Die Arbeitshäuslerinnen.

[105] In unserer Anstalt wurde später die Badeeinrichtung verbessert. Die hölzernen, ovalen Kübel wurden von einer Brausebadeinrichtung ersetzt. Ein großer vierziger Eisenkasten wurde in das Badehaus transportiert. Die Einrichtung wurde von freien Arbeitern gemacht.

Seit dieser Zeit haben wir die Weiber nicht mehr im Gänsemarsch, immer eine hinter der andern, nach der Tür des Gebäudes gehen sehen. Ewig schade für uns, es war immer eine Abwechslung für uns. Es sah aber auch zu interessant aus, diese spindeldürre, lange Aufseherin, wie sie ihre Untergebenen so komisch scharf kontrollierte.

Von dem Fenster, wo wir arbeiteten, konnten wir die Badenden sehen. Den männlichen Zuwachs meistens am Mittwoch. Dienstag war Badetag für männliche Korrigenden, Freitag für die Weiber.

Wir hatten jedes Mal unsere Freude, wenn die Frauen baden mußten. Eine lange, schmächtige Aufseherin hatte dann die Weiber unter ihrer Aufsicht und Obhut. Es sah dies so unendlich tragikomisch aus, wenn die Weiberkette anlangte. Die Aufseherin befahl den Frauen, nicht zu uns in unsern Raum zu schauen. Doch M.'s Frau sah jedes Mal, wenn auch verstohlen, in unseren Raum. Unter diesen Frauen waren recht alte, verschrumpelte. Auch manches schöne Weib, das selbst in dieser menschenunwürdigen grauen Kluft noch imponierend schön aussah, weit – weit schöner als die spindeldürre, lange[105] Aufsehern. Die Weiber traten in den verhängten Baderaum. Es war doch jedes Mal ein schöner Augenblick: Freitags, wenn die Weiber baden mußten. Ein Teil machte ernste Gesichter. Manchmal weinte auch eine und andere kicherten leise. Verdammt – zu lachen hatten die armen Dinger nichts. Ein Teil mußte Fenster putzen. Ein Teil in der Küche arbeiten an den für Weiber viel zu schweren Kesseln. Die anderen wuschen die schwere Gefängniswäsche und für die Beamten und besorgten Hausreinigung bei sich und bei den Beamten, die im Arbeitshaus wohnten.

Der Schneider erzählte mir einmal, daß seine Frau von der Schließerin im Gefängnis im Polizeipräsidium eine dufte Schale bekommen hätte, einen seinen Weiberrock und eine nette Bluse, und daß er es im Polizeigefängnis die paar Tage gut gehabt hätte und öfters mit seinem Hausdrachen hätte sprechen können. Sie war eine unansehnliche Person, klein, mit einem glatten, ausdruckslosen Gesicht, von Intelligenz keine Spur. Riesig empfindlich – und weinte bei jeder Gelegenheit. Beim Essenholen morgens sah ich sie öfters; aber immer ernst war sie, oder sie weinte vor sich hin. Die Weiber in solchen Häusern sind auch wie die Hyänen, besonders, wenn eine zu dumm ist zum Arbeiten, oder in Gemeinschaft keinen Spaß mit macht. Wer sich nicht fügen kann – ist und bleibt der Sündenbock in solchen Häusern.

Ueber die Oberaufseherin brauchte sich keine Korrigendin zu beklagen. Sie war immer eine zuvorkommende Frau gegen uns Korrigenden, wenn wir Essen holten. Sie war starkgebaut und hätte sehr gut die phantastische Gestalt »der Ruhe« verkörpert. Diese Frau habe ich öfter, mehr wie fünfzig Mal, gesehen. An einem Sonntag fragte sie uns im Sonntagsstaat: »Wie hat heute das Essen geschmeckt?«

Wir hatten Reis und Kartoffelstücke.

Wir sagten: »Es hat geschmeckt, bloß – es war zu wenig Fleisch!«

Die Frau lachte leise und sprach: »Hier gibt es nicht[106] mehr. Ihr habt ja auch noch welches!« Dabei machte sie eine Handbewegung nach unsern Armen.

Quelle:
Schuchardt, Ernst: Sechs Monate im Arbeitshaus. Erlebnisse eines wandernden Arbeiters, Berlin [1907], S. 105-107.
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