VIII. Friedrich von Gentz[136] 1

Hat man, gleich mir, in Beziehung zu vielen bedeutenden Menschen gestanden, deren Leben später Gegenstand öffentlicher Besprechung geworden ist, so wird man oft sehr schmerzlich durch die Art berührt, auf welche es geschieht. Während ich die ausgezeichnetesten Menschen nicht nur nicht genug gewürdigt, sondern oft schwer verkannt, ja verlästert gefunden habe, und zwar letzteres oft wegen Handlungen, deren achtungswerthe Motive ich wußte, und in Hinsicht auf Gesinnungen, mit denen es ihnen ein heiliger Ernst war, mußte ich Handlungen, deren nichtsnützige Beweggründe offen vor mir lagen, als Frucht trefflichster Gesinnung herausstreichen sehen. Das Letzte möchte eher hingehen. Mögen immerhin Menschen, die im Leben nicht[137] viel taugten, nach dem Tode auf solche Weise zu Ehren kommen. Doch immer ist solches Verfahren nicht nur eine Versündigung gegen die Wahrheit, sondern es wirft oft ein unverdient nachtheiliges Licht auf Diejenigen, welche sich eben im Interesse Dieser in völlig entgegengesetztem Sinne aussprechen. Sind nun die dargestellten Personen gar etwa zu historischen geworden, so darf man sagen, daß eine Fälschung an einem Gemeingute begangen ist. Hat aber vollends die Ungerechtigkeit ihren Grund allein in persönlicher Neigung oder Abneigung gegen die Dargestellten, so kann ich sie nicht scharf genug tadeln. Denn von dieser sollte sich Jeder freimachen, welcher sich öffentlich über Menschen ausspricht.

So soll Gentz jetzt durchaus ein Mann von Gesinnung gewesen sein! – Möge man immerhin bei der Beurtheilung des Publicisten und des Politikers von seinem sittlichen Leben absehen, möge man die, seinerseits so ohne Scheu affichirten Ausschweifungen seiner alten Tage mild, ja lobend der unvertilgbaren inneren Jugendlichkeit des Mannes zuschreiben, den ich doch schon lange vor jener so bekannt gewordenen zärtlichen Liaison als einen Graukopf mit zitternden Händen in Wien wiedersah, und dem alten aimable roué deshalb beifällig zulächeln: aber Niemand soll mir sein Umspringen aus einem Erzliberalen in einen Konservativen als eine achtungswerthe Folge geänderter innerer Ueberzeugung darstellen wollen! – Wüßte ich nur nicht allzugut und genau, wie es um diese Aenderung stand! –

Ich habe Gentz viel gesehen, am meisten aber doch beim Ausbruche und in den ersten Zeiten der französischen Revolution. Nie werde ich vergessen, wie hingerissen er,[138] gleich Vielen, von ihr war, namentlich zur Zeit der Versammlung der Notablen, aber auch nicht wie hinreißend. Denn mit seinem geistreichen Wesen und der Klarheit seines Verstandes verband er, damals wenigstens, eine Gewandtheit und Gewalt der Rede, hinter welcher seine treffliche, schlagende Schreibart noch weit zurückblieb. Diesem Vorzuge sind wohl auch die Erfolge, welche ihm bei den Frauen wurden, zuzuschreiben. Denn, wenngleich hoch gewachsen, war er doch nicht eigentlich hübsch, und von Gemüth, einer Eigenschaft, welche große Macht über die Frauen übt, habe ich nie etwas an ihm bemerkt. Freilich war er leidenschaftlich, und dadurch geeignet im Sturm zu erobern. Durch diese Leidenschaftlichkeit unterschied sich auch seine Genußliebe vou der eines seiner, später noch berühmter als er gewordenen Jugendfreunde und Gefährten auf den Pfaden der Sinnlichkeit, der sich stets sorglichst gegen jeden Affekt wahrte, und heitere Ruhe als die Grundbedingung jedes Genusses betrachtete. In der Genußsucht selbst begegneten sich jedoch Beide ganz und gar. Aber so wie diese Gentz zu allbekannten Perfidien verleitete, deren Form noch weniger zu rechtfertigen war als ihre Beweggründe, so war er auch gegen den Anderen durch die nicht aufhörenden Verlegenheiten im Nachtheil, in welche diejenigen seiner Genüsse, welche nur durch Geld zu erlangen waren, ihn stürzten. Und er war Bonvivant in jeder Beziehung. In solchen Augenblicken war ihm jedes Mittel, sich diesen Verlegenheiten zu entreißen, völlig gleichgültig, führte es nur nicht eine größere für ihn herbei, als diejenige es war, welcher er gerade entgehen wollte. So zog er einmal einer Frau meiner Bekanntschaft, auf deren[139] Nachsicht er glauben mochte ein Recht zu haben, bei einem Besuche einen kostbaren Diamantring vom Finger. Vergebens stellte sie ihm vor, daß das Fehlen dieses Ringes ihr die empfindlichsten häuslichen Ungelegenheiten zuziehen würde; nur nach langem Flehen, vielleicht auch durch pecuniäre Opfer gelang es ihr, ihn wieder zu erhalten.

