X.

[211] »Wir wissen, daß Sie auch unser treu gedenken,« sagte Roderich Benedix, der, mit Ludwig Bischoff zur Seite, mir entgegentrat, als ich heute kaum angelangt. »Wie sollte ich nicht?« entgegnete ich, »ich schulde Ihnen Freundschaft und Dankbarkeit und der schöne Kreis, dem Sie angehörten, leuchtet hell in meinen besten Erinnerungen.« »Das Leben unten gleicht einem eurer Concerte,« sagte Bischoff, »Ensemble- und Solosätze folgen sich, nicht immer in logischer Weise – die Soli sind vergnüglich, zuweilen auch abgeschmackt – die Ensembles gehen nicht immer zusammen – sie bleiben aber doch das Beste – die Eitelkeit macht sich da weniger breit und ein vereinigtes Wirken ist wohlthuend – die Einen wie die Andern rauschen gleichmäßig schnell vorüber, vorausgesetzt, daß sie nicht zu inhaltlos seien.« »Ich glaube, man könnte Ihren Vergleich noch lange fortführen, ohne daß er zu hinken begänne,« erwiderte ich, »jedenfalls zeugt er für die Lebensfülle unserer Kunst.« »Lebensfülle!« nahm Benedix das Wort, »Lebensfülle! Sagen Sie doch lieber: Lebensvergeudung, Lebensverschwendung. Der tropischen Natur gleicht Ihre Tonwelt, voll von Herrlichkeit und Schönheit, aber auch von Alles überwuchernden Schlinggewächsen, von greulichen Creaturen.« »Der Himmel gestattet es hier wie dort,« entgegnete ich »seien Sie nicht strenger, als dieser, lieber Benedix.« »Wenn alles gut wäre, was der Himmel auf eurer Erde gestattet,« sagte der Freund, »sie wäre ein Paradies.« »Gibt es eines, wird uns eines zu Theil werden? oder verwehrt der Engel mit flammendem Schwert immer und überall den Eintritt?« »Welche Fragen!« nahm Bischoff das Wort, »erwarten Sie von uns keine Antwort. Und doch, ich kann Ihnen eine geben. Auf Erden gibt es Paradiese die Hülle und Fülle. Das Wissen, die Kunst, die Erkenntniß, die Liebe – und die Arbeit vor Allem.« »Das wird Ihnen nicht Jeder zugestehen,« entgegnete ich »glücklicherweise bedürfen Unzählige keiner Antwort, weil das Paradies bei ihnen nicht in Frage steht. Daß Sie, lieber[212] Professor, wenn ich Sie noch so nennen darf, alle jene paradiesischen Schätze aufzählen, begreift sich, – Sie waren ein reich gesegneter Mann – Ihr vielseitiges Können und Wissen war für mich stets ein Gegenstand der Bewunderung!« »Wäre ich doch weniger vielseitig gewesen!« rief Bischoff aus »der Stamm meines Seins wurzelte in der Musik, aber er trieb keine Blüten. ›Werde, der du bist,‹ hat ein griechischer Weiser gesagt – ich war ein Musiker und bin keiner geworden.« »Um so mehr sind Sie den Musikern geworden,« sagte ich. »Ein verständnißvoller, geistreicher Kritiker, der auf Künstler und Laien anregend wirkt, ist eine seltene Erscheinung. Und waren Sie nicht ein wahrer Künstler der Sprache?