Vorbericht

[15] Ich schreibe meine Lebensgeschichte am Rande des Grabes, und meine grauen Haare sollen nicht mit heuchlerischen Schandflecken besudelt werden. Ich will nicht anders schreiben, als ich denke; nicht anders lehren, als ich zu handeln gewohnt bin; auch so sterben, wie ich gelebt habe.

Einige Hauptvorfälle in meiner Geschichte müssen mit mir begraben werden und ewiges Geheimnis bleiben. Die Personen leben noch, welche durch Entdeckung der Sache beleidigt oder gar wohl unglücklich werden könnten. Gott behüte mich vor Verräterei an meinen Wohltätern und Freundinnen!

Auch meine Berliner Stützen im Unglück empfangen hiermit meinen lauten Dank. Nennen, oder mit dem Finger zeigen werde ich aber die gewiß nicht, denen ich Ehrfurcht und die Erhaltung meines Lebens schuldig bin. Der Leser rate bei dergleichen nur dunkel angebrachten Stellen, was er will. Ich will lieber den Verdacht einer Unwahrscheinlichkeit an meinen Schriften haften lassen, als die Quelle entdecken, aus welcher die Hilfe floß, die sogar die Wächter meines Gefängnisses für meine Rettung aufmunterte und mich in allen Begebenheiten unterstützte. Punktum! Mehr darf ich nicht sagen.

Menschenfreunden, die mich bedauern, empfehle ich meine Kinder. Für mich selbst bedarf ich nichts mehr auf Erden. Ich werde zu leiden aufhören, wenn ich nicht länger leiden will. In allen Fällen wird der Tod den gewiß nicht schrecken, der ihn so wie ich kennen und verachten gelernt hat.


Geschrieben im Schloß Ziperbach

im Jahr 1786

im 60ten Lebensjahr.[16]


Ich wurde geboren am 16. Februar 1726 in Königsberg in Preußen. Mein Vater starb daselbst im Jahre 1740 als königlich preußischer Generalmajor der Kavallerie, Ritter des Militärordens, Landeshauptmann und Erbherr auf Groß-Scharlack, Schakulack und Meicken, welches seit 300 Jahren Trenk'sche Stamm-und Lehnsgüter sind. Er nahm 18 Narben mit ins Grab, die er für das Vaterland aufzuweisen hatte, und der große Friedrich ließ ihn mit dem Ehrenzeichen eines Generallieutenants begraben.

Meine Mutter war eine Tochter des Königsbergischen Hofgerichtspräsidenten von Derschau. Einer ihrer Brüder war der königlich preußische Etatminister und Generalpostmeister der königlichen Staaten in Berlin. Zwei andere Derschau waren Generale der Infanterie.

Sowohl von Vaters wie Mutters Seite sind meine Ahnen in den preußischen Chroniken unter den alten deutschen Ordensrittern bekannt, welche ehemals Kurland, Preußen und Livland eroberten und unter sich in Ämter und Balleien verteilten. Eigentlich stammen die Trenck aus dem fränkischen Kreise.

Ich habe hier deshalb etwas von meinem Stammbaum sagen müssen, weil mich einige geadelte Hanswürste ihres sogenannten Herrenstandes unwürdig glaubten und ausgesprengt hatten, die Trenck'schen Ahnen wären nur slavonische Räuber gewesen und niemals in Wien mit Wappen und Prädikaten begnadigt worden. Gern gestatte ich dem Nationalstolz diese Freude ...

Von meinen Kinderjahren sage ich nichts; dieses Buch soll kein Kinderroman werden. Mein Temperament war sanguinisch-cholerisch; erst im 54sten Jahre wurde das cholerische vorherrschend.

Trieb nach Freuden und Leichtsinn waren folglich die angeborenen Fehler, welche meine Lehrer zu bekämpfen hatten. Das Herz war biegsam; aber eine edle Wißbegierde, ein Nacheiferungsgeist, eine unruhige Arbeitsamkeit, ein bei allen Gelegenheiten[17] angefächelter Ehrgeiz waren die Triebfedern, welche nach dem Entwurfe meines aufgeklärten Vaters einen brauchbaren Mann aus mir bilden sollten. Kaum war ich noch Jüngling, so keimte schon eine Art von Stolz in meiner Seele, welcher in dem Gefühl des inneren Wertes wurzelt. Ein einsichtsvoller Lehrmeister, welcher mich vom 6ten bis in das 13te Jahr leitete, arbeitete aber unausgesetzt, um diesen empörenden Stolz in eine gemäßigte Eigenliebe zu verwandeln. Durch Gewohnheit, ständig mit Schulbüchern beschäftigt zu sein, durch Auffrischung, Erquickungsstunden und Lob, ward mir die Arbeit ein Zeitvertreib, das Lernen eine Gewohnheit und die strengste Erziehung eine ungefühlte Bürde.

Meine natürlichen Talente wurden demnach richtig angewandt und durch tägliche Übung mein Gedächtnis so stark, daß ich innerhalb von 2 Stunden ein ganzes lateinisches Programma von einem Bogen auswendig lernen konnte. Die meisten Schulbücher, den Cicero, Cornelius, Virgil, die ich ins Deutsche und wieder zurück ins Lateinische übersetzen mußte, die ganze heilige Schrift, konnte ich mit vollständigen Kapiteln herunterplappern.

Wenn ein Jüngling einen geduldigen und wirklich gelehrten Instruktor hat, der ihn zugleich liebt und Freude in seiner Unterrichtung findet; wenn dieser Jüngling vom 6ten bis in das 13te Jahr täglich von früh um 5 bis 7 Uhr abends zur Arbeit angehalten wird und zugleich einen leichten Begriff, einen gesunden Körper, einen forschenden Verstand und ein großes Gedächtnis besitzt; wenn seine Lehrer ihn zu lenken und sein Feuer so anzufächeln wissen, daß es keine Funken in wachsende Leidenschaften aussprühen kann: dann allein ist es möglich, daß der Schüler, so wie ich, schon im 13ten Jahr alle Schulstudia gründlich absolvieren und zu den höheren Wissenschaften auf Universitäten schreiten kann.


Die ganze Historie hatte ich nicht nur nach dem Buchstaben, sondern mit aufgeklärter Anwendung im Kopf – so gut, daß ich noch heute, in meinem 60ten Lebensjahr, fast alle römischen Regenten und Kaiser, alle großen Männer und Gelehrten nennen, auch das Säkulum bestimmen kann, in welchem sie lebten. In Geographie und Zeichnen hatte ich ebenso viel getan; noch[18] gegenwärtig will ich jedes Land, ohne die Landkarte anzusehen, mit seinen Grenzen, Flüssen und Hauptstädten auf das Papier malen.

Mein Vater schonte kein Geld, wo Gelegenheit war, etwas zu lernen. Mit Fechten, Tanzen und Voltigieren wurde ich in meinen Erholungsstunden beschäftigt. Und wenn ich irgendwo müde wurde, oder Ekel merken ließ, dann durfte man mir nur versprechen, daß ich nach vollbrachter Lektion ein paar Stunden Vögel schießen, Fische fangen oder spazierenreiten durfte; so war im Augenblick alles memoriert, und Wonne und Freude verbreiteten sich bei der strengsten Kopfarbeit in meine ganze Seele.

Man blieb aber nicht allein bei den toten Büchern, die allein den Kopf anfüllen und den Gelehrten bilden. Man arbeitete zugleich auf das Herz, auf das Sittliche, und auf die moralischen Empfindungen des Jünglings hin.

Vom Katechismus war mein Instruktor kein Liebhaber. Ich hatte schon zu viel die Bibel gelesen und machte ihm Einwürfe, die er meistens mit Schweigen und Lächeln widerlegte. Hingegen wurden mir Tugend, Bescheidenheit, Mäßigung, Bemeisterung mei ner Leidenschaften, Großmut, Menschenliebe, Patriotismus, Ehrgeiz, Bürgerpflicht und Redlichkeit bei jeder günstigen Gelegenheit eingeprägt.

Ewigen Lohn, ewigen Segen wünsche ich für diese wohltätige Erziehungsart dem Schatten meines erleuchteten Vaters, und dem Manne, welcher mich zu bilden gewählt wurde.

Wer einmal an Wissenschaften Geschmack findet und immer in denselben mutig fortzuschreiten entschlossen ist, dem scheint nichts unübersteiglich, der klagt auch im Kerker nicht über Langeweile, der weiß die echten Glücksgüter von Scheingütern zu unterscheiden und bleibt in allen Schicksalsstürmen unbewegt.

Erbauungsstunden durfte man mir wenige gestatten; überall waren Händel, wo ich mich einmischte. Und wo lustige Streiche gespielt wurden, wo man mit verkleideten Gespenstern das Gesinde schreckte, oder wo Zucker und Obst genascht wurden, da war Fritze gewiß der Urheber, allezeit aber sicher im Verdacht. Hierdurch übte ich mich in listigen Ausflüchten, und geriet durch[19] Notlügen in den Verdacht, anderen Leuten eine Nase zu drehen oder die Wahrheit listig zu bemänteln. Denn gegen Gewalt hilft am sichersten der Betrug.

Meine Lebhaftigkeit war unbegrenzt. Durch liebreiche Worte war aber alles von mir zu erhalten, wo gegen mich Schläge und niedrige Handlungen empörten und halsstarrig machten. Die ganze Grundlage meiner Erziehung war demnach auf Ehrgeiz, Lob und Tadel gegründet. Und weil geschwinde Begriffe und unausgesetzte Arbeit mich früher klüger machten als alle Jünglinge, die ich zum Umgang fand; weil ich mich von allen Menschen gelobt und von vielen bewundert sah, so geriet ich unbemerkt aus der Eigenliebe in einen Stolz, in eine gewisse Menschenverachtung oder Tadelsucht, die mir bis zum grauen Haare anhaftete, mir viele Händel in der Welt verursachte und meiner Feder mitunter auch den beißenden satirischen Ton einflößt, der mir bei denen, die mich nicht persönlich kennen, das Urteil eines gefährlichen, unruhigen Mannes eingebracht haben, was doch in der Tat das Gegenteil meines ganzen Charakters ist.

Mein Vater war durch und durch Soldat. Tapfer und Ehrgeizig sollten alle seine drei Söhne werden. Wenn demnach einer den anderen schimpfte oder beleidigte, so durften wir nicht mit den Haaren raufen. Es geschah eine förmliche Aufforderung mit hölzernen Säbeln, die mit Leder überzogen waren; und der Alte sah lächelnd zu, wenn wir uns herumsäbelten, eben hierdurch aber in den Fehler gerieten, Händel zu suchen, um bei jedem Siege gepriesen zu werden. Diese Nachsicht hat mir und meinen Brüdern große Widerwärtigkeiten verursacht.

Nichts konnte mich mehr aufbringen, als wenn ich einen anderen Jüngling loben hörte. Ich wollte mehr wissen als jeder andere; und gleich waren Händel da, wo wir zusammenkamen. Dieser nicht beizeiten gedämpfte Fehler, und die Gewohnheit, daß ich bei allen öffentlichen Prüfungen allezeit der Erste blieb, haben einen so nachteiligen Eindruck in meinen Begriffen von mir selbst verursacht, daß ich in allen Begebenheiten meines Lebens lieber brechen als biegen, keinem stolzen und gebieterischen Menschen nachgeben noch ausweichen wollte; immer einen jeden angriff und beleidigte, welcher mich zu verachten schien; und daß ich mich viel zu früh als ein vorwitziger Jüngling[20] schon in die Klasse der großen Männer aufschwingen wollte.

Hieraus erwuchsen der Neid und alle Verfolgungen, die ich mir bei vielen Gelegenheiten durch Enthaltsamkeit und Mäßigung hätte vom Halse rücken können. War aber einmal der Angriff geschehen und die Bürde aufgeladen, dann gestattete der Ehrgeiz nicht mehr nachzugeben. Verschiedene Versuche glückten, und eben hieraus erwuchs der Fehler, daß ich mit dem besten Menschenherzen, welches niemals jemand meinesgleichen beleidigen konnte, allezeit Freude im Wohltun fühlte, und Wehrlose, oder die, welche von meinen Befehlen abhingen, nicht einmal zu strafen oder gar zu mißhandeln fähig war; dennoch alle die verachtete, auch wohl angriff, welche mit gebieterischem Tone auftraten oder mir als Vorgesetzte unumschränkte Gewalt in Herrschergestalt zeigen wollten.

Das Amt hatte ich nie vom Manne zu unterscheiden gelernt. Ich wollte überall Gerechtigkeit, Großmut und Gelehrsamkeit finden. Alles sollte nach meinen Schulbüchern angeordnet sein. Ich fing an mit Tadeln, dann folgten Spott und satirische Angriffe; hieraus entstanden Feinde, diese wachten arglistig, wenn ich in meiner inneren Tugend wehrlos schlummerte; und allezeit blieb ich das sichere Opfer der Mißgunst oder der gereizten Rache.


Bei der edelsten und besten Fürsorge für meine Erziehung, um einen glücklichen Mann aus mir zu machen, entstand so durch Nachsicht oder Versäumnisse in solchen Grundsätzen, die in despotischen Staaten unentbehrlich sind, eben das Gegenteil des Zweckes. Ein republikanischer, nach erhabenen Grundsätzen zur edelsten Freiheit und Menschenliebe gebildeter Kopf sollte in Friedrichs Staaten mit großen Talenten zu großen Ehren gelangen? Welcher Widerspruch! Man erzog mich für den Dienst eines durch Eigenmacht beherrschten Vaterlandes mit den Grundsätzen, mit dem ganzen Enthusiasmus eines freigeborenen Menschen. Man lehrte mich die Sklavenpeitsche weder kennen, noch ihr ausweichen, sondern verachten.

Das gewöhnliche Jugend- und Kinderglück habe ich nie genossen. Der ganze Tag war mit Anstrengung und Lernen ausgefüllt. Sogar der Schlaf wurde mir deswegen abgekürzt; besonders[21] weil mein Instruktor ein alter Mann war, welcher, weil er selbst wenig schlief, mir auch wenig Ruhe gestattete.

Die Jünglingsfreuden genoß ich noch weniger: denn im 18ten Jahre war ich schon unglücklich und schmachtete im Gefängnis zu Glatz.

Als Mann hatte ich mit tausend Widerwärtigkeiten zu ringen, erlebte zweimal die Konfiskation meines Vermögens und saß vom 27ten Lebensjahr bis zum 37ten im Kerker zu Magdeburg, ohne Tageslicht, gefesselt.

