Die freiwillige Feierwehr.

[115] Die Überschrift enthält keinen der so beliebten Druckfehler. Zugegeben soll aber werden, daß sie ganz neu ist und durch die Anlehnung an ein altes Wort die Vermutung nahelegt, man habe es mit der Ausgeburt des Druckerei-Kobolds zu thun. Mit Einem Worte, wie man zu sagen pflegt, wenn man viel Worte zu sagen hat: Ähnlich wie die Feuerwehr würde eine Feierwehr ungemein nützlich thätig sein können, und es mag hiezu als unerläßlich bemerkt sein, daß dem Einsichtigen eine Feierwehr ebenso dringend nötig erscheint, wie die Feuerwehr aus einem längstgefühlten Bedürfnis heraus entstanden und mit gern gebrachten Opfern zu immer größerer Vollkommenheit ausgebildet worden ist. So soll hier die Bildung einer Feierwehr angeregt und der liebevollen Förderung aller derer empfohlen werden, die von ihrer Notwendigkeit überzeugt sind und sich von ihr einen großen Nutzen, der dem der Feuerwehr gleichkommt, versprechen.

Natürlich soll das Feiern nicht etwa in seiner Gesamtheit verdammt und als schädlich gebrandmarkt werden. Die Feier als solche ist durchaus nicht zu verwerfen. Sie gleicht darin dem Feuer, dessen Macht Schiller als wohlthätig besungen hat. Wohlthätig könnte man auch die Macht der Feier nennen, wenn sie der Mensch, um mit Schiller weiter zu singen, bezähmt, bewacht. Doch wie das Feuer, so kann auch die Feier furchtbar werden, wenn sie der Fessel sich entrafft und zu dem Ausrufe Veranlassung giebt: Wehe, wenn sie losgelassen! Das wird jeder zugeben, der nicht nur weiß, was sich in seinem Familien- und Bekanntenkreise auf dem Gebiete des Feierns ereignet,[115] sondern der auch mit jedem Blick in seine Zeitungen erfährt, welch eine Fruchtbarkeit sich auf dem Felde der Feste entfaltet.

Natürlich sollen hier nicht die Hochzeitsfeier, die Hochzeitstagsfeier und die Geburtstagsfeier in irgend einer Weise getadelt werden. Wohl dem, der namentlich seinen Hochzeitstag ohne Bitterkeit feiert, und ihn nicht bloß feiert, um seine Mißstimmung vor der Welt zu verstecken. Auch dem, der seinen Geburtstag als einen reuelosen, fröhlichen Tag begehen kann, soll ein aufrichtiges Wohl dir! oder Wohl Ihnen! zugerufen werden. Aber alle diese und ähnliche Feiertage spielen sich ja im engen Kreise ab, und sie beunruhigen durch ihr unvermeidliches Geräusch, das durch die vier Wände herausdringt, höchstens die nächste Nachbarschaft, deren Schlaf durch das Hurra-Geschrei bei Tisch oder das diesem folgende Tanzgetrampel mehr oder weniger gestört oder gar, um mit Shakespeare zu sprechen, gemordet wird. Allerdings könnte auch nach dieser Richtung hin etwas vorsichtiger gearbeitet werden, wie ja mit dem Feuer niemals vorsichtig genug umgegangen werden kann. Die Hochzeits- und Geburtstagsfeier artet nur zu häufig in eine Feierbrunst aus, die allerlei Unheil anrichtet oder anrichten kann. Solche Tage setzen leicht die dem betreffenden Feierherd Nahestehenden in Kontribution. Ganz abgesehen von der silbernen und goldenen Hochzeitsfeier, welche schon durch ihren Bimetallismus den zu leistenden Geschenken eine bestimmte kostspielige Richtung vorschreiben und deshalb ziemlich schmerzlich wirken, so kann auch die Geburts-und Hochzeitstagsfeier durch ihre größere Häufigkeit und regelmäßige Wiederkehr auf die Dauer reichlich störend auftreten. Man darf nicht vergessen, daß es Familien gibt, in denen mehr Töchter als Hausfreunde existieren, auf deren Schultern nun fast allein die Last des Gabentisches ruht. Selbst der so seltene Glücksfall,[116] daß irgend eine der Töchter am 29. Februar das Licht der Welt erblickt hat, bringt keine Erleichterung dieser Last, da selbstverständlich dieses Glück durch die Einschiebung des ersten März korrigiert wird. Aber alles das hat doch der Hausfreund sich selbst zuzuschreiben, mit dem sich unser Mitleid nicht zu beschäftigen hat, denn er hat meist den Schoß der betreffenden Familien freiwillig zu seinem Verkehr bestimmt und also auch die Folgen zu tragen, die er ja gekannt haben muß.