« »Es freut mich, daß Sie mir als Kritiker ein freundliches Andenken bewahren, lieber Hiller,« sagte Bischoff lächelnd; »um so mehr, als die Anerkennung der Kritik nie Ihre starke Seite war. Doch was ich ausgesprochen, halte ich aufrecht. Sehen Sie unsern Freund Benedix, er durfte schaffen, was ihn bewegte, wonach sein Streben ging von frühester Jugend an. Und wie sehr ist es ihm gelungen! Ich habe dem Theater noch immer einige Theilnahme bewahrt – ich weiß auch, wie vielfach man Benedix anfeindet – er ist trotz alledem in Deutschland noch nicht wieder ersetzt worden.« »Lassen Sie das gut sein, Freund,« nahm dieser das Wort, »ich mache mir keine Illusionen über meine einstigen Leistungen – sie haben ein paar Generationen erheitert und der Wiederhall davon erfreute mich. Gar mancher glückliche Griff ward damals gethan und wird es auch heute. Aber – die Deutschen haben wenige Lustspieldichter; fast Alles scheint ihnen zu fehlen, um einen hervorzubringen, einen, wie ich's meine, nicht, wie ich's war. Vor Allem – sie sehen sich mit viel zu verschämten Augen an, es ist ihnen fatal, ihre Schwächen, ihre Fehler, ihre Laster unbefangen zu betrachten. Während es den französischen Nachbarn bei aller Eitelkeit ein Gaudium ist, ihre schwachen und schlimmen Seiten bis zur Uebertreibung dargestellt zu sehen, sind die Deutschen so überzeugt von ihrer Bravheit und Tugend, daß sie den Goldglanz derselben um Alles nicht getrübt sehen möchten – nur mit Handschuhen mögen sie den kostbaren Schmuck ihrer Lauterkeit berührt[213] wissen. Nun wird ihren Dramatikern im Allgemeinen aber gerade die leichte Behandlung schwer, die Anmuth, die Behendigkeit, die graziöse Keckheit ist nicht ihre Sache – allzu boshaft wollen sie nicht werden, dafür werden sie plump – häufige Stecknadelstiche sind fatal – lieber einmal eine Tracht Prügel – auch die behende Geschicklichkeit fehlt, vielleicht, weil sie nicht genug geübt wird – zu wirkungsvoller Verschlingung scenischer Fäden ist Geist nicht ausreichend, ein Stück Handwerk gehört auch dazu. Und schließlich – wo existirt eine deutsche Gesellschaft? Nette, brave, angenehme, gebildete, kluge Leute gibt es in Deutschland überall, in Berlin und Wien, in Dresden und München, in Frankfurt und Hamburg – sie kommen auch vielfach zusammen – essen und trinken und unterhalten sich vortrefflich – aber eine deutsche Gesellschaft bilden sie nicht – keine, die den Typus einer solchen an der Stirn trüge, in welcher alle Seiten des Nationalcharakters, Tugenden wie Schwächen, sich illustrirten. So gibt es denn Possen allerorts, Wiener, Berliner, Münchener, denn an Apartheiten ist kein Mangel; aber die deutsche Gesellschaft und das deutsche Lustspiel sind noch zu schaffen.«

