Rauchen. Unterhaltung nach Tisch. Dilettanten. Materielle Genüsse nach Tisch.

[322] Nach aufgehobener Tafel tritt meist eine Trennung der Diner- oder Souper-Gesellschaft ein. Die Raucher unter den Herren glauben, eine der Güte des Diners oder Soupers ebenbürtige Zigarre beanspruchen zu können. Wer seine Gäste mit Speise und Trank schlecht bewirtet, bereitet sie dadurch in schonender Weise auch auf eine später verabfolgte dürftige Zigarre vor. Die sogenannte Bauchbinde der Zigarre ist oft Blendwerk der Hölle und soll oft nur, ohne thatsächliche Berechtigung hierzu, einen besonders seinen Tabak markiren. Früher waren nur teure Zigarren in der Mitte mit einem solchen Papierstreifen, der sogenannten Bauchbinde, versehen. Für auffallend große, wirklich oder scheinbar wertvolle Zigarren hat man bekanntlich[322] die witzige Bezeichnung »Festrübe«. Meist werden den rauchenden Gästen verschiedene Zigarrensorten präsentirt, von denen mitunter die Zigarre ohne Bauchbinde die bessere ist. In solchem Falle wird dann der bescheidene Gast belohnt oder der Tabakkenner, der sich durch den reklamehaften Papierring der anderen, weniger guten Zigarrensorte nicht blenden ließ. Wer als Gast mit dem dargebotenen Kraut unzufrieden ist, der tröste sich damit, daß er einen triftigen Grund hat, wenig zu rauchen und daß dies doch wohl im Interesse seiner Gesundheit ist. Daß das Rauchen nicht gesund sein dürfte, müßte doch jedem einleuchten, der an die meist unerfreulichen Nachwehen der ersten Zigarre denkt.

Auf viele macht es einen toleranten und gemütlichen Eindruck, wenn die Gastgeber erklären, die Gäste dürfen überall rauchen; doch ist es dann rücksichtsvoll von den Wirten, vorher zu fragen, ob auch alle Gäste hiermit einverstanden sind. Allerdings werden, infolge einer gänzlich verkehrten Bescheidenheit, oft auch solche Gäste, denen Zigarrenrauch unangenehm ist, ihre Abneigung dagegen geheim halten.

Auch dürfte diese Toleranz der Wirte[323] manchen älteren Herrn unwillkommen sein, dem das für Herren reservirte Rauchzimmer zugleich eine Zufluchtsstätte ist, in welcher er sich von der ritterlichen Verpflichtung, die Damen nach Tisch weiter zu unterhalten, gänzlich oder wenigstens eine Zeitlang befreien kann. Herren, die auf gesellschaftliches Ansehen Wert legen, thuen gut, in einer kleinen Gesellschaft sich mit jeder der anwesenden Damen – und sei es auch nur in wenigen Worten – zu unterhalten. Nur bedeutenden Männern, also grade denjenigen, von deren Unterhaltung man am meisten profitiren könnte, verzeiht man es, wenn sie sich in Moltke'sches Schweigen hüllen. Da man sich während der Tafel meist nur mit seiner nächsten Umgebung unterhalten kann, muß man die anderen in der kurzen Zeit vor Tisch oder in der gewöhnlich ziemlich langen Zeit nach aufgehobener Tafel aufs Korn nehmen. Gastgeber, die sich eine solche Extra-Ausgabe leisten können und wollen, werden oft ihre Gäste besonders erfreuen, wenn es gelingt, einen musikalischen oder deklamatorischen Vortragskünstler für ihre Gesellschaft zu engagieren und dadurch einen Teil der manchmal etwas langwierigen Zeit nach Tisch auszufüllen. Tafelmusik,[324] auch wenn man sie von einem einzigen Klavierspieler ausführen läßt, ist immerhin etwas außergewöhnliches und den Gastgebern, wie überhaupt alle Extravaganzen, nur dann zu empfehlen, wenn man etwas gutes bieten kann. Dilettanten unter den Gästen, auch wenn sie darauf brennen, sich hören zu lassen, dürfen sich mit ihrem lobenswerten Wunsche, durch Vorträge die anderen erheitern zu wollen, nicht vordrängen, denn oft ist der Dilettant der einzige, dem sein Vortrag Vergnügen bereitet. Wird aber ein Dilettant um musikalische oder deklamatorische Vorträge von den Gastgebern gebeten, so übernehmen diese die Verantwortung; und gegen sie, nicht gegen den Vortragenden, hat sich ein etwaiger Groll der Zuhörer zu richten. Ein gewandter, vorsichtiger Dilettant wird sich am besten gegen eventuelle Widersacher schützen, wenn er bei Beginn seines Vortrages selbst hervorhebt, daß er sich auf Wunsch der Gastgeber hören läßt. Das einfachste Mittel, den üblichen Beifall, wenn man ihn nicht empfindet, auch nicht bekunden zu brauchen, ist es, sich vom Vortragenden etwas fern zu halten. Sonst kann man sich, wenn man mit den Darbietungen des Dilettanten nicht einverstanden ist und trotzdem[325] Beifall zollt, vor seinem ehrlichen Gewissen auch dadurch rechtfertigen, daß man eben den guten Willen des Dilettanten anerkennt und seine Höflichkeit, der Aufforderung seitens der Wirte nachgekommen zu sein. Nur der intime Freund hat das gesellschaftliche Recht und die Freundespflicht – am besten unter vier Augen – einen Dilettanten über zweifelhaftes Können oder zweifelloses Nichtkönnen, auch ungefragt, aufzuklären; natürlich darf und soll jeder seine Ansicht auch in der Gesellschaft selbst äußern, den ein mittelmäßiger Dilettant so kühn und leichtsinnig ist, hiernach zu fragen. Wahrheit ist vornehm und falsche gesellschaftliche Liebenswürdigkeit unvornehm. Einen ungewandten, unselbständigen Eindruck macht es, wenn Dilettanten sich erst zieren und erst auf mehrfaches Bitten reagiren. Entweder hat man die Ueberzeugung, durch Vorträge unterhalten zu können und findet auch selbst Vergnügen daran, dann sei man auch sofort, auf die erste Aufforderung hin, dazu bereit; oder man hat triftige Gründe – seien es die der edlen Selbsterkenntnis, seien es Gründe anderer Art – eine solche Aufforderung höflichst abzulehnen, dann bleibe man bei aller Höflichkeit auch standhaft.[326]

