bewogen, ein Cabinetsschreiben an ihn zu erlassen, in welchem er ihm er klärte, daß ihm seine Uebersiedelung nach Preußen angenehm sein würde. Als er jedoch später bei dem Könige um eine Präbende anhielt, wurde sie ihm nicht bewilligt. Dem Könige war es zuletzt der Begeisterung für Jean Paul zu viel geworden. Ich habe dies von einer Freundin der Königin, irre ich nicht, von Frau v. Berg. Der König äußerte: »Höre denn doch zu viel diesen Jean Paul herausstreichen. Mag ganz gute Romane geschrieben haben – für den Liebhaber, denn mir war das[172] was mir davon zu Händen gekommen ist, ein bischen gar zu kraus – aber dies ist doch ein Verdienst, das sich noch halten läßt. Wie will man erst von einem großen Staatsmann sprechen, oder von einem Helden, der das Vaterland gerettet hat? Die Damen verstehen immer das Maßhalten nicht.« –

Ich hatte Jean Paul mit Schleiermacher bekannt gemacht, dessen ganze Persönlichkeit ihm sehr wohl gefiel, und ihm auch dessen »Reden über die Religion« zu lesen gegeben, welche er mir mit einem Schreiben voll begeisterten Lobes zurückschickte. Später kamen ihm auch Predigten Schleiermachers zu. Auch über diese schrieb er mir. Sie seien vortrefflich, sagte er in diesem Schreiben, und nur seine Reden seien zehnmal besser.

Viel weniger zufrieden als Jean Paul mit Schleiermachers Leistungen war dieser es mit denen des Anderen. Dem Manne der klassischen Form konnte Jean Pauls Formlosigkeit nicht behagen. Aber auch der Inhalt mancher seiner Werke befriedigte ihn wenig, und selbst an dem hochgefeierten »Titan« hatte er viel auszusetzen. Er schrieb mir kurz nach dem Erscheinen über diesen: »Es sind doch wahrlich alles die alten Sachen und auch in der Geschichte und den Dekorationen die alten Erfindungen, welches eine schreckliche Armuth verräth. Selbst die Charaktere sind, wenn auch nicht geradezu copirt, doch ganz in dem alten Genre. Indeß ist vieles besser als in dem ›Hesperus‹ und der ›Loge‹, selbst die Geschmacklosigkeit.« – Nachdem er den Anhang und die Clavis gelesen hatte, fuhr er fort: »Nachgerade wird doch Richter so klug, die Sachen, die gar nicht in das Uebrige hineinwollen,[173] allein zu drucken, er richterisirt aber doch so sehr, daß sie dem Anderen angehängt werden müssen, und daß sie auch unter sich nicht zusammenhängen dürfen. Nur wie er den Anhang komisch und satyrisch nennen kann, ist schwer zu begreifen. Das einzige recht komische ist eine Satyre auf ihn selbst, eine Anweisung seine Bücher zu machen, nämlich ein Erzählungsspiel, wo man in eine angefangene Erzählung hineinbringen muß, was einer sagt. Doch wird es nicht übel genommen, wenn man auch bisweilen nur scheint es hineingebracht zu haben. Auch fängt er an, Noten zu machen zu seinem Witz, und schließt sogar mit einer solchen, und wenn noch mehrere Frauen ihm sagen, daß er schwer sei – fällig nämlich, so wird er gewiß noch mehrere Verbesserungen dieser Art anbringen.« –

Doch würde man unrecht thun, diese brieflichen Expectorationen Schleiermachers an eine Freundin so zu betrachten, als sprächen sie seine vollständige Ansicht über Jean Pauls schriftstellerische Leistungen aus. Er wußte auch Vieles an diesen zu schätzen. Um eine erschöpfende Kritik war es ihm in solchen flüchtigen Mittheilungen nicht zu thun. –

Auf meiner Reise nach Italien ging ich hauptsächlich deshalb über Baireuth, um Jean Paul nach 16 Jahren wieder zu sehen. Ich verfehlte ihn, denn er war verreist. Aber in seinem Hause, wo ich seine Frau und Kinder fand, wurde mir sein von Maier gemaltes Portrait gezeigt, welches sehr ähnlich sein sollte. Ich hätte es nie für das Seine gehalten. Nach diesem Bilde hatte sich sein Aeußeres durchaus nachtheilig verändert. Sein sonst schmales und bleiches Gesicht war ganz roth und bierdick geworden. Sein Auge, welches außer dem immer schon etwas sonderbaren[174] Blick früher schon klein war, war durch die Aufgedunsenheit des Gesichts noch kleiner geworden. Ich wünschte, daß hinsichts der Aehnlichkeit eine Täuschung obwalte. Sah er in der That so aus, so schien mir meine Folgerung, daß die kleine bierselige Stadt überhaupt nicht vortheilhaft auf ihn gewirkt habe, nicht zu kühn.

Der Zufall wollte, daß ich ihn auf meiner Rückreise von Italien gegen Ende des Juni 1819 in Stuttgart bei Cotta traf. Das Bild war ähnlich gewesen. Wir waren gegenseitig erstaunt über die Aenderung unseres Aeußeren. Er war wohlbeleibt, ich war mager geworden. Meine Voraussetzung, daß er einiges von dem Spießbürgerthum der kleinen Stadt angenommen habe, war nicht unrichtig. Dennoch war genug von dem früheren Richter geblieben, und wir freuten uns sehr miteinander. Es war das letzte Mal daß ich ihn sah. –

Fußnoten

1 Die Verstorbene scheint hierin nicht geirrt zu haben. In »Jean Paul's Briefwechsel mit seinem Freunde Otto«, Theil 3, S. 356, wo er von seinem Umgange in Berlin erzählt, bezeichnet er das Ehepaar Herz als: »Der berühmte Herz und dessen große gelehrte Frau«.

Anmerkung des Herausgebers.


Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 175.
Lizenz:
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