Abenteuer

[123] Auf dem Rückwege kehrte ich zu Gelnhausen im Gasthofe »Zu den drei Kronen« ein, wo ich an Table d'hôte neben einen Werbeoffizier zu sitzen kam, der mir ein Glas Wein aufdrang, als er gehört hatte, daß ich mir beim Kellner Bier bestellte. Nach Tische suchte derselbe allerhand Gelegenheiten auf, mich in sein Garn zu locken, dem ich nur durch eine schnelle Flucht bei Mondenscheine glaubte entgehen zu können. Leise schlich ich mich daher mit meinem kleinen Reisepäckchen zum Tore hinaus und eilte nach Steinau zu, wo mich eine[123] Bewegung auf der Brücke in Todesangst versetzte. Eine im Mondschein immer größer werdende Gestalt, an der ich weder Kopf noch Beine bemerkte, kam plötzlich auf mich zugelatscht und grüßte mich mit den Worten: »Gelobt sei Jesus Christus!« – »In Ewigkeit«, antwortete ich zähneklappernd für Furcht, welche mir die Erscheinung dadurch benahm, daß sie mir sagte, er sei ein Kapuzinermönch, der nach Gelnhausen gehe. Er hatte bei dem auf der Brücke befindlichen Marienbilde seine Andacht verrichtet und dabei die Gebärden gemacht, vor welchen ich in der Ferne mich entsetzt hatte. Bei meiner Ankunft in Wirtheim trat ich in einem Wirtshause ab, wo viele Fuhrleute ausgespannt hatten. Da der Wirt Anstand nahm, mich über Nacht zu beherbergen, so ging ich weiter und noch bis Salmünster, wo ich gegen Mitternacht ankam und alles in tiefem Schlafe fand, weshalb ich durch die Stadt ging, um meinen Weg so weit als möglich noch fortzusetzen. Der aufgehende Mondschein beförderte meinen Weg, und für den Durst fand ich an der Straße Obstbäume. Diesem Vorsatze widersetzte sich jedoch die Müdigkeit meiner Spazierhölzer, denen ich daher in einem am Wege befindlichen Grummethaufen Nachtruhe gab, welche mich ziemlich erquickte, so, daß ich am frühen Morgen, vom Gezwitscher der Vögel erweckt, heiter meine Weiterreise beginnen konnte. In Schlüchtern kaufte ich mir bei einem Bäcker mein Frühstück, mit welchem ich bis Fulda wanderte, wo mir ein Unteroffizier, nachdem ich ihm meinen Abschied vorgezeigt hatte, einen Gasthof zum Nachtquartier empfahl. Da mir es darin aber gar nicht gefiel, so entschloß ich mich abermals zur Weiterreise bei Mondenscheine. Langsam war ich ein Weilchen fortgetappt, als mich eine neue Erscheinung in Schrecken setzte. Es war ein großer, sich hin und her bewegender menschlicher Schatten, welcher, bei näherer Untersuchung, von dem mit fünf Gefangenen prangenden fuldaischen Galgen auf die Straße fiel. Die Furcht trieb mich schnell[124] vorüber, aber plötzlich lähmte sie meine Schritte, als ein furchtbarer Ton, wie Kettengerassel, hinter mir erscholl und sich mir eiligst näherte. Und was war es, das mir den Angstschweiß ausgepreßt und die Haare zu Berge getrieben hatte? Ein Blechwarenhändler, der seine Ware auf einem Schubkarren nach einem benachbarten Jahrmarkte fuhr und der Sonnenhitze wegen dazu die Kühlung der Nacht benutzte. Beschämt über meine alberne Furcht, ging ich neben ihm her, bis er auf einem Seitenweg ablenkte, von dem noch eine ganze Weile das Gerassel seines Blechs zu mir herübertönte. Kaum war dies verhallt, so bemerkt ich ohnweit Marbach vor mir ein Feuer, welches verschwand, als ich der Stelle, wo ich es wahrgenommen hatte, näher kam. Darauf bemerkt ich auf der Brandstätte einige glimmende Kohlen, welche mir einen Schatz zuzuweisen schienen, weshalb ich mit meinem Reisestock darin herumstörte, wodurch ich einige runde Körper wahrnahm, auf welche ich mich habsüchtig herwarf. Statt eines Schatzes ergriff ich einige warme Kartoffeln, welche sich die abgezogenen Hirtenjungen daselbst gebraten haben mochten. Es gelang mir, das Feuer wieder zu entflammen, und ich beschloß, dabei Nachtquartier zu nehmen, die Naßkälte des Bodens aber ließ mich nicht einschlafen, daher brach ich wieder auf.