Seit meiner erhaltenen Freiheit hatte ich beständig Drangsale und Verfolgungen zu bekämpfen. Nun bin ich ein Greis; des Alters Schwächen brechen hervor und fordern eine neue Art von Geduld, die mir bisher unbekannt war ... Meine Kinder wachsen heran. Ich mache mir Vorwürfe, ihre Rechte durch meine Unbiegsamkeit verkürzt zu sehen. Ich fühle, daß ich genug gelebt habe und sehne mich nach Ruhe, die für Männer meiner Gattung erst jenseits des Todes zu hoffen ist. Glücklich, wer angesichts dessen mit Seneca sagen kann:

»Wenn mir ein Gott gestattete, daß ich von neuem ein Kind würde, so wäre Nein mein Entschluß, weil ich nach vollendetem Laufe nicht wieder in die Schranken zurückkehren will. Es gefällt mir auch nicht, zu bedauern, daß ich lebe. Noch weniger reut mich, daß ich gelebt habe, weil ich so lebte, daß ich überzeugt bin, ich sei nicht ohne Ursache geboren worden.«


Wenn in einem despotischen Lande ein Jüngling von großen Talenten zur Vaterlandsliebe, zu erhabenen Handlungen, zur Tugend und zum edlen Ehrgeiz angeführt wird; wenn alle seine Begriffe aufgeklärt, gegen Vorurteile kämpfen; wenn Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit allein das Augenmerk seiner Wünsche sind ... dann wird er gewiß kein Hofliebling, kein Wesir, viel weniger ein Polizeidirektor noch Referent, sondern ein sicherer Widersprecher, ein verworfener, ein unglücklicher Mann, wenn nicht gar ein Aufwiegler.

In solchen Staaten ist der Pfaff der sicherste, der beste Lehrer in allen Schulen, Universitäten und Beichtstühlen. Hingegen wird auch in diesen ewig kein großer Mann, kein Scipio noch Newton noch Leibniz hervorkommen. Cicero wird verstummen,[22] Cato den Tod wählen und Sokrates den Giftbecher trinken müssen.

Mein Hauptfehler war allezeit eine übertriebene Freigiebigkeit und Offenherzigkeit. Ich gab mehr, als ich geben sollte, und vergaß mich selbst. Der Grund dazu steckte vielleicht in dem Stolze, welcher die Selbsterhaltung übertraf. Ich verließ mich zu viel auf mich selbst, geriet in Mangel, hierdurch in allerlei Verdrießlichkeiten und war ein wirklicher Verschwender im Wohltun. Warum? Weil ich in meiner Kindheit den Wert des Geldes zu wenig kennen lernte, in Jünglingsjahren hingegen in so günstige Umstände durch die angeborenen Vorteile geriet, daß es mir niemals an Geld fehlte, wovon man in verdeckter Erzählung den Schlüssel in diesem Buche finden wird ...


Nun endlich weiter zur Geschichte selbst.

Im Jahre 1739, also in meinem 13ten Lebensjahre, fand mein Vater es schon notwendig, daß ich die Universitätsstudien anfing und wirklich immatrikuliert wurde. Man übergab mich dem berühmten Professor Kowalewsky, der dem Vaterland viele große Männer herangebildet hat. Bei ihm war ich nebst 14 anderen Edelleuten aus den besten Familien des Reiches in Kost und Wohnung. Der Zwang, die Ordnung, die Strenge in diesem Lehrhause gefiel zwar dem neugebackenen Studenten nicht. Ich war unter mehr als 3500 der Jüngste und wußte mehr als ein 24jähriger Akademiker. Jedermann bewunderte meine Jugend und Fähigkeiten, weil es fast ohne Beispiel ist, daß ein Jüngling von 13 Jahren schon auf lutherischen Universitäten Student wird und alle erhabenen Lehrstühle zu besuchen imstande ist. All dieses steigerte meine Wißbegierde, aber auch meine Selbstschätzung.

Im Jahre 1740 im März starb mein rechtschaffener Vater, und meine Mutter heiratete in zweiter Ehe den Grafen Lostange, Obristlieutenant des Kiow'schen Kürassierregiments, verließ Preußen und folgte ihrem Manne nach Breslau. Meine Schwester heiratete den einzigen Sohn des alten Generals der Kavallerie von Waldow, welcher den Dienst quittierte und mit ihr auf seine Güter nach Hamme in das Brandenburgische reiste. Ich verlor also alles, was ich liebte, und mein zweiter Bruder trat als[23] Fahnenjunker in das Kiow'sche Regiment; den jüngsten hingegen nahm meine Mutter mit nach Schlesien.


Ich war also allein und mir selbst überlassen. Mein Vormund war der Hofgerichtspräsident von Derschau, mein Großvater, einer der gelehrtesten Männer im Lande. Dieser liebte mich grenzenlos; ich mußte ganze Tage bei ihm zubringen, er fand Freude in meiner Belehrung, und ich habe ihm viele Kenntnisse zu verdanken. Er war stolz auf seinen Enkel, gestattete mir liebreich alle kleinen Ausschweifungen und gab mir mehr Geld, als ich brauchte.

In meinen Studien versäumte ich nichts, hörte die Collegia Juridica, Physica, Methaphysica und Philosophica zugleich, repetierte sie alle in Privatstunden bei meinem Professor zu Hause und war wegen meines geübten und außerordentlichen Gedächtnisses der Liebling und die Bewunderung aller meiner Lehrer. Auch in der Ingenieurkunst war ich bald einer der Geschicktesten im Zeichnen. Die italienische und französische Sprache hatte ich zu Hause gelernt.

Zu Ende des Jahres 1740 geriet ich in Händel mit einem gewissen Herrn von Wallenrodt, der mit mir zusammen studierte. Als baumstarker Mann verachtete er meine Jugend und gab mir eine Ohrfeige. Ich forderte ihn als Student auf die Klinge. Er erschien nicht, und spottete meiner. Deshalb wählte ich meinen Sekundanten und griff ihn auf der Straße mit dem Degen an. Wir schlugen uns, und ich hatte das Glück, ihn im Arm und zuletzt in der Hand zu verwunden.

Herr Doktor Kowalewsky, mein Hausherr, verklagte mich bei der Universität. Ich wurde mit drei Stunden Arrest beim Pedell bestraft. Mein Großvater aber, welchem mein Feuer gefiel, nahm mich sogleich aus diesem Hause und übergab mich dem Professor Christiani im von der Graben'schen Stipendienkollegio.

Hier genoß ich nun vollkommenste Freiheit; und diesem Manne habe ich alle meine physischen Kennt nisse und viele Wissenschaften zu danken. Er liebte mich väterlich, unterhielt sich zuweilen bis Mitternacht mit mir in gelehrten Unterredungen und brachte mir den wahren Geschmack für Literatur und[24] die erhabensten Wissenschaften bei. Er brachte mir die ersten Grundsätze der Menschenkenntnis bei, von der Physiognomie und Anatomie.

Unter seiner Führung hielt ich im Jahre 1742 eine öffentliche Rede und zwei Disputationen im Universitätsoratorio mit allgemeinen Beifall. Denn im 16ten Lebensjahre hatte vor mir noch keiner diese Ehre genossen, diese Proben abgelegt.

Drei Tage nach der letzten Dissertation wurde ich von einem gewissen Händelmacher und Renommisten gereizt und fast gezwungen, mich mit ihm zu duellieren. Ich brachte ihm eine Verwundung in der Hüfte bei, und gleich darauf erschien ich mit Stolz auf der Universität mit einem großen Degen und Renommisten-Handschuhen.

Kaum vierzehn Tage nach dieser Geschichte beleidigte ein Lieutenant von der Garnison meinen Freund, der ein verzagtes Herz im Busen trug. Ich übernahm seine Sache, suchte Gelegenheit, fand sie; wir schlugen uns unweit des Schloßplatzes, und mein Gegner ging mit zwei Wunden nach Hause.

Hier muß ich zur Aufklärung nur dieses anmerken, daß damals die Universität noch große Privilegien genoß; das Raufen war noch eine Ehre und erlaubt, auch fast nicht zu hindern, weil allein in Königsberg gegen 500 liv- und kurländische, schwedische, dänische und polnische feurige Edelleute studierten. Seitdem ist alle Unordnung eingeschränkt worden, hingegen die Universität in Verfall geraten, bis endlich gegenwärtig verfeinerte Sitten die studierende Jugend überzeugt haben, daß man auf Universitäten wetteifernd lernen, aber nicht raufen und sich die Glieder verstümmeln müsse, die allein für das Vaterland und mit Ehre bluten dürfen.


*


Im November 1742 schickte der König seinen Generaladjutanten, den Baron Willich von Lottum, in Geschäften nach Königsberg. Er war ein Verwandter meiner Mutter. Ich aß mit ihm zu Mittag bei meinem Großvater, er ließ sich mit mir in Unterredung ein, prüfte mich durch verschiedene Fragen. Endlich brachte er scherzend vor, ob ich nicht mit ihm nach Berlin reisen[25] und für das Vaterland den Degen wie alle meine Vorfahren führen wolle? Bei der Armee sei bessere und ehrwürdigere Gelegenheit zum Raufen als auf der Universität. Soldatenblut rollte in meinen Adern; gleich sagte ich Ja und reiste in wenigen Tagen mit ihm nach Potsdam.

Den Tag nach unserer Ankunft wurde ich dem Könige vorgestellt, welcher mich schon vom Jahr 1740 her kannte, da ich ihm von der Universität als einer der Geschicktesten vorgestellt wurde. Gnädig, liebreich wurde ich empfangen. Einige richtige Antworten auf Friedrichs erleuchtete Fragen, und mein vorzüglicher Wuchs, mein ganz freies, unerschrockenes Wesen gefiel ihm, und sogleich erhielt ich die Uniform der Garde du Corps als Kadett, mit der Versicherung meines künftigen, meinem Verhalten angemessenen Glücks.


Die Garde du Corps war damals die Pflanz- und Lehrschule der preußischen Kavallerie. Sie bestand nur aus einer Eskadron auserlesener Leute von der ganzen Armee. Die Uniform war die prächtigste in ganz Europa, und die Equipage eines Offiziers kostete 2000 Reichstaler, weil sogar der Kürass mit massivem Silber überzogen war und mit seinen Beschlägen und Reitzeug allein 700 Reichstaler kostete. Die Eskadron bestand zwar nur aus 6 Offizieren und 144 Mann; wir hatten aber allezeit 50 bis 60 überzählige Reiter, auch ebenso viele Pferde; denn alles, was der König schön fand, wurde zur Garde geschickt.

Die Offiziere dieses Korps sind die ausgesuchtesten Talente im ganzen Staate. Der König selbst bildet sie; dann werden sie gebraucht, um die ganze Kavallerie die Mannöver zu lehren, und sie sind entweder in kurzer Zeit glücklich, oder durch den mindesten Fehler kassiert, oder in die Garnisonregimenter gesteckt. Sie müssen alle Mittel von Hause haben, damit sie sowohl bei Hofe wie in der Armee zu brauchen sind.

Kein Soldat auf Erden ist wohl mehr geplagt als ein Garde du Corps; in Friedenszeiten habe ich oft in 8 Tagen nicht so viele Stunden zur Ruhe übrig gehabt. Früh um 4 Uhr schon geht das Exerzieren an. Alle Versuche, die der König mit der Kavallerie machen will, geschehen hier; man springt über Gräben von 3, dann 4, dann 5 und 6 Fuß, dann weiter, bis einige[26] im Probieren die Hälse brechen. Man setzt über Zäune, macht Karriereattacken von einer halben Meile, und oft kamen wir mit einigen toten und invaliden Menschen, auch Pferden, zurück. Öfters nachmittags, wieder mit frischen Pferden heraus.

In Potsdam wurde zuweilen in einer Nacht zweimal Alarm geblasen. Die Pferde standen in den königlichen Reitställen, und wer nicht binnen 8 Minuten gesattelt und bewaffnet vor dem Schloß erschien, der mußte 14 Tage in Arrest. Kaum war man zu Hause im Bett, so wurde wieder geblasen, um die Wachsamkeit der Jugend zu üben. In einem Jahr habe ich im Frieden 3 Pferde verloren, die beim Exerzieren und Grabenspringen die Beine brachen oder überritten wurden. Kurz gesagt: die Garde du Corps verlor damals im Friedensjahr mehr Menschen und Pferde als vor dem Feinde in folgenden Kriegsjahr in zwei Bataillen.

Wir hatten damals dreierlei Quartiere; im Winter bei den Hoffesten und Opern in Berlin, im Frühling zur Exerzierzeit in Charlottenburg und den Sommer hindurch in Potsdam, oder dort, wo der König war. Alle sechs Offiziere hatten die Tafel mit dem König, an Galatagen bei der Königin einzunehmen. Folglich kann wohl keine bessere Lehrschule für den Soldaten oder für den Weltmann sein als diese.


*


Nun war ich kaum drei Wochen Kadett, als mich der König nach der Kirchenparade auf die Seite rief und mich wohl eine halbe Stunde lang in allen Fächern examinierte. Er befahl mir, am folgenden Tag zu ihm zu kommen.

Er stellte mein ihm als so wunderbar gerühmtes Gedächtnis auf die Probe. Er legte mir 50 Soldatennamen vor, und innerhalb von 5 Minuten waren sie memoriert. Er gab mir Stoff zu zwei Briefen, die ich in französischer und lateinischer Sprache zugleich verfertigte, einen selbst schrieb, den anderen in die Feder diktierte. Und in derselben Geschwindigkeit mußte ich mit dem Bleistift eine Gegend aufnehmen.

Auf der Stelle ernannte er mich zum Kornett der Garde du Corps; und jeder Ausdruck seiner königlichen Beredsamkeit[27] war ein Feuerfunken, der meine ganze Seele für ihn, für seinen Dienst und für das Vaterland in hellen Flammen brennen machte. Er sprach als König, als Vater und zugleich als Kenner und Schätzer großer Talente. Er sprach und empfand, was von mir zu erwarten war; und von diesem Augenblick an war er selbst mein Lehrer, mein Freund, und mein Monarch.

Mein Kadettenstand hatte also kaum drei Wochen gedauert; und wenige können sich rühmen, in meinem Vaterlande unter des weisen Friedrichs Szepter ein solches Glück erlebt zu haben.


