Vorwort zum zweiten Bande.

[10] Das erste Bändchen »Aus dem Leben eines Musikers« ist »mit mehr Aufmerksamkeit und Wohlwollen aufgenommen worden, als zu hoffen ich mir erlaubt hatte.«1 Zum Danke dafür bringe ich hier einen zweiten noch geringeren, aber besseren. Geringer, denn er enthält zum größten Theil kleine Genrebilder[10] und Geständnisse aus meinen Leben, soweit sie mein Künstlertreiben betreffen; besser, weil sie vielen jungen Künstlern warnend nützen können, die Warnungen brauchen und benutzen wollen.

Man wird freilich ironisch fragen: Was hat denn der weimarische Musiker geleistet, daß er sich zu biographischen Expectorationen berechtigt hält?!

Hierauf erwidere ich: Wer mich persönlich kennt, traut mir die Wichtigthuerei nicht zu; wer mich nicht kennt, wird sie mit dem besten oder schlechtesten Willen aus den nachfolgenden Aufzeichnungen nicht herauszulesen vermögen. – Ich habe einen besseren Zweck. Viele laufen in ihrer Jugend mit den glühendsten Wünschen und rosigsten Hoffnungen nach dem Tempel der Kunst aus, – ach! wie Wenige erreichen ihn! Fehlte allen den Armen, die unterwegs verunglückten, die Gehkraft, das Talent? Gewiß nicht! Andere Ursachen waren es, die Viele aufhielten. Folgende ist eine der hauptsächlichsten. Die meisten Menschen wandeln halb träumend durch ihr Leben. Sie folgen unklaren Trieben, Eingebungen des Augenblicks, zufälligen Umständen und Ereignissen. Wohin sie dadurch geführt werden, fragen sie nicht, oder zu spät. Sie wachen erst auf, wenn ihre Zeit zum Schlafengehen schon nahe ist. Da fangen sie dann[11] an zu klagen: Ach, könnte ich meinen Weg noch einmal beginnen, mit meinen jetzigen Erfahrungen ausgerüstet, – wie ganz anders wollte ich ihn wandeln! – Ja! da liegt's! Wie des Menschen Körper ist auch sein Leben ein Kunstwerk, das mit Kenntniß seiner Natur, seines Zweckes und seiner Mittel ausgebildet und geführt sein will. – Wer das allen Menschen begreiflich machen könnte! Wer sie so früh wie möglich aus ihrem träumerischen Dahinwandeln zum wachen Denken und Handeln zu bringen vermöchte, daß sie ihre Anlagen, Triebe, Neigungen kennen und prüfen, – daß sie dieselben nach einem vernünftigen Plane dirigiren lernten; daß sie bei jedem Vorhaben sich fragen müßten: Was bist du im Begriff zu thun? welche Folgen wird es für dich, für Andere haben? – Philosophen, Religionslehrer haben's zuweilen versucht, ohne merklichen Erfolg. Die Menschheit im Ganzen träumt fort, und die verfehlten Lebensläufe machen noch immer bei weitem die Mehrzahl aus! – Beispiele, konkrete, haben noch die meiste Hoffnung auf Erfolg, weniger die von gelungenen als die von mißlungenen Lebensgängen. Nach einem der letzteren Art habe ich nicht weit zu suchen, ich brauche, was meine Kunstbestrebungen betrifft, mich nur selbst treu[12] abzukonterfeien. Da will ich nun. Ach! auch ich lief in meiner Jugend aus mit den glühendsten Wünschen und rosigsten Hoffnungen nach dem berühmten Tempel. Ich habe ihn nicht erreicht. An Talent fehlte mir's nicht, das darf ich wohl sagen, denn viele Andere haben es von mir gesagt, wohl aber fehlte es an vielen äußeren und inneren Bedingungen zu einer glücklichen Ausbildung des Talents. Ich bin ein Autodidakt. Außer dem Unterricht auf einigen musikalischen Instrumenten habe ich in allen anderen Dingen, die mich lockten, nie einen Lehrer gehabt. In der Schule habe ich Nichts gelernt, wie man im ersten Bande gelesen hat. Was ich bei so bewandten Umständen als Komponist und Schriftsteller geleistet, ist Wenig im Verhältniß zu anderen glücklicher geführten Talenten. Aber es ist immerhin Etwas in Betracht der Umstände, unter denen ich es mir habe erringen müssen. Und von diesem Gesichtspunkte aus können meine Bekenntnisse ähnlichen Naturen von Nutzen sein. Sie werden an dem, was mir geschadet, lernen können, wie es zu vermeiden ist. Sie werden aber auch aus einigen Mitteln, die ich angewendet, ersehen, daß man den Spruch: »aide toi, le ciel t'aidera« bis zu einem gewissen Grade wahr machen, sich durch Fleiß und Beharrlichkeit wenigstens aus[13] der rohesten Unwissenheit emporarbeiten, und sein Leben nicht nutzlos zu verlieren gezwungen werden kann. – Nochmals herzinnigsten Dank für die warme Theilnahme an meinem ersten Bande!

Der Verfasser.

1

Plagiat aus der Vorrede von Rochlitz zum zweiten Bande seiner gesammelten Schriften »Für Freunde der Tonkunst!«

Quelle:
Lobe, Johann Christian: Aus dem Leben eines Musikers. Leipzig 1859, S. X10-XIV14.
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