VII. Mirabeau

[134] Auch Mirabeau's Gesicht, schwebt mir, so viele Jahre vergangen sind seit ich ihn sah, doch noch ganz deutlich vor. Denn es zu vergessen war schwer wenn man ihn auch nur einmal gesehen hatte, wie es doch andererseits wegen seiner großen und ganz absonderlichen Häßlichkeit, immer von Neuem auffiel wenn man ihn wiedersah. Am wenigsten trugen seine Pockennarben zu dieser Häßlichkeit bei, wenngleich sein Gesicht von ihnen gänzlich zerrissen war; weit mehr die Eigenthümlichkeit, daß das Ganze sowie alle einzelnen Theile desselben auf eine kolossale Weise in die Breite gezogen waren. Breiteste Nase, erdenklichst größter Mund, mit dicksten wulstigsten Lippen. Dabei war er zur Zeit seiner Anwesenheit in Berlin schon nahe den Vierzigen, und war gleich seine Gestalt noch von großer, ja auffallender Kräftigkeit, so waren über sein Gesicht die Ausschweifungen seiner Jugend nicht spurlos hingegangen.

Aber man vergaß Alles, wenn er sprach. Denn er sprach hinreißend wie ich nie Jemanden sprechen gehört habe, und namentlich ist mir eine solche Eleganz der Sprache in der Leidenschaftlichkeit – und in diese gerieth er leicht – nie[135] weiter vorgekommen. Leider weiß ich nichts mehr vom Inhalte seiner Unterhaltungen mit mir, was vielleicht daran liegt, daß es das Ganze seiner Erscheinung war, was mich zunächst in Anspruch nahm. Aber ich weiß, daß als er einige Jahre später einer der ersten Helden der französischen Revolution wurde, nichts von dem, was man über die gewaltige Wirkung seiner Reden las und hörte, mich in Erstaunen setzte. –

Uebrigens genoß er schon bei seiner Anwesenheit in Berlin eines bedeutenden Rufes. Schon hatte er in Gutem und Ueblen viel von sich reden gemacht. Man wußte auch, daß er alle Frauen, die er gewinnen wollte, für sich gewonnen hatte, seine eigene ausgenommen, und es sprach sehr für das Vertrauen, welches mein Mann mir stets bewies, daß er mir, einer jungen und hübschen Frau, diesen gefährlichen Menschen zuführte. Denn er war es, der es that. Ein Baron Nolde, ein Kurländer, hatte ihn ihm vorgestellt. Aber da Herz nur schlecht französich sprach, so überwies er ihn mir; was der Einführende hatte erwarten können, und auch dem Eingeführten weder unerwartet noch unerwünscht zu sein schien. –

Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 134-136.
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