Beim Thema »Rauchen« möchte ich auf einen sehr verbreiteten Mangel aufmerksam machen. Es fehlt oft an einer genügenden Anzahl Aschbecher, und ihre innere Höhlung ist vielfach so klein oder so flach, daß die Asche nach kurzer Zeit bis an den Rand reicht oder darüber hinausquillt. Im Gegensatz hierzu ist es vornehm, – außer kleinen Aschbechern zum Auflegen der Zigarre oder Zigarette – auch größere Schalen mit etwas Wasser hinzustellen zum Hineinwerfen nicht nur der Asche, sondern auch der sogenannten Stummel. Die meist unschönen Zigarren- und Zigarettenreste verschwinden am besten in einer solchen undurchsichtigen Schale, und das Wasser darin verhindert ein für zarten Geruchssinn unangenehmes weiterglimmen solcher Tabakreste. Auch scharfe Zigarrenabschneider oder scharfe Messer müssen zur Verfügung der rauchenden Gäste vorhanden sein. Nicht grade als hochvornehm gilt es, mit den Zähnen die Zigarre abzubeißen, dahingegen darf man sie an ihrem spitzen Ende mit den Fingernägeln abknipsen. Für das Anzünden der Zigarren bedient man sich in Gesellschaft gewöhnlich eines Leuchters oder eines kleinen Lämpchens. Beim Anzünden[327] mit dem Streichholz halte man dasselbe nicht direkt vor die Zigarre, sondern etwas darunter: es gilt dies für schicklicher, weil sonst empfindliche Raucher leicht aus dem Kopf oder aus dem verkohlten Holz des Streichholzes einen unangenehmen Beigeschmack haben könnten. Das ist beachtenswert für alle, die einem Raucher Feuer geben, also für Diener, Kellner und auch höfliche Gesellschaftsmenschen, welche anderen diese Hülfeleistung gewähren. Beim Darreichen eines brennenden Streichholzes haben die Genannten darauf zu achten, daß derjenige. dem man doch gefällig sein will, sich nicht die Finger verbrennt. Man faßt hierbei das Streichholz etwas vor dem Ende an, sodaß der, welcher das brennende Streichholz abnimmt, noch dahinter greifen kann. Solche Höflichkeitsrücksichten hat man als Herr natürlich ganz besonders den rauchenden Damen gegenüber zu beachten.

Wenn auch nicht die Zigarre, so ist doch die Zigarette der Dame in der heutigen Gesellschaft im allgemeinen gestattet. Doch wird eine Dame, die den Schein der Extravaganz möglichst meiden will, klug thun, das Rauchen vor anderer Augen in einem weniger weitherzigen Gesellschaftskreise lieber zu unterlassen.[328]

Auch Pedanten müssen jeder rauchenden Dame, die wirklich Geschmack daran findet, doch wenigstens mildernde Umstände zubilligen. Thöricht ist es natürlich, wenn eine Dame raucht, in der Absicht, dadurch interessant zu erscheinen. Auf solchen schrecklichen Verdacht kommt man bei Damen, denen man anmerkt, daß sie keine Uebung im Rauchen haben. Auch eine andere Eitelkeit dürfte manchmal die Ursache sein, daß Damen in Gesellschaft rauchen. Die beiden Worte »dürfte« und »manchmal« sollen verhindern, daß man mir in Gedanken die Augen auskratzt. Schöne Fingerringe und schöne Hände kann eine glückliche Besitzerin am besten und andauerndsten beim Halten einer Zigarette präsentiren. Ueber eine solche Eitelkeit pflegen Herren mit Schönheitssinn milde zu denken, wenn sie wirklich schöne Hände zu sehen bekommen, nicht aber, wenn ausschließlich die Ringe sehenswert sind. Das ist dann meist nur für Juweliere und Bijouterie-Fabrikanten eine Augenweide. Unschöne Damenhände, wenn sie ein Anzeichen thätigen Fleißes sind, müssen Respekt einflößen; aber unschöne Damenhände mit kostbaren Ringen zu überladen, ist entschieden geschmacklos.[329]

Eine Unsitte beim Zigarrenrauchen ist das Bearbeiten der Zigarre mit den Zähnen und das Aufweichen des im Mund gehaltenen Endes der Zigarre. Der appetitliche Raucher hält die Zigarre mit trockenen Lippen, zerbeißt sie nicht mit den Zähnen, sodaß sie trocken bleibt, ihre Form behält und nicht zum Besen formirt wird.

Nach Tisch wird gewöhnlich Kaffee servirt, und zwar giebt es in den vornehmsten Kreisen starken Kaffee in möglichst kleinen Tassen, sogenannte Mokkatassen, die sehr vorsichtig zu behandeln sind, da sie meist dünn und zerbrechlich und oft dabei sehr kostbar sind. Auch die kleinsten Täßchen gießt man nur mäßig voll und bietet lieber dafür noch ein zweites Mal an. Gewöhnlich werden auf einem großen Tablett mehrere Tassen und das Zubehör, Zucker und Sahne, präsentirt. Der praktische Gesellschaftsmensch läßt die gewählte Tasse Kaffee, während er sie mit Zucker und Sahne versieht, auf dem ihm vorgehaltenen großen Tablett stehen, nimmt sie dann erst in vorsichtiger Weise herunter und bewegt sich, um nichts zu verschütten, am besten gar nicht oder nur langsam und vorsichtig von seinem Platz. Befindet sich bei der Zuckerdose[330] eine Zuckerzange, so kann man annehmen, daß deren Gebrauch auch von den Wirten gewünscht ist; wenn es auch eigentlich appetitlicher und vom Standpunkt peinlichster Sauberkeit penibler ist, mit der Zange Zucker zu nehmen, so gilt hier doch vielfach das einfachere Verfahren für vornehmer, mit den Fingern den Zucker zu erfassen. Bei einiger Geschicklichkeit wird man ja auch nur den Zucker berühren, den man sich selbst nimmt, und man bekundet durch die ausschließliche Verwendung der Finger hierbei ein gewisses stolzes Selbstvertrauen zu deren Sauberkeit. Natürlich darf man nicht in dem Zuckerbehälter herumwühlen und auf diese Weise den Zucker berühren, den Andere genießen wollen. Nach dem Kaffee oder Mokka wird gewöhnlich das gefährlichste der alkoholhaltigen Getränke, der Schnaps, präsentirt. Er wird oft ohne wirkliches Verlangen nach diesem materiellen Genuß, mehr unbewußt, getrunken, weil er eben präsentirt wird; aber die Zahl derer, die diese besonders starken Spirituosen nicht genießen, scheint mir im Wachsen begriffen. Nach dem Schnaps kommt als letztes und oft recht ausgiebiges Getränk das Bier an die Reihe. Einfaches Essen und Brunnenwasser ist ja wohl[331] sicher das Gesündeste, aber in unserer heutigen Gesellschaft ist es Sitte, jeden auch hier auf Erden nach seiner Art selig werden zu lassen. Es gilt nicht für vornehm, den Mäßigen durch Zureden und Nötigen verführen zu wollen, andererseits aber soll der starke Trinker nicht gerade als Gast zu unfreiwilliger Mäßigkeit gezwungen werden. Es gilt für vornehmer, das Bier nicht in den gewöhnlichen Bierflaschen den Gästen zu serviren, sondern in geschliffenen weißen Flaschen oder in den seit einigen Jahren eingeführten hellbraunen Kannen oder in den sogenannten großen Syphons. Bei einer großen bierfreudigen Gästeschar, wenn ein sehr langes Zusammensein geplant ist, wird Faßbier das rentabelste und erfrischendste sein. Man läßt auch den Damen Bier präsentiren, daneben natürlich den Herren und Damen auch leichtere Getränke, wie Limonaden, Sauerbrunnen oder einfaches Wasser. Damen, die gern Bier trinken, brauchen sich heutzutage keineswegs zu geniren, dies auch in Gesellschaft zu thun. Das Streben, einen möglichst ätherischen Eindruck zu machen, ist nicht mehr an der Tagesordnung. Wer seine Gäste nach einem Diner oder Souper noch lange bei sich behalten will,[332] wird einige Stunden nach Tisch, meist durch einfache Sachen, wie belegte Brötchen, einer etwaigen wieder eingetretenen Eßlust der Gäste zu genügen suchen.[333]

Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907], S. 322-334.
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