XV. Die Herzogin Dorothea von Kurland und ihr Haus.

[185] Göckingk war es, welchem ich die Bekanntschaft der trefflichen Herzogin Dorothea von Kurland verdankte, die Bekanntschaft mit ihm aber verschaffte mir eine Reise nach Leipzig, auf welcher ich wenige Jahre nach meiner Verheirathung eine unserm Hause befreundete Familie begleitete, – denn mein Mann konnte seiner großen ärztlichen Praxis halber sich nicht wohl von Berlin entfernen – und deren eigentlicher Zweck ein Ausflug war, welchen ich von dort aus auf dessen Wunsch nach Halle machen sollte, damit sein Lehrer und Freund Goldhagen mich kennen lerne. Ich erfüllte diesen Wunsch, und es wurde mir bei dieser Gelegenheit in Halle zugleich die Bekanntschaft zweier vielgenannter, aber sehr verschiedenartiger Menschen, des Romandichters Lafontaine, damals noch ein sehr junger Mann, und des mehr berüchtigten als berühmten Theologen Bahrdt. Aber ungeachtet Jener vielleicht Niemandem jemals ein Haar gekrümmt hat, und seiner Zeit der Liebling Vieler, zumal fast aller romanelesenden Frauenzimmer war, während Dieser schon damals fast mit aller Welt, namentlich mit der Geistlichkeit,[186] in Streit und Hader lebte, so gestehe ich doch, daß er mich viel mehr interessirte, als der weiche sentimentale Lafontaine, der im Leben vielleicht eben so oft gerührt war, als er durch seine Werke Leser und Leserinnen gerührt hat. Bahrdt war in der That in der Gesellschaft ein durchaus angenehmer Mann, wenn in dieser nur nicht die Gegenstände seines Grolls und seiner Polemik berührt wurden. Er war unterhaltend, er sprach fließend ja elegant, und oft mit einer Wärme, welche meinem jugendlichen Gemüthe sehr wohlthat. Er und der, zu jener Zeit in Halle studirende, später als Arzt berühmt gewordene Formey, begleiteten mich nach Leipzig zurück, und ich gedenke noch seiner lebendigen und anregenden Unterhaltung auf dieser kleinen Reise.

Die befreundete Familie aber, mit welcher ich nach Leipzig gereist war, bestand aus dem Juwelenhändler Levin, seiner Frau, und ihrer Tochter Rahel, später Frau von Varnhagen. Der Vater war der geistreichste und witzigste Despot den man denken kann, und eben deshalb der verletzendste. Aber darum kümmerte er sich wenig, denn in der That war seine größte Lust die an der Unlust. Sein Wille war sein höchstes Gesetz, und unter diesem eisernen Willen litt seine ganze Familie; doppelt aber Rahel, welche auch das Leid mitlitt, welches ihre gute, sanfte, doch etwas geistesbeschränkte Mutter traf. Das etwa fünfzehnjährige Mädchen war in Folge dieser Verhältnisse wirklich sehr unglücklich. Denn neben dem Geiste und der Freiheitsliebe, welche sie schon damals vor allen Mädchen ihres Alters auszeichneten, war sie auch durch ein fühlendes Herz hervorragend, wie sie mir denn überhaupt immer als die schlagendste Widerlegung der Behauptung[187] erschienen ist, daß Herzensgüte nichi neben einem scharfen und kritischen Verstande bestehen könne. Sie war von der regsten Theilnahme für die Ihrigen und für ihre Freunde, und diese Theilnahme war um so wohlthuender und wirksamer, als Rahel tief in die Geschichte der Herzen eindrang. Hülfreich war sie bis zur größten Selbstaufopferung, und dies von jenen frühen Jahren an bis zu ihrem Lebensende.

