Fernere Begebenheiten in Amsterdam

[180] Mein Herr, der bei dem Koffer zurückblieb, schickte mich nach der Warmoesstraat, um zu fragen, ob wir wieder unser altes Logis beziehen könnten. Als ich vor dem Hause ankam, fand ich es verschlossen und erkundigte mich daher bei den Nachbarn nach der Ursache. Sie sagten mir, daß der letzte Bewohner das Haus nur geheuert (gemietet) gehabt und es Schulden halber verlassen habe, seit ein »Engelsheer« sich darin die Kehle abgeschnitten hätte. Indem kam mein Herr mit einem Träger, welcher bei bewandten Umständen uns in derselben Straße nach dem »Huus de Beible« brachte, worin eine Menge Schiffskapitäne logierten, welche in den ersten Stunden mit meinem Herrn Bekanntschaft machten. Bald hatt ich Gelegenheit zu bemerken, daß diese neuen Bekanntschaften für die Moralität meines Herrn äußerst nachteilig waren. Mich ärgerte es, daß ich mich in Haag hatte verleiten lassen, zu seinem Vergnügen behülflich[180] gewesen zu sein. Er ließ sich von ihnen verleiten, in den Haerekothuden nächtliche Besuche abzustatten, von denen er oft erst am Morgen und fast immer mißmutig zurückkam. Als ich endlich sah, daß mein Herr schon die Wäsche durchsuchte, um die er sich noch nie bekümmert hatte, so frug ich ihn, wie die Kommerzien stünden. »Je«, antwortete er, »das weiß ich selber nicht, aber so viel ist gewiß, daß mir meine jetzige Lage einen Bedienten entbehrlich macht.« Mehr brauchte es nicht, um mich zu bestimmen, für mich selbst zu sorgen, da ich wußte, daß er täglich einen Gulden Kostgeld für mich bezahlen mußte. Ich dankte ihm für seine Offenheit, ergriff meinen Frisierbeutel und mein Barbiergesteck und verdiente mir damit im Hause bald so viel, daß ich mir ein schönes spanisches Rohr kaufen konnte. Ich behielt Logis im Hause und auch notdürftige Kost, wofür ich dem Kellner allerlei Hülfsleistungen tat; auch übernahm ich es, den Kapitäns die Kleider und Stiefeln zu putzen, wodurch ich mich so beliebt machte, daß ein Schiffskapitän, der ein besonderer Freund von der Violine war, mich für einen ansehnlichen Lohn engagieren wollte. Nur der Gedanke an Weib und Kind hielt mich ab, sein Anerbieten anzunehmen.

Zufällig macht ich im Wirtshause mit einem Landsmanne aus Buttstädt, namens Baumann, Bekanntschaft, der mir so viele schöne Dinge von Amerika vorsagte, daß ich mich entschloß, mit ihm dahin zu reisen, besonders als er mich versicherte, daß ich, wenn es mir dort nicht gefiel, in fünf bis sechs Monaten wieder nach Amsterdam zurückkommen könnte.

Da mein Herr in holländischen Diensten, seinem Plane gemäß, noch nicht angestellt, mein reicher Vetter aber mit seinen Dukaten nach Batavia gegangen war, wo ich eben keine Lust hatte, ihn aufzusuchen, so nahm ich Abschied und begab mich auf das eine halbe Stunde von Amsterdam segelfertig liegende Schiff, um nach Amerika mit abzugehen.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 180-181.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers