IX.

[207] Mein ewig heiterer Heine-Virgil wollte mich auf meinen Wunsch zu Freund Müller von Königswinter bringen, als wir Davison begegneten. Nach den ersten Begrüßungen rief dieser aus: »Haben Sie nicht oft beklagt, mich nicht mehr zu sehen? ich meine nicht in Köln oder Dresden, nein, auf den Brettern, die zwar nicht die Welt bedeuten, aber doch eine Welt für sich sind. Man nennt meinen Namen nicht mehr dort unten, das sollte mich zwar wenig kümmern, es verdrießt mich aber doch zuweilen. So manchen guten Abend habe ich euch geschaffen, euch der Langeweile eures Philisteriums entrissen, euch Menschen vor die Augen gebracht, von welchen ihr euch nie ein Bild hättet machen können – wer gedenkt dessen?!« »Alle, die es erlebt haben,« sagte ich, »ihre Zahl vermindert sich freilich täglich, während die Zahl derer, die dieses Glück nicht gehabt, sich vermehrt – das wird sich schwerlich ändern lassen.« »Schlimm genug,« erwiderte Davison, »man behandelt den Schauspieler ungerecht.« »Aber,« sagte ich – »Ich weiß, was Sie sagen wollen,« unterbrach mich der lebhafte, noch immer fast leidenschaftlich sich äußernde Künstler, »oft genug habe ich's gehört. Die Komödianten,[207] heißt es, erhalten so viel Lob und Beifall und Kränze und Gold, wie es den bedeutendsten Menschen nicht geboten wird, – sind sie denn keine bedeutenden Menschen?« »Wohl, wenn sie bedeutende Schauspieler sind, und dann« – »Und dann,« unterbrach er mich abermals, »dann wird man ihnen trotzdem nicht gerecht. Man sagt, sie seien keine schaffende, nur wiedergebende, um nicht zu sagen, wiederkäuende Talente – aber ich sage Ihnen, wir erfinden oft mehr als die sogenannten Dichter. Die taufen irgend einen Kauz, legen ihm tausenderlei Dinge in den Mund, gescheite und einfältige, stolze und demüthige, humoristische und langweilige – und daraus sollen wir einen Menschen machen, an den ihr glaubt, der vor euch lebt und webt, für den ihr euch ein paar Stunden leben fühlt – ein Küchenzettel mit seinen Ingredienzien, aus dem ein Gericht werden – kleine Motive, aus welchen eine Symphonie erwachsen soll – was weiß ich! Und weil wir statt Papier und Tinte uns selbst nehmen, unsern Leib und unsere Sprache, und damit schalten und walten, als seien es fremde Dinge, und uns modeln und malen und behorchen und betrachten, bis ein Kerl vor uns steht, der uns zum Object wird – der wir sind und auch wieder nicht sind, und der euch packt und lachen und weinen macht – das sollte kein Schaffen sein, nur eine Reproduction? Sind Sie denn überzeugt, daß der, der's geschrieben, es so vor sich sah, wie wir es sehen müssen, um es darzustellen? Und was ist Schaffen anderes, als ein innerlich Erschautes vor die Sinne bringen?« »Es ist schön von Ihrem Freunde,« nahm Heine zu mir gewandt das Wort, »sich für seine ehemaligen Genossen so zu erwärmen, um so mehr, als sie wahrlich keiner Fürsprache bedürfen. Auch bin ich bis zu einem gewissen Grade Ihrer Meinung, mein vortrefflicher Herr Davison,« fuhr er fort, »ein guter Schauspieler steht viel höher als ein schlechter Dichter.« »Heine'sche Schmeichelei,« entgegnete dieser, »ich aber behaupte, ein großer Schauspieler ist ein großer Dichter.« »Nur«, sagte ich, »ist der letztere seltener. Und dankbar müßten Sie ihm sein. Welch eine Versorgungsanstalt hat Shakespeare gegründet!