XXVII.

[232] Von Stettin reiste ich nach Danzig.

Am Tage meines Eintreffens daselbst beschloß Ludwig Barnay sein Gastspiel, ich löste ihn tags darauf ab.

Barnay hatte in Danzig neun ausverkaufte Häuser hintereinander gemacht. Als ich meine Besuche bei der Presse abstattete, sagte man mir, ich käme zu ungünstiger Zeit, das Danziger Publikum brauche jetzt wieder Sammlung, es würde als Nachwehe Ebbe in der Theaterkasse eintreten. Die Herren hatten recht, die ersten sechs Häuser waren leer, und erst die letzten vier füllten sich wieder.

Von Danzig rief mich die Pflicht nach Mainz.

Ich gehe gern nach Mainz, schon der lieben Familien Preetorius und Behr wegen, an die mich ein jahrelanges Freundschaftsband knüpft. Der Aufenthalt in ihren gemütlichen Kreisen gehört stets zu meinen liebsten Erinnerungen.

Korl Behr, ein ächter Mecklenburger, ist der Neffe meines ehemaligen Direktors Behr. »Die Liebe springt über,« sagt Bräsig, bei mir scheint sie auch vom Onkel auf den Neffen übergesprungen zu sein, denn »Korl Behr is mien gaude Fründ.«

Als ich im Jahre 1883 ihn in Mainz besuchte, wo er Direktor der großen A. Bembé'schen Möbelfabrik ist, sah ich in seinem reizenden Hause, das er sich erbaut, eine Gipsfigur des Onkel Bräsig auf einem Kamin stehen.

»Korl, wo hest du den her?« fragte ich.

»Von der Königin von Rumänien,« sagt er.[233]

»Gott fall im bewohren,« sag ich, »so fienen Uemgang hest du?«

»Je,« seggt Korl, »dat is all so as dat Ledder is.«

Und nun erzählte er mir, daß er vor kurzem die Innendekoration des Schlosses Sinaia der Königin Elisabeth von Rumänien ausgeführt hätte. Auf dem Schreibtische der Königin habe er den Onkel Bräsig stehen sehen und ihn so aufmerksam betrachtet, als die Königin hinter ihm eintrat und ihn anredete: »Sie interessieren sich wohl für Fritz Reuter und seinen originellen Onkel Bräsig?«

»Befehl, Majestät,« seggt Korl, »ick bün jo 'n Mecklenbürger.«

»Ach,« sagte die Königin, »ich hab's schon an Ihrem Accent gemerkt.«

Und nun holte die Königin einen Band von Reuters »Hanne Nüte« hervor und forderte Karl Behr auf, ihr was daraus vorzulesen.

»Jung,« seggt Korl tau mi, »ick hew mi dat so genau markt, as du dat mokst, ick hew lesen, un de Königin was sihr taufreden dormit, un gaw mi taum Angedenken dienen Unkel Bräsig mit«.

»Gotts een Dunner,« segg ick, »wo kann eine Königin nu woll so sien?«

»Je,« seggt Korl, »sei dichtet ja ook und is ne Dütsche, as Dichterin hett sei Carmen Sylva. Sei hett mi ook gliek wat vördichtet un upschrewen – hier is et!«

Behr holte einen Zettel hervor, den ihm die Königin mit dem Bemerken beschrieben, Behr habe ihr das Schloß so schön eingerichtet, daß er nun auch der Erste sein solle, dem die Königin an dem neuen Schreibtische etwas aufschreiben wolle.

Das Gedicht auf dem königlichen Briefbogen lautet:


Was die Seele geklagt,

Was die Wälder gesagt,

Das sag' ich im Flüsterton wieder;[235]

War es schön, war es schlecht,

Das weiß ich nicht recht,

Ich denk nicht – mir werden die Lieder.


Carmen-Sylva.

Sinaia, Castel Pelesch den 28. Juni 1883.


