XIV. Ludwig Börne.

[175] Ludwig Börne war von seinem Vater, dem Banquier Baruch in Frankfurt a.M., für die Arzneikunde bestimmt worden. Da Dieser Bedenken trug, den 16- bis 17jährigen jungen Menschen ohne Aufsicht auf eine Universität zu schicken, so wendete er sich an meinen Mann mit der Bitte, daß er ihn in sein Haus aufnehmen und seine Studien leiten möge. Schon vor Errichtung der Universität bestanden hier nämlich medizinische Lehranstalten und Institute.

Börne, damals noch Louis Baruch und in unserem Hause schlechtweg Louis genannt, that wenig in seinem Fache, zu welchem er keine Neigung zu haben schien, ja im Ganzen sehr wenig. Es schien ihm überhaupt nicht darum zu thun zu sein, sich eine wissenschaftliche Bildung anzueignen. Aber auch die Gelegenheit, sich durch den Umgang mit bedeutenden Menschen zu bilden, welche unser Haus ihm in reichem Maße bot, benutzte er nicht wie er gekonnt hätte. Ja er schien solche Leute vielmehr zu meiden. Ihr freundliches Entgegenkommen, sogar ihre bloße Nähe, schien oft ihm drückend zu sein. Aber dennoch gab sich mitunter[176] ein bedeutendes Selbstbewußtsein bei ihm kund, welches, da es unbegründet erscheinen mußte, für Dünkel galt, und ihm manche der Besucher unseres Hauses entfremdete. Was er that und unterließ sollte nächstdem den Anschein haben, als geschähe es aus Grundsatz, und vielleicht verhielt es sich auch so. Er gebehrdete sich daher auch nie, als wenn er irgend fleißig sei und seine Kenntnisse zu vermehren strebe, vielmehr gab er zu verstehen, daß er seine Trägheit und Gleichgültigkeit in dieser Beziehung nicht überwinden könne, es aber auch nicht wolle, daß jedoch diese Zeit seines Lebens deshalb doch keine verlorene sei. Warum nicht? – darüber schwieg er.

Ich weiß nicht eigentlich Rechenschaft davon zu geben, warum er unter solchen Umständen nicht mir, wie manchen sehr Scharfsichtigen unter meinen Freunden, als ein kleiner selbstzufriedener Faullenzer erschien. Allerdings hatte ich mehr Gelegenheit als Andere welche weniger oft in seiner Nähe waren, mitunter irgend eine geistreiche oder witzige Bemerkung einem Blitze gleich ihm entsprühen zu hören, auch vierrieth sich mir oft, eben wenn er völlig theilnahmlos schien, ein aufmerksames Beobachten der Menschen. Nächstdem sah er viel zu klug aus, um beschränkt sein zu können. Kurz, mochte auch vielleicht das einigermaßen Mysteriöse in seinem Wesen dazu beitragen, er war mir interessant. Sprach ich es aber meinen Freunden aus, daß er ein interessanter junger Mensch sei, so sahen diese mich ziemlich befremdet an.

Er war nicht lange bei uns als mein Mann starb, aber er bat mich so dringend, ihm ferner den Aufenthalt in meinem Hause zu gönnen, daß ich, die ich füglich seine[177] Mutter hätte sein können, ganz arglos seinen Bitten nachgab. Ich wurde zuerst aufmerksam, als mir eines Tages, da ich mich eben bei meiner Mutter befand, von einem meiner Dienstmädchen ein Zettel, von ihm an den Apotheker Lezins in der Königsstraße gerichtet, gebracht wurde, in welchem er diesen unter Beifügung von zehn Friedrichsd'or, als Zahlung seiner Rechnung welche bedeutend weniger betrug, bat, ihm durch Ueberbringerin eine Dosis Arsenik zu schicken, weil er in seinem Zimmer sehr von Ratten und Mäusen geplagt sei, und seine Abwesenheit während einer vorhabenden kurzen Reise zu deren Vertilgung durch dieses Mittel benutzt werden solle. Dem Mädchen war jedoch sowohl der Inhalt des – offenen – Zettels, als das Benehmen des Absenders aufgefallen, und dies war der Grund weshalb sie den Zettel statt zu dem Apotheker zu mir brachte.1 Ich erschrak so heftig, daß es mir unmöglich war sogleich nach Hause zu gehen, schickte jedoch sogleich meine Schwester Brenna zu dem jungen Menschen. Und durch sie wurde mir denn zu meiner großen Betrübniß zuerst die Gewißheit, daß er andere Empfindungen für mich hegte als die für eine mütterliche Freundin. Aber sie glaubte ihn zur Vernunft zurückgebracht zu haben.