Der Vater war reich. Er machte in Berlin auf gewisse Weise ein Haus, denn er sah viele Leute bei sich, aber es waren größtentheils Schauspieler, ein Umstand, der auf manche Lebensansichten der Kinder nicht ohne Einfluß blieb. Auch hier in Leipzig lebten wir auf anständigstem Fuße. Wir speisten in den ersten Hotels, und öfter auch in Auerbachs Keller, welcher damals ein von der besten Gesellschaft besuchtes Lokal war, ja wo man sich einfinden mußte, weil es zum guten Ton gehörte. Ich glaube, daß ich damals in der That schön war. Hatten sich schon in Halle die Studenten haufenweise meinem Fenster gegenüber versammelt, so konnte es mir nicht minder verborgen bleiben, daß ich in Leipzig große Aufmerksamkeit er regte, ja dienstfertige Seelenverderber sagten mir später, man sei des Morgens eigens nach Auerbachs Hof gegangen, um mich zu sehen, weil ich dann gewöhnlich dort zu finden war. Ich lernte auf diese Weise viele Leute äußerlich kennen, aber es knüpften sich hier auch zwei Freundschaftsverhältnisse an, die mir für das Leben blieben. Das eine mit dem feinen, geistreichen und vielseitigen Schweden Gustav von Brinkmann, einem Altersgenossen von mir, das andere mit dem viel älteren Göckingk, welches aber schon deshalb ein viel innigeres[188] wurde, weil ich länger mit ihm als mit Jenem an demselben Orte lebte, und wir uns zu Zeiten fast täglich sahen.

Man darf sich das Aufsehen, welches Göckingk in der Zeit vor dem Auftreten der Koryphäen unserer Dichtkunst bei dem gebildeten Publikum erregte, nicht als ein geringes denken. Die gewandte Form und die Tiefe und Zartheit der Empfindung in seinen »Liedern zweier Liebenden« hatten sie mir nicht weniger als der ganzen Lesewelt jener Zeit werth gemacht, und seine damals berühmten »Episteln,« in welchen Feinheit und Beobachtungsgabe mit Gefühl und Anmuth wetteifern, mich geradehin entzückt. Ich hatte mir immer seine Bekanntschaft gewünscht, und nun wurde sie mir durch ein zufälliges Zusammentreffen. Und wunderbar! – ich war gewohnt, mir ein Bild von der Persönlichkeit mir interessanter Menschen zu ma chen, und nie fand ich es der Wirklichkeit entsprechend wenn ich sie später kennen lernte; ihn allein hatte meine Phantasie mir ganz entsprechend gebildet. Deshalb stand er mir auch vom ersten Augenblicke an näher, als es sonst bei neuen Bekannten der Fall ist.

Wer das Interesse welches ich an ihm nahm, zuerst bemerkte, und mir dies scharf genug bezeichnete, war der Buffo einer italienischen Truppe, welcher sich damals – es war zur Meßzeit – in Leipzig befand. Er galt für vortrefflich, da ich jedoch noch kein Wort italienisch verstand, so war es nur seine Gewandtheit, und vor Allem sein höchst ausdrucksvolles und zu Zeiten ungemein komisches Mienenspiel, was ich an ihm würdigen konnte; aber dies ließ mich auch, wenn er auf der Scene war, selten aus dem Lachen kommen. Er bemerkte dies bald, da wir immer in einer[189] Prosceniumloge saßen, und zum Dank für meine Anerkennung schnitt er beim Abgehen aus der Coulisse immer noch ein Paar Gesichter zum Todtlachen eigens für mich. Heute hatte mich Göckingk in's Theater begleitet und seine Unterhaltung interessirte mich zu sehr, als daß ich viele Aufmerksamkeit für die Lazzi des Buffo gehabt hätte. Als ich nun aber die Fratze aus der Coulisse erwartete, nachdem ich meinen Begleiter auf sie vorbereitet hatte, erfolgte sie nicht, und statt ihrer wurde mir ein zorniger, vorwurfsvoller Blick aus dunkelglühenden Augen heraufgeschleudert. –