Nun war ich Offizier von der ersten Garde. Der König schenkte mir zwei Pferde aus seinem Stall, auch 1000 Reichstaler als Beitrag zu der kostbaren Equipage. Von jetzt an war ich ein Hofmann, ein Gelehrter und ein Offizier bei der schönsten, ehrwürdigsten und lehrreichsten Soldatenschule in Europa. Meine Anstrengung im Dienst kannte keine Grenzen, so daß mich der König schon im August 1743 dazu erwählte, die schlesische Kavallerie in den neuen Manövern zu unterrichten, welche Ehre noch keinem Jüngling im 18ten Jahre vor mir widerfahren war.

Wir hatten im Winter unsere Garnison in Berlin, wo die Offiziere die Tafel bei Hofe genossen. Und da der Ruf meines außerordentlichen Gedächtnisses mich bald beliebt und bekannt machte, so lebte niemand auf Erden angenehmer als ich.

Der Monarch empfahl mich selbst seiner gelehrten Gesellschaft. Voltaire, Maupertuis, Jordan, la Mettrie, Pöllnitz wurden meine Freunde. Ich arbeitete bei Tage in der Soldatenschule und in der Nacht an der Erweiterung meiner Kenntnisse in den Wissenschaften. Pöllnitz war mein Führer und Busenfreund und überhaupt mein Glück beneidenswürdig.

Im Jahre 1743 war ich bis auf 5 Schuh 11 Zoll herangewachsen. Die Natur hatte mir keine Vorteile versagt, wodurch man gefallen und die Herzen der Menschen gewinnen kann. Ich lebte ohne Feind, ohne Neider, und meine Wollust bestand in der edelsten Art von Ruhmsucht.

Im Winter 1743 war das Beilager der Schwester des Königs, der gegenwärtigen verwitweten Monarchin in Schweden und Mutter des regierenden Gustavs. Ich hatte als Offizier der Garde dabei die Ehrenwache und das Glück, die königliche Braut bis[28] nach Stettin zu eskortieren. Bei diesem Beilager, wo das Gedränge im Saal zum Erstaunen war, und ich die Inspektion hatte, wurde mir selbst, als wachhabendem Offizier, der hintere Teil der rotsamtenen Überweste mit der reichen Stickereiarbeit von einem Spitzbuben weggeschnitten und zugleich die Uhr gestohlen.

Dieses verursachte ein scherzendes Gespött mit dem gestutzten wachhabenden Offizier, und eine große Dame sagte mir bei vorteilhafter Gelegenheit: Sie würde mich über meinen Verlust beruhigen ...

Der Ausdruck war von einem Blick begleitet, den ich gern verstand; und innerhalb von wenigen Tagen war ich der glücklichste Mann in Berlin.

Es war unsere beiderseitige erste Liebe. Und da sie meinerseits mit der tiefsten Ehrfurcht verbunden war ... so reut mich ewig kein Unglück, welches aus so edler Quelle sich in mein ganzes Schicksal verbreitete – das Geheimnis folgt mir sicher bis zum Grabe.

Und ob gleich dieses Schweigen einen leeren Raum in dem wichtigsten Vorfall meiner Lebensgeschichte verursacht, und einige Haupträtsel dem Leser hierdurch unauflöslich bleiben, so würden mich zwar einige alte noch lebende Preußen allein verstehen; und diese lesen meine Schriften gewiß nicht mehr.

Für die jetzige, auch für die Nachwelt, will ich lieber einige Vorwürfe untreuer Erzählung dulden, lieber hin und wieder in meinem Roman undeutlich erscheinen, als an einer Freundin und Wohltäterin undankbar handeln. Sie lebt noch, und denkt für mich noch ebenso wie vor 43 Jahren. Ihrem Umgange habe ich die Politur meiner sittlichen und persönlichen Eigenschaften zu danken. Auch im Unglück hat sie mich nie verachtet, nie verlassen; und meinen Kindern allein werde ich sagen, wem sie für meine Erhaltung Dank schuldig sind.


*


Nun war ich also in Berlin auf allen Seiten glücklich. Ich war geachtet, mein König zeigte mir Gnade bei allen Gelegenheiten, meine Freundin gab mir mehr Geld, als ich brauchte, und bald war meine Equipage die prächtigste bei der Garde.[29]

Mein Aufwand fiel in die Augen, denn von meinem Vater hatte ich nur das Stammgut Groß-Scharlack geerbt, welches etwa 1000 Taler eintrug; ich brauchte aber manchen Monat mehr. Man fing an zu raten, zu mutmaßen – wir waren aber beiderseits so vorsichtig, daß sicher niemand etwas entdecken konnte, außer dem Monarchen selbst, der mir, wie ich hernach erfuhr, nachspähen ließ, wenn ich aus Potsdam oder Charlottenburg heimlich ohne Urlaub nach Berlin sprengte, bei der Wachtparade aber wieder gegenwärtig war. Ein paar Mal wurde meine Abwesenheit verraten. Mir gebührte Arrest; der König war aber mit der Entschuldigung zufrieden, ich sei auf der Jagd gewesen, und lächelte gnädig bei dem Pardon.

Angenehmer, glücklicher und wirklich blühender und auch nützlicher hat wohl kein Mensch in der Welt die feurigsten Jugendjahre zugebracht wie ich in Berlin. Einen ganzen Band von Vorfällen und Nebengeschichten hätte ich hier zu schreiben, auch solchen, die in die Politik hineinspielen. Meine eigene fordert aber zu viel Raum, und in diese meine tragische Lebensgeschichte gehören keine verliebten Abenteuer.

Im Anfang des Septembers 1744 brach das Kriegsfeuer zwischen Österreich und Preußen von neuem aus, und wir marschierten eilfertigst und ungehindert durch Sachsen nach Prag. Was der große Friedrich uns an eben dem Morgen, da wir sämtliche Offiziere vor dem Abmarsch bei ihm in Potsdam erschienen, mit wirklich rührender Wehmut sagte – dieses darf ich in diese Blätter nicht rücken. – Wer jemals seine und Theresiens Biographie redlich und ohne Furcht noch Schmeichelei schreiben darf, der melde sich bei mir wegen einiger bewunderungswerter Anmerkungen, die ohne mich der Nachwelt nie bekannt würden, auch unter meinem Namen nie bekannt werden sollen. Jeder Monarch hat recht, wenn er Krieg anfängt, und in beiderseitigen Kirchen wird um den Segen der Waffen und der gerechten Sache gebeten.

Genug gesagt! Diesmal ergriff Friedrich die Waffen ungern, und hiervon bin ich Augenzeuge. Wenn ich nicht irre, so stand die Armee des Königs am 14. September vor Prag; und die Schwerin'sche, welche aus Schlesien kam, traf einen Tag später jenseits der Moldau ein.

In diesem Feldzuge sahen wir den Feind nur allezeit von[30] weitem; seine leichten Truppen, die den unsrigen in der Zahl dreifach überlegen waren, hinderten uns aber an jeder Fouragierung. Mangel und Hunger zwangen uns zum Rückmarsch, weil hinter uns im Durchmarsch alles verzehrt oder zugrundegerichtet war. Die rauhe Witterung im November machte den Soldaten unwillig, und innerhalb von 6 Wochen verloren wir 42000 Mann durch Krankheit, hauptsächlich aber durch Desertion.

Das Trenck'sche Pandurenkorps saß uns überall im Nacken, verursachte große Unruhen und Schaden, ohne daß sie jemals auch nur in Kanonenschuß-Nähe kamen. Endlich überschritt Trenk die Elbe und verbrannte alle unsere Magazine zu Pardubitz.

Es wurde also der Rückzug beschlossen.

Die ganze Kavallerie war durch Fouragemangel zugrundegerichtet. Die rauhe Witterung und die Beschwerden schlechter Wege, täglicher Marsch, Beunruhigung durch leichte Truppen machten zugleich den Soldaten unwillig; ein Drittel der Armee lief davon.

Wäre uns in diesem Zustande Prinz Karl gefolgt, wir hätten ihn gewiß nicht im darauffolgenden Juni bei Striegau total geschlagen.

Prag mußte mit großen Verlusten aufgegeben werden, und Tabor, Budweis und Frauenberg eroberte der Trenck, wo er die Regimenter Walrabe und Kreutz gefangennahm.

Diesen ganzen Feldzug könnte niemand besser, noch aufrichtiger schildern als ich, weil ich Adjutantendienste beim König verrichtete, zum Lagerabstecken und Rekogniszieren gebraucht wurde und über 6 Wochen hindurch die Fouragierung für das Hauptquartier zu besorgen hatte, weshalb ich ständig mit berittenen Jägern und Husaren im Lande herumschwärmte, die ich nach Gutbefinden anfordern konnte, weil der König mir nur 6 Mann Freiwillige von der Garde mitzunehmen gestattete.

Hingegen habe ich im ganzen Feldzuge wenige Nächte im Zelte geschlafen, und mein unermüdlicher Diensteifer brachte mir die vollkommenste Gnade des Monarchen und sein ganzes Zutrauen ein. Öffentliches Lob erhitzte mich bis zum Enthusiasmus, wenn ich zufällig das Glück hatte, an solchen Tagen mit[31] 60 und 80 Fouragewagen im Hauptquartier einzutreffen, wogegen alle unsere anderen Fouragiere versprengt, verlaufen und mit leeren Händen nach Hause kamen, wo Mangel und Hunger einzureißen begannen und niemand, wegen der umherwimmelnden Panduren und Husaren, einen Schritt vor die Fronten wagen durfte. Sobald wir in Schlesien eingerückt waren, marschierte unsere Garde nach Berlin in die Winterquartiere.


Ich schildere hier nicht den böhmischen Krieg, muß aber, da ich über mich selbst schreibe, alles das anmerken, was Einfluß auf mein Schicksal hatte, nämlich:

Bei Groß-Benneschau ritt ich mit 30 Husaren und 20 Jägern auf Fouragierung, kommandierte die Husaren in ein Kloster und rückte selbst mit den Jägern in ein herrschaftliches Schloß, wo wir Wagen zusammentrieben und im Meierhofe Heu und Stroh aufzuladen begannen.

Ein österreichischer Husarenlieutenant mit 36 Pferden hatte mich und meine Schwäche aus einem verdeckten Gebüsch beobachtet. Meine Leute waren alle im Aufladen begriffen, meine unvorsichtigen Posten wurden überrumpelt, und auf einmal war der Feind im Meierhofe. Alle meine Leute wurden gefangen. Ich selbst aber saß ruhig im Schloß bei der jungen gnädigen Frau und sah mit Schrecken, aber wehrlos, aus dem Fenster dem Spektakel zu. Unentschlossen und schamrot über meine Unvorsichtigkeit wollte mich eben die gute Frau verstecken, als ich auf einmal im Hofe feuern hörte. – Kurz gesagt, meine Husaren, die ich in das Kloster detachiert hatte, erhielten von einem Bauern Nachricht, daß ein österreichisches Kommando im Busche lauere. Sie sahen sie von weitem auf meinen Meierhof schleichen, sprengten mit verhängtem Zügel nach und überfielen sie kaum zwei Minuten, nachdem sie mich überfallen hatten.

Wie schnell, wie freudig sprang ich hinunter! Etliche Husaren entwischten zum Hintertor hinaus; wir machten aber 22 Gefangene, nebst einem Lieutenant vom Kalnockischen Regiment; zwei waren erschossen, fünf verwundet. Von meinen Leuten hingegen waren zwei Jäger, die wehrlos im Heustall arbeiteten, niedergehauen worden.

Gleich wurde die Fouragierung mit mehr Vorsicht weitergeführt.[32] Die erbeuteten Pferde dienten als Vorgespanne, und nachdem ich im benachbarten Kloster 150 Dukaten abgeholt und diese unter meine Leute verteilt hatte, um ihnen das Maul zu stopfen, marschierte ich zur Armee, von der ich etwa zwei Meilen entfernt war. Auf allen Seiten um mich herum hörte ich schießen, überall wurden Fouragiere aufgegriffen, ein versprengter Lieutenant mit 40 Pferden schloß sich mir an; dies stärkte meine Bedeckung, hinderte mich aber, in das Lager zu kommen, da ich Nachricht erhielt, daß mehr als 800 Husaren und Panduren vor mir herumschwärmten. Ich zog mich seitwärts, nahm einen Umweg und kam mit meinen Gefangenen und 25 beladenen Wagen glücklich im Hauptquartier an.

Der König saß eben bei der Tafel, als ich ins Zelt eintrat. Und weil ich die Nacht ausgeblieben war, hatte jedermann geglaubt, ich sei gefangen worden, was an diesem Tage verschiedenen anderen geschehen war.

Gleich nach dem Eintritt fragte der König:

Kommt Er allein?

Nein, Ihro Majestät! Ich bringe 25 beladene Wagen und 22 Gefangene mit ihren Pferden und Offizieren!

Gleich mußte ich mich zu ihm zu Tische setzen; er wandte sich zu dem neben ihm sitzenden englischen Gesandten und sagte, indem er mir auf die Schulter schlug:

C'est un matador de ma jeunesse!

Die Pferde warteten schon vor dem Zelt; er wollte zum Rekognoszieren ausreiten. Er stellte wenig Fragen, wobei ich bei jeder einzenen zitterte und mich mit großer Müdigkeit entschuldigte. Nach etlichen Minuten stand er vom Tisch auf, besah sich die Gefangenen, hing mir eigenhändig den Orden Pour le merite um den Hals, hieß mich ruhen, und ritt davon.


Wie mir dabei zu Mute war, ist leicht zu erraten. Ich hatte wegen grober Unvorsichtigkeit bei dieser Begebenheit die Kassation verdient – und wurde belohnt. Ist dies nicht ein sichtbares Vorbild unserer gewöhnlichsten Weltbegebenheiten? Wie mancher General hat durch einen Fehler eine Schlacht gewonnen, die man später seiner Weisheit zuschrieb! Der rechtschaffene Unteroffizier verdiente eigentlich, was ich erhielt.[33]

Bei vielen Vorfällen meines Lebens, wo ich Ruhm und allgemeinen Beifall, Ehre und Achtung erwarten sollte, waren Schmach und Fesseln mein Lohn. Und der Monarch, welchem ich mit Herz und Seele diente, wurde durch Verleumdung und falschen Schein hintergangen, übereilte sich im Urteil und strafte mich wie einen treulosen Übeltäter.