Doch eine Zeit nachher, als ich eben wieder nicht zu Hause war, fand das Stubenmädchen beim Reinigen seines Zimmers einen an mich gerichteten Zettel auf seinem Tische, in welchem er mir erklärte, daß wir uns in diesem Leben nicht wieder sehen würden, und Abschied von mir nahm. Sie brachte mir auch diesen, ich hieß sie ihn still wieder[178] auf sein Zimmer legen, und folgte ihr sehr bald nach Hause. Ich traf Louis schon auf der Straße in der Nähe meiner Wohnung und forderte ihn auf mir nach Hause zu folgen. Es ist begreiflich, daß ich ihn nicht aus den Augen ließ. Am Abende ging ich mit ihm in's Theater, um es ihm um so weniger möglich zu machen, sich von meiner Seite zu entfernen. –

Doch war es mir unter solchen, mich zugleich betrübenden und ängstigenden Verhältnissen nicht ferner möglich, den jungen Mann in meinem Hause zu behalten. Ich fragte bei Reil in Halle an, ob er ihn bei sich aufnehmen wolle, denn ich wußte daß er dort gut aufgehoben sein würde, und als dieser es bewilligt hatte, schrieb ich seinem Vater, es gehe nicht wohl an daß sein Sohn ferner in meinem Hause bleibe, ich hätte jedoch seinetwegen Schritte bei Reil gethan, und wenn er damit einverstanden sei, daß er sich zu diesem begebe, möge er ihm befehlen, augenblicklich Berlin zu verlassen und nach Halle zu gehn. Der Vater that dies, und der Sohn mußte gehorchen. Bei seinem Abschiede übergab er mir als ein Andenken das Tagebuch, welches er in den letzten Monaten geführt hatte, und an mich gerichtete Briefe, die ich damals jedoch zuerst zu Gesicht bekam. Ich muß gestehen, daß ich bis dahin sein Benehmen einer romanhaften Grille zugeschrieben hatte, aber nachdem ich diese Papiere gelesen hatte, mußte ich von dieser Ansicht zurückkommen. Es sprach eine Leidenschaft aus ihnen, die mir allerdings als eine wahnsinnige erscheinen mußte, die mich aber den Entschluß segnen ließ, ihn aus meiner Nähe entfernt zu haben.

Doch ließ ich ihn nicht abreisen ohne ihm dringende[179] Empfehlungen an meine Freunde in Halle mitzugeben, namentlich an Schleiermacher, welcher damals schon als Professor dort angestellt war, und ihn schon von Berlin aus kannte. Im Anfange war das gegenseitige Verhältniß ein recht freundliches. Börne war oft und gern mit Schleiermacher, wie er mir berichtete, und Schleiermacher hatte den besten Willen ihm nützlich zu sein. »Daß Louis gern mit mir ist«, schrieb er mir unterm 21. November 1804, »freut mich; ich mag ihn auch sehr wohl leiden, und denke, ihm noch nützlich zu werden, wenn wir recht zusammen kommen.« – Aber nach und nach wurde dem unermüdlich thätigen Manne, dem Manne, der durch eigene gewaltige Kraft sich über alle Ungunst äußerer Verhältnisse sowie über alle wie auch begründete innere Mißstimmungen hinaushob, der unthätige junge Mensch, der gar keine Anstrengung machte sich aufzuraffen, ja sich in seiner Unthätigkeit zu gefallen schien, unangenehm. Seine Theilnahme für ihn nahm stets mehr ab, und Börne seinerseits mied ihn fast. Ja Schleiermacher wurde vielleicht ungerecht gegen ihn, indem er ihn auf Grund widersprechender Aeußerungen über an sich unwesentliche Dinge, deren Verschiedenheit vielleicht eben nur Wirkung einer ungleichen Laune war, des Mangels an Wahrhaftigkeit beschuldigte. Ich suchte zum Besten meines früheren Zöglings noch aus der Ferne diese Mißverhältnisse auszugleichen als ich durch den Letzteren davon erfuhr, aber mit geringem Erfolge.