Nein, wir brauchen nicht in die Familie hineinzugreifen, um die Nützlichkeit und Notwendigkeit einer Feierwehr in das hellste Licht zu stellen. Das öffentliche Feiern von Jubiläen aller Art bildet das Übel, gegen welches eine Feierwehr in Scene gesetzt werden müßte. Hier ist wirklich das oft citierte längstgefühlte Bedürfnis vorhanden, dem abzuhelfen ist. Das, was als Schadenfeier zu bezeichnen wäre, hat längst die öffentliche Unsicherheit vermehrt. Fast täglich bricht irgendwo eine Feier aus, ganze Ortschaften gefährdend. Hier wird ein Sechziger- oder Siebziger-Geburtstag irgend einer bekannten Persönlichkeit gefeiert, dort kommt es heraus, daß fünfundzwanzig oder fünfzig Jahre verflossen sind, seit ein Beamter auf dem Posten ist. In der Armee, an der Universität, in der Künstlerwelt, unter den Gelehrten und Schriftstellern, in den Ministerien und Parlamenten, in der Industrie und in Finanzkreisen nimmt der der Feier besonders ausgesetzte Jubelgreis überhand. Monatelang vorher wird schon gerochen, daß irgendwo eine Feier herannaht, und bald dringt auch ein funkensprühendes Festkomitee hervor. Durch der Straße lange Zeit wirbt es fort mit Windeseile. An Toasten und Tischliedern wird aus Leibeskräften gearbeitet, und es dauert nicht lange, und eine Tafelrunde steht lichterloh in Flammen der Begeisterung. Welch Getümmel! Kochend, wie[117] aus Ofens Rachen, glüh'n die Lüfte, Hurras krachen, und bis endlich die Cigarre in Asche sinkt, weicht hoffnungslos der Mensch der Götterstärke der betäubenden Tischmusik.

Hier ist eben der Titel »Jubelgreis« gelesen worden, und nun mag der geschätzte Leser sagen, ob dieser Titel nicht der allerungnädigst verliehene ist. Wenn der Autor dieser Zeilen mitreden darf, so erklärt er, daß er keinen greulicheren Titel kenne und daß dieser ihn mit Furcht und Entsetzen erfülle. Außer dem Titel »Scharfrichter« vermag dies keiner in dieser Weise, und der Autor, der leider jetzt selbst das siebzigste Jahr mit dem Rockärmel streift, denkt mit einem Gefühl an diesen Titel, welches dem gleich kommt, das Don Carlos mit dem Namen »Vater« erfüllt. Jubelgreis! Da sehen wir zwei Worte aneinandergeschmiedet, welche eigentlich bestimmt sind, sich ewig zu meiden. Man braucht kein eingefleischter Lebemann zu sein und kann dennoch behaupten, daß der Mann in seiner Eigenschaft als Greis keinen Grund zum Jubel hat. Es giebt kaum ein aus drei Silben bestehendes Wort, in welchem wie im Jubelgreis das erste Silbenpaar der dritten Silbe und diese dem ersten Silbenpaar so unerbittlich feindlich gesinnt ist. Kaum ist dem der Name des russischen Generals Todleben an die Seite zu setzen. Denn Name ist Schall und Rauch, aber Jubelgreis ist ein Titel, der etwas sagen soll, aber nichts anderes als die Unwahrheit sagt und obenein Schall und Rauch ist.