Indessen war die Furcht, daß die Wahrheit, wobei so viele Zeugen reden konnten, bekannt werden und man mich öffentlich beschimpfen würde, eine Folter, die mir alle Ruhe und Freude raubte. An Geld fehlte es mir nicht. Ich gab jedem Unteroffizier 20 und jedem Gemeinen einen Dukaten aus meinem Beutel, um Verschwiegenheit zu erwirken. Die Leute liebten mich und versprachen alles. Indessen nahm ich mir vor, bei der ersten Gelegenheit dem König die Wahrheit zu sagen.

Diese ergab sich binnen zwei Tagen. Wir marschierten; ich führte als Kornett den ersten Zug, und der König ritt neben der Paukenwache. Er winkte mir und redete mich an:

Jetzt erzähl Er mir, Trenck! Wie hat Er Seinen letzten Coup gemacht?

Ich glaubte sicher, daß ich bereits verraten wäre. Der Monarch machte aber bei der Frage eine so gnädige Miene, daß ich frischen Mut faßte und ihm alles trocken erzählte, wie es wirklich zugegangen war. Ich bemerkte Verwunderung in seinen mir bereits vertrauten Gesichtszügen, aber ebenso, daß ihm meine Offenheit gefiel. Diesen Augenblick benutzte ich dergestalt zu einem reueerfüllten Vortrag, daß er mir nicht einmal einen Verweis gab. Er sprach eine halbe Stunde lang nicht als König, sondern als Lehrer und Vater, lobte meine Offenherzigkeit und schloß mit den Worten, die ich ewig nicht vergessen werde:

Folg Er meinem Rate – vertrau Er sich mir ganz – ich will aus Ihm einen Mann machen!

Von diesem Augenblick an war mein ganzer Wunsch, meine Zielscheibe die Ehre, für meinen König zu arbeiten, für mein Vaterland zu bluten. Das ganze Vertrauen dieses scharfsinnigen Monarchen war von diesem Augenblick an für mich gewonnen, und ich empfand den ganzen Winter hindurch täglich Merkmale desselben in Berlin, wurde meistens mit in seine gelehrten Gesellschaften gezogen und meine Aussichten waren beneidenswürdig.[34]

Überdies erhielt ich in diesem Winter mehr als 500 Dukaten an Geschenken, und der Neid fing zugleich an, seine Tücke an mir auszuüben, weil ich zum Hofmanne eine zu redliche, zu offenherzige Seele besaß.


Noch einen Vorfall muß ich aus diesem Feldzuge bekannt machen, der in der Geschichte Friedrichs merkwürdig ist.

Bei der Retirade aus Böhmen war der König selbst nebst der Garde zu Pferde, zu Fuß, den Pikets der Kavallerie, mit dem ganzen Hauptquartier und dem zweiten und dritten Bataillon Garde in Kolin; wir hatten nur vier Feldstücke bei uns, unsere Eskadron lag in der Vorstadt. Gegen Abend wurden unsere Vorposten in die Stadt getrieben, die Husaren sprengten einzeln hinein – die ganze Gegend wimmelte von feindlichen leichten Truppen, und mein Kommandeur schickte mich zum König, um Befehl zu holen. Nach vielem Suchen fand ich den König auf dem Kirchturm mit dem Perspektiv in der Hand. Nie habe ich ihn so unruhig, so unentschieden gesehen wie an diesem Tage. – Der Befehl war:

Wir sollten sogleich retirieren, durch die Stadt marschieren und in der anderen Vorstadt gesattelt und gezäumt bereitstehen.

Kaum waren wir in derselben angelangt, als es zu regnen begann und die dickste Finsternis hereinbrach. Gegen 9 Uhr abends erschien der Trenck mit seinen Panduren und Janitscharenmusik, zündete etliche Häuser an – die Stadt war so hell, daß man uns gewahr wurde, und fing an, aus den Fenstern zu feuern. Die Verwirrung wurde allgemein – die Stadt war so voll, daß wir nicht hinein konnten; das Tor war gesperrt, und über demselben feuerten unsere kleinen Feldstücke. Der Trenck hatte das Wasser abgraben lassen, und um Mitternacht standen wir mit den Pferden bis an den Bauch in der Flut, wirklich wehrlos. Wir verloren sieben Mann, und mein Pferd wurde am Halse blessiert.

Sicher ist, daß der König in dieser Nacht mit uns allen gefangen worden wäre, wenn mein Vetter seinen beabsichtigten Sturm (wie er mir in der Folge selbst erzählte), hätte ausführen können. Es wurde ihm aber mit einer Kanonenkugel der Fuß zerschmettert. Man trug ihn zurück, und das Pandurenfeuer[35] hatte ein Ende. Tags darauf erschien das Nassauische Corps zu unserer Hilfe. Wir verließen Kolin, und während des Marsches sagte der König zu mir:

Sein sauberer Herr Vetter hätte uns heute nacht einen garstigen Streich versetzen können! Er ist aber laut Deserteur-Bericht erschossen worden.

Der König fragte mich, wie nahe ich mit ihm verwandt sei – und hierbei blieb es.


*


In der Mitte des Dezembers trafen wir in Berlin ein. Hier war ich nun wieder der glücklichste Mensch und mit offenen Armen empfangen. Ich war aber weniger vorsichtig als im vorigen Jahr, vielleicht auch mehr beobachtet.

Ein Lieutenant von der Fuß-Garde, der zugleich ein öffentlicher Ganymed war (und gegen den ich ohnedies schon einen natürlichen Haß, wie gegen alle solche Schufte, im Herzen trug), griff mich wegen meiner geheimen Liebe mit Sticheleien an. Ich hieß ihn einen et cetera – wir griffen zum Degen, und ich brachte ihm einen Hieb ins Gesicht an. Bei der Kirchenparade am darauffolgenden Sonntag nach dieser Begebenheit, sagte mir der König im Vorbeigehen:

Herr! Der Donner und das Wetter wird Ihm aufs Herz fahren – – nehm Er sich in acht! – –

Wenige Zeit danach kam ich einige Augenblicke zu spät auf die Parade. Der König, welcher mich schon beobachtet und vermißt hatte, schickte mich nach Potsdam zur Garde zu Fuß in Arrest, wo ich auf der Langen Brücke mein Zimmer erhielt.

Nachdem ich 14 Tage gesessen, kam der Obrist Graf Wartensleben zu mir und riet mir, ich sollte um Gnade bitten – ich war noch zu unerfahren in Hofränken und merkte nicht, daß ich mit einem Kundschafter sprach. Ich stellte mich unwillig über den langen Arrest für einen Fehler, der gewöhnlich mit drei, höchstens sechs Tagen abgebüßt wird, und blieb also sitzen.

Abermals verflossen acht Tage – der König kam nach Potsdam – ich wurde von Genral Borck, Generaladjutanten des Königs, ohne den Monarchen zu sehen, mit Briefen nach Dresden geschickt.[36]

Bei meiner Zurückkunft meldete ich mich bei dem Monarchen auf der Parade – und da die Eskadron in Berlin stand, fragte ich:

Befehlen Euer Majestät, daß ich zur Eskadron nach Berlin reite?

Die Antwort war:

Wo kommt Er her?

Aus Dresden.

Wo war Er, ehe Er nach Dresden ritt?

Im Arrest.

So gehe Er wieder hin, wo Er gewesen ist!

Und hiermit war ich wieder Arrestant und blieb es wirklich bis auf drei Tage vor dem Abmarsch, da wir im Anfang Mai aufbrachen und nach Schlesien mit schnellen Schritten zum zweiten Feldzuge marschierten.


*


Nun muß ich einen Hauptvorfall umständlich erzählen, woraus in eben diesem Winter die eigentliche Quelle aller meiner in der Welt erlittenen Drangsale entsprang. Ich bitte meine Leser, sich diese Stelle zu merken, und mich im Voraus zu bedauern, weil aus der unschuldigsten Ursache der rechtschaffenste Mann, der beste Patriot des Königs verdächtig und in ein solches Gewebe von ineinanderfließenden Folgen verwickelt wurde, aus welchem ich mich vom 19ten bis in das 60ste Lebensjahr noch nicht habe befreien können. Hier ist die treue und längst öffentlich bestätigte Erzählung, die mir und meinem Schicksal Ehre macht.

Franz Freiherr von der Trenck1, welcher die Panduren in kaiserlichen Diensten kommandierte, war 1743 in Bayern schwer blessiert worden. Er hatte meiner Mutter nach Preußen geschrieben und ihr gemeldet, daß er ihren ältesten Sohn zum Universalerben ernannt habe. Diesen Brief schickte mir meine Mutter[37] sogleich nach Potsdam. Ich ließ ihn aber unbeantwortet, weil ich damals mit meinem Zustand, mit meinem Monarchen so zufrieden war, so zufrieden zu sein Ursache hatte, daß ich mein Glück nicht mit den Schätzen der Mogulen vertauscht hätte.

Nun war ich am 12. Februar 1744 in Berlin bei meinem Garde du Corps-Kommandanten, dem Rittmeister von Jaschinsky, welcher in der Armee Oberstenrang hatte, nebst dem Lieutenant von Studnitz, und meinem damaligen Zeltkameraden, dem Kornett von Wagnitz, in Gesellschaft. Letzterer lebt noch und ist kommandierender General der Hessen-Kassel'schen Kavallerie.

Hier kam nun die Rede auf den österreichischen Trenck, und Jaschinsky fragte mich, ob ich mit ihm verwandt sei. Die Antwort war Ja; und zugleich er zählte ich, daß er mich zum Universalerben eingesetzt habe. – Er fragte: Was ich ihm geantwortet habe?

Gar nichts.

Hierauf munterte mich die ganze Gesellschaft auf, ich sollte bei einem so wichtigen Glücke weder gleichgültig noch undankbar sein und wenigstens danken, und die gute Gesinnung für die Zukunft zu erhalten suchen.

Mein Chef setzte hinzu:

Schreiben Sie ihm, er soll Ihnen gute ungarische Pferde zur Equipage schicken! Geben Sie mir den Brief, ich will ihn durch den schlesischen Legationsrat von Bossart bestellen lassen unter der Bedingung, daß ich auch ein ungarisches Pferd erhalte. Es handelt sich nicht um eine Staats-, sondern um eine private Familienkorrespondenz. Die Verantwortung nehme ich auf mich – und so weiter ...

Sogleich setzte ich mich nieder, schrieb, folgte dem Rate meines Vorgesetzten. Und wäre mir jemals ein Verhör über diesen Vorfall gestattet worden, so hätten die 4 gegenwärtigen Zeugen, die den Inhalt des Briefes kannten, meine reine Unschuld sonnenklar gerechtfertigt. Jaschinsky übernahm also diesen Brief offen, versiegelte ihn selbst und hat ihn auch wirklich zu meinem Unglück befördert.

Ich muß von diesem Brief umständlich berichten, weil er die einzige Quelle aller meiner bis zum grauen Haar erlittenen[38] Drangsale wurde, – vorläufig aber noch eine zufällige Begebenheit erwähnen, die eigentlich hierher gehört und mir den ersten Verdacht unschuldig zugezogen hat.

In der Kampagne 1744 wurde unter vielen anderen auch mein Reitknecht mit 2 Handpferden von den Trenck'schen leichten Truppen gefangen. Ich sollte an eben dem Tage, da wir in das Lager rückten, mit dem König rekognoszieren reiten. Mein Pferd war müde, ich meldete mein Unglück, und sogleich schenkte er mir einen Engländer. Einige Tage nachher kam mein gefangener Reitknecht nebst meinen Pferden und einem feindlichen Trompeter zurück, mit einem Billet, ungefähr dieses Inhalts:

»Der österreichische Trenck hat keinen Krieg mit dem preußischen Trenck, seinem Vetter. Es ist ihm ein Vergnügen, daß er zufällig von seinen Husaren die ihm weggenommenen Pferde zurückerhalten konnte, welche er ihm hiermit überschickt etc. etc.«

Da ich mich noch an eben dem Tage bei dem Monarchen meldete, machte er nur eine finstere Miene und sagte:

Da Sein Vetter Ihm Seine Pferde zurückgeschickt hat, so braucht Er das meinige nicht! –

An Neidern meines Glückes fehlte es mir damals nicht. Es gab allerlei Stichelreden, bis ich endlich einen gewissen Lieutenant P. vor die Klinge nahm, ihn wohlgezeichnet abfertigte und durch mein Betragen erwies, daß ich ein preußisches Herz hatte.

Überhaupt hat aber dieser Vorfall mit den zurückgeschickten Pferden viel zur Anfachung des im Jahr danach erfolgten Argwohns bei dem Monarchen beigetragen und mein Unglück beschleunigt. Eben deshalb melde ich hier das Verfahren des großen, sonst scharfsichtigen und gerechten Friedrich, um es soviel wie möglich, sogar in meinem Falle, zu rechtfertigen.

Zeugen bedarf ich in dieser ganzen Sache nicht. Man nenne den Trenck in Berlin und in allen preußischen Staaten, so heiße ich einstimmig der Märtyrer meiner Rechtschaffenheit, das schmählichste Opfer der Verleumdung, der beste Patriot und das Muster eines großen Mannes im Unglück.


Nun weiter in unserer abgebrochenen Geschichte.[39]

Wir marschierten also zum zweiten Feldzuge nach Schlesien, welcher ebenso blutig wie siegreich für uns war. Im Kloster Kamenz war des Königs Hauptquartier; daselbst standen wir 14 Tage in Ruhe. Da aber Prinz Karl die Torheit beging, daß er, anstatt uns in Böhmen zu erwarten, in die Ebene von Striegau mit seiner Armee einrückte, war er auch sicher geschlagen. Denn wer die preußischen großen Manöver und die wahrhafte, Schlachten entscheidende Taktik kennt, der kann ohne Brille, ohne Algebra berechnen, wer auch mit ganz ungleicher Zahl im offenen Felde geschlagen werden muß.

Eilfertig brach also unsere Armee auf. Binnen 24 Stunden stand alles in Schlachtordnung. Am 4ten Juni lagen schon auf dem Schlachtfelde bei Striegau 18000 Tote, und die kaiserliche Armee nebst den alliierten Sachsen war total geschlagen.

Wir hielten mit der Garde du Corps den rechten Flügel. Ehe wir angriffen, rief der König der Eskadron zu:

Kinder! Zeigt heute, daß ihr meine Garde du Corps seid und gebt keinem Sachsen Pardon!

Wir hieben dreimal in die Kavallerie und zweimal in die Infanterie hinein. Nichts widerstand einer solchen Eskadron, die gewiß in Leuten, Pferden, Mut, Geschicklichkeit und Ehrgeiz die erste auf Erden war. Wir allein hatten 7 Standarten und 5 Fahnen erbeutet, und in weniger als einer Stunde war alles entschieden.

Ich bekam einen Pistolenschuß durch die rechte Hand. Mein Pferd war stark blessiert, und beim dritten Angriff mußte mir mein Reitknecht ein anderes geben. Am Tage nach der Bataille erhielten alle Offiziere den Orden Pour le merite; ich aber blieb 4 Wochen unter den Blessierten in Schweidnitz, wo gegen 16000 Menschen auf der Folterbank von Feldschern gemartert und viele erst am dritten Tage verbunden wurden.

Meine Hand konnte ich zwar in 3 Monaten nicht brauchen, dennoch kehrte ich zur Eskadron zurück und tat in allen Vorfällen meine Schuldigkeit, war täglich bei dem Monarchen und bei allen Rekognoszierungen mit ihm zusammen. Seine besondere Gnade und vorzügliche Achtung vermehrte sich täglich, und mein Enthusiasmus für ihn, mein Diensteifer stieg bis zur Ausschweifung.[40]

Ich verrichtete die ganze Kampagne hindurch Adjutantendienste, und niemand könnte die Geschichte derselben wahrheitsgetreuer als der beschreiben, welcher wie ich Augenzeuge bei allen Begebenheiten – und zugleich ein Schüler des ersten Meisters in der Kriegskunst war, welcher mich für würdig hielt, von ihm selbst unterrichtet zu werden. Diese Blätter gestatten aber kaum, alles zu erzählen, was von Einfluß auf mein persönliches Schicksal war.


Hierher gehört auch eine Begebenheit, welche des großen Friedrichs Charakter und besondere Art, Jünglinge für seinen Dienst zu bilden und sie sich ganz zu eigen zu machen, schildert. Ich liebte besonders die Jagd; und ungeachtet dessen, daß sie aufs schärfste verboten war, wagte ich es dennoch, mich ohne Erlaubnis von der Armee zu entfernen. Mit Fasanen beladen kam ich zurück; wie erschrak ich aber, als die Armee indessen aufgebrochen war und ich kaum noch die Nachhut erreichte!

Wie mir dabei zu Mute war, ist leicht zu erraten. Kurz, ein Husarenoffizier lieh mir ein Pferd, und so kam ich zu meiner Eskadron, welche allezeit den Vortrab machte, setzte mich auf mein Pferd und ritt zitternd vor meinen Zug, den ich führen mußte. Der König hatte mich aber schon vermißt – oder vielmehr, mein mir seit einiger Zeit feindseliger Kommandeur hatte mich bereits gemeldet.

Eben, als wir in das Lager rücken wollten, ritt der König heran, erblickte mich und winkte mich zu sich. Er sah meine Verwirrung und fragte mit lächelnder Miene:

War Er schon wieder auf der Jagd?

Ja, Eure Majestät! Ich bitte ...

Er ließ mich aber nicht ausreden, sondern sagte:

Diesmal halte ich es Ihm noch zugute, wegen Potsdam. Nehm Er sich aber künftig in acht und denk Er besser an Seine Schuldigkeit!

Hiermit war alles vorbei – wo ich Kassation verdient hatte. Ich muß aber den Leser daran erinnern, daß der König hiermit eigentlich sagen wollte: Er habe mich im letzten Winter in Potsdam zu hart für ein kleines Versehen gestraft und sähe deshalb jetzt durch seine Finger.[41]

Kann ein König größer denken, größer handeln? Ist das nicht die erhabenste Art, Gemüter zu gewinnen, Fehler zu bessern und große Männer zu bilden? Er kannte meine gefühlvolle Seele und erwirkte durch diese zu rechter Zeit angebrachte Gnade gewiß mehr, als wenn ein kommandierender General fünfzig junge Offiziere bei Temperamentsfehlern mit Ketten und Profossen bedroht oder grob nach Kriegsartikeln, ohne Unterschied des Gegenstandes, mißhandelt.

So verfährt der wirklich große König zuweilen bei großen Fehlern großer Genies, hingegen straft er mechanische Seelen, die nur zum Kriechen geboren sind, auch nach trockenen Kriegsartikeln, nur mechanisch buchstäblich. Eben deshalb hat er allein die wahre Pflanzschule für große Generale, weshalb er auch Männer findet, die seines Umgangs, seiner Wahl, seines unbeschränkten Vertrauens würdig sind. Vielleicht ist er deshalb auch nur der einzige Monarch auf Erden, welcher sagen kann: Ich habe nicht allein Sklaven und Untertanen, ich habe auch Patrioten und echte Freunde!

Nun bemerkte ich seit diesem Vorfall keine Ungnade, außer zuweilen bei dem Mittagessen (weil die Offiziere der Garde allezeit die Tafel bei dem Könige haben) und bei guter Laune, einen feinen Stich auf die Jagdliebhaber, oder auf die hitzigen Köpfe, die bei jeder Gelegenheit aufbrausen und gleich mit dem Degen bei der Hand sind.


*


Der Feldzug verging mit beständigen Manövern und Märschen; wobei wir die Unruhigsten waren, weil die Garde, die bei dem Zelt des Königs in der Mitte beider Treffen kampiert, im Marsche der Armee aber allezeit die Avantgarde macht, auch um 2 Stunden früher aufstehen und marschieren muß, um den Vortrab zu erreichen, dann bei allen Rekognoszierungen mit dem König zugegen sein, zuweilen das Lager abstechen, die Pferdetränke suchen und ein Offizier bei der Inspektion im Hauptquartier als Ordonnanz beim König sein muß. Dieses gestattete selten etliche Stunden Ruhe, da wir nur 6 Offiziere im ganzen für so viele Verrichtungen waren. Überdies hatten wir[42] noch viele Kurier-Ritte auszuführen, auch öfter wichtige mündliche Befehle an die verschiedenen Corps zu überbringen. Überhaupt sorgt der König dafür, daß seine Garde-Offiziere keine Schlafmützen werden können. In seiner Schule muß man viel wachen, um zu lernen. Arbeit, Wachsamkeit und Unruhe, Beispiel und Vaterlandsliebe bilden unter des Königs Auge die Befehlshaber seines Kriegsheeres.

Dies ist die Schule, wo ich lernte; wo ich schon unter diejenigen gerechnet wurde, welche man auswählt, andere zu belehren.

Doch weiter. Wenn ich nicht irre, so war der 14te September der Tag, an welchem die merkwürdige Bataille bei Soor oder Sorau stattfand. Der König hatte so viele Korps nach Sachsen, auch hin und wieder nach Schlesien und Böhmen beordert, daß wirklich nicht mehr als 26000 bei seiner Hauptarmee blieben. Prinz Karl, welcher trotz aller Erfahrung dennoch allezeit seinen Feind nur materiell nach der Zahl abwog und den Kern der preußischen Macht nicht kannte, hatte den kleinen Haufen der pommerschen und brandenburgischen Regimenter mit einer Macht von 86000 Mann eingeschlossen. Er wollte dieses Häuflein überfallen und uns alle gefangennehmen.

Nun merke man aus meiner treuen Erzählung, wie geheim dieser beabsichtigte Überfall entworfen und ausgeführt werden sollte. Denn gegen Mitternacht kam der König persönlich in mein Zelt und weckte so alle Offiziere aus dem Schlafe; er befahl, sogleich in aller Stille zu satteln, alle Bagage zurückzulassen und sich beim ersten Wink zur Bataille zu richten. Indessen blieben alle Pferde an ihren Plätzen und die Mannschaft, fertig zum Aufsitzen, in ihren Zelten. Ich und Lieutenant von Pannewitz mußten mit dem Könige reiten. Der Monarch selbst brachte seine Befehle durch die ganze Armee, und so erwartete man den Anbruch des Tages mit Sehnsucht.

Gegen die Stelle, wo der König im Voraus wußte, daß der feindliche Angriff geschehen sollte, wurden in möglichster Stille 8 Feldstücke hinter einem kleinen Hügel verborgen; folglich muß er ja den ganzen österreichischen Plan im voraus gewußt haben. Sogar die Vorposten gegen das Gebirge wurden zurückgezogen, um den Feind in seiner Mutmaßung zu stärken, daß er uns alle im Schlaf wehrlos fangen würde.[43]

Kaum brach der Tag an, so begann auch schon das Artilleriefeuer von allen besetzten Höhen ringsum, beschoß das ganze Lager, und die feindliche Kavallerie stürzte durch das Defilee herein – –

Im Augenblick standen wir in Schlachtordnung, und in kaum zehn Minuten sprengten wir schon mit unseren wenigen Eskadronen (wir hatten nur 5 Regimenter Kavallerie bei der Armee), mit verhängtem Zügel in den Feind hinein, der sich erst vor dem Defilee ganz gravitätisch zu formieren anfing und keine Gegenwehr, viel weniger einen so überraschenden Angriff vermutet hatte. Wir warfen ihn in das vollgestopfte Defilee zurück; sogleich war der König selbst mit den 8 Feldstücken bei der Hand und richtete in diesem gedrängten Haufen, wo niemand mehr vorwärts konnte, ein Blutbad an. – Hiermit war in einer halben Stunde der feindliche Plan vereitelt und die Bataille gewonnen. Nadasti, Trenck und die leichten Truppen, welche uns im Rücken angreifen sollten, hielten sich im Lager mit Plündern auf. Niemand konnte die raubsüchtigen Kroaten abhalten, dagegen wir aber unterdessen den Feind schlugen. Merkwürdig ist hierbei folgendes:

Man brachte dem König Nachricht, daß der Feind in das Lager eingefallen sei und plündere.

Desto besser, gab er zur Antwort. So haben sie was zu tun und hindern mich in der Hauptsache nicht!

Wir behielten also den vollkommensten Sieg, hatten aber alle unsere Bagage verloren. Das ganze Hauptquartier, welches ohne alle Bedeckung zurückblieb, war gefangen, geplündert, und der Trenck hatte des Königs Zelt und silbernes Tafelservice davongeführt.


Diese Begebenheit habe ich deshalb hier eingerückt, weil im Jahr 1746 eben der Trenck, mein Vetter, in Wien der Gewalt seiner ärgsten Feinde überlassen und in einen sogenannten Kriminalprozeß verwickelt war. Einige nichtswürdige Bösewichte hatten ihn beschuldigt: Er habe bei der Bataille zu Sorau (Soor) den König selbst im Bette gefangengenommen und durch Bestechung wieder freigelassen. – Noch ärger! Eine mit Geld bestochene öffentliche Hure aus Brünn gab sich für die Tochter[44] des Feldmarschalls Schwerin aus und zeugte vor dem Wiener Kriegsgericht:

Sie hätte eben bei dem König im Bette geschlafen, da der Trenck in das Zelt eingetreten, den König gefangen, auch sie nebst ihm wieder freigelassen habe.

Was nun das erstere betrifft, so bin ich Augenzeuge, daß der wachsame König nicht überfallen werden konnte, besonders da er wußte, daß man ihn fangen wollte. Ich selbst bin von Mitternacht bis gegen 4 Uhr früh mit ihm in dem Lager herumgaloppiert, wo die Anstalten, den Feind zu empfangen, gemacht wurden; um 5 Uhr sprengten wir schon zum Einhauen heran. Der Trenck konnte folglich den König nicht im Bette fangen. Die Bataille war bereits entschieden, da er erst mit seinen Panduren in das Lager einfiel und des Königs Equipage erbeutete.

Was das andere mit dem feinen Fräulein Schwerin betrifft, so kann das nur in Dorfschulen von Katechismusstudenten erzählt, nur in Lissabon geglaubt und in Wien allein gegen einen ehrlichen Mann zu Protokoll genommen werden.

Es ist aber der ganze Vorfall so lesenswürdig, daß ich in diesem Bande eine besondere Erzählung von dem schrecklichen Schicksal eben dieses Trenck und von seinem sogenannten Kriminalprozeß anhängen werde, worüber die aufgeklärte Welt erstaunen muß. Seine Geschichte hat mit der meinen so viel Verbindung, daß ich dazu berechtigt bin. Besonders, da noch viele Ignoranten oder Tugendfeinde in Wien wirklich glauben und erzählen, der Trenck habe den König von Preußen gefangen gehabt.

Noch bis jetzt war aber kein Trenck ein Schurke, noch ein Verräter. Ich will gründlich erweisen, und weiß es auch überzeugt, daß er seiner Monarchin ebenso treu diente wie ich meinem König. – Die in seinem Fall hintergangene große Maria Theresia sagte mir selbst nach seinem Tode:

Sein Vetter ist besser gestorben, als seine Ankläger und Richter sterben werden! –

Genug hiervon, bis an seinen gehörigen Ort.


*
[45]

Ich will nun auf die erste Szene meines Trauerspiels zurückkommen, welche den Grund zu allen Folgen bestimmte, die mich bis zum grauen Haare zum wirklichen Märtyrer machten.

Wenige Tage nach der Bataille zu Soor kam der Feldpostbriefträger in mein Zelt und brachte mir einen Brief. Dieser war von meinem Vetter, dem Pandurenobersten Baron Trenck, in Essek datiert und vier Monate alt. Der Inhalt war in Kürze dieser:

»Aus Dero Schreiben de dato Berlin den 12ten Februar ersehe ich, daß Sie gerne ungarische Pferde von mir haben möchten, um sich gegen meine Husaren und Panduren herum zu tummeln. Ich habe bereits in voriger Kampagne mit Vergnügen erfahren, daß der preußische Trenck auch ein guter Soldat ist. Zur Bezeigung, daß ich Sie schätze, habe ich Ihnen Ihre von meinen Leuten gefangenen Pferde zurückgeschickt. Wollen Sie aber ungarische reiten, so nehmen Sie mir im nächsten Feldzuge die meinigen im offenen Felde ab, oder kommen Sie zu Ihrem Vetter, der Sie mit offnen Armen empfangen, und als seinen Sohn und Freund, Ihnen alle Zufriedenheit verursachen wird etc.«

Ich erschrak, und lachte bei Durchlesung dieses Briefes. Kornett von Wagnitz, gegenwärtiger General en Chef der Hessen-Kassel'schen Armee, und Lieutenant von Grotthausen, die beide noch leben, waren meine Zeltkameraden. Ich gab ihnen den Brief zu lesen, wir lachten über den Inhalt, und gleich wurde beschlossen, ihn dem Eskadronskommandeur von Jaschinsky bei der Parole zu lesen zu geben. Dies geschah auch kaum eine Stunde nach dem Empfang.

Der Leser wird sich zu erinnern wissen, wie ich oben erzählt habe, daß eben dieser Oberst Jaschinsky am 12ten Februar mich in Berlin zum Schreiben bewog und meinen Brief offen empfangen und an den Trenck bestellt hatte, worin ich scherzend ungarische Pferde zur Equipage forderte und ihm, Jaschinsky, eins davon versprach, wenn sie ankommen würden. Kaum hatte er den Brief mit einer gewissen Art von Verwunderung gelesen, so entstand ein Gelächter unter uns allen. Und, da das Gerücht eben bei der Armee umlief, wir würden nach dieser gewonnenen Bataille mit einem Korps in Ungarn einbrechen, so sagte Jaschinsky:[46]

So wollen wir jetzt die ungarischen Pferde selbst in Ungarn holen!

Und hiermit ging ich mit ruhigem Gewissen in mein Zelt.

Nun muß ich hierbei folgende merkwürdige Beobachtungen einrücken:

1. Ich hatte das Datum des erhaltenen Briefes nicht beachtet. Mein Oberst bemerkte es aber sogleich, daß er über 4 Monate alt war.

2. Vermutlich war es also eine Falle, die der in seiner Art böse und falsche Mann mir gelegt hatte. Die Zurückschickung meiner Pferde in der vorigen Kampagne hatte Aufsehen erregt. Vielleicht hatte er Befehl vom König, mich zu beobachten. Vielleicht überredete er mich zum Schreiben, um mir durch eine falsche untergeschobene Antwort eine Fallgrube zu bereiten. Denn sicher ist es, daß der Trenck in Wien bis zu seinem Tode standhaft beteuerte, daß er nie einen Brief von mir empfangen, auch niemals einen beantwortet habe. Ich glaube also noch, daß es ein Uriasbrief war.

Jaschinsky war damals ein Liebling des Monarchen, ein armeekundig falscher, boshafter Mann, ein Kundschafter und heimlicher Zuträger auf Rechnung akkreditierter Verleumdung. Wie er denn auch einige Jahre nach dieser Begebenheit deshalb vom König kassiert und aus seinem Lande gejagt wurde. Er war damals der Liebhaber der schönen sächsischen Residentin von Bossart in Berlin, und durch sie kann der falsche Trenck'sche Brief in Sachsen oder Österreich auf die Post und auf meine Adresse befördert worden sein. Indessen hatte er alle Tage Gelegenheit, mich bei dem König verdächtig zu schildern und seinen Entwurf gegen meine Unschuld auszuführen.

Hierzu kam noch, daß er mir 400 Dukaten schuldig war, die ich ihm bar geliehen hatte, weil mir niemals Geld fehlte. Dieses Geld war seine Beute, da ich ohne Verhör arrestiert und in ein Gefängnis gesperrt wurde; und von meiner Equipage hat er sich auch den größten Teil angeeignet. Wir gerieten schon in der ersten Kampagne in Händel, da er meinen Packknecht prügelte und waren bereits mit Pallaschen übereinander her, da der Oberst Winterfeldt zufällig dazu kam, uns ohne Blut voneinander brachte und Frieden stiftete. Der hartnäckige Litauer-Kopf[47] ist aber allezeit rachgierig und unversöhnlich, und hat vielleicht von diesem Tage an nur mein Unglück geschmiedet.

Gott weiß, was Jaschinsky dem Monarchen bei allen Gelegenheiten für Stoff zum Argwohn gegen mich eingeflößt hat. Denn sicher ist es unglaublich, wie derselbe mich bei seiner weltbekannten Gerechtigkeitsliebe, ohne alle Untersuchung, ohne Verhör noch Kriegsrecht, verdammen konnte.

Hier steckt demnach der Knoten, den ich nie auflösen konnte.

Unbegreiflich aber bleibt es allezeit, wie der scharfsichtige Monarch, welcher mich täglich um sich sah, welcher mich als Menschenkenner ganz kannte, welcher wußte, daß mir gar nichts fehlte, weder Ehre noch Geld, noch Hoffnung in die Zukunft – daß er, sag ich, jemals sich einen Argwohn auf meine Treue konnte einflößen lassen.

Gewiß ist es, und ich nehme noch heute Gott und alle Menschen zu Zeugen, die mich im Glück und Unglück gekannt haben, daß ich nie einen untreuen Gedanken gegen mein Vaterland empfunden habe. Ich war meinem König ebenso mit Herz und Seele ergeben, wie mein Vetter, der Pandurenchef, seiner Kaiserin; und beide waren wir dennoch die schmählichsten Opfer der Verleumdung und Mißgunst.

Wie war es auch möglich, mich damals zu beargwöhnen? Im 18ten Lebensjahr war ich schon Kornett der Garde du Corps mit Rittmeisterrang, tat Adjutantendienste bei dem König und besaß seine Achtung, Gnade und Vertrauen im höchsten Grade. In einem Jahr hat er mir mehr als 1500 Reichstaler geschenkt. In Berlin hatte ich eine Freundin, die ich verehrend liebte, die ich für keine Krone, viel weniger für eines Pandurenführers Versprechen verlassen hätte, und die mir gewiß mehr gab, mehr geben konnte als alle Panduren der Erde, die ich im Herzen verabscheute.

Sollte mir wohl in meiner Lage ein vernünftiger Mensch einen solchen verfluchten und niederträchtigen Gedanken zumuten wollen, daß ich die brillanteste Aussicht bei dem König der Weisen, die Ehre, in seiner Schule ein Meister zu werden, einem Panduren aufopfern sollte, der mir etliche ungarische Pferde antrug?

Ich hatte 7 Engländer in meinem Stalle zu Berlin und 6 Leute[48] in der Livree, war geliebt, geschätzt und distinguiert; im Ministerium wie in der Armee besaßen meine Blutsfreunde die wichtigsten Ehrenstellen. Mein ganzes Herz war lauter bis zum Fanatismus getriebene Vaterlands- und Königsliebe, und mir fehlte gar nichts, was der junge Mensch auf Erden wünschen oder von Gott erbitten kann.

Wie war es denn möglich, daß ich beargwöhnt werden konnte? Ich war ja weder rasend noch verrückt.

Dennoch aber ist es geschehen, und mein Beispiel zeigt, daß gegen sicher schlummernde Tugend der wachenden Verleumdung alles möglich ist, daß der erleuchtetste Monarch von bösen Menschen, oder wohl gar durch vorgegaukelten Argwohn könne betrogen werden; weil er aus dem Mittelpunkt seines Thrones als Mensch unmöglich alles in seinem Staate übersehen kann und sich folglich auf Berichte solcher Menschen verlassen muß, die sein Vertrauen entweder verdienen oder erschlichen haben. Überhaupt ist mein ganzes Schicksal von solcher Art, daß der König wirklich nicht anders mit mir verfahren konnte, als in der Folge geschehen ist.

Monarchen begnadigen lieber einen Übeltäter, als daß sie einen unschuldig Verdammten belohnen. Ich rate gegenwärtig einem jeden treulich, mich nicht zum Vorbilde zu erwählen. Die Ehre, durch männlichen Trotz ein rühmlicher Märtyrer zu heißen, der Ruhm eines standhaften Mannes in Widerwärtigkeiten, ist ein unwirksamer Lohn für den, welcher 40 Lebensjahre hindurch gegen Foltern, Schicksalsstürme, böse Menschen, Verleumdung und Fürstenmacht zu kämpfen, auch endlich, aber zu spät, zu siegen die Ehre hatte.


*


Meinen obengenannten verhängnisvollen Brief betreffend, so ist auch nicht einmal wahrscheinlich, daß ich durch denselben hätte unglücklich werden können. Denn:

War ich wirklich in verdächtiger Korrespondenz mit einem Verwandten in feindlichen Diensten, so hätte er mir gewiß nicht auf der ordinären Feldkriegspost geschrieben, wo, wie bekannt, alle Briefe geöffnet werden. War es aber nur Privatfamilienkorrespondenz,[49] so konnte ich nie mehr tun, als geschehen ist; denn mein Chef und Kommandeur wußte von dem Inhalt meines Briefes, hatte ihn selbst gelesen und selbst befördert! Und aus der erhaltenen Antwort habe ich auch keine Minute ein Geheimnis gemacht.

Das mindeste Verhör hätte also meine Unschuld sonnenklar entwickelt. Das Meisterstück meines Feindes, mich zu stürzen, bestand demnach allein in der Kunst, die Rolle bei dem Monarchen so zu spielen, daß ich jede Gelegenheit verlor, mich zu rechtfertigen. Und dies geschah wirklich.

Denn am folgenden Tage nach Empfang dieses Briefes wurde ich ohne Verhör, ohne Kriegsrecht, ohne daß mir jemand ein Verbrechen vorhielt, arrestiert und mit einer Bedeckung von 50 Husaren wie ein richtiger Deliquent aus der Armee entfernt und nach Glatz auf die Festung gebracht. Drei Pferde und meine Bedienten durfte ich mitnehmen; meine ganze Equipage blieb aber zurück, die ich nicht wiedergesehen habe und die Beute des Herrn von Jaschinsky wurde. Meine Stelle wurde sogleich durch den Fahnenjunker, Herrn von Schätzel, jetzigen General der Kavallerie, ersetzt und ich kassiert, ohne zu wissen warum.

Wenig Beispiele meiner Art findet man in des großen Friedrichs Geschichte; und dieses geschah im Anfang seiner kriegerischen Regierung, ehe er die Men schen so gut kannte wie nach einer 40jährigen Erfahrung. Kriegerische, nie erlebte Vorfälle machten ihn auf allen Seiten unruhig und mißtrauisch ...

Kurz gesagt, ich war unglücklich und wurde als ein wirklicher Übeltäter nach Glatz auf die Zitadelle gebracht.

Hier saß ich zwar in keinem Kerker, sondern bei dem wachthabenden Offizier im Zimmer, durfte auch in der Festung herumspazieren und behielt meine Leute zur Bedienung. Weil es mir an Geld nicht fehlte und in Glatz auf der Zitadelle nur ein Kommando vom Mitschewal'schen Garnisonsregiment Dienst tat, wo die Offiziere alle arme Ritter waren, so hatte ich bald Freunde und Freiheit genug; und alle Tage war offene Tafel bei dem reichen Arrestanten.


Was aber mein Herz dabei empfand, kann nur der entscheiden, welcher mich im Jugendfeuer auf der Ehrenbahn gekannt,[50] mich in Berlin in meinen Glückszuständen gesehen und jemals empfunden hat, was ein ehrgeiziges Herz in meiner damaligen Lage empören kann.

Ich schrieb an den König und bat trotzig um Verhör und Kriegsrecht, ohne Nachsicht noch Gnade, wenn ich als schuldig erkannt würde. Dieser pochende Ton eines beleidigten feurigen Jünglings gefiel dem Monarchen nicht; ich erhielt also keine Antwort. Und dies war genug, mich zu allen verzweifelten Entschlüssen zu treiben, nachdem ich mich nunmehr mir selbst überlassen glaubte.

Durch einen Offizier war die Korrespondenz mit dem Gegenstand meines Herzens bald in Ordnung und Sicherheit gebracht. Dort war man überzeugt, daß ich nie einen untreuen Gedanken gegen mein Vaterland gehegt hatte noch zu verbergen imstande war. Man tadelte die Übereilung, den falschen Argwohn des Königs, versprach mir sichere Hilfe und schickte mir 1000 Dukaten, damit es mir im Arrest nicht an Geld fehle ...

Hätte ich in diesen kritischen Umständen einen aufgeklärten und redlichen Freund gefunden, welcher mein aufloderndes Feuer dämpfen konnte, so wäre nichts leichter gewesen, als den Monarchen durch gelassene Demut und begründete Vorstellungen von meiner Unschuld zu überzeugen und meiner Feinde Anschläge zu vereiteln. Die Offiziere der damaligen Glatzer Garnison gossen aber alle Öl in meine Glut. Sie glaubten, mein Geld, das ich unter sie so freigiebig verteilte, käme alles aus Ungarn von der Pandurenkasse, und jeder munterte mich auf, nicht lange im Arrest zu warten und mir, dem Könige zum Trotz, meine Freiheit eigenmächtig zu verschaffen.

Nichts war leichter, als dieses einem Menschen einzuflößen, welcher noch nie unglücklich war und folglich das erste Übel schon für unübersteiglich hielt. Noch war gar nichts meinerseits entschieden oder beschlossen, weil ich mich nicht entschließen konnte, mein Vaterland, besonders aber Berlin, zu verlassen.

Endlich, nachdem ich ungefähr 5 Monate im Arrest zugebracht hatte, der Frieden erfolgte, der König in Berlin und meine Stelle bei der Garde besetzt war, erbot sich ein gewisser Leutnant von Piaschky vom Fouqué'schen Regiment und der Fähnrich Reitz, welcher oft bei mir die Wache hatte, sie wollten die Anstalten[51] machen, daß ich aus Glatz entweichen und sie beide mitnehmen könnte. Alles wurde abgeredet und beschlossen.

Es saß aber eben damals ein gewisser Rittmeister von Manger vom Natzmer'schen Husarenregiment, ein geborener Schweizer, mit mir in den Glatzer Gefängnissen. Er war kassiert, auf 10 Jahre zum Arrest verurteilt und hatte monatlich nur 4 Reichstaler zu verzehren. Diesem Manne hatte ich viel Gutes getan; aus Mitleid wollte ich ihn mit mir befreien. Es wurde abgeredet, beschlossen, und ihm vorgetragen. Gleich waren wir durch diesen Schurken verraten, welcher dadurch Gnade und Freiheit erhielt.

Piaschky erhielt rechtzeitg Wind, daß Reitz schon im Arrest war, und rettete sich durch Desertion.

Ich leugnete, wurde aber mit Manger konfrontiert; weil ich den Vernehmungsoffizier mit 100 Dukaten gewinnen konnte, kam Reitz mit Kassation und einem Jahr Arrest davon. Ich hingegen wurde nun als ein Verführer der Offiziere des Königs in ein enges Gelaß eingeschlossen und scharf bewacht.


Mein Schicksal war nun in Glatz unendlich verschlimmert und der Monarch in seinem Argwohn bestärkt; auch war er äußerst gegen mich aufgebracht, weil ich zu entfliehen gesucht hatte.