« »Shakespeare, ja Shakespeare,« murmelte Davison, »und doch, wie[208] Wenige würden je durch einen Hauch seines Geistes berührt, wenn wir nicht da wären, seine Gestalten vorzuführen?« »Unbedingt,« rief ich aus, »ich kann mir seinen Richard nicht anders denken, als unter Ihren Zügen – die Worte, die ihm verliehen worden, höre ich in Ihrer Sprechweise, so wenig historisch sie sein mag.« »Der Geist macht die Wahrheit, nicht das Idiom,« sagte Davison. »Doch freut es mich,« setzte er hinzu, »daß mein Thun noch nicht ausgelöscht ist in der Erinnerung meiner Freunde – lange kann das freilich nicht mehr dauern.« »Was kümmert Sie's?« frug ich. »Eigen genug,« erwiderte er, »das, was ihr drunten Unsterblichkeit nennt, beschränkt sich in den meisten Fällen darauf, daß in irgend einem Bande einige Buchstaben sich finden, die in ihrer Zusammensetzung einen Namen bilden, dem ein paar erklärende Zeilen gewidmet sind. Und doch wird es uns auch hier nicht gleichgültig, einer unter Millionen zu sein, dem eine solche Erwähnung zu Theil wird.« »In der Geschichte der deutschen Schauspielkunst wird Ihr Name stets leben,« sagte ich zum nachdenklich gewordenen Mimen – und wir schieden mit Blicken freundlichen Einverständnisses.

»Da ist Müller,« sagte Heine nach einigen Schritten, »ich will Sie aber nicht stören, setzte er hinzu und verschwand.« »Mein lieber Freund,« begann ich, »wie sehr vermisse ich Sie, wie sehr vermissen Sie so Viele, abgesehen von denen, welchen Sie Alles waren. Ganz unersetzlich sind Sie und Ihr Haus in unserem alten Köln und werden es bleiben für uns, so lange wir selbst dort verbleiben. So viel Talent, so viel Herzensgüte und –« »Wollen Sie wohl die wenigen Momente, die uns gegeben sind, nicht mit solchen Worten verderben!« unterbrach mich der Freund. »Wären diese wenigstens wahr!« »Um's Himmelswillen!« rief ich. »Mißverstehen Sie mich nicht,« fuhr er fort, »ich zweifelte nie und zweifele auch heute nicht an meinen Freunden. Was jedoch Ihr altes Köln betrifft, so waren die Zeichen von Wohlwollen, die es mir gab, weder zahlreich noch erheblich – und ich frug mich zuweilen, warum so viel Unwohlwollendes gegen mich zu Tage trat. Niemandem trat ich zu nahe, förderte Manchen, meinte es gut mit Allen.« »Das ist's eben,«[209] erwiderte ich. »Sie erinnern sich der alten Geschichte vom Aristides!« »Der Vergleich paßt nicht, er ist viel zu ambitiös – auch glaube ich nicht, daß man mich verbannt haben würde, wäre der Ostracismus noch Mode. Nur das Bißchen Freude am Dasein mir zu verderben, das versuchte man allerdings oft genug – es mag aber mehr rheinländisch sein als kölnisch und mehr deutsch als rheinländisch. Während die andern Nationen ihre Talente gern überschätzen, scheinen sie dem Deutschen mehr unbequem als willkommen zu sein. Vielleicht halten sie es auch für einen Sporn, der dem Talente zuträglich, es zu zwicken und zu placken, wo sie können. Ich sprach Karl Maria von Weber vor einigen Wochen. Was hatte der alles erdulden müssen in der Mitte von Erfolgen, die allzu gerechtfertigt waren, als daß man sie hätte unterdrücken können! Wie hat die Kritik sich gegen ihn benommen! Welche Intriguen hat man gegen ihn gesponnen dort, wo er lebte, persönlich wirkte!