Der Briefverkehr mit der Außenwelt.

[94] Verglichen mit dem Verkehr der Gefangenen untereinander ist der Verkehr mit der Außenwelt zwar nicht völlig abgeschnitten, aber doch sehr erschwert und verkümmert.

Besuche sind nur nahen Angehörigen der in Untersuchung Befindlichen und auch ihnen nur mit gewissen Einschränkungen unter strenger Ueberwachung gestattet. Wollen sie dabei den Inhaftierten Näschereien oder Leckerbissen irgendwelcher Art überreichen, so ist dies nur nach vorangegangener genauer Durchsicht erlaubt.

Mich wünschte eines Tages eine sehr liebe treue Freundin zu besuchen. Man hatte ihr jedoch die Genehmigung unbedingt verweigert. Ich würde dies gar nicht erfahren haben, wenn ihr nicht gestattet worden wäre, mir briefliche Mitteilung zu machen. Auch durfte ich diesen Brief beantworten.[94]

Der Briefverkehr ist überhaupt für die Mehrzahl der Gefangenen noch das einzige Mittel, die Verständigung mit der Außenwelt aufrecht zu halten. Und doch ist selbst dieser Weg so mannigfachen Beschränkungen unterworfen, mit so vielen Umständen und Schwierigkeiten verbunden, daß er immer nur als ein sehr dürftiger Ersatz gelten kann.

Wenn ich nun auch niemals Verwandtenbesuche empfangen habe, wenn ich mich sogar mit meinem Verteidiger nicht unter vier Augen, sondern nur in der Gerichtskanzlei im Beisein der dort arbeitenden Beamten beraten durfte, von der Erlaubnis des Briefverkehrs habe ich einen sehr ausgiebigen Gebrauch gemacht. Ich empfing nicht nur eine Menge Briefe, schrieb vielmehr noch häufiger selbst, unterhielt überhaupt eine außerordentlich rege Korrespondenz. Natürlich mußte auch ich hierbei die unvermeidlichen Beschränkungen bitter und schmerzlich genug empfinden.

Der vorschriftsmäßige sehr umständliche Weg zu einer Brieferlaubnis ist folgender:

Da auch hier schon ein ganz strafhausmäßiges Reglement herrscht, so hat man gleich morgens bei Entgegennahme der Frühkost seine Briefmeldung der Aufseherin vorzubringen.

»Frau Aufseherin, ich möchte einen Brief schreiben.«

»An wen wollen Sie schreiben?«[95]

»An meine Wirtin, Frau N. N. in L.«

»Zu welchem Zweck?«

»Wegen meiner Sachen.«

Die Aufseherin notiert sich zunächst flüchtig all diese Meldungen. Mitunter kommt es aber auch vor, daß sie eine oder die andere Adresse vergessen hat. Dann muß sie noch einmal zurückkehren.

»An wen wollten Sie gleich schreiben?«

So wurde ich öfter gefragt, denn es geschah nicht selten, daß ich zwei oder drei Briefe zugleich anmeldete.

Die Aufseherin, die natürlich stets unterrichtet sein muß, welcher Behörde die einzelne Untersuchungsgefangene zur Zeit untersteht, schreibt nun die »Briefanzeige«. Es gibt dazu vorgedruckte Formulare, deren Rubriken entsprechend ausgefüllt werden müssen. Da heißt es zum Beispiel:

»Die Untersuchungsgefangene H. will einen Brief schreiben an ihre Wirtin Frau N. N. in L. wegen ihrer Sachen.«

Die Beamtin setzt ihren Namen unter die Meldung und übergibt nun diese einem der Vorführer, der sie nach vorn befördert. Von dort wird sie durch einen Gerichtsdiener dem in Frage kommenden Oberbeamten – Staatsanwalt, Untersuchungsrichter, Vorsitzenden der Strafkammer – zur Entscheidung vorgelegt. Je nachdem dieser nun mehr oder minder[96] beschäftigt gut oder schlecht gelaunt ist, durchfliegt er schnell die eingegangenen Brief- und Vormeldungen und prüft sie mehr oder weniger scharf und streng. So kann es geschehen, daß eine Brieferlaubnis verhältnismäßig schnell erteilt wird, eine andere lange auf sich warten läßt, oder gar eine Ablehnung erfährt. Immerhin muß man froh sein, wenn am nächsten Morgen bereits die Aufseherin mit Schreibutensilien erscheint.

