von einer Prinzessin geliebt werden,

[4] mit einigen Fingerzeigen auf diesem gefahrvollen Wege zu unterstützen.

Wer mit offenem Auge in das Leben blickt, wird längst zu der Überzeugung gelangt sein, daß mehr Romane gespielt als geschrieben werden. Ganz überraschend viel mehr. Dieser Überschuß wird von dem nicht zu unterschätzen sein, der wissen wird, wie viele Romane geschrieben werden. Romane in allen Formaten. Es gibt viele Schriftsteller, die es leider nicht lassen können, und auch durch kein gesetzliches Mittel zurückzuhalten sind. Dem Romanbazillus ist nicht beizukommen. Seitdem sich aber nun auch das weibliche Geschlecht mit mehr und höchst beängstigendem Eifer und erstaunlicher Fruchtbarkeit auf die Industrie, aus je fünf bereits vorhandenen Romanen das halbe Dutzend voll zu machen, geworfen hat, ist die Befürchtung, daß in absehbarer Zeit ein Mangel an Schmökern eintreten könnte, ebenso unsinnig und überflüssig wie die, es könnte uns eines Tages ein Mangel[4] an Steinkohlen, Bartbinden, Petroleum, Pilsener Bier, photographischen Ateliers, Pianinos und Wohltätigkeitsbazaren in die greulichste Verlegenheit versetzen. Auch auf diesem Gebiete mag Liebvaterland ruhig sein, obschon dies im Hinblick auf die Pianinos und andere ruhegefährdende Instrumente nicht leicht sein dürfte. Trotzdem ist die Zahl der von den Menschen gespielten Romane eine imponierend größere, als die der geschriebenen, gedruckten und hier und dort gelesenen. Denn während zum Romanschreiben doch Papier, Tinte und ähnliches Material gehört, das vielleicht zur Verhütung des sonst kaum zu verhindernden Mißbrauchs der im Grunde harmlosen Schreibutensilien hoch zu besteuern wäre, braucht der Mensch zum Romanspielen nichts, absolut nichts, selbst nicht einmal das Bedürfnis, einen Betrug oder eine Enttäuschung zu erleben, oder seine Zukunft zu vernichten. Alle Menschen mit wenigen Ausnahmen, welche unter den Schüchternen und Vorsichtigen zu suchen sind, spielen Romane. Die einen einen einzigen, der ein rasches oder im schlimmeren Fall gar kein Ende nimmt, andere spielen eine ganze Roman-Bibliothek voll, einen Roman nach dem andern, oder mehrere Romane zugleich. Denn es gibt im Romanspiel mehr Virtuosen als im Klavier- und Geigenspiel. Die meisten Menschen waren, sind oder werden Romanhelden, welche als mehr oder weniger tapfere Helden vorgehen, und wenn auch diese Helden mit Medaillen für Tapferkeit ausgezeichnet würden, so könnte man manchen vor lauter Medaillen nicht genau erkennen.

Man darf Amor für das überflüssigste Göttchen halten, welches die Mythologie in die Welt gesetzt hat. Mit dem Pfeil der Schmerzen, wie Schiller sein Geschoß nennt, braucht er nämlich die Herzen nicht zu rühren. Die Menschen bringen bekanntlich –[5] »bekanntlich« wird bekanntlich immer gesagt, wenn irgend ein Vorgang nicht bekannt ist – eine so große Schwäche für starke Liebe mit zur Welt, daß der Pfeil nicht erst auf sie abgeschossen zu werden braucht, um für die Herzen eine offene Stelle, an welcher die Liebe Eingang findet, zu schaffen.

Man sagt, wenn das Herz von Amors Pfeil getroffen ist, höchst unlogisch, daß man verschossen sei. Über die Bedeutung dieses Wortes erkundige man sich des Näheren bei Soldaten und Jägern. Man wird erfahren, daß mit dem Verschossensein Wehrlosigkeit und Kampfunfähigkeit angedeutet werden.

Will man noch deutlicher sein, so sagt man, daß man vernarrt, also daß man in einen Narren verwandelt sei. Das ist ein Bekenntnis, welches zwar ziemlich trostlos ist, aber sich durch eine schöne Aufrichtigkeit und Wahrheit auszeichnet.

