109.

[98] Viele haben sich, um die Nachläßigkeiten, diese Unreinlichkeit und Unordnungen zu beschönigen, auf das Beispiel manches Großen oder Gelehrten berufen; ohne zu bedenken, daß Schmuz und auffallende Unordnung auch bei ihnen nicht zu rechtfertigen ist, und daß sie noch einen großen Grad vollkommener seyn würden, wenn ihnen jene Fehler nicht anhafteten. Wenn Sie bey einer Menge von großen und wichtigen Geschäften übrigens nicht immer auf jede Kleinigkeit des Anzugs genau achten, weil sie zu zerstreut sind, und kaum sich die Zeit nehmen an sich zu denken, so ist ihnen freilich da nachzusehen, und man hat mehr die Leute, welche sie umgeben und darauf sehn sollten, als sie selbst anzuschuldigen. Uebrigens haben Sie auch Beispiele genug, daß selbst die größten Geister jene strenge Ordnung an sich brachten, und daß selbst diejenigen, welche diese Tugend nicht haben, doch auf sie bei ihren Angehörigen und Untergebenen halten, und sie also als wahre Tugend laut anerkennen.

Quelle:
Siede, Johann Christian: Versuch eines Leitfadens für Anstand, Solidität, Würde und männliche Schönheit. Dessau 1797, S. 98.
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