Doch in der Zeit seiner drückendsten Geldverlegenheiten huldigte er fortdauernd den freisinnigsten politischen Ansichten. Für die französische Revolution hatte freilich seine Sympathie, gleich der so mancher anderen Zeitgenossen, nachgelassen, nachdem sie weit von ihrer ursprünglichen Richtung abgewichen war, aber er schwärmte noch für Preßfreiheit, welche er dem jetzigen Könige2 bei seiner Thronbesteigung dringend anempfahl, so wie für möglichste Freisinnigkeit aller politischen Institutionen. An einem schönen Morgen jedoch war die, Allen welche ihm näher standen sehr bekannte Geldnoth, wenn auch nicht gehoben – dazu hätte er sehr ansehnlicher Summen bedurft – doch ganz augenscheinlich gemindert, und die Freisinnigkeit verschwunden. Der Grund beider Aenderungen war mir mit Gewißheit bekannt, ich wußte den Moment in welchem er eintrat, und konnte die Gleichzeitigkeit von Ursach und Wirkung genau beobachten. Eine österreichische Pension hatte beide Wunder bewirkt. Er war damals noch, und noch längere Zeit nachher, als Kriegsrath beim General-Directorium in preußischen Diensten. Durch den österreichischen Gesandten, Grafen Stadion, auf ihn aufmerksam gemacht, der ihn nicht minder als der englische mit großer[140] Auszeichnung behandelte, erkannte das Wiener Kabinet seine Brauchbarkeit wie es seine Geldverlegenheit kannte.

Von da an schrieb Gentz was dieses Kabinet begehrte, selbst wenn es gegen die Absichten und die Interessen der preußischen Regierung oder gar gegen deren Handlungen gerichtet war, wie einige seiner Schriften aus jener Zeit, deren ich mich erinnere, das Letztere in der That sind. Wenn er jedoch Oesterreich in manchen Beziehungen in Berlin nützlicher werden konnte als in Wien, so mußte ihm selbst doch eine so zweideutige Stellung auf die Länge unhaltbar erscheinen, und er ging die Quelle seines Heils aufzusuchen. Aber von Freisinnigkeit war keine Spur mehr in ihm, wenigstens in seinen Reden und Schriften nicht. Er verließ Berlin als vollkommener Konservativer, oder, wie man es damals ausdrückte, als eingefleischter Aristokrat. –

Fußnoten

1 Wir erachten bei diesem Aufsatz die Bemerkung an der Stelle, daß da wir lediglich Mittheilungen der Verstorbenen wiedergeben, wir nicht gemeint sein können, die in denselben enthaltenen Ansichten über Personen und Zustände irgend zu vertreten. Doch dürfen wir auch mit Hinsicht auf die von der Verstorbenen berichteten Thatsachen die Bemerkung nicht unterdrücken, daß ihre Wahrhaftigkeit allen ihren Bekannten unzweifelhaft war.

Anmerk. des Herausg.


2 Friedrich Wilhelm III.


Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 141.
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