« »Lieber Müller,« sagte ich, »so viel ich weiß, nehmen Sie hier noch hinreichend Theil an dem, was bei uns unten vorgeht, um sich's zuweilen mit anzusehen und anzuhören, und da müssen Sie doch gewahr geworden sein, bis zu welchem Grade von Enthusiasmus man sich jetzt in Ihrem einstigen Vaterlande aufzuschwingen versteht.« »Die Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel,« erwiderte er, »auch sprach ich nicht von den Aeußerungen der Menge, die im Guten wie im Schlimmen von den mannigfaltigsten Impulsen erregt wird. An die Einzelnen dachte ich, an die mehr oder weniger Gebildeten, welche die sogenannte Blüte eines Volkes darstellen. Ist es Ihnen nie aufgefallen, wie sauer es einem Deutschen, einem deutschen Manne wird, ein erkennendes, freundliches Wort zu sagen? Und wenn er es thut, klingt es meistens, als ob er sich Gewalt anthun müsse, um es zu Tage zu fördern. Bei den Frauen ist das anders und besser – die Frauen sind aber nicht der charakteristische Theil der gebildeten Nationen oder derer, die ihr so nennt, denn gefallen wollen sie alle.« »Das ist auch gut,« sagte ich, »denn es bestärkt uns in unserem kleinen Selbstgefühl, ohne welches wir ja doch nichts Nennenswerthes zu Stande bringen würden. Wie viel Herrliches verdanken wir dem Einflusse der Frauen!«[210] »Kunst und Poesie sind ohne sie nicht denkbar,« rief der Dichter aus, »ich bin ihnen das Beste schuldig, was ich geleistet habe, und mein Dankesgefühl erlischt nimmer. – Haben Sie Bismarck gesehen?« frug er plötzlich nach einem Moment träumerischen Schweigens. »Einmal ward mir das unvergeßliche Glück, einen Abend bei ihm zuzubringen,« erwiderte ich, »ich komme fast nie nach Berlin und – welch ein Interesse kann ein solcher Mann nehmen an uns Musikern?« »Sie wissen,« sagte Müller, »wie ich für ihn schwärmte, und wenn ich mich dieses Ausdruckes noch bedienen könnte: ich schwärme noch immer für ihn und meine Bewunderung wird durch Nichts und Niemanden geschmälert, nicht einmal durch ihn selbst. Welch eine bezaubernde Persönlichkeit! Die Geschichte wird die Erinnerung an sein Thun aufbewahren und deren Folgen auseinanderlegen, – sie wird keine Vorstellung geben können von der bestrickenden Macht seiner Gegenwart – von dieser wunderbaren Vereinigung der verschiedenartigsten, ja, entgegengesetztesten Eigenschaften! Die Hoheit der Erscheinung und die Gewalt der Rede, der imponirende Ernst und die liebenswürdige Heiterkeit, der ungebundene Freimuth und die treffende Ironie; ja, eine gewisse Naivetät, ich kann es nicht anders bezeichnen, tritt unbehindert zuweilen hervor. Ist doch jedes Genie naiv in seiner Weise. Recht ist es und würdig, daß die Treue der Ueberzeugung ihm entgegentritt, wo sie nicht anders kann – aber nur die lauterste Ueberzeugung soll ihm entgegentreten. Wie hat sich Schiller's Wort hier bewährt, daß der Mensch wächst mit seinen höhern Zwecken – aus dem übermüthigen Junker ist der Mann geworden, der mit der Kraft des Gedankens seine Zeit beherrscht, wie Keiner neben ihm. Welch unerhörte Macht übt er aus – möchte sie nicht allein Deutschland, möchte sie der Welt zu Gute kommen – ich hoffe es –.« Die Lebhaftigkeit des jüngern, wenn auch vor mir geschiedenen Freundes war mir wohlthuend und brachte mir vergangene Stunden ergreifend vor die Seele. Ich schwieg, als er, sich wendend, mir zurief: »Ade, Ade, auf Wiedersehen!«

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 207-211.
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