»Wegen Louis«, schrieb mir Schleiermacher am 10. April 1806, »hast du etwas Recht, und er etwas Recht, und ich gar nicht Unrecht. Er kam mir ein paar Mal sehr ungelegen wegen J. und W., und das mag es wohl sein was[180] ihm aufgefallen ist. Freundlich bin ich ihm übrigens immer, aber gleichgültig ist er mir sehr. Wie soll man mehr Interesse an einem Menschen nehmen, als er selbst an sich nimmt? Er fängt gar nichts mit sich selbst an, vertändelt seine Zeit, versäumt seine Studien, ruinirt sich durch Faulheit, und sieht dies selbst mit der größten Gelassenheit an, und sagt mir immer: es wäre ihm nun einmal so, und wenn er sich zu etwas anderem zwingen wollte, so wäre es ja dann doch nicht besser. Wie kann man auf einen Menschen wirken, der sich so den Willen selbst wegraisonnirt? Ich weiß nicht ob er untergehen wird, manche Natur rettet sich aus diesem Zustande; aber in diesem Zustande ist nicht auf ihn zu wirken und kein Theil an ihm zu nehmen. Dabei ziert er sich noch und ist falsch. So hat er sich z.B. gegen mich angestellt, als ginge er höchst ungern nach Frankfurt, und fürchte sich dort vor der schrecklichsten Langweile, dagegen versichert mich die Reil, er habe sich gefreut darauf wie ein Kind. – Wie er klagen kann, daß er trübe ist, begreife ich wohl, aber nicht wie Du es als Klage aufnehmen kannst. Was hat ein gesunder junger Mensch dem nichts abgeht trübe zu sein? Aller Trübsinn kommt aus seiner Unthätigkeit die ihn schlaff macht. – Du kannst ihm das alles schreiben, ich sage es ihm auch selbst ganz gewiß wenn er wiederkommt. – Schade ist es um ihn, wenn er in diesem Gange bleibt, aber helfen kann ihm Niemand, wenn er sich nicht selbst hilft.«

Mein Interesse für Börne machte, daß ich immer noch in meinen Bemühungen nicht nachließ, aber der Riß wurde stets größer. »Mit Louis und mir, liebe Jette«, schrieb[181] er noch zuletzt am 10. October 1806, »ist es weiter nichts geworden. Er liebt und hätschelt seine Faulheit und Eitelkeit, und will von allen Menschen entweder gehätschelt werden oder hochmüthig über sie wegsehen. Das Letzte kann er nicht über mich, und das Erste kann ich nicht gegen ihn, denn Faulheit und Eitelkeit sind mir an jungen Leuten ekelhaft und verhaßt. Auf diese Weise ist er eigentlich von mir abgekommen. Ein interessanter Mensch, wenn du es so nennen willst, kann er wohl immer bleiben, aber weiter glaube ich nicht, daß er etwas wird, zumal ich auch nicht einmal ein entschiedenes, tüchtiges, bestimmtes Talent an ihm bemerkt habe, auf welches ich meine Hoffnung setzen konnte, daß es Herr über ihn werden und ihn durcharbeiten würde.«

Und doch blickt für Denjenigen, welcher Schleiermacher kannte, durch alle diese, wenn auch ungünstigen Aeußerungen über den jungen Mann, eine größere Theilnahme für ihn hindurch, als er selbst zugestand. Die gänzliche Nichtigkeit hätte ihn kaum zu einer Betrachtung veranlaßt, viel weniger zu einer Auseinandersetzung des Wesens und Charakters eines Menschen, wie jene Briefe sie enthalten. Sprach er jedoch Börne ein entschiedenes Talent ab, so mußte man ihm darin beistimmen. Ein Solches schlummerte gewiß schon in ihm, aber erst spätere politische Zustände erweckten es, und ohne das Eintreten derselben wäre Börne als ein wirkungsloser, unberühmter, ja anscheinend unbedeutender Mensch gestorben. Doch konnte auch Schleiermacher in allem seinem sittlichen Zorne über ihn nicht ganz in Abrede stellen, wie es manche Andere thaten, daß er ein interessanter[182] Mensch war. Wie wäre dies jedoch möglich gewesen, hätte nichts in dem Jünglinge auf geistige oder sittliche Anlagen mindestens schließen lassen?