Der Volksmund hat unsere Sprache mit noch anderen Ausdrücken für den Zustand des Verliebtseins bereichert. Er sagt von einem Verliebten, er habe sich verguckt. Das kann aber einem peniblen Ohr als sehr boshaft klingen, denn das Vergucken kann auch als ein Versehen verstanden werden. Ebenso muß ich die Behauptung, man sei verliebt wie ein Stint, als wenigstens unklar bezeichnen, da wir von dem Liebesleben dieses nützlichen Fisches nichts wissen.

Will man etwas ganz Lächerliches sagen und Unmögliches fordern, oder dem Nebenmenschen einen klugen Rat geben, der sehr dumm ist, so sage man: Verliebe ich nicht! Dieser Rat wird niemals befolgt werden, denn er gehört nicht zu der Kategorie: Koche mit Gas! Schmücke dein Heim! und Schlafe patent!

Ist man bürgerlich geboren, so verliebe man sich, wenn man dies irgend möglich machen kann, ausschließlich in bürgerlichen Kreisen. Das Sprüchwort[6] »Gleich und gleich gesellt sich gern« ist ja wie viele andere Sprüchwörter falsch, aber es ist doch den Bürgerlichen anzuraten, ihr Herz davon zurückzuhalten, sich in einen oder in einem Palast zu verirren. Der Mann bedenke stets, daß man von ihm sagen würde, er habe sein Auge zu einer Prinzessin empor gehoben. Daraus folgt, daß im günstigsten Fall die Prinzessin ihr Auge herunter hebt. Das muß doch einen Mann tiefer verletzen, als er selbst nach der Dekorierung und nach erfolgter Erlaubnis zum Tragen eines Ordens erträglich finden wird.

Die Liebe ist allmächtig. Nur ist es ihrer Allmacht versagt, aus einer Prinzessin eine Bürgerliche machen zu können. Da sie aus ihr auch keine simple Adlige herstellen kann, so gilt das, wie hier vom Bürgerlichen gesagt ist, auch von allen Männern, die von Adel sind.

Man nehme meine Warnung ernst. Nicht etwa, weil Schiller der Prinzessin von Eboli die Worte in den Mund legte: »Die Königinnen lieben schlecht«. Ich halte diese Behauptung nicht nur für falsch, sondern auch für unlauteren Wettbewerb seitens der genannten Prinzessin, welche Schiller genau kannte. Die Königinnen lieben durchaus nicht schlecht. Ganz gewiß ebenso gut wie alle anderen Frauen. Einige hatten allerdings die üble Gewohnheit, einen Geliebten anstatt ihn zur Disposition zu stellen, dadurch zur Ruhe zu setzen, daß sie ihn ermorden ließen, aber der Geliebte hatte dieses Schicksal doch meist dadurch selbst verschuldet, daß die angebetete Herrscherin seiner überdrüssig wurde, aber die meisten, denen die gekrönten Frauen ihre Gunst schenkten, kamen doch mit dem Leben davon. Ja, man könnte ganz gewiß ebensogut eine sehr lange Siegesallee mit den Gestalten und Ruhebänken von Kaiserinnen und Königinnen schmücken, welche nicht schlecht geliebt haben. Allerdings pflegt[7] diese Liebe nur solchen Männern gut zu bekommen, die als halbwegs ebenbürtig gelten konnten. Mir sagte einmal jemand, der zum erstenmal eine Trüffel gegessen hatte, die Trüffel sei eine wundervolle Delikatesse, aber er habe nach dem Genuß an Magenschmerzen gelitten.

Man halte es daher nicht für ein Unglück, nicht der Geliebte einer Prinzessin zu sein. Ginge aber der Wunsch, solcher zu werden, in Erfüllung, so würde man zu spät einsehen, daß dies kein Glück ist. Man kann übrigens mit einer Bürgerlichen dieselbe Erfahrung machen.

Ist man Lehrer, so freue man sich, wenn man nicht, durch hochstehende Freunde und mächtige Gönner empfohlen, eine Anstellung in einer königlichen Familie findet. Denn wenn man solche gefunden hat, so kann das Schlimmste geschehen.

Ist dies der Fall, ist man durch ein widriges Geschick am Hofe irgend einer Fürstin angestellt, um die fürstlichen Kinder zu gebildeten Menschen zu ma chen, so suche man der Fürstin zu mißfallen oder durch merkwürdige Eigenschaften mehr Mitleid als Liebe in ihr zu erwecken. Dies kann in folgender Weise geschehen.

Man befreunde sich mit einer der diensttuenden Kammerfrauen, welche ihre Herrin immer gern durch pikante Erzählungen zerstreuen, und mache sie zur Vertrauten. Man gestehe ihr, daß man sechsmal verlobt gewesen sei, daß man aber regelmäßig wieder entlobt wurde, weil man die merkwürdige Eigenschaft besaß und, beiläufig bemerkt, noch besitzt, laut um Hilfe zu schreien, wenn man umarmte oder umarmt wurde. Dieses Leiden sei unheilbar, setzt man schaudernd hinzu, was nach einer sechsmaligen Kaltwasserkur festgestellt sei. Dies wird natürlich sofort der Fürstin hinterbracht, welche sich dann sehr in acht nehmen wird,[8] da das Schreien um Hilfe bei Umarmungen an fast allen Höfen sehr unbeliebt ist.

Man lasse auch merken, daß man sehr indiskret sei. Dies macht Prinzessinnen, denen etwas an ihrem guten Ruf gelegen ist, ungemein vorsichtig.

Geruht die Fürstin, handgreiflich zu werden, so stelle man sich kitzlig und fange laut zu lachen an, um sich alsdann derartige Späße ernstlich zu verbitten. Nun wird man für einen großen Esel gehalten, was aber dem Schicksal vorzuziehen ist, demnächst, um einem Anderen Platz zu machen, aus dem Palast geworfen zu werden.

Ist man der Andere, so endet das Techtelmechtel früher oder später ebenso. Meist aber früher. Man fordere dann keinenfalls jeden, von dem man ausgelacht wird, auf Pistolen, weil man von da ab nichts anderes zu tun hätte, als die Lacher zu verwunden oder zu erschießen, oder sich von den Lachern verwunden oder erschießen zu lassen. Wovon man aber nicht leben kann.

Ist man an einen Hof geraten, der so bigott, so in spanischer Etikette verseucht und so langweilig ist, daß die Ahnenbilder gähnen, dann hat man sich doppelt vor lebenslustigen Prinzessinnen zu hüten, weil solche an derlei unerträglichen Höfen sich doppelt nach Abenteuern sehnen, nach Zerstreuungen suchen und am liebsten durchgehen. Da ist man dann um so schutzloser den Prinzessinnen preisgegeben, und ehe man es sich versieht, ist man in die Falle gegangen.

War man aber so unvorsichtig, die Prinzessin zu erhören, so glaube man ihr, daß man im Gegenteil von ihr erhört und daß man nunmehr aus dem Staube emporgehoben worden sei. Alsdann vergesse man aber keinen Augenblick, daß man ein ganz gewöhnlicher Sterblicher ist und daß sich zwischen diesem und der Geliebten eine Kluft befindet, welche unüberbrückbar[9] ist und bleibt. Wenn man sich nunmehr bemüht, kein dummes Gesicht zu machen, so ist alle Mühe umsonst. Man macht es.

Vergißt man nun einmal die Kluft, so schadet dies nicht, denn man wird sofort von der Prinzessin an sie erinnert. Man tut es dann nicht wieder.

Man sage niemals Wir, sondern immer Ew. Königliche Hoheit und ich meine Wenigkeit.

Erhält man von der Prinzessin den Befehl, mit ihr zu fliehen, so fliehe man bescheiden, wie es sich für einen Bürgerlichen ziemt, um nicht schon während der Fahrt in Ungnade zu fallen. Um jeder drohenden Gefahr auszuweichen, fliehe man in der zweiten Klasse und lasse die erhabene Fürstin in der ersten Klasse fliehen. Man fliehe überhaupt immer hinter ihr und nicht an ihrer Seite oder gar vor ihr. Dies wäre gegen den Respekt geflohen.

