V.

[189] Innige Sehnsucht empfand ich, wieder einen meiner tondichtenden Freunde zu sehen, deren so manche hier sein mußten – des Einen und des Andern gedenkend, schlich ich träumend vor mich hin, als ich eine hohe Gestalt sah, umgeben von einem kleinen Kreise mir nicht unbekannter Jünglinge, die jedoch schnell meinen Blicken entschwanden. Nun erkannte ich Robert Schumann, der ruhig wartend auf mich schaute. »Es wird dir schwer werden,« sagte er, »von hier scheiden, wieder hinab zu müssen!« »Meine Uhr ist noch nicht[189] abgelaufen,« erwiderte ich, »doch denke ich bald Euer Leben mit Euch leben zu dürfen. Daß mir erlaubt ist, schon jetzt einige Momente zu verkehren mit dem Einen und Andern, betrachte ich als eine der höchsten Glücksgaben, die mir zu Theil geworden, wenngleich der Abstand zwischen uns jetzt größer sein mag, als er je war.« »Beruhige dich hierüber,« versetzte Schumann, »wir hängen noch mit zu vielen Banden an jener Unterwelt, um nicht gern mit dir einige Worte zu wechseln. Bist du doch dort, wo wir das Beste thaten, was uns bis jetzt zu thun vergönnt war – wo wir menschlich glücklich waren in der Bethätigung unserer Kraft. Manches hat sich mir seitdem offenbart – Seligeres habe ich nicht empfunden, als was mir durch unsere Kunst gewährt worden.« »Es rührt mich,« erwiderte ich, »von dir bekennen zu hören, was Jedem klar werden mußte, der deine Musik erkannte. Deine Schaffenslust, die Wonne, die dich durchströmte, als deine Gesänge dir entströmten, die theilen sich Jedem mit. Deine Lieder sind wie Blumen, die man aus den Knospen hervorspringen sieht.« »Es war mir selbst oft wunderbar,« sagte Schumann, »mit welch blitzartiger Klarheit plötzlich ein Sang sich vor mir bewegte, – ich hatte ganze Epochen tönenden Wetterleuchtens, mir schwindelte inmitten der beglückenden Kraftvergeudung.« – »Und deine Nerven litten doch schließlich«, flocht ich ein, »durch all diese Erregungen des Herzens und des Geistes.« »Ein Moment der Ruhe,« versetzte der Freund, »der Ruhe vor neuer Arbeit.« Wir schwiegen eine kleine Weile, dann ergriff ich wieder das Wort. »Ich verscheuchte eine dich umgebende Schar,« sagte ich, »was bewog sie, sich zu entfernen? mir schienen's bekannte Gesichter!« »Du magst sie gesehen haben,« sagte Schumann, »gesprochen hast du sie nie. Sie kamen früh hierher und ich verkehre gern mit ihnen – du weißt, ich hatte stets eine Vorliebe für die Jugend.« »Auch bliebst du stets jung,« erwiderte ich, »wenn es auch Viele nicht erkennen mochten. Du warst so schweigsam den Meisten gegenüber – freilich – stille Wasser sind tief.« »Nicht immer,« sagte Schumann lächelnd; »mir war es aber oft auffallend, daß Mancher so viel schwatzte, der trotzdem viel zu sagen hatte. Die Sprache, drunten, ist auch gar weitspurig!«[190] »Unsere Ohren müssen sehr vollgestopft werden,« versetzte ich, »wenn etwas drin haften soll. Deshalb wiederholen kluge und praktische Leute dasselbe tausendmal – schließlich wird es geglaubt!« »Ein armseliger Glaube,« sagte Schumann, »glücklicherweise ein kurzer!« Wir schwiegen abermals ein paar Momente, dann sprach ich: »Du warst meistens so gütig nachsichtig in deinen Urtheil, lieber Schumann, wie kam's, daß du in einigen Fällen streng bis zur Ungerechtigkeit wurdest? Oder bist du noch immer derselben Meinung? Du weißt, wovon ich spreche – nicht von dem, was mich angeht.« »Ich weiß, ich weiß,« erwiderte er, »ich mag mich geirrt haben. Denn nur Eins war mir sympathisch, nur der Gedanke, der ungestört der Seele will entfließen, wie es unser Aller Meister ausspricht. Wo ich die Absicht sah, die Absicht der Wirkung, und wo der Verstand die Mittel zusammensuchte, um sie zu erreichen, da wurde ich verstimmt, und wenn ich verstimmt war, da sprach ich es aus, trotz meiner Neigung zum Schweigen. Zu hart vielleicht, gewiß zu hart – es sind dort unten so mancherlei Bedürfnisse zu befriedigen – es mag ja mit bestem Wollen geschehen – wer kann über sich hinaus in jenem engen Leben!« »Der am wenigsten,« sagte ich, »der in sich einzukehren gewohnt ist und dort das Schönste und Beste findet. Und du, Glücklicher, du fandest es auch dir zur Seite!« »Clara,« rief er aus und verschwand.