Ich war also mir selbst überlassen, betrachtete mein Schicksal nur von den unübersteiglichen Seiten und sann auf Mittel zur Flucht, oder zu sterben, weil das enge Gefängnis meinem feurigen Temperament auf die Dauer unerträglich schwer fiel. Die Garnison hatte ich immer auf meiner Seite, folglich war es unmöglich, mir Freunde und Beistand zu verhindern. Man wußte, daß ich Geld hatte; und bei einem armen preußischen Garnisonsregiment, wo ohnedem die Offiziere alle unzufrieden leben und meistens zur Strafe von den Feldregimentern dorthin versetzt werden, war mir alles zu unternehmen möglich.

Der erste Anschlag war folgender:

Mein Fenster war an der Lärmschanze an die 15 Klafter hoch nach der Stadtseite hin gelegen. Ich konnte also nicht aus der Zitadelle entkommen und mußte zuvor in der Stadt einen Zufluchtsort suchen. Dieser wurde zuvor durch einen Offizier bei einem ehrlichen Seifensieder versichert; dann schnitt ich zuerst[52] mit einem Federmesser, welches schartig gemacht war, drei eiserne Stangen durch, die von ungeheurer Dicke waren. Da aber dieses zu lange aufhielt, und acht Stangen durchgearbeitet werden mußten, ehe ich zum Fenster hinauskonnte, so steckte mir ein Offizier eine Feile zu, mit der ich sehr vorsichtig arbeiten mußte, um nicht von den Schildwachen gehört zu werden.

Sobald dieses fertig war, schnitt ich mein ledernes Felleisen in Riemen, nähte sie zusammen, wozu ich einen aufgelösten Zwirnstrumpf benutzte; nahm meine Bettlaken zu Hilfe und ließ mich aus dieser erstaunlichen Höhe glücklich hinunter.

Es regnete, die Nacht war finster, und alles ging glücklich. Ich mußte aber die Senkgrube der öffentlichen Kloake durchwaten, ehe ich die Stadt erreichen konnte; das hatte ich nicht vorhergesehen. Ich sank nur bis über die Knie hinein, war aber nicht imstande, mich herauszuarbeiten. Alles, was möglich war, geschah, ich stak aber so fest, daß ich zuletzt alle Kräfte verlor und der Schildwache auf der Lärmschanze zurief:

Melde dem Kommandanten, daß der Trenck hier im Dreck steckt!

Nun war zur Vergrößerung meines Unglücks damals der General Fouqué Kommandant in Glatz. Die ser war ein weltbekannter Menschenfeind, hatte sich mit meinem Vater als Hauptmann duelliert, war von ihm verwundet worden, und der österreichische Trenck hatte ihm seine Bagage im Jahre 1744 weggenommen, auch die Grafschaft Glatz in Kontribution gesetzt.

Er war also ein Hauptfeind des Trenck'schen Namens, ließ mich dieses bei allen Gelegenheiten spüren und bei dieser bis gegen Mittag zum öffentlichen Schauspiel der Garnison im Unrat stecken, dann aber erst herausziehen, wieder in mein Gefängnis einsperren und mir den ganzen Tag kein Wasser geben, um mich zu reinigen. Niemand kann sich vorstellen, wie ich aussah. Meine langen Haare waren bei der Arbeit gleichfalls in die Pfütze geraten und mein Zustand wirklich erbarmenswürdig, ehe man mir ein paar Arrestanten gestattete, die mich reinigten.

Nun wurde mein Arrest auf alle mögliche Art verschärft. 80 Louisdors aber hatte ich bei mir, die mir bei der schmutzigen neuen Einlieferung in einen anderen Kerker nicht abgenommen wurden; und diese taten mir in der Folge gute Dienste.[53]

Nun stürmten auf einmal alle Leidenschaften auf mich ein, das jugendliche Blut empörte sich gegen alle Vernunftsschlüsse. Ich sah schon jede Hoffnung scheitern; betrachtete mich selbst als das unglücklichste Geschöpf der Erde, meinen Monarchen aber als einen unversöhnlichen und nunmehr durch meine eigenmächtigen Unternehmungen beleidigten, auch in seinem Argwohn bestärkten Richter. Die Nächte wurden schlaflos und die Tage unerträglich. Ruhmbegierde folterte meine Seele, und das Bewußtsein meiner Unschuld war im wehrlosen Kerker ein aufreizender Trieb, diesem mich nur quälenden Zustand ein Ende zu machen. Den Tod selbst hatte ich allzeit nach den Grundsätzen meiner Erziehung verachten gelernt, – und La Mettrie, mein Freund und der berühmte Verfasser der Schriften ›L'Homme machine‹, ›L'Homme plante‹, hatte meine Überzeugung bestätigt.

Bücher zum Zeitvertreib wurden mir allezeit gestattet. Im Glatzer Arrest habe ich demnach sehr viel gelesen und meine Kenntnisse im gelehrten Fach erweitert. Die Zeit wurde mir auch nicht lang; wenn aber der Freiheitstrieb erwachte, wenn mich Liebe und Sehnsucht nach Berlin riefen, und mein Ehrgeiz meinen schimpflichen Zustand mit verächtlichen Farben schilderte; wenn ich betrachtete, daß mich mein geliebtes Vaterland nunmehr wirklich als einen niederträchtigen Verräter der Wahrscheinlichkeit gemäß beurteilten müßte: dann war ich in jeder Minute bereit, mich in tausend Säbel und Bajonette meiner Wächter zu stürzen, die ich nunmehr als meine Feinde betrachtete, weil sie mir den Weg zur Freiheit verriegelten.


Mit solchen Gedanken schwanger, waren nicht acht Tage seit der letzten fehlgeschlagenen Unternehmung zur Flucht verflossen, da sich schon ein Vorfall ereignete, welcher in den Geschichtsbüchern unwahrscheinlich wäre, wenn ich ihn nicht selbst öffentlich zu einer Zeit schriebe und bekanntmachte, wo ich, als der Hauptakteur, noch wirklich lebe und ganz Glatz, die ganze preußische Armee, als Augen-, Ohren- und Lokalzeugen auffordern kann.

Der Platzmajor Doo kam in mein Gefängnis, von dem Adjutanten und wachhabenden Offizier begleitet, visitierte in allen Winkeln und ließ sich mit mir in eine Unterredung ein, wobei[54] er meine Unternehmungen zur Flucht doppelte Verbrechen hieß, die des Monarchen Ungnade gegen mich anfachen müßten. Das Wort ›Verbrechen‹ brachte schon mein Blut in Wallung, er sprach von Geduld; ich fragte: Auf wie lange mich der König verurteilt habe? Er antwortete: Ein Verräter seines Vaterlandes, der mit dem Feinde korrespondiert, habe keine bestimmte Zeit, als die Gnade des Königs!

In eben dem Augenblick riß ich ihm den Degen von der Seite, auf den ich schon lange mein Augenmerk gerichtet hatte, sprang zur Tür hinaus, warf die erschrockene Schildwache die Stiege hinunter – fand am Stockhaustore die Wache unter Gewehr, die eben zufällig zur Ablösung herausgerufen hatte, und lief ihnen mit dem Degen in der Faust auf den Leib:

Alles erschrak, war überrumpelt, machte Platz, ich hieb rechts und links, blessierte vier Mann; lief mitten hindurch, sprang auf die Brustwehr des Hauptwalles und geradenwegs von der erstaunlichen Höhe hinunter, ohne allen Schaden und behielt sogar den Degen in der Faust. Auch den zweiten, niedrigen Wall sprang ich ebenso glücklich hinunter. Niemand hatte ein Gewehr geladen, niemand wollte nachspringen; und um mich zu verfolgen, mußte man zuvor durch Umwege in die Stadt, dann aber erst zum Tor hinaus; folglich hatte ich fast eine halbe Stunde Vorsprung, ehe mir jemand folgen konnte.

Bei einer engen Passage an einem Außenwerk lief mir eine Schildwache entgegen und widersetzte sich meiner Flucht. Bald war sein Gewehr mit dem Bajonett auspariert, und er erhielt einen Hieb über das Gesicht. Die andere Schildwache vom Außenwerk kam mir von hinten auf den Leib – ich sprang schleunigst über die Palisaden, blieb aber mit dem Fuß zwischen denselben stecken, wurde durch einen Bajonettstoß in die Oberlefze verwundet, dann aber am Fuß festgehalten: bis andere zu Hilfe kamen, die mich, mit den Kolben zerstoßen und übel zugerichtet, in mein Gefängnis trugen, weil ich mich wie ein Verzweifelter verteidigte.

Sicher aber ist es, daß, wenn ich vorsichtiger über die Palisaden gesprungen wäre, und lieber zuvor die auf mich zulaufende Schildwache auch in die andere Welt expediert hätte, mir dann Zeit genug übrig blieb, mit schnellen Füßen das Gebirge[55] zu erreichen, ehe mir jemand folgen konnte; – so wäre ich am hellen Tage, um 12 Uhr mittags, mitten aus der Festung Glatz, durch alle Wachen und Werke entsprungen, auch unfehlbar glücklich nach Böhmen gekommen. Einzelne Verfolger hätte ich mit dem Degen in der Faust nicht gescheut, und ich konnte damals so schnell wie der beste Läufer vorwärts kommen.

Das Glück allein, welches mir wirklich mit Wundern bis an die äußersten Palisaden durchhalf, war mir aber bei der Ausführung des verwegensten Unternehmens nicht günstig – und hiermit hatte alle Hoffnung ein Ende.

Mein Arrest wurde verschärft, und man gab mir einen Unteroffizier mit zwei Mann in das Zimmer, die mit mir eingeschlossen und von draußen wieder bewacht wurden. Ich war elend von den Kolbenstößen zugerichtet, mein rechter Fuß war verrenkt, ich spie Blut, und meine Wunde war erst nach 4 Wochen geheilt.


Nun habe ich aber erst in der Folge erfahren, daß mich der König nur auf ein Jahr auf die Festung ge schickt hatte, um mich auf die Probe zu stellen, ob sein Argwohn begründet war. Meine Mutter hatte für mich gebeten und zur Antwort erhalten: »Euer Sohn muß sein Jahr als eine Strafe für seine unvorsichtige Korrespondenz aushalten!«

Dieses wußte ich aber nicht; in Glatz hieß es, ich sei auf Lebenszeit verurteilt. – Ich hatte also nur noch 3 Wochen zu warten, um meine Freiheit in Ehren zu erhalten, als diese verzweifelte Unternehmung ausführte.

Was mußte der Monarch von mir denken?

War er nicht gezwungen, auf diese Art mit mir zu verfahren? Und welcher vernünftige Mensch kann wohl mutmaßen, daß ich wegen 3 Wochen Arrest so viel würde gewagt und alles Meinige der Konfiszierung überlassen haben? Wo ich in Ehre meiner nahen Freiheit, folglich meiner Rechtfertigung versichert war?

Mein widriges Schicksal lenkte aber alles zu meinem Nachteil – und eine Wahrscheinlichkeit türmte sich in solcher Verbindung auf die andere, daß ich endlich mit der reinsten Seele einem Übeltäter vollkommen gleich erscheinen mußte.


*
[56]

Nun war ich also wieder im Kerker – und fand, da ich suchte, auch bald neue Gelegenheit zu einer neuen Unternehmung.

Ich lernte die Soldaten kennen, welche mich bewachten. An Geld fehlte es mir nicht, und mit diesem, auch durch erregtes Mitleid, kann man bei den mißvergnügten preußischen Soldaten alles ausrichten.

Bald hatte ich also ein Komplott von 32 Mann auf meiner Seite, die auf meinen Wink bereit waren, alles zu unternehmen. Keiner wußte vom anderen, außer zweien oder dreien; folglich konnten sie alle zusammen nie verraten werden. Der Unteroffizier Nikolai war mein gewählter Anführer.

Die Zitadell-Garnison bestand damals nur aus 120 Köpfen vom Garnisonregiment, welches in der Grafschaft Glatz verteilt war, und 4 Offiziere wechselten die Hauptwache ab, wovon 3 mit mir im Einverständis waren.

Alles war vorbereitet, und die scharfen Patronen lagen bereits mit Pistolen und Degen für mich in einem Ofenloch bei meinem Kerker versteckt. Wir wollten alle Arrestanten befreien und mit klingendem Spiel nach Böhmen marschieren.

Ein österreichischer Deserteur, dem sich Nikolai auch anvertraut hatte, verriet aber die ganze Sache. Der Gouverneur schickte seinen Adjutanten auf die Zitadelle mit dem Befehl, der wachthabende Unteroffizier sollte den Unteroffizier Nikolai arrestieren und die Kasematte mit seiner Kameradschaft bewachen.

Dieser war eben auf der Hauptwache, und der Lieutenant, welcher mein Freund war und das Geheimnis kannte, gab ihm ein Zeichen, daß alles verraten sei. Er allein kannte das ganze Komplott, einige davon waren mit ihm auf Wache. Im Augenblick war dieses braven Mannes Entschluß gefaßt. Er sprang in die Kasematte, rief:

Brüder, zum Gewehr! Wir sind verraten!

Alles folgte ihm nach der Wache im Stockhause. Der wachthabende Offizier behielt nur 8 Mann bei sich, die kein geladenes Gewehr hatten. Meine Anhänger nahmen die scharfen Patronen, drohten alles niederzuschießen, sprengten an meine eiserne Tür, die zu stark, die Zeit aber zu kurz war, um länger zu arbeiten; er rief mir zu: Ich sollte mir selbst heraushelfen!

Es war unmöglich. Und so marschierte der beherzte Mann[57] nebst 19 Köpfen, die ihm folgten, mit geschultertem Gewehr zum Feldtor. Der daselbst mit 6 Mann wachthabende Unteroffizier wurde gezwungen, sich mit ihm zu vereinigen. Und auf diese fast unglaubliche Art kam er glücklich bis nach Braunau in Böhmen. Denn ehe in der Stadt Lärm geschlagen wurde und ein starkes Kommando zu seiner Verfolgung ausrücken konnte, hatte er sicher schon den halben Weg gewonnen.

Diesen seltsamen Mann habe ich zwei Jahre nach diesem Vorfall als Schreiber in Ofen mit unbeschreiblicher Freude wiedergefunden. Er trat sogleich zu mir in Dienst, war mein Freund zugleich, starb aber nach etlichen Monaten in Ungarn an einer hitzigen Krankheit in meinem Quartier. Ich habe ihn beweint und sein Andenken ist mir noch so schätzbar als empfindlich.


*


Nunmehr schlugen alle Wetter über meinem Kopf zusammen.

