Verhalten auf Tanzfesten.

[156] Zwei Punkte sprechen entschieden nicht nur für langsamen Walzer, sondern für langsameres Tanzen überhaupt. Langsame Tänzer geraten nicht so leicht in die Gefahr zu transpiriren; langsame Tänzer rennen weniger während des Tanzens an Andere oder an leblose Gegenstände an und setzen dadurch sich selbst und den lieben Nächsten weniger der Gefahr von Anrempelungen aus. Eben deshalb, um nicht anzurennen, war früher das Linksherum-Tanzen in den Kreisen verpönt, die für besonders vornehm gelten wollen. Jetzt sieht man überall, auch in den vornehmsten Kreisen, rechts und links herum tanzen. Der Gefahr des Anstoßens beugt man durch Verlangsamung des Tempos oder vorübergehendes Halten vor. Anstoßen muß man sorgfältigst vermeiden. Der Herr, als Führer der Dame, soll die Augen offen[156] halten, – wo es eng wird, eben langsamer tanzen oder ganz stehen bleiben und nur, wenn er freien Raum hat, ein flottes Tempo vorlegen; auch rücksichtlich der Möglichkeit des Anstoßens wird man zugeben müssen, daß flottes Tanzen eben größere Gewandtheit erfordert als langsames. Allerdings auf diesen Ruhm soll Derjenige lieber verzichten, der bei schnellem Tempo transpirirt. Transpiriren gilt sa bekanntlich für so unästhetisch, daß man sich genirt, die biedere deutsche Bezeichnung dafür »Schwitzen« überhaupt auszusprechen. Ich finde, seekrank werden – namentlich auf dem Lande – ist entschieden unappetitlicher; doch davon darf man auch sogar im Ballsaal eher reden, als vom Schwitzen, trotzdem Letzteres doch so gesund ist. Allerdings im Ballsaal, wo man besonders auch durch sein Aeußeres gefallen will, müssen die Herren sich bemühen, nicht durch übermäßiges flottes Tanzen ihr Ballhemd seiner Form und seiner jungfräulichen Weiße allzu sehr zu berauben. Bei jedem anderen Sport darf und soll man sich erhitzen – je mehr, um so besser!

Der Herr soll seine Dame nicht an sich drücken, aber trotzdem festhalten, sodaß sie das[157] Gefühl der Sicherheit empfindet, nicht ausgleiten zu können. Sollte aber der Herr selbst zu Fall kommen, so muß er die Gewandtheit haben, seine Partnerin im Moment des Falles loszulassen, dann hat er sofort wieder aufzuspringen, um Entschuldigung zu bitten und, wenn er nicht gerade beide Beine zugleich gebrochen hat, sofort die Tanztour zu Ende zu führen oder wenigstens der Dame seinen Arm zu bieten und sie auf ihren Platz zu führen.

Es kommt oft vor, daß ein Herr zunächst die Namen der Damen, denen er auf einem Ball vorgestellt wird, nicht erfährt. Wenn nun mit Tanzkarten engagirt wird, so hat man doch als Herr auf der Tanzkarte der Dame den eigenen Namen, auf der eigenen den Namen der Dame hinter den betreffenden Tanz zu verzeichnen. Weiß man nun den Namen der Dame nicht, so ist es das einfachste Mittel, sie eben selbst nach ihrem Namen zu fragen. Ich bin so kühn, dies Mittel stets anzuwenden. Wer noch kühner ist, der sagt vielleicht zur Dame: »Ich bin Autographensammler, würden Sie vielleicht die Güte haben, mir Ihren Namen selbst auf meine Tanzkarte zu schreiben, gnädiges Fräulein?« – Wenn nun das gnädige Fräulein, das[158] hoffentlich!? zufällig keine junge Frau ist, diese Bitte erfüllt – die Gnädige braucht dies natürlich nicht, sie will eben nicht und das genügt – und ihren Namen leserlich schreibt, so ist der Herr ja sein heraus. Er hat ein Autogramm der Holden und erfährt den Namen der Dame aus der kompetentesten Quelle, nämlich von ihr selbst, ohne gestehen zu müssen, daß er sich nicht die Mühe genommen hat, vorher durch Andere den Namen der Dame zu erfahren. Auf sehr großen Bällen, sogenannten Völkerfesten, zumal wenn in mehreren Sälen getanzt wird, ist es praktisch, falls es eben Tanzkarten giebt und dem Herrn besonders viel daran liegt, seine Dame in diesem Leben noch einmal wiederzusehen, ein Rendezvous mit ihr zu verabreden und auf beiden Tanzkarten zu verzeichnen – honni soit qui mal y pense – ich, als Etiketten- Berater, meine natürlich ein Rendezvous an demselben Ballabend, um sich zu dem engagirten Tanz auch zu finden! Oder was dachtest Du, geneigter Leser? Wenn Du an andere Rendezvous dachtest, so dürften das höchstens solche zu sportlichen Vergnügungen, z.B. zum Schlittschuhlaufen oder zum Lawu-Tennis-Spiel sein.[159]

