Die gnädige Frau lädt ein ...

[60] Sie ist unglaublich gewandt, sie weiß zu gefallen und versteht, zu fesseln – vor allem aber, ihr eigenstes »Ich« im Kreise ihrer Gäste durch die Art der Gastfreundschaft graziös zur Schau zu tragen.

Ihr sprühender Geist spielt mit der Zusammenstellung einfachster und raffiniertester Gerichte, die selbst vorzubereiten oder anzugeben, ihre Passion ist. Sie kennt die Unterschiede der Tageszeiten und ihrer Stimmungen. Ahnt die Launen und den Geschmack ihrer Freundinnen, die Sensibilität ihres Gatten, den »goût« der älteren Generation und die Wünsche ihrer Flirts.

Sie unterscheidet die Wirkung einzelner Blumen, versteht, Porzellane zu gruppieren, Seiden- oder Spitzendecken zu prüfen und die meist nicht einfache Beleuchtungsfrage befriedigend zu lösen.

Sie denkt über alles nach. Die geringste Kleinigkeit ist ihr wichtig genug. Das begeistert sie, regt sie immer wieder neu an. Einladungen aller Art flattern in die Postämter – so viele, daß es schwer wird, einzelne herauszugreifen – doch versuchen wir es:

1 Uhr mittags: Elf Personen zum Lunch. Es ist Mittwoch – das Wetter ist trübe. – Also gelbe und rote Tulpen, durchbrochene Filetdecke, gleich den Blumen mit sonnenheller Seidenunterläge. Nach Belieben: Das Mädchen arrangiert die Blüten nicht lose genug – nur tiefe, runde Schalen und immer Adiantum dazwischen. Zwei Menüs kommen in Stichwahl. Es siegt Nummer 1. Die Köchin hat keine Ahnung von »Elsässischem Salat«. Also »selbst ist die Frau«. Keine Brötchen, Salzstangen natürlich. Ach so, die Weine!

Einen leichten Bordeaux, einen etwas gehaltvolleren Mosel – und nun schnell an den Cocktail: zum Lunch darf er nicht allzuschwer sein. »O du Cocktail« oder »grünvioletter Affe«? Man wählt letzteren: In Eile: drei Viertel Glas weißen Wermut, eine ausgedrückte Mandarinenscheibe, ein Viertel Teelöffel Rum, einen Schuß Kognak, sechs Tropfen Angostura, ein halber Löffel feinstes Eis. Der obere Rand der Gläser wird in Wasser getaucht und vor dem Eingießen in den Zuckernapf getupft – die obligate Kirsche ist nicht zu vergessen. Ein Blick auf das Uhrarmband mahnt zum Umziehen. Das marinefarbene Spitzenkleid, hochgeschlossen, einen Tropfen »n'aimez que moi« und – husch, da stoppt schon das erste Auto.[60]

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 60-61.
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