Kochs Bühne.

[261] Gewiß, ich glaubte mich nun auf einmal in eine ganz neue Welt versetzt zu sehen. Die größte Ordnung herrschte. Zu meinem Bruder sagte ich: »Höre, Karl, ich stelle mich nun ganz in die Situation der älteren Demois. Giranek, die so lange bei Koch die erste Tänzerin war, wie auch Madame Withöft, die es vor ihr und nachher abwechselnd mit ihr war. Ich hasse alles, was Unterdrückung heißt. Und da doch eine Tänzerin mehr ist wie Tänzer, so kann ich in einigen Balletten frei sein. Sobald du erstlich nur etliche Ballette im Gang hast, sollst du welche ohne mich machen, wo du denn im einen mit Madame Withöft, im anderen mit der älteren Giranek tanzest; sie ist hübsch, jung und sehr gut gewachsen. Nimm sie also für die Halbcharakter-Ballette und Madame Withöft, die klein ist, zu den komischen. Das wird mir Liebe und Freundschaft sowohl bei der Gesellschaft, wie auch bei dem Publikum erhalten, wenn man sieht, daß ich nicht gern unterdrücke, nicht allein glänzen und alles machen will.« Das geschah, mir war's Erleichterung, und ich erwarb mir dadurch die Achtung von jedem.

Meine achte Rolle, die ich in Leipzig spielte, war den 6. Mai die Julia, in »Romeo und Julia«. Da wurde das Stück zum allerersten Male gegeben, noch im Manuskript. Mit dieser Rolle, die ich mit vielem Glück spielte, band ich aller Herzen in Leipzig vollends an mich. War mein voller Sieg über meine abwesenden Feinde, denn in Leipzig hatte[261] ich keine. Denn wie war's möglich, mich zu hassen oder mir Feinde zu machen? Auch die kleinsten, unbedeutendsten Rollen spielte ich gern und mit allem möglichen Fleiß, zu vernünftig, von Herrn Koch zu verlangen, daß er mir nur allein alles geben sollte und diejenigen, die ihm so lange Jahre Brot verdienten, hintan zu setzen. Mein Koch war zu gerecht und ich zu billig, solches nur zu wünschen. So konnte kein Neid, keine Eifersucht statthaben. Jedes hatte seine Fächer, wo es gefallen konnte und mußte.

Nur das einzige von Herrn Koch war mir leid, daß er zu seinem eigenen Schaden einen unüberwindlichen Eigensinn hatte. Koch hätte sich gewiß durch mich manche hundert, ja, ich kann sagen, tausend Taler mehr machen können, wenn er gefolgt hätte. Er gab zu viele alte Stücke und ließ wenige neue einlernen. Und viele neue fielen durch, die erstlich an und für sich nicht gefallen konnten, und wo er auch die Mannsrollen, sobald an dem Stück selbst nichts war, meist unter die Anfänger verteilte. »Ines de Castro« und »Soliman der Zweite«, die Ackermann so viel Geld eingebracht, hatte ich. Die »Ines« war in Versen, und Schiebeler wollte einige, gegen die man etwas einzuwenden hatte, umändern. Koch hatte zweierlei an der »Ines« auszusetzen: Erstlich, weil sie in Versen war, und zweitens, weil er keine spanische Garderobe hatte. Und doch gab er nach dem »Demokrit« »Erispins Leichenbegängnis« und den »Polyeuktes« in Versen – und kann was Schrecklicheres gedacht werden, wie die Reime sind? »Richard der Dritte« wurde in gewöhnlicher französischer Kleidung gegeben, wie auch die »Alzyre«. Gegen »Soliman« hatte er die Einwendung, daß es in Dresden mit so vieler Pracht von den Franzosen wäre gegeben worden. Ungeachtet seine türkischen Kleider nicht schlecht waren, so waren sie ihm nicht gut genug, scheute die Kosten. Und die Musik, die mein Bruder von Hamburg hatte, an der tadelte er, daß kein Janitscharen-Marsch dabei sei und nicht gefallen würde in Leipzig, weil Herr Hiller solche nicht komponiert hätte. Nun mußte er nachher ansehen, daß fremde Direkteurs hinkamen, sich weder daran kehrten, daß solche in Dresden mit mehr Pracht gegeben, auch nicht Hillers Komposition war, und[262] rasend Geld daran verdienten, ja, dem Himmel danken, daß Koch so skrupulös gewesen, denn nun hatten sie was Neues. Doch, worauf der Alte bestand, da bestand er darauf, und meist zu seinem eigenen Schaden. Mich dauerte es. Und weil ich in so vielen Stücken sowohl sein wie seiner Frau vortreffliches, dankbares Herz sah, oh, so hätte ich gerne Tag und Nacht gearbeitet. Und wenn ich ihnen Millionen hätte verdienen können, um so glücklicher würde ich mich geschätzt und doch nichts weiter verlangt haben, als meinen gewöhnlichen Gehalt!

Wie bekannt, so wird in Leipzig die Messe hindurch alle Woche siebenmal gespielt. Wenn nun solche zum Schluß ging, so machte Koch an die Frauenzimmer sowohl zu Ostern wie Michaelis Meßgeschenke. Das bestand für jede Aktrice aus einem Louisd'or und für die Figurantinnen aus einem Dukaten. So was erfährt man denn nun gleich. Als nun die Ostermesse bald aus war, kam der alte Vater Koch und gab mir auch mein Papierchen. Ich bedankte mich und steckte es zu mir. Als ich nach Hause kam, fand ich in solchem zwei Louisd'or, statt einen. Das machte mich stutzig. Den Abend darauf nehme ich mein Papierchen mit dem doppelten Louisd'or mit mir und sage zu ihm: »Lieber Papa Koch, Sie haben sich gestern vergriffen.« »Wieso?« »Ja, ich weiß, Sie geben den Frauenzimmern jeder einen Louisd'or. Mir gaben Sie zwei und wissen's nur nicht, und da könnte er Ihnen in der Rechnung mangeln, und Sie nicht wissen, wo solcher hingekommen. Da haben Sie ihn wieder. Geben mir nun einfachen, ich verlange nicht mehr, wie die andern.« »Gutes Mädchen, ich weiß wohl, daß ich Ihnen zwei gegeben. Arbeiten Sie nicht auch für zwei?« »Tue nur meine Schuldigkeit, lieber Koch. Hab' ich mich nicht für beides engagiert? Doch danke ich Ihnen und werde Ihr gutes Herz nicht vergessen.« Auch mein Bruder bekam zwei Louisd'or. Nicht des Louisd'ors wegen; aber sind's nicht Zeichen eines erkenntlichen Herzens? Oh, wo sind noch solche Direkteurs? Ich hatte nun in drei Opern kleine Partien mitzusingen. Und auch die bezahlte Herr Koch an jeden extra. Wer große und die Hauptrollen sang,[263] bekam das erstemal einen Louisd'or, dann jede Repetition 2 Gulden. Wer kleine hatte, einen Dukaten und fürs Repetieren einen Gulden. Diese drei kleinen Partien brachten mir doch in einem Jahre drei Dukaten und 16 Gulden ein. Nun 4 Louisd'or die zwei Messen! Das war doch mitzunehmen.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 261-264.
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