Kaum hatt ich die Straße wieder erreicht, so bemächtigte sich meiner die Furcht von neuem; denn ich traf abermals bei Marbach auf einen Galgen, an welchem ich auf der Hinreise die Worte las: »Jüdischer Mord und Straßenraub«. Zwar hing kein toter Körper daran, aber der Gedanke, wenn dich hier so ein paar Kerls anfielen, beflügelte meine leisen Schritte und trieb mir neuen Angstschweiß aus. Während dieser Gedanken hört ich fern einen Wagen angerollt kommen. Gottlob, sagte ich zu mir selbst, vielleicht kannst du da mit zu fahren kommen oder dich doch dem Wagen zur Seite halten. Es war eine schnell vorüberrollende Chaise, auf deren Packbrette[125] zu meinem Leidwesen Nägel eingeschlagen waren, an denen ich mich verwundete, als ich mich schnell daraufschwingen wollte, worüber ich rücklings wieder herabfiel.

Kurz darauf holte mich eine andere Chaise ein, deren Kutscher so mitleidig war, mich einsitzen zu lassen und bis Hünfeld mitzunehmen. Hier lag, weil es Mitternacht war, alles in tiefem Schlafe, und es war an kein Unterkommen in einem Wirtshause für mich zu denken, daher nahm ich die Einladung des Kutschers mit Freuden an, im Pferdestalle bei ihm zu übernachten. Mit Tagesanbruche machte ich mich wieder auf die Sohlen und kam ohne weiteres Abenteuer bis nach Eisenach, aber in einem erbärmlichen Aufzuge: meine Hosen waren zerrissen, durch den Rock ging der Wind, und die Schuhe machten die Figur eines Fisches außer dem Wasser, weshalb ich auf dem Trödelmarkte mir einen andern Anzug erhandelte, welcher fast meine ganze Barschaft wegnahm, von der mir jedoch soviel übrigblieb, damit noch eine Tagereise bis Weimar zu bestreiten, wo ich zwar ausgebeutelt in einer Dreitagereise von Frankfurt am Main, aber doch übrigens wohlbehalten bei meiner Frau wieder ankam, die sich durch Handarbeiten ihren notdürftigsten Unterhalt verdient hatte.

Während meines kurzen Aufenthalts zu Weimar macht ich Bekanntschaft mit einem sympathetischen Wunderdoktor namens Eisenbrand, welcher zugleich in dem Rufe stand, Schätze graben zu können. Dieser erzählte mir eine Menge abenteuerlicher Geschichten von Bergschlössern, z.B. vom Weingartenloch, von der Baumannshöhle und dem Kyffhäuser, in welchem Gold und Edelsteine in Menge zu finden sein sollten, welche den Sterblichen wohl zu nehmen erlaubt sein, nur müsse dies stillschweigend und mit Hülfe der Wünschelrute geschehen. Schon in meiner frühern Jugend hatt ich oft von den schlauen Venezianern gehört, die alljährlich aus ihrer Heimat als Mäusefallen-und Hechelkrämer nach[126] Deutschlands Gebirgen reiseten und durch magische Künste eine Menge Schätze aus dem Innern derselben hervorlockten. Die Beteurungen des Wunderdoktors, daß dies lautere Wahrheit sei, reizte auch mich, mit ihm und einigen Konsorten nach dem Kyffhäuser eine Schatzgräberwanderung anzutreten. Gegen Abend kamen wir nach Kelbra, wo uns allerhand abenteuerliche Sagen von den Gold-und Silberminen erzählt wurden, die uns an dem glücklichen Ausgang unsers Unternehmens keinen Zweifel übrigließen. Nachdem wir uns daselbst die erforderlichen Werkzeuge verschafft hatten, traten wir um Mitternacht die Hauptreise nach dem nahen Glücksberg an. Hier fanden wir wirklich am Felsenhange einen Eingang in den Berg, durch welchen wir über ein Wässerchen zur Goldmine gelangen sollten. Nachdem wir vor dem Eingange einen Pfahl eingeschlagen und an demselben einen Knauel befestigt hatten, wagten sich zweie von uns in das Loch hinein, um den Schatz aufzusuchen. Kaum waren sie acht Schritte weit mühsam auf dem Bauche fortgerutscht, als sie keinen Laut mehr von sich hören ließen. Wir horchten am Loche und waren äußerst erschrocken, als wir am Felsen einen starken Schlag hörten. Wir zuckten endlich an der Knauelleine, welche dem letztern an den Arm gebunden war, worauf sie ein Gegenzeichen gaben, daß sie noch lebten, und kamen endlich einer atemlos, der andere aber ohne Besinnung zu uns zurück. Gegen Morgen mußten wir unverrichtetersache an die Rückkehr denken und den Ohnmächtigen zurücklassen. Nach eingenommenem Frühstücke traten wir unsere Rückreise unter gegenseitigen Vorwürfen an. Unser Anführer suchte sich zu verteidigen und leitete das Gespräch auf eine Bibel, welche zu Weimar 1585 mit den Sieben Büchern Mosis gedruckt wäre, worin man den Schlüssel zum Schatzgraben und Goldmachen finden könne, diese müßten wir uns vor allen Dingen zu verschaffen suchen. Ich hatte aber genug an dem ersten Versuche, der mir zur Warnung[127] diente, mich ganz von den Schatzgräbergedanken abbrachte und auf den Bibelspruch zurückführte: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen!« – Und dies hab ich bisher nur zu sehr bewährt gefunden.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 123-128.
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