Wer sich noch als schüchterner Jüngling fühlt oder wer trotz reiferen Alters sich noch so wenig von der früher herrschenden Zimperlichkeit losreißen kann, um eine zum Tanz engagirte Dame nicht einfach selbst in höflicher Weise um ihren Namen zu bitten, der greift dann eben zu dem oft gebrauchten Mittel, sich auf seiner Tanzkarte äußere Merkmale der Dame zu verzeichnen, an denen er sie dann wiederzuerkennen denkt. Bei diesem Manöver erlebte ich vor Jahren folgende Ballanekdote. Durch den Vortänzer mehreren Damen zugleich vorgestellt, ohne deren Namen zu erfahren, bat ich eine derselben um einen Tanz und vermerkte mir auf meiner Tanzkarte die Toilettenfarbe der Dame, um sie wiederzuerkennen, sobald der betreffende Tanz an der Reihe war. Ich war in dem Glauben, ihre, mit meinem Namen beschriebene, Tanzkarte ihr zurückgegeben zu haben. Während ich noch ein paar Worte an sie richtete – ob kluge oder thörichte, weiß ich heute nicht mehr – sah ich die Gnädigste auf die Karte in ihrer Hand blicken und vergnügt lächeln. Das Lächeln mußte nicht zu meinem Ballgespräch passen, ich werde wohl also doch damals nichts Thörichtes gesagt haben; denn ich war erstaunt über ihre[160] sichtlich zunehmende Vergnügtheit und fragte etwa: »Darf ich nicht erfahren, was los ist, ich würde auch gern mitlachen!« Ich erhielt die fidele Antwort: »Sie haben unsere Tanzkarten verwechselt und mir Ihre zurückgegeben; auch sind Sie farbenblind, auf Ihrer Tanzkarte haben Sie mich als blau vermerkt; ich habe aber doch ein grasegrünes Kleid an!« Nun konnte ich mitlachen und lachte auch mit. Optimistisch veranlagt, dankte ich dem Himmel, daß meine professorenhafte Zerstreutheit nichts Schlimmeres gezeitigt hatte. Wehe, dreimal wehe, wenn die Gnädigste irgend ein weniger vorteilhaftes, aber hervorstechendes Merkmal an sich gehabt hätte und dann auf meiner Tanzkarte etwa vermerkt gelesen hätte »schiefe Nase« oder »unsicheren Blick«; die milde Entschuldigung der Farbenblindheit hätte sie dann sicher nicht für mich Unseligen gefunden! Also, Ihr Löwen der Gesellschaft, vergesset nie: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankisten! Meine Geschichte ist übrigens wahr, und ich habe auch nicht das Geringste hinzuzuschwindeln nötig gehabt. Wenn ich ihre Adresse noch ausfindig machen kann, soll meine damalige Partnerin dieses Geschichtchen auch zu lesen bekommen.[161]

Ueber Vorstellen, sei es auf Tanzfesten oder bei anderen Gelegenheiten, habe ich mich in den vorhergehenden Etiketteplaudereien bereits mehrfach ausführlich losgelassen.

Falls man als Herr das normale Tänzer Alter noch nicht erreicht oder schon lange überschritten hat, so verrät es wenig Zartgefühl und auch wenig Stolz, öfter ein und dieselbe Dame zu engagiren, wenn ihr augenscheinlich an dieser potenzirten Ehrung herzlich wenig gelegen ist. Dasselbe ist der Fall, wenn man sich aus irgend anderen Gründen im Zweifel darüber sein muß, ein und derselben Dame auf die Dauer angenehm zu sein. Ein schlechter Tänzer z.B., der seiner Dame auf die Füße tritt, sollte beständig mit den Tänzerinnen wechseln, eingedenk des Spruches: Verteilter Schmerz ist halber Schmerz! Wir Herren haben es ja fast überall, jedenfalls aber im Tanzsaal, besser als das zarte Geschlecht! Wenn ein alter Herr tanzt, dann heißt es: »Famos, daß der noch tanzt.« Ueber eine tanzende ältere Dame wird oft geurteilt: »Sonderbar, daß die noch tanzt!« Und doch tanzt »die« nur mit dem, der sie zum Tanzen, und zwar aus höchsteigener Initiative, aufgefordert hat. Andere geht die Sache[162] also eigentlich nichts an! Aber sich so über was mokiren ist eine zu günstige Gelegenheit nach Absolvirung der Gewohnheits-Themata, als da sind: Zimmertemperatur, Glätte des Tanzsaales, Engigkeit beim Tanzen – über Letztere zu räsonniren haben ungeschickte Tänzer besondere Veranlassung – usw. Ein großer Vorteil der tanzenden Herren vor den Damen ist der, daß sie im Allgemeinen nur zu tanzen brauchen, wann und mit wem es ihnen paßt. Das heißt, es giebt auch sogenannte Pflichttänze. Auf großen Festen werden die Herren mit denjenigen Damen zu tanzen suchen, in deren Familien sie verkehren, auf kleinen Festen womöglich mit jeder Dame wenigstens eine Extratour. Es ist Sitte, sich auch als Tänzer besonders aufmerksam zu verhalten gegenüber den Damen der Familie, deren Gast man ist. Man rechne nicht voreilig unter die ehrsame Zunft der Schuster jenen Referendarius – sei er nun von der Regierung oder nur!? vom Gericht – der auf Tanzfesten die Tochter seines zugehörigen Präsidenten, oder jenen Leutnant, der die Tochter seines Kommandeurs besonders bevorzugt. Mancher thut dies eben aus persönlicher Neigung und macht sich kein Kopfzerbrechen darüber,[163] ein Schuster zu scheinen, ihm genügt das Selbstbewußtsein, kein Schuster zu sein. Wem daran liegt, der Dame, die er zum Tanz engagirt, möglichst willkommen zu sein, der suche sich als Partnerinnen besonders die von Anderen weniger begehrten Damen zum Tanzen aus, zumal, wenn er noch ein Anfänger in der Tanzkunst ist oder bei objektiver Selbstkritik aus irgend welchen Gründen annehmen kann, in seiner Bewertung seitens der Damen hinter den anderen Tänzern zurückzustehen.

Wer eine neben ihrem Tänzer stehende Dame begrüßt, wird sich diesem natürlich vorstellen; wer diese Dame um eine Extratour bittet, wird vor und nach dieser Extratour dem Tänzer der Dame eine Verbeugung machen, um dadurch vor dem Tanz die Bitte um Einwilligung des Tänzers, der die Dame engagirt hat, zu markiren und nach der Extratour, nachdem er die Dame ihrem Herrn wieder zugeführt hat, den Dank zum Ausdruck zu bringen. Auch der betreffenden Dame gegenüber genügt meist vor und nach der Extratour eine stumme Verbeugung; jedenfalls machen geschraubte Redewendungen, wie »Würden gnädiges Fräulein mir die Ehre einer Extratour gewähren« oder welch' süße[164] Worte sich ein Salon-Fex sonst noch zusammendrechseln kann, einen affektirten, unnatürlichen und deshalb weniger vornehmen Eindruck, als eine in Ton und Inhalt natürliche und einfache Sprechweise. Weshalb soll man im Frack und in weißer Binde auf einmal anders sprechen als sonst! Eine entgegengesetzte Schwäche ist, mit Derbheit im Ausdruck renommiren zu wollen. Auch solche Geister giebt es, die natürlich und bieder scheinen wollen, aber dabei aus Versehen taktlos werden![165]

Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907], S. 156-166.
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