IV.

[185] »Führen Sie mich zu Börne,« redete ich Heine an, den ich mir herbeigesehnt, »Sie sind es mir schuldig, denn vor fünfzig Jahren erwies ich Ihnen in Paris den gleichen Liebesdienst. Ihr erstes Zusammentreffen mit dem gemüthlichen Revolutionär verlief reizend – ich dachte nicht, daß es später –« »Sie scheinen sich ein Vergnügen daraus zu machen, mich an meine Krankheiten zu erinnern,« unterbrach mich der Dichter; »es ist wahr, ich litt eine Zeit lang an der Börnephobie, die mir viel zu schaffen machte.« »Mir auch,« sagte ich leise. – »Und der Versuch, mich à la Goethe schreibend davon zu befreien, ist nicht gut ausgeschlagen. Doch während Ihr drunten noch literarhistorisch darüber schimpft, haben wir alles das hier längst ad acta gelegt. Da ist Ihr alter Landsmann,« schloß er, als wir eine Biegung des Weges genommen. »Sieh da, Hiller,« rief Börne mit jenem freundlich schmunzelnden Lächeln, dem sich immer noch ein kleiner ironischer Zug gesellte, »Sie machen ja merkwürdige Ausflüge, nun kommen Sie gar zu uns? Hoffentlich nicht, um sich vor den Antisemiten zu retten?« »Nicht doch,« erwiderte ich. »In unserem alten Köln scheinen sie nicht zu gedeihen, obschon die Luft dort dick genug ist. Ueberhaupt aber meine ich, man könne sagen, viel Geschrei und wenig Wolle.« »Allerdings,« sagte Börne,[185] »sehr viel Geschrei und allzu wenig Wolle – die Wolle würde wenigstens den wilden Lärm dämpfen. Ich begreife vollkommen, daß man die Juden nicht mag. Ihr lebt ja drunten in lauter Antipathieen! Die Einen mögen die Liberalen nicht, Andern sind die Junker zuwider, diese hassen die Journalisten, jene verachten die Mercantisten – Alles schön und gut. Aber daß ein Deutscher so wenig von sich selbst hält, so wenig point d'honneur besitzt, um seinen neidischen Haß jetzt noch auszusprechen gegen ein Häuflein Menschen, das sich durch Gescheitigkeit aus dem Elend herausgearbeitet – in dieser Zeit – das ist erbärmlich. So lange die Deutschen selbst noch geknechtet waren, gereichte es ihnen zur Erfrischung, Andere zu knechten – wenn man sich nach vorn zu tief gebückt hat, schlägt man gern nach hinten aus – das stellt das Gleichgewicht her. Nun aber, wo ihr selbst zur grande nation geworden seid, könntet ihr den Kopf doch höher tragen. Wer glaubt, stolz sein zu dürfen, muß neidlos sein. Was denken Sie davon, Heine?« Dieser reckte den Kopf in die Höhe und sagte etwas gravitätisch: »Dürfen wir mitreden? müssen wir nicht unseres edlen Ursprungs eingedenk sein? sind wir nicht Partei? geschieht den Juden nicht recht? Daß sie gelehrt werden, reich, berühmt, sogar adelig, das Alles ist verzeihlich. Daß sie sich aber so gut christlich zeigen, um die andere Wange anzubieten, wenn sie auf der einen eine Ohrfeige erhielten, das verdient bestraft zu werden. Beschimpfen lassen sie sich und enthusiasmiren sich für den Beschimpfenden – ihren Verächtern klatschen sie Beifall zu. Man mag ein Vierteljahrhundert auf dieser Oberwelt zugebracht haben, das lernt man nicht verwinden, und ich bekomme zuweilen eine wahre Sehnsucht nach Feder und Dinte, so entwöhnt ich dieser Dinge bin.« »Ihr lachender Spott, lieber Heine,« sagte ich, da er nachdenklich vor sich hin sah, »Ihre süßen stacheligen Reime thäten uns oft Noth. Sie mögen sich viel bei uns umsehen und mit noch fliegenderer Schnelle lesen, als während Ihres frühern Lebens, doch haben Sie, wenn ich so sagen darf, keine Idee davon, welche Fülle von Stoff für einen Geist, wie der Ihre, wenn ich noch so sagen darf, aufgespeichert da liegt. Und Sie, lieber Börne, der Sie meinten,[186] es sei Ihre erste Aufgabe, jeden Tag zu beleuchten, in jeden dunkeln Winkel einige Strahlen Wahrheit zu senden, warum haben Sie Niemand zum Erben Ihres Geistes eingesetzt?« »Lassen Sie das gut sein,« erwiderte Börne, »es wird wacker gekämpft – wir sehen das hier aus der Vogelperspective besser, als Ihr, die Ihr mitten drinnen steht. Zu meiner Zeit war das anders – des Unsinns gab es mehr, der Opponenten gab es weniger. Diesen war es freilich heiliger Ernst, so ungeschickt sie's zuweilen anfangen mochten. Und dann, bedenken Sie, es ist im öffentlichen Leben wie in der Kunst, nur der Anfang ist leicht, und über den Anfang sind sie hinaus.« »Die schönsten Blumen«, fiel Heine ein, »sind rasch ausgewählt, aber sie bilden noch keinen Strauß. Ein guter Einfall kommt schnell, er ist aber noch kein Gedicht. Man verliebt sich unversehens, was gehört nicht zu einer guten Ehe? Die deutsche Armee ist bewunderungswerth, sie macht aber noch kein fertiges Deutschland.« »Das wird Bismarck fest genug zusammenschweißen,« sagte ich. »Glückliche Reise,« riefen die Beiden mir in einem Athem zu, und ich fand mich mutterseelenallein. »Den Herren von der Feder und der Palette«, sagte ich mir, »sind wir Musiker doch nicht vollgütig, sie mögen's noch so gut mit uns meinen. Ich kann es ihnen auch kaum verdenken. Was fange ich jetzt an? ich denke noch Zeit zu haben.