Die Herzogin von Kurland hielt sich Anfangs dieses Jahrhunderts im Winter in der Regel in Berlin auf, und im Jahre 1803 machte mir Göckingk den Vorschlag, ihre jüngste Tochter im Englischen zu unterrichten. Meine pekuniäre Lage machte mir zu jener Zeit, wo die Pensionen aus der Wittwenkasse noch pünktlich gezahlt wurden, diesen Schritt nicht zu einer Nothwendigkeit, und ich war daher wenig geneigt ihn zu thun. Aber Göckingk hatte sehr richtig bemerkt, daß meine geselligen Verhältnisse, welche zu Lebzeiten meines Mannes eine seltene Ausdehnung hatten, nach dessen Tode beschränkter geworden waren, weil sowohl Schicklichkeit als das Versiegen der reichen Einnahmen, welche Dieser aus seiner ärztlichen Praxis gezogen hatte, mir nicht mehr erlaubten, wie bis dahin, selbst ein bedeutendes Haus zu machen, während doch, wie ich nicht läugnen will, und bei der Art der Gesellschaft in welcher ich mich stets bewegte zu läugnen nicht Ursach habe, das Leben in der Gesellschaft mir ein Bedürfniß geworden war. Er legte daher einen besonderen Accent auf die schönen geselligen Verhältnisse, in welche ich durch meine Einführung in das Haus[190] der Herzogin treten würde, und besiegte so sehr bald meinen Widerstand.

In der That kann man sich die Annehmlichkeiten, welche das Haus der Herzogin in dieser Hinsicht bot, nicht groß genug denken. Schon die liebenswürdige, geistvolle Dame des Hauses hätte es zu einem anziehenden machen müssen. Aber die Herzogin war die erste Frau so hohen Standes, und ist vielleicht die einzige in Berlin geblieben, welche die Ansicht, daß in der Gesellschaft der Geringste dem Stande nach dem Höchsten gleichzusetzen sei wenn er den Erfordernissen einer höheren Geselligkeit entspreche, praktisch durchführte, und überhaupt so durchzuführen im Stande war. Denn es war hierzu erforderlich, daß das Haus von Jemandem gemacht wurde, welcher die höchsten Personen zu sich einzuladen berechtigt war. Und dennoch gehörte die Unabhängigkeit, die Energie, der Geist und die taktvolle Humanität der Herzogin dazu, um nicht an dem Unternehmen zu scheitern, und läugnen läßt es sich bei alledem nicht, daß es ihr von manchem eifrigen Kämpen für das Althergebrachte Anfechtungen und Verkennung genug zugezogen hat. Aber sie hat sich durch dessen Durchführung nicht bloß um die geselligen Verhältnisse Berlins, sondern weit über diese hinaus um die Förderung der Achtung wahren Menschenwerthes Seitens der äußerlich Höhergestellten ein großes Verdienst erworben. Diese Letzteren, und namentlich der weibliche Theil derselben, welche bis dahin selten Personen, welche außerhalb der Hoffähigkeit standen, in engeren Kreisen gesehen hatten, lernten nun auch diese, befreit vom Zwange einer geistbeengenden Etikette kennen, ja sie, die sich bis dahin im ausschließlichen Besitze feiner geselligen Formen[191] geglaubt hatten, mußten sich gestehen, daß Geist und Urbanität im Verein sich auch hier zugleich natürlichere, wohlthuendere, mannigfaltigere und bedeutungsvollere zu schaffen wissen. Einladungen an Personen der höchsten Stände waren der Herzogin nie ein Grund, Niederergestellte, welche zu ihrem geselligen Kreise gehörten, uneingeladen zu lassen. Man speiste Abends stets an verschiedenen Tischen, und es herrschte völlige Zwanglosigkeit hinsichts der Plätze welche die Gäste einnehmen wollten, aber mit großer Feinheit wußte die edle Wirthin doch auch hier eine ihr erwünschte Mischung der Stände zu bewirken. So erinnere ich mich öfter meinen Platz am Tische neben der liebenswürdigen Prinzessin Louise von Preußen, Gemahlin des Fürsten Radzivil, gehabt zu haben. – Daß man in diesem Hause zugleich die höchsten geistigen Notabilitäten fand, darf ich wohl kaum versichern.