War es ein Zufall oder die Wirkung einer Denkverkettung, nach wenigen Minuten begegnete ich Meyerbeer. »Soeben«, sprach ich ihn an, »gedachte ich Ihrer, gedachte ich so manchen langen Gespräches, das Sie mir mit Ihnen zu führen erlaubten. Sie, aus welchem man so nebenbei einen großen Diplomaten zu machen beliebte, schienen mir stets einer der aufrichtigsten Männer zu sein, viel aufrichtiger, als so manche, die versuchen, sich als wahr zu geben, indem sie grob sind.« »Warum hätte ich nicht aufrichtig sein sollen,« erwiderte der Meister, »ich hatte nichts zu verbergen – nicht einmal meine hier und da etwas weit getriebene Höflichkeit, in der Gesellschaft wie in meiner Musik – sie lag und liegt offen zu Tage.« »Die intensive Wärme,« sagte ich, »mit welcher Sie eines Tages gegen mich aussprachen, daß[191] nichts Sie mehr begeistere, als der Gedanke, ein möglichst großes Publicum zu begeistern, erklärte mir vollkommen manche Zugeständnisse.« »Zugeständnisse,« unterbrach mich Meyerbeer, »was nennt Ihr denn so? Die richtigen Mittel verwenden zu dem Zwecke, den man für schön und gut hält? Das ist kein Zugeständniß, es ist Erkenntniß. Was ich erfunden, mag Manchen mißfallen, aber wenn sie mir geistige Unsittlichkeit vorwerfen, so muß ich lächeln. Drunten war ich auch wohl erzürnt darüber – das liegt nun weit hinter mir. Doch wenn Menschen, die kein Mittel scheuen, um ihre Absichten zu erreichen, keines, wenn die sich auf den höchsten ethischen Standpunct zu stellen belieben, um von da vergiftete Pfeile nach allen Seiten hin zu schießen, da frage ich in aller Demuth, was sie berechtigt, mich zur Zielscheibe zu erkiesen. Sie wissen, daß ich dabei nicht des Freundes gedenke, der Sie soeben verließ – wir konnten uns vordem vielleicht nicht verstehen, auch gehörte er zu den Wenigen, welchen ich nicht die gebührende Anerkennung schenkte.« »Sie dürfen sagen,« versetzte ich, »er war der Einzige. Mir ist kein Künstler bekannt geworden, der den verschiedenartigsten Kunstrichtungen, Kunstgattungen eine gleiche Würdigung geschenkt hätte, der mit gleicher Unermüdlichkeit mit allem bekannt zu werden trachtete, was anerkennungswerth war – nur wo gar kein Talent, gar kein Wissen und Können vorhanden, da waren Sie unverhohlen streng und scharf – ich würde Sie an so manche Momente Ihres Lebens erinnern, wenn es dessen bedürfte –, wo keine andere Berühmtheit zu sehen war, da fand man Sie – in den kleinsten wie in den größten Kreisen.« »Die Kunst, die Sie noch die Ihre nennen,« sagte Meyerbeer, »sie ist so reich, so erstaunlich vielseitiger Entwickelung fähig, kaum gibt es menschliche Geisteswerke, die es in gleichem Grade wären. Das macht sie denn auch so interessant. Den Erzeugnissen der bildenden Kunst, denen der Sprache bleibt ein Gemeinsames, ewig Verständliches durch alle Jahrhunderte – denen der Tonkunst nur das Material. Oder wäre es mehr als das, was den Werken eines Palestrina und eines Beethoven gemeinsam?« »Ich dächte doch,« erwiderte ich, »zweierlei: die harmonische Basis und der hehre Geist.«[192] »Das erstere«, nahm Meyerbeer das Wort, »gehört doch wohl dem Material an, gleichviel, ob es von der Natur gegeben oder von den Menschen geformt worden – und der hehre Geist – der gehört allen hehren Geistern. Deshalb, ich meine durch jene ewige Erneuerung, versteht eine neue Generation kaum mehr, was eine frühere entzückte – und das nennt man dann veralten. Nichts that mir weher auf Erden, als der Gedanke, daß das, was ich zur Freude so Vieler geschaffen, so schnell verbleichen würde in der Erinnerung der Menschen.« »Und es stachelte Sie um so mehr an,« meinte ich, »ein möglichst großes Stück Zukunft in der Gegenwart zusammenzuraffen. Doch vorläufig hat es damit gute Wege – Ihre Werke beherrschen noch die Welt, so weit sie Opernbühnen besitzt.« »Ich bedarf keines Trostes, lieber Hiller,« erwiderte der einst so gefeierte Mann, »aber Ihnen sollte ich vielleicht einige beruhigende Worte sagen. Ihre er sten dramatischen Werke, ich erinnere mich derselben sehr genau, ließen mich Gutes erwarten – mich däucht, Sie haben die Hände zu schnell in den Schoß gelegt. Das Theater ist ein Land, zu dessen Eroberung Vielerlei gehört – Ausdauer vor Allem.« »Zum Erobern, theurer Meister,« sprach ich, »hatte ich nie Anlage – von Ausdauer vollends keine Spur. Eine einzige Eroberung lag mir am Herzen – die meine. Das klingt vielleicht sehr dünkelhaft, sehr anspruchsvoll – ob es trotzdem bescheiden ist, wage ich nicht zu versichern – es ist wahr.« »Auch bequem,« sagte der Meister, »doch wer vermag zu scheiden, was Natur und was Wille, was Kraft und was Schwäche ist? Wie viele Schwächen entstehen aus der Kraft, wie viele Anstrengungen entsprießen der Schwäche! Leben Sie sich aus – wir erwarten Sie und werden Sie gern empfangen.«

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 189-193.
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