»Hier, Sie dürfen schreiben. Es ist genehmigt.«

Mit diesen Worten legt sie einen der gestempelten Anstaltsbogen nebst einem schmalen grauen Kuvert, wie solche von Gefangenen der Männerabteilung angefertigt werden, vor mich hin. Ferner erhalte ich ein riesiges Tintenfaß, das aber nur sehr wenig Tinte enthält und eine Feder von äußerst fragwürdiger Brauchbarkeit. Man denke nur an die Unmasse von Briefen, die jeden Tag von den vielen meist unruhigen und aufgeregten Untersuchungsgefangenen geschrieben werden. Dabei sind in jedem Stockwerk immer nur wenige Tintenfässer und Federn im Gange.

Nun heißt es, sich beeilen, denn andere wollen auch schreiben.

»Sind Sie denn noch nicht fertig?«

Diesen ungeduldigen Zuruf kann man öfters hören. Die Leute sind nervös und voll innerer Unruhe.[97] Sie möchten die schwer erlangte Erlaubnis nun auch schleunigst ausnutzen.

»Wenn Sie fertig sind, klingeln Sie. Den Brief nicht zukleben.«

Diese Hauptregel wird allen Neulingen besonders eingeschärft. Der Brief muß im offenen Kuvert übergeben werden, weil sämtliche Ein- und Ausgänge der Untersuchungsgefangenen der behördlichen Kontrolle unterliegen. Mehrere Beamte lesen die Schriftstücke, bevor diese an die Adressaten verschickt, jene den Gefangenen ausgehändigt werden.

Obwohl solche Briefkontrolle besonders für feinfühlende und empfindliche Naturen außerordentlich peinvoll ist, die Zensur überwiegt noch bei weitem das Unangenehme der Kontrolle.

Ist es mir selbst auch niemals passiert, was andere so oft beklagten, daß an mich gerichtete Briefe mir nicht ausgehändigt, oder ein von mir geschriebener Brief einfach ad acta gelegt worden wäre, so war doch der Inhalt des ersten Briefes, den ich im Untersuchungsgefängnis zu D. schreiben durfte, gleich der Zensur des Staatsanwalts verfallen und derart geändert und zusammengestrichen worden, daß seine Absendung beinahe zwecklos erschien.

Ich hatte einen Brief an den Käufer meines Hauses in meiner Geburtsstadt zu schreiben begehrt und die Erlaubnis dazu erhalten. Trotzdem ich bereits[98] wußte, daß Gefangenenbriefe der Kontrolle unterliegen, hatte ich die Sachlage offen klargelegt, soweit sie das betreffende Objekt berührte. Alsbald bekam ich den Brief zurück, zugleich aber einen neuen Bogen mit der Erlaubnis, noch einmal zu schreiben. Der erste Brief, der mir dazu als Schema dienen sollte, war gehörig mit dem Blaustift bearbeitet, so daß die ganze bis zur Unverständlichkeit verkürzte Epistel kaum den dritten Teil des ursprünglichen Schreibens darstellte.

Hiergegen sind die Gefangenen machtlos, gleichviel ob ihnen diese harte, willkürlich gehandhabte Maßregel finanziellen oder sachlichen Schaden in ihrer Justizangelegenheit verursacht.

Am schlimmsten und mit in den meisten Fällen übertriebener Vorsicht wird Kontrolle und Zensur während der Voruntersuchung ausgeübt.

»Sie dürfen nicht schreiben. Der Herr Staatsanwalt hat es nicht genehmigt.«

Diese Absage brachte mir einst die Aufseherin auf die Meldung eines Antwortschreibens, das ich einer Dame auf einen liebenswürdig teilnehmenden Trostbrief zukommen lassen wollte.

»Aus welchem Grunde ist es denn nicht genehmigt worden?« fragte ich enttäuscht und verwundert zugleich.[99]

»Der Brief bedürfe keiner Antwort,« ergänzte die Beamtin den Bescheid des Staatsanwalts.

Kaum vierzehn Tage später wurde mir beim Wechsel der vorgesetzten Behörde das nochmals erbetene Antwortschreiben vom Untersuchungsrichter anstandslos gestattet.

War es hier lediglich eine Forderung des Gemüts, die nach dem Willen eines einzigen Beamten unterdrückt werden mußte, so wird es sich später zeigen, welch schlimme Folgen nach der praktischen Seite hin die Beschränkungen des Verkehrs mit der Außenwelt für die Untersuchungsgefangenen oftmals zeitigen.

Quelle:
Hoff, Marie: Neun Monate in Untersuchungshaft. Erlebnisse und Erfahrungen, Dresden, Leipzig 1909, S. 94-100.
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