Mitten im Besten entzogen sich mit einem leichten Gruße die beiden Männer meinen Augen; die von ihnen mir bestimmte Zeit mochte abgelaufen sein. Daß ich jedoch noch weilen durfte, ahnte ich mehr, als ich es wissen konnte; und da ich zu ungeduldig war, um Heine's Vermittlung in Anspruch zu nehmen, versuchte ich mein Glück auf's Gerathewohl. Ich wurde nicht getäuscht. Cherubini stellte sich mir dar, umgeben von seinem Lieblingsschüler Halevy und dessen Lieblingssänger Adolphe Nourrit. Wie war ich beglückt, diese Männer wiederzusehen!

»Mir scheint, Sie können noch immer nicht ruhig bleiben,« redete Cherubini mich an; »haben Sie denn unten so wenig zu thun, daß Sie Zeit finden, uns hier aufzusuchen?« »Aber, theurer Meister,« unterbrach ihn Halevy, »freuen wir uns doch, mit einem alten Bekannten in der alten Weise einmal plaudern zu dürfen!« – »Es ist wunderbar,« sagte Nourrit, »und wohlthuend.« »Habe auch nichts dagegen!« murmelte Cherubini; »und das wissen Sie,« fügte er,[214] mich anschauend, hinzu. »Haben Sie etwa Lust, noch einmal über mich zu schreiben?« fuhr er fort. »Was Sie hier erfahren werden, wird Ihnen wenig Stoff bieten, weder zum Erzählen, noch zum Kritisiren.« »Wenn ich von Ihnen schrieb, wenn ich zu Ihnen sprach, indem ich zu Ihnen spreche, stets war und bin ich von demselben Gefühle durchdrungen, dem, liebender Verehrung,« erwiderte ich. »Ich war sehr jung, als ich mich Ihnen zum ersten Mal vorstellen durfte, und nun bin ich älter, als Sie es zu jener Zeit waren, – das Wort Cherubini hat immer dieselbe hohe Bedeutung für mich behalten, die des ernstesten Wollens und des mächtigsten Könnens.« »Bravo, Hiller«, rief Halevy aus; »und wenn Sie erst wüßten, was wir Andern dem Meister zu verdanken hatten!« »Und zu verdanken haben,« rief Nourrit. »St!« fiel Halevy ihm in die Rede – »doch – das, was Einer einem Andern zu danken hatte dort unten, das klingt fort durch alle Zeiten. Mancher Erfolg wurde mir zu Theil auf Erden, nichts war mir so werth, als mich seinen Schüler nennen zu dürfen.« »Wie Viele müßten sich so nennen,« sagte ich, »die nie seiner ansichtig wurden.« »Hélas,« rief Nourrit, »es ist doch schön, ein Tondichter zu sein. Zwar hinterläßt er nur papierne Obelisken, aber für den Wissenden enthalten die Hieroglyhen, die sich darauf befinden, so tiefe, herrliche Geheimnisse, daß ich zehn ägyptische Dynastien gebe um eine Meisterpartitur. Und wenn mir auch ein Seufzer entfiel, lieber Hiller, Sie müssen ihn nicht so deuten, wie ich weiß, daß Sie es zu thun geneigt sind. So schwer ich büßen mußte für meinen Ehrgeiz als Sänger – ich klage nicht. Eine süße Genugthuung empfinde ich, daß es mir während meines kurzen Erdenlebens vergönnt war, Schönes kund zu thun, was man auszusingen mich würdig befunden. Ist doch der Beste nur ein Organ, weist doch der Größte immer nur zurück auf das Göttliche, von dem Alles ausströmt.« Der geliebte Sänger entschwand, während seine melodischen Worte verhallten.

»Nourrit war immer etwas zur Schwärmerei geneigt,« sagte Cherubini nach einer Pause. – »Gut wäre es doch, wenn es mehr solcher, Schwärmer gäbe,« rief Halevy aus. »Unsere armen Nachfolger,[215] sie sind schlimm dran. Nourrit empfing nicht nur von uns, er spendete uns eben so viel, als wir ihm gaben. Und so müßte es eigentlich immer sein.« »Man könnte sich schon zufrieden geben,« entgegnete der Meister, »wenn sie das gut ausführten, was man ihnen vorschreibt – sie lernen nicht genug, sie arbeiten nicht genug. Und man ist zu nachsichtig mit ihnen. Ueberhaupt übt man in der Kunst viel zu viel Nachsicht. Allzu Wenige verstehen etwas davon, und diese Wenigen schweigen – sie lassen das Wort den Schwätzern, den Ignoranten, den Faiseurs – da heißt es denn: ›eine Hand wäscht die andere.‹« »Bleiben aber alle beide schmutzig. Und euer Publicum, es will sich unterhalten – geht es nicht auf eine Weise, so geht es auf die andere – machen ihnen die Künstler nichts vor, so thun sie es selbst. Ich überschaue zuweilen mein langes Leben auf Erden, wenn ich gerade nichts Besseres zu thun habe – da ist aber nicht viel Tröstliches zu finden. Einige tüchtige Männer, ein paar gute Freunde, viel Wechsel, viel Lärm um nichts – das Beste war mir und blieb mir mein Arbeitszimmer. Sie werden einst meiner Meinung werden,« wendete er sich an mich, »und froh sein, wenn Sie hieher gelangen.«

»Der Meister ist noch immer zuweilen übler Laune,« sagte Halevy, den Kopf schüttelnd – »aber doch nur dann, wenn er sich alten Erinnerungen hingibt – sie sind ein Brennstoff, der die schönen lautern Flammen seines Geistes flackern macht. Leben Sie wohl, alter Freund, ich muß ihm nachfolgen.« Uebervoll von dem, was ich gehört, fand ich mich in meinem Arbeitszimmer wieder.

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 211-216.
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