« »Schon eine ganze Weile suche ich Sie und bin sehr ungehalten, daß Sie mich nicht in erster Reihe aufsuchten,« ertönte es, und ich erkannte Moritz Hartmann's wohlklingendes Organ, ehe ich ihn selbst noch erkennen konnte. »Mein geliebter Freund,« rief ich aus, »ich fühle mich hier so fremd und bin mehr oder weniger dem Zufall preisgegeben. Sie wissen, wie ich Ihrer gedenke!« »Nur keine Entschuldigungen, caro Fernando, wie Rossini zu sagen pflegte. Die kleinen und großen Nothlügen der guten Gesellschaft, die Einleitungen und Schlußcadenzen, von welchen Ihr Componisten einen so starken Gebrauch macht, wenn Ihr nichts Gescheites zu sagen wißt, alles das und vieles Andere ist hier gänzlich außer Cours. Sprechen und Denken bedeutet uns dasselbe.« »Und wir,« erwiderte ich, »wir sprechen so oft, ohne zu denken! Freilich denken wir auch oft, ohne zu sprechen, was als[187] Entschuldigung dienen mag. Nehmen Sie noch lebhaften Antheil an unsern Geschicken?« »Einen ernsten, keinen leidenschaftlichen – meine Zuneigungen habe ich mir bewahrt,« sagte Hartmann. »So verhehle ich Ihnen nicht, daß es mich bekümmert, Deutschland und Frankreich noch so getrennt zu sehen. Im Grunde interessirt Ihr Deutschen Euch für kein Volk so sehr, als für den sogenannten Erbfeind – von keinem habt Ihr so viel gewonnen für Eure Bildung – und wie viel schulden Euch auch die Franzosen! Und nun diese ewige Nergelei. Jedes hat Angst vor dem Andern, wie Mohr und Papageno in der Zauberflöte – und das nachbarschaftliche Verhältniß gleicht dem Gegenüber in kleinen Städten, wo man sich gegenseitig in die Küchen sieht und in die Schlafzimmer und über den Luxus des Einen schimpft oder über die Aermlichkeit des Andern spottet. Daß ist's aber, was böses Blut macht. Gab es doch große Männer, die sich liebten und bewunderten, warum sollte das großen Nationen nicht möglich sein?« »Wie freut es mich,« sagte ich, »Sie so sprechen zu hören, lieber Freund – so dachten Sie früher, und wenn Sie auch hier noch so denken, muß es wohl das Richtige sein.« »Mein Aufenthalt hier ist noch sehr kurz,« erwiderte er, »doch gibt es viele Ansichten, die ich um so wahrer halte, als die Menschen wenig danach handeln. Die Klugen nennen dergleichen idealistische Thorheiten – aber wie oft haben sich die Klügsten als die Dummsten herausgestellt. Da sie aber meistens die Geschickteren sind, behalten sie Recht in den Angen der Naiven – und die bilden dort unten die Mehrzahl. Vielleicht wird es einst besser!« »Dürfen wir nicht sagen,« rief ich aus, »daß es schon besser geworden ist?« »Hier und da, in diesem und jenem wohl,« antwortete Hartmann, »die Menschen vertragen eben die Wahrheit nur in homöopathischen Dosen. Aber für alte Freunde, wie wir es sind, bewegt sich unser Gespräch allzu sehr in Allgemeinheiten. Sprechen wir von Ihnen – wie fühlen Sie sich?« »Besser als je,« sagte ich. »Diesen Herbst vollende ich mein siebenzigstes Jahr – nach der Bibel und nach der Statistik gehöre ich dann schon zu den Auserkorenen, wenn es ein Privilegium zu nennen ist, der Hoffnung den Abschied geben zu müssen.« »Das thun Sie[188] nicht,« rief Hartmann, »das thut kein Sterblicher.« »Nun denn,« erwiderte ich, »wenn ich die Hoffnung nicht verabschiede, so doch die Hoffnungen, die sich als Träume herausgestellt. Jedenfalls lebe ich der Gegenwart und bringe der Zukunft keine Opfer mehr. Da ich kein Faust bin, darf ich oft genug vom Augenblick sagen, er sei schön. Und reich bin ich über die Maßen! Haben doch Jahrtausende für mich gearbeitet. Was mir mißfällt, was mich verletzt, schreibe ich auf Rechnung der ewigen Nothwendigkeit – und frei wie der Vogel in der Luft fühle ich mich in der Liebe zum Schönen.« »Was,« unterbrach mich der Freund, »wohl nicht nur gedruckt, gemalt oder componirt zu sein braucht?« »Das Schönste«, sagte ich, »ist wohl die Liebe selbst. Wer hätte das herrlicher erfahren, als Sie in Ihren leidenvollsten Jahren!« »Nie,« erwiderte Hartmann, und seine Stimme klang gedämpfter, als es mir droben bis jetzt vorgekommen, »nie erlischt in mir das Gefühl des Dankes für die Liebesopfer, die mir geworden. Und das darf ich Ihnen wohl mittheilen, es gehört die Empfindung der Erkenntlichkeit, die dort unten so selten, zu dem Besten, was uns hier verliehen – sie hat Aehnlichkeit mit dem der Genesung, steigert sich immer, wirkt stets beseligender – aber rein muß die Gabe gewesen sen. Wir müssen jetzt scheiden, mein alter Freund.« »Sehe ich Sie wieder?« frug ich bewegt. »Wer weiß!« erklang es aus einiger Entfernung.

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 185-189.
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