Der Frau von Staël verhalf ihre Einführung bei der Herzogin zur schnellen Bildung eines geselligen Kreises für ihr Haus. Sie wählte eben die Personen dazu, welche sie im kurländischen Palaste kennen gelernt hatte. – In beiden Kreisen war mir ein Mann, der sich damals eines europäischen Rufes erfreute, und fast nie in denselben fehlte, die am wenigsten angenehme Erscheinung. Dies war Johannes von Müller. In der That war es auch nur sein Name, welcher ihn zum Zutritt zu denselben berechtigte, seine geselligen Vorzüge waren es nicht. Seine Unterhaltnng klang schon nicht geistreich wenn er französisch sprach, eine Sprache, die Leute von einigem Geiste gewissermaaßen zum esprit herausfordert, aber sie erschien oft plump, wenn er mit seiner schweizerischen Aussprache und seinem besonders störenden, gurgelnden »ch« deutsch sprach. Dabei war[192] sein Aeußeres unangenehm, seine Gesichtszüge waren breit, zerflossen, sein Mund sah stets aus als sei er mit Fett bestrichen, eine Voraussetzung, welche bei dieses Gutschmeckers Rüstigkeit im Essen sehr berechtigt gewesen wäre, hätte man nicht zugleich vorauszusetzen gehabt, daß der Wein, welchen er in großer Fülle genoß, das Fett wieder abspülen mußte. Es konnte unter diesen Umständen nicht fehlen, daß er das Stichblatt der Scherze und der Satyre des anmuthigen und etwas übermüthigen Prinzen Louis Ferdinand wurde, in dessen Gesellschaft er sehr viel war. Er, der Prinz, und der holländische Gesandte Dedel schlemmten fast jeden Abend mit einander. Nach den Soiréen bei Frau von Staël wenigstens war dies regelmäßig der Fall, denn dort machten sie gar kein Hehl aus ihrem Vorhaben. Müllers Weinlaune ergötzte, wie es schien, den Prinzen sehr. »Laßt uns sehen,« rief er eines Abends im Hinausgehen, »was unser Gelehrter heute noch für Streiche machen wird!« – Das Verhältniß erinnerte mich ein wenig an das seines Großvaters Friedrich Wilhelm I. zu Gundling. –

Die Herzogin von Kurland hätte bei aller hohen Weiblichkeit Energie genug gehabt, um ein großes Reich zu beherrschen, und ihr politischer Blick machte zuweilen den Gedanken rege, daß eine solche Bestimmung eine ihr angemessene gewesen wäre. Schon als sie eine Frau in den Zwanzigern war, hatten die Stände Kurlands gewünscht, daß sie die Regentschaft übernehme, und an ihr lag es nicht wenn der Herzog, ihr Gemahl, nicht in besserem Einvernehmen mit diesen Ständen war, denn trat ein Solches vorübergehend ein, so hatte eben sie es durch oft schwierige Unterhandlungen vermittelt. Um so höher hatte man die Anspruchslosigkeit[193] der hochbegabten Frau zu schätzen, welche in ihrem Hause nur bestrebt schien, die freundliche Förderin einer schönen Geselligkeit zu sein.

Von ihren Töchtern, alle vier anmuthig und geistreich, mochte vielleicht die Prinzessin Dorothea, später Herzogin von Dino, die hervorragendste gewesen sein. Auch sie war, gleich ihren Schwestern, hübsch, und man hätte an ihrem Gesichte höchstens aussetzen können, daß ihre oberen Zähne etwas hervorstanden. Dieser reichbegabten Prinzessin wurde nun das Loos, einem wenig bedeutenden Manne vermählt zu werden. Denn dafür galt Graf Edmund Talleyrand schon als zuerst von ihrer Verbindung mit ihm die Rede war, und es fehlte daher schon damals nicht an Einwendungen gegen die Partie. Es war deshalb auch nicht zu verwundern, daß die junge Frau sich bald dem geistvollen Oheim ihres Gatten zuwendete, der sie verstand, wie anderseits ihre Anmuth und ihr Frohsinn geeignet waren, dem mehr witzigen als heitern Staatsmanne das Leben zu verschönen.

Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 185-194.
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