Behr erzählte mir ferner, daß ihm, als er bei seiner Ankunft in Rumänien vom Bahnhof Sinaia auf einem rumänischen Karren ins Gebirge an den Schloßbau gefahren sei, zuerst ein eigentümliches Gefühl des Alleinseins in dieser wilden gebirgigen Gegend überkommen wäre; als er aber auf dem Plateau angelangt, habe er an einer kleinen Hütte ein riesiges Wirtshausschild mit der vielversprechenden Firma: »Zum Unkel Bräsig« bemerkt. Daneben war Bräsig von einem naiven Pinsel eines nach Rumänien verschlagenen Mecklenburgers gemalt, kopiert nach einem Bilde aus der Gartenlaube: August Junkermann als Onkel Bräsig. »Unter dem Schilde, auf einer Bank«, erzählte mir Korl weiter, »saß in seiner ganzen Behäbigkeit mein gastronomischer Landsmann, unverkennbar als solcher an seiner vierschrötigen Gestalt und seinem wohlwollenden ›säuten‹ Gesichtsausdruck.«

»Schön gu'n Morgen, Unkel Bräsig, daß du die Nas' ins Gesicht behältst, wo kamen Sei nah Rumänien«, rief Korl seinem Landsmann zu, der ein Gesicht gemacht haben soll, als wenn ihn jemand hindostanisch angeredet hätte, was ihm weniger aufgefallen wäre, hier zu hören, wie sein geliebtes Mecklenburger Platt.

Korl Behr hat mir erzählt, daß sein Landsmann sich leider nicht lange als Karpathenwirt dort gehalten, er sei fortgejagt worden, weil er mit konstanter Bosheit den unverständigen Bulgaren und Türken durch Beispiele die Vorzüge von Mecklenbur ger Rosinensuppe und ähnlichen »gruglichen« Gerichten klar machen wollte und dabei nicht bedachte, daß solche Götterspeisen keinen bulgarischen, sondern einen mecklenburgischen Magen verlangen. – –[236]

Das Mainzer Publikum kommt gern zu mir ins Theater, wenn man nicht zur Karnevalszeit daselbst gastiert, wo kein Mainzer Sinn für Theater hat; denn der fröhliche Mainzer nimmt nichts auf der Welt so ernst als – seinen Karneval. Ich spielte Bräsig zum vierten Mal wieder vor vollem Hause und dann noch »Dörchläuchting« und »Falstaff«, und reiste von Mainz nach meinem lieben Bremen.

»Gun' Dag, Fritz Hillmann, wo geiht di dat?«

»Gaud, mien Jung,« seggt Fritz – und da war ich wieder in Bremen.

Wie immer, allabendlich ein volles Haus. Da starb am 9. März der Kaiser Wilhelm. Es war »Hanne Nüte« für den Abend angesetzt. Um 10 Uhr morgens waren die Sperrsitze verkauft, als 1/4 auf 11 Uhr die Trauerbotschaft von Berlin kam: »der Kaiser tot!« Das Theater wurde geschlossen, das Eintrittsgeld zurückgezahlt. Ich sollte in wenig Tagen nach Freiburg reisen, auch dort wurde das Theater wegen Landestrauer geschlossen und mein Kontrakt gelöst. Ich blieb in Bremen, wartete die Landestrauer ab und nahm daselbst mein Gastspiel wieder auf. Wir begannen wieder mit der ausgefallenen Vorstellung »Hanne Nüte« – aber waren vor dem Tode des Kaisers sämtliche Sperrsitze verkauft, so wurde jetzt, bei Wiedereröffnung der Bühne, nicht Einer verlangt. Niemand wollte der Erste sein, der sich nach dem furchtbaren Schlage, den Deutschland erlitten, wieder im Theater sehen ließ, und ich glaube, selbst die Abonnenten hatten ihre Plätze verschenkt an Personen, die weniger Rücksicht zu nehmen hatten. Das Theater war leer – wie ausgefegt! – Es blieb auch so, das Geschäft war nicht wieder in Schwung zu bringen.

»Adjüs Fritz Hillmann, bliew gesund!«

»Du ook, Adjüs!« – – –

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 232-237.
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