Der erste Schritt zu einer Feierwehr wäre gethan, wenn die Moment-Photographie des Jubelgreises nicht nur ähnlich gefunden, sondern auch jeden, der vor einem Jubiläum angelangt ist, durch ihre Schrecklichkeit veranlassen würde, seine übereifrigen Freunde um alles in der Welt zu bitten, keine Feier zu entzünden, und sei dies auch nur, um ihn vor dem Titel Jubelgreis[118] zu bewahren. Anders ist ihm nicht auszuweichen. Während der Feier und dann in den Berichten der Presse gilt der Titel Jubelgreis erstaunlicherweise als ein takt- und geschmackvoller und glaubt man, damit dem Betroffenen Ehre und Freude zu bereiten. Man sollte und darf vom Gegenteil überzeugt sein. Ein gebildeter und mit Lust am Leben erfüllter Mann wird am allerwenigsten in dem unglücklichen Zufall, schon das sechste oder das siebente Jahrzehnt zurückgelegt zu haben, einen Anlaß zum Jubeln finden, und daß er mit Ehren ein Greis geworden, ist sehr anständig aber nicht lustig. Es macht melancholisch und verdrießlich, und die Frage: Was kann noch kommen? könnte selbst den harmlosesten Jubelgreis in die Lage versetzen, seine Pfeife ausgehen zu lassen. Wer also das Jubelgreisschicksal vermeiden will, waffne sich charakterfest gegen die sogenannten Freunde, welche mit der Absicht, eine Feier anzulegen, jedenfalls bei ihm erscheinen werden. Das von ihrem Feiereifer erkorene Opfer wird leicht einen Ausweg finden. Wenn sie solchen ernsthaft suchen sehen, so lassen sie bald von ihrem Opfer ab. Häufig wünschen sie heimlich selbst diesen Widerstand, um sich eine lästige Arbeit vom Hals zu schaffen; in diesem Falle sind sie mit leichter Mühe verscheucht, aber noch häufiger ist es der Egoismus, welcher sie veranlaßt, sich an die Spitze der Feier zu stellen. Es giebt ganze Scharen von Menschen, welche von einer Manie besessen sind, die man die Komitee-Manie nennen könnte und die seit einer Reihe von Jahren sehr beunruhigend verbreitet ist. Vor ihnen ist kein halbwegs sechzig Jahre alter Mann sicher, zu den Jubelgreisen geworfen zu werden, und sei er auch noch so achtungswert, liebenswürdig, lebenslustig, verdienstvoll thätig oder der sorgfältigsten Schonung bedürftig. Es sind sehr gefährliche Leute, die, wenn man ihnen nicht sehr energisch entgegentritt, jede[119] Feier, nachdem sie einmal ausgekommen ist, schüren und nähren, bis sie den Armen, dessen sogenannter Ehrentag begangen werden soll, unrettbar ergreift. Man hat sich daher in Acht zu nehmen, ihnen einen Finger zu reichen, wenn sie ihren Feierlärm laut werden lassen. Wird nun hierdurch das öffentliche Fest endgültig verhindert, so darf der aus der Feier Gerettete auf den Dank vieler seiner Freunde und Berufsgenossen rechnen, die jedenfalls froh sind, von der Festtafel befreit zu sein. Eine Festtafel steht vielen im Wege. Wird sie öffentlich aufgestellt, so verletzt sie mit ihrer Fabrikspeisung nur zu häufig Geschmack und Magen und langweilt mit Reden und Musik, wodurch die Gäste abwechselnd zum Schweigen gezwungen und betäubt werden. Der Gefeierte selbst entgeht der Qual, in dem sich aus dem Munde der Tischredner verbreitenden Lobqualm nur mit größter Anstrengung atmen zu können. Alles das ereignet sich ähnlich, wenn das Feiermeer durch die Privaträume des Jubilars tobt, welche übrigens schon während des ganzen Vormittags durch Gratulanten, Telegraphenboten, Adressen-Überreichungen und beschämende Anreden beunruhigt worden sind.

Wenn wir dies alles nun zu einem Gesamtbilde zusammenfassen, so können wir das Plaidoyer für die Notwendigkeit und den Nutzen der Feierwehr in der Überzeugung schließen, daß es auf fruchtbarem Boden fruchtbar gewirkt hat. Und wenn dies nicht der Fall sein sollte, wenn das Gesagte noch nicht hinreichte, die Einführung einer leistungsfähigen Feierspritze als dringend erscheinen zu lassen, so wird es doch der Einsicht Geltung verschaffen, daß die Macht der herrschenden Jubiläumsfeier schleunigst einzuschränken sei.

Fußnoten

[120] 1 Über Land und Meer Nr. 4, 1901.


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV.
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