Das Dienstjubiläum

[112] des Beamten und Nichtbeamten, die Feier des 25jährigen Aufenthalts in irgend einer Stellung und in irgend einem Beruf, in denen die Jubilare nicht mit einem silbernen Kranz, wohl aber mit einem ebenso minderwertigen oder einem noch minderwertigern Emblem ausgezeichnet werden.

Wenn man es für erfreulich hält, ein anerkennendes Schreiben, eine Medaille, oder gar einen Orden vierter Klasse zu besitzen, so suche man wenigstens ein Vierteljahrhundert lang dem Staat, einer Gesellschaft oder einer Firma treu und anspruchslos zu dienen, und einer der bezeichneten Wertgegenstände wird nicht ausbleiben. Das die Dienste anerkennende Schreiben, sowie die Medaille hat den Vorzug vor dem Orden, daß man jenes und diese im Schreibtisch aufbewahren kann, während der Orden, öffentlich bei feierlichen Gelegenheiten getragen, jedermann verrät, daß man keinen höheren besitzt.

Ist man kein Gelehrter, aber Schriftsteller oder[112] Künstler und obenein ein findiger Mensch, und erhält man den Titel Professor, so weiß man etwas mit diesem Titel anzufangen, der eigentlich nur Wert für die Gattin und für die Visitenkarte hat.

Ist man etwas phantasiebegabt und erhält man den Titel Rat, so kann man sich sagen, daß man ihn seiner Tüchtigkeit auf dem Gebiet der Medizin, der Jurisprudenz, der Industrie und des Handels verdanke.

Krankt man in irgend einer öffentlichen Stellung an einem leeren Knopfloch, so habe man nur Geduld. Die Zeit heilt alle Knopflöcher.

Der Unterschied zwischen dem Titel Doktor und dem Titel Rat ist der, daß man den Doktor machen kann und daß der Titel Rat sich von selbst macht.

Es mag hier, so unpassend der Ort gewählt sein dürfte, für begeisterte Anhänger des Ordens, d.h. solche, die sich gerne einen Orden anhängen lassen, mitgeteilt werden, daß die Rettungsmedaille eine derjenigen Dekorationen ist, welche nicht durch Ausdauer zu erwerben sind. Sie wird auch nicht durch den Aufenthalt auf Bahnhöfen, der zum Empfang hoher und höchster Gäste nötig ist, errungen, auch nicht dadurch, daß man bei schlechtem Wetter einer Hofdame den Regenschirm anbietet oder ihr, wenn sie ihr Portemonnaie zu Hause vergessen hat, das Geld zu einer Droschke zur Verfügung stellt. Selbst nicht durch das Arrangement einer Theatervorstellung oder einer Verkaufsbude im Wohlthätigkeitsbazar zum Besten Abgebrannter ist die Rettungsmedaille zu erwerben. Ebensowenig durch Verzicht auf das Honorar bei Gelegenheit eines Gastspiels im Hoftheater, oder durch Übersendung eines Bandes lyrischer Gedichte an die Fürstin.

Ist man als Köchin oder Dienstmädchen fünfundzwanzig Jahre in einem Hausstand thätig gewesen, so erwarte man von einem Frauenverein ein meisterhaft geschriebenes Dokument, in welchem man als[113] Muster gekennzeichnet wird, ebenso ein größeres Zwanzigmarkstück von der Hausfrau. Dann vergesse man dankbar, daß man während des letzten Vierteljahrhunderts von Wanzen auf dem Hängeboden geplagt worden ist, wie dies auch die Wanzen vergessen haben, und schmücke die Wand des bezeichneten Schlafraums mit der Festschrift des Frauenvereins.

Ist man als Briefträger Beamter des ersten und reichsten Verkehrsinstituts des Landes, so fürchte man nicht, durch die Ehrengabe desselben an ein Wohlleben gewohnt zu werden, das der Gesundheit schaden könnte. Die Ehrengabe wird nicht so schlimm sein und wenn, so zwingt der Dienst zu einer so unausgesetzten Bewegung, daß der Körper das betreffende Wohlleben gut wird ertragen können. Für den Notfall könnte man übrigens das Radeln einüben.

Wird man am Ehrentag Kommerzienrat, so protestiere man nicht bei jeder Gelegenheit, wenn man Herr Geheimrat betitelt wird. Dies unterlasse auch die Gattin, wenn man sie Frau Geheimrätin nennt. Der Titel klingt sehr schön, ganz abgesehen davon, daß der Titel Frau Rat doch zu sehr an die Mutter Goethes erinnert und die Gattin des Kommerzienrats vielleicht keinen Sohn hat.

Der Autor des modernen Knigge verläßt hiermit diesen Gegenstand und bittet nur noch um das Wort zum Abschied. Dieses soll einem Vorschlag gelten, den ich wiederholen und zur Annahme empfehlen möchte. Ich machte ihn zuerst, als ich meinen siebzigsten Geburtstag herannahen fühlte und schon in allen Gliedern spürte. Da bemächtigte sich meiner ein große Angst vor einer Feier, mit welcher meine Freunde mich öffentlich auszeichnen lassen wollten, mich, der ich, wie es auch in dem vorliegenden Werkchen bemerkbar wird, ein Gegner des allzuvielen Feierns war und bin. Um ein Scherflein zur Einschränkung und Abhilfe beizusteuern,[114] ersann ich den Plan zur Gründung einer rettenden Institution und verlangte (in der Neuen Freien Presse vom 27. September 1901)


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1902, Bd. III, S. 112-115.
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