Auch war Schleiermacher einer der Ersten, seinen früheren Irrthum einzusehen, sobald Börne als politischer Schriftsteller aufgetreten war. Stimmte er auch mit manchen Ansichten desselben nur theilweise überein, war ihm gleich die, wie auch witzige und humoristische Form, in welcher er andere aussprach, zu herb und bitter – ich war in gleichem Falle mit ihm –: als er im Jahre 1819 eine Reise an den Rhein vorhatte, lud er den faulen Louis, der sich seit einigen Jahren in einen der thätigsten politischen Schriftsteller umgewandelt hatte, zu einem Rendez-vous ein.

Auch ich sah ihn, der inzwischen ein berühmter Mann geworden war, in demselben Jahre auf meiner Rückkehr aus Italien zuerst, und zwar in Frankfurt a.M., seinem damaligen Wohnorte, wieder. Ich ließ ihn sogleich nach meiner Ankunft zu mir einladen. Er war sehr bewegt als er mich wiedersah, wenngleich er, Gott sei Dank, von seiner tollen Leidenschaft geheilt war. Ich fand ihn vortheilhaft verändert. Durch alle Einfachheit seines Wesens blickte eine gewisse Genialität hindurch. Ich sah ihn während meines zweimaligen Aufenthalts in Frankfurt fast täglich, und las die meisten seiner bis dahin erschienenen Journal- Artikel hier zuerst; denn da sie noch nicht gesammelt waren, so waren sie schwer zu erreichen, auch hatte er die bedeutendsten derselben erst während meiner Reise geschrieben. Ich gestehe, daß mich namentlich die Darstellungsweise höchlichst überraschte.[183]

Sein Vater, welchen er mir zuführte, erschien mir als ein recht gescheidter und wackerer Mann, und sehr gefiel mir seine Freundin, eine verwittwete Frau Wohl. Sie war eine ruhige, verständige, unterrichtete Frau von gefälligem Benehmen, und ich hätte es für ein Glück für ihn erachtet, hätte sie ihm ihre Hand gegeben, denn ein eheliches Band war ihm nothwendig. Als ich ihn später bei seiner Anwesenheit in Berlin fragte, warum sie nicht ein Paar würden, antwortete er mir: »sie traut mir nicht!« – Aber der Grund muß ein anderer gewesen sein, denn es war damals schwer an seiner Aufrichtigkeit und an seiner Treue zu zweifeln, wenn man ihn so genau kannte wie diese vieljährige Freundin. Und ich hörte von Anderen, daß die Rücksicht auf ihre alte sehr orthodox-jüdische Mutter sie hinderte, Börne ihre Hand zu geben, der längst zur christlichen Religion übergetreten war. Sie heirathete bekanntlich später einen Herrn Strauß, der ihre Verehrung für Börne theilte, und dessen vielbesprochener Auftritt mit Heinrich Heine, der sich Verunglimpfungen Börne's erlaubt hatte, seiner Zeit großes Aufsehen erregte.

Was mir noch zur Kenntniß Börne's, des gereiften Mannes, fehlte, ergänzte mir sein späterer Anfenthalt in Berlin. Es war damals in manchen Kreisen Berlins an der Tagesordnung, ihn, wenn die Rede von ihm kam, mit Heine gewissermaßen in einen Topf zu werfen. Wenn gleich ich keinesweges mit allem was er schrieb einverstanden bin, so muß ich ihn doch gegen diesen Vergleich verwahren. Es war ihm um alles was er schrieb heiliger Ernst, der sich nur hinter der Form des Scherzes und der Satyre versteckte.[184] Bei Heine scheint mir gerade das Umgekehrte der Fall zu sein. Er affectirt den Ernst zuweilen, lediglich um die Wirksamkeit des Spaßes, um welchen es ihm eigentlich zu thun ist, und dessen plötzliches Eintreten nur selten bei ihm ausbleibt, zu erhöhen.

Fußnoten

1 Der Herausgeber sah denselben noch bei der Verstorbenen.


Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 185.
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