Man lasse auch die Prinzessin im Speisewagen fliehen, während man selbst in dem Coupé zweiter Klasse die Flucht speisend fortsetzt.

Man gewöhne sein Ohr an den Ruf: Heda!

Mau versorge sich reichlich mit Geld, denn die Prinzessin hat vielleicht keins, und in Geldsachen sieht sie weniger bestimmt, daß die bereits erwähnte Kluft unüberbrückbar ist. Aus demselben Grund unterlasse man es auch nicht, die früheren geschäftlichen Beziehungen, aus denen man bisher seine Nahrung bezog, und auch die Verbindung mit der einstigen und Kundschaft aufrecht zu erhalten, denn man kann nicht wissen.

In der Stadt, in welcher man mit der Geliebten rastet, unternehme man mit ihr ihr keine Spazierfahrt, auch wenn sie mit ihrer Ungnade drohen sollte, falls man bei seiner Weigerung verharre. Denn es ist doch für einen Bürgerlichen nicht angenehm, wenn die Vorsteherinnen von Mädchenpensionaten und Direktoren von Mädchenschulen sich darüber beklagen, daß sie[10] mit ihren Schülerinnen nicht mehr die gewohnten Nachmittagsspaziergänge machen können, wenn sie fürchten müßten, dem interessanten Paar zu begegnen.

Es braucht wohl nicht speziell erwähnt zu werden, daß man sich, das Schnarchen betreffend, wie folgt zu verhalten hat: Schnarcht man selbst, so hat man es sich abzugewöhnen. Schnarcht die Fürstin, so darf man es nicht hören.

Wird man interviewt, so werfe man den Interviewer nicht hinaus, denn man kann ebenso von ihm behandelt, oder gar gehauen werden, was dann die bekannte Runde durch die Zeitungen macht und an den Höfen mit großer Heiterkeit vernommen wird.

Man lese die Zeitungen nur in dem Fall, daß man sich hier und da als Hochstapler, Reklamenheld und Erpresser, der die Geistesschwäche einer für das Irrenhaus reifen älteren Dame mißbraucht hat, um seine Zukunft zu sichern, bezeichnet sehen will. Ferner findet man sich als Abenteurer, als liebenswürdiger Ehrenmann, als Dummkopf und hervorragend geistreicher Mensch, als Bauernfänger und solider Mann, als Schwindsüchtiger und kerngesund, als Streber und höchst ideal angelegte Natur. Hierzu unterziehe man sich der Mühe, sein dazu erscheinendes Porträt ähnlich zu finden.

Da man weiß, daß die Prinzessin ein großes Talent besitzt, sich zu langweilen, so sei man in ihrer Gesellschaft so unterhaltend wie möglich. Man lese ihr nicht zu häufig Goethes Tasso vor, besonders dann nicht, wenn sie amüsiert sein will, und nicht zu dem Busch, wenn es ihr belieben sollte, ernst zu sein. Vor allem sorge man dafür, daß sich die Gnädige nicht langweile, denn wenn sie sich langweilt, so sucht sie Zerstreuung, und da man diesem Suchen den Platz an ihrer Seite verdankt, so könnte ihm nun auch ein Anderer den Platz an ihrer Seite verdanken.[11]

Nimmt man an, daß man von der Prinzessin geheiratet werden wird, wie dumm muß man sein, wenn man dergleichen annehmen sollte! Sollte man aber wider Erwarten ihr Gatte werden, so ist man derart interessant geworden, daß man nicht zu fürchten braucht, keine zweite Frau zu kriegen, wenn man einmal den einer Fürstin schuldigen Respekt außer Augen gelassen hat und durch einen Fußtritt in Ungnade gefallen ist.

Aber man fällt mit einem erfreulichen Trost. Man hat alles selbst verschuldet. Auch hat man dann nicht weiter für den Spott zu sorgen.

Der moderne Knigge sieht wohl ein, daß der Weg zwischen einem Palast und einem Parlamentsgebäude ein sehr langer und beschwerlicher ist, aber er muß doch die Leser bitten, ihn, wenn auch ungern, zurückzulegen, da die beiden bezeichneten Bauwerke in der letzten Zeit dadurch einander näher gerückt sind, daß sich auch


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 4-12.
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