Man wollte mir als einem Komplotteur und Verführer der Königlichen Soldaten und Offiziere den Kriminalprozeß machen. Ich sollte die Zurückgebliebenen nennen, gab aber auf alle Fragen keine Antwort, sondern erklärte standhaft:

Ich sei ein ohne Verhör, noch Kriegrecht verurteilter unschuldiger Arrestant, ein kassierter Offizier, dem keine Pflichten ferner für das Vaterland abgefordert werden könnten. Das Naturgesetz gebe mir das Recht, meine beleidigte Ehre zu retten und meine Freiheit auf jede mögliche Art zu suchen. Dies sei der einzige Gegenstand aller meiner verzweifelten Unternehmungen, und ich wolle entweder meinen edlen Zweck erreichen – oder in der Ausführung desselben bei allen möglichen Gefahren und Hindernissen sterben!

Hierbei blieb es; alle nur möglichen Arrestverschärfungen erfolgten; nur allein wurden mir keine Eisen angelegt, weil in Preußen ein Kavalier und Offizier nicht geschlossen werden kann, bis er wegen infamer Verbrechen schon wirklich dem Scharfrichter übergeben ist; und dies war mein Fall nicht.

Die Wache wurde mir wieder aus dem Zimmer genommen. Das größte Übel aber blieb, daß mein Geld verteilt war und[58] mir meine Freundin aus Berlin, mit welcher mir die geheime Korrespondenz nie gehindert werden konnte, schrieb:

»Ich trauere mit Ihnen, Ihr Übel ist aber ohne Hilfe. Dies ist mein letzter Brief, ich darf für Sie weiter nichts mehr wagen. Retten Sie sich, wo möglich! Ich bin für Sie allezeit, und in allen Vorfällen, die alte Freundin, wo es nur möglich ist, Ihnen nützlich zu sein. Leben Sie wohl, unglücklicher Freund! Sie verdienen ein ganz anderes Schicksal ...«

Dies war der härteste Schlag, der mich noch treffen konnte. Noch dieses blieb mein Trost, daß man gar keinen Verdacht auf die Offiziere hatte; und da diese laut ihrer Instruktion täglich etliche Male zu mir gehen mußten, um zu visitieren, ob ich ruhig sei – so verlor ich die Hoffnung nicht, mich selbst zu retten.


Da nun alles unmöglich schien, ereignete sich folgender merkwürdiger Zufall, welcher wirklich unter die alten Abenteuer sollte gerechnet werden.

Ein gewisser Lieutenant von Bach, ein geborener Däne, welcher alle 4 Tage die Wache bei mir hatte, war der Schrecken der ganzen Garnison und ein Erzhändelmacher, der mit allen Kameraden raufen mußte und sie alle zeichnete; weshalb er auch bereits zweimal das Regiment gewechselt hatte und zuletzt an das Garnisonbataillon nach Glatz strafversetzt wurde.

Dieser saß bei mir auf dem Bette und erzählte mir, daß er tags zuvor einen gewissen Lieutenant von Schell in den Arm gehauen habe. Scherzend gab ich ihm zur Antwort:

Wenn ich frei wäre, würdest du mich doch schwerlich blessieren; ich verstehe meinen Degen auch zu benutzen!

Gleich stieg ihm das Blut in die Höhe; wir machten ein paar Rapiere, in der Geschwindigkeit von einer alten Tür gespalten, und ich stieß ihn auf die Brust.

Hier geriet er in Wut, lief hinaus, – wie erstaunte ich aber, da er mit zwei Musketiersäbeln unter dem Rock in mein Gefängnis trat, mir einen davon gab und zu mir sprach:

Jetzt zeige, was du kannst, Großsprecher!

Ich protestierte, wollte ihm seine Gefahr vorstellen, – er ging mir auf den Leib, und ich verwundete ihn in den rechten Arm.[59]

Gleich warf er den Säbel weg, fiel mir um den Hals, küßte mich und blieb weinend an mir hängen.

Endlich, nach einigen recht konvulsivisch fröhlichen Blicken, sagte er:

Freund! Du bist mein Meister! Und du sollst, du mußt durch mich deine Freiheit erhalten, so wahr ich Bach heiße!

Wir verbanden den Hieb im Arme, der ziemlich tief war. Er schlich hinaus, ließ heimlich einen Feldscher holen, der ihn ordentlich verband, und abends war er wieder bei mir.

Hier machte er mir nun den Vorschlag:

Es sei kein anderes Mittel in der Welt, mich zu retten, als wenn der wachthabende Offizier mit mir ginge. Er selbst wolle gern sein Leben für mich aufopfern, aber einen Schelmenstreich könne er nicht für mich auf sich nehmen und von der Wache desertieren. Inzwischen gab er mir sein Ehrenwort, mir in wenigen Tagen einen Mann zu verschaffen, auch zu allem behilflich zu sein. –

Abends kam er schon wieder zu mir und brachte den Lieutenant von Schell mit. – Das erste Wort war:

Hier ist dein Mann!

Schell umarmte mich, gab mir sein Wort; der Handel war also geschlossen, und hiermit war ich meiner Freiheit versichert.


Nun kam es nur auf Abrede und Anstalten an.

Schell war erst aus der Garnison von Habelschwerdt nach Glatz gekommen und sollte in ein paar Tagen die erste Wache bei mir auf der Zitadelle verrichten. Bis dahin wurde alles verschoben.

Weil ich aber, wie oben erwähnt, kein Geld mehr von meiner Freundin erhielt, und meine heimliche Kasse nur noch in etwa 6 Pistolen bestand; so wurde beschlossen, daß Bach nach Schweidnitz fahren und mir daselbst von einem sicheren Freund etwas bringen sollte.

Hier muß ich den Leser unterrichten, daß ich eben damals mit allen Offizieren der Garnison in Einverständnis war. Der einzige Hauptmann von Roeder war streng und ernsthaft und schikanierte, wo er konnte.

Major von Quaadt war mein Verwandter mütterlicherseits,[60] ein lieber, menschenfreundlicher Mann, und wünschte mir nur Gelegenheit zur glücklichen Flucht, nachdem das Übel einmal so verwickelt, so hoch gestiegen war.

Die vier Lieutenants, die mich wechselweise bewachten, waren Bach, von Schröder, von Lunitz und von Schell. Der erste machte alle Anstalten und Entwürfe, Schell entfloh mit mir von der Hauptwache, und Schröder und Lunitz folgten uns innerhalb dreier Tage.

Zu verwundern ist es nicht, wenn Offiziere von den Garnisonregimentern so leicht zur Desertion zu verleiten sind. Meistens sind es geschickte, lebhafte Leute, Schulden- oder Händelmacher, oder untauglich zum Dienst. Diese werden zur Strafe zu solchen Regimentern geschickt, die der Ausschuß der Armee heißen. Mißvergnügt mit ihrem Zustand, mit weit geringeren Gagen als die anderen, bei der Armee verachtet, sind solche Leute zu allem zu verleiten, sobald sie nur einen Vorteil sehen. Den Abschied kann keiner erhalten, arm und dürftig sind sie ohnedies. Jeder glaubte sein Glück durch mich zu machen. Ich hatte allezeit Geld – was war leichter, als da Freunde zu finden, wo ein jeder mit seinem Zustand unzufrieden war und nur Gelegenheit wünschte, sich vom Sklavenjoche loszureißen?


Schell war ein Mensch von ganz außerordentlichen Talenten, sprach und schrieb sechs Sprachen und besaß den Kern aller schönen Wissenschaften. Er hatte bei dem Fouqué'schen Regiment gestanden; sein Obrist, der ein Pommer war, hatte ihn schikaniert; Fouqué konnte keinen gelehrten Offizier leiden und hatte ihn zum Garnisonregiment abgeschoben. Er forderte zweimal den Abschied; und der König drohte ihm mit Festungsarrest. Deshalb allein beschloß er zu desertieren und sich zu rächen, wenn er mich, dem Fouqué zum Trotze, aus dem Gefängnis befreite.

Wir redeten ab, daß bei seiner nächsten Wache alles veranstaltet werden sollte, um sodann bei der folgenden den Anschlag auszuführen. Alle vier Tage zog er auf Wache; folglich sollte die Flucht binnen 8 Tagen bewerkstelligt werden.

Nun war inzwischen wegen des einen oder anderen Verdachts, daß die Offiziere zu vertraulich mit mir umgingen, ein Befehl[61] ergangen, nach welchem meine Tür allezeit verschlossen blieb und mir das Essen durch ein Fenster in der Mitte derselben herein gereicht wurde. Den Schlüssel hatte der Major, und bei Kassation war verboten, mit mir zu essen. Die Offiziere hatten aber einen Nachschlüssel machen lassen und saßen halbe Tage und Nächte bei mir.


Gegenüber von dem meinen war das Gefängnis eines gewissen Kapitäns von Damnitz. Dieser war mit Kompaniegeldern aus preußischen Diensten desertiert, wurde Hauptmann bei seines Vetters Regiment in Österreich, und da er sich im Feldzug 1744 als Spion von ihm benutzen ließ, mitten in der preußischen Armee im Bauernkittel gefangen, erkannt und zum wohlverdienten Galgen verurteilt. Durch Fürbitte der schwedischen Volontäre, die damals bei der Armee waren, erhielt er Pardon und saß in Glatz auf Zeitleben cum infamia.

Dieser schlechte Mensch, welcher dennoch durch Protektion nach zweijährigem Arrest nicht nur die Freiheit erhielt, sondern sogar bei seines Vetters Regiment Obristlieutenant wurde, war nun damals der vom Platzmajor aufgestellte heimliche Kundschafter über die Arrestanten und hatte berichtet, daß, unerachtet des scharfen Verbots, die wachthabenden Offiziere die meiste Zeit bei mir zubrächten. Nun zog Schell am 24. Dezember auf Wache, kam gleich zu mir herein, blieb lange bei mir, und alles sollte an diesem Tage verabredet werden, wie wir bei seiner nächsten Wache entfliehen wollten.

Der Lieutenant von Schröder war an eben diesem Tage bei dem Kommandanten zum Essen eingeladen und hörte zufällig von dessen Adjutanten, er habe Ordre, den Lieutenant Schell von der Wache ablösen zu lassen und sogleich zu arretrieren.

Schröder, der von unserem Geheimnis wußte, glaubte nichts anderes, als daß wir verraten seien – ungeachtet dessen, daß es nichts anderes war, wie ich nachher erfahren habe, als daß der Spion Damnitz gemeldet hatte, daß Schell eben bei mir im Zimmer sitze.

Schröder läuft voller Schrecken auf die Zitadelle zum Schell und sagt:

Rette dich, alles ist verraten, du wirst sogleich arretiert![62]

Schell hätte sich allein ohne Gefahr in Sicherheit bringen können, denn Schröder trug ihm an, sogleich mit ihm Pferde zu nehmen und nach Böhmen zu reiten.

Was tut der rechtschaffene Mann aber in diesem Falle für seinen Freund?

Auf einmal tritt er in mein Gefängnis, zieht einen Unteroffizierssäbel unter seinem Rock hervor und sagt:

Freund! Wir sind verraten. Folge mir und laß mich nur nicht lebendig in die Hände meiner Feinde fallen!

Ich wollte mit ihm sprechen, er nahm mich eilfertig bei der Hand und sagte:

Folge! Es ist keine Minute zu verlieren!

Gleich warf ich meinen Rock über die Schulter, zog die Stiefel an und hatte nicht einmal Zeit, mein weniges noch verborgenes Geld mitzunehmen.

Wir gingen hinaus und er sagte der Schildwache:

Dein Arrestant geht mit mir in die Offiziersstube. Bleib hier stehen!

Wir gingen auch wirklich hinein, gleich aber wieder zur Seite hinaus; mein Freund war willens, mit mir unter dem Zeughause vorbei bis an die letzten Außenwerke zu gehen, dann über die Palisaden zu steigen und uns weiter zu retten, wie wir könnten.

Kaum hatten wir 100 Schritte gemacht, als uns der Major Quaade nebst dem Adjutanten begegneten. Schell erschrak, – stieg auf die Brustwehr und sprang vom Wall hinunter, der daselbst eben nicht so sehr hoch ist.

Ich folgte – sprang nach und kam glücklich hinunter, außer daß ich mir die Schulter an der Abdachung zerschunden hatte. Mein Freund hatte aber das Unglück, beim Sturz das Knöchelgelenk zu verrenken. Sogleich zog er seinen Degen und bat mich, ich sollte ihn durchbohren, und mir helfen, wie ich könnte. Er war ein kleiner schwacher Mensch; ich nahm ihn auf, half ihm über die Palisaden, dann auf meinen Rücken und lief geradezu mit ihm davon, ohne zu wissen, wohin.


*


Die Sonne war eben untergegangen, da wir entflohen, dabei die Luft neblig, und außerdem war Glatteis. Niemand wollte[63] nachspringen – der Lärm hinter uns her war gewaltig – jedermann kannte uns. Ehe aber jemand aus der Zitadelle die Stadt, und von da das Tor erreichen und uns verfolgen konnte, hatten wir eine gute halbe Stunde voraus.

Die Alarmkanonen wurden, wie bei Deserteuren gewöhnlich, schon abgefeuert, ehe wir 100 Schritte entfernt waren. Dieses schreckte meinen Freund noch mehr, weil er wußte, daß bisher aus Glatz noch kein Gemeiner glücklich entkommen war, der nicht wenigstens zwei Stunden Vorsprung hatte, ehe die Kanonen brummten, weil die sogleich alle möglichen Fluchtwege besetzenden Bauern und Husaren viel zu geübt und zu wachsam waren. Denn sobald ein Mann vermißt wird, läuft sogleich der Kanonier von der Hauptwache und brennt von drei Seiten der Festung die hierzu Tag und Nacht geladenen Kanonen ab.

Wir waren hingegen noch nicht 500 Schritte von den Wällen entfernt, da schon alles in Bewegung hinter uns vorwärts stürmte. Wir entsprangen am hellen Tage und kamen dennoch glücklich und wunderbar davon; welches ich einesteils meiner Geistesgegenwart, auch dem bereits erworbenen Rufe zu danken hatte, daß mich weder zwei noch drei Verfolger so leicht aufhalten würden.

Überdies vermutete jedermann, daß wir eine so wichtige Unternehmung gewiß nicht ohne ausreichende Verteidigungswaffen auf so desperate Weise gewagt hätten. Niemand wußte, wie übereilt wir uns entschlossen – noch, daß Schell seinen Degen, ich aber einen elenden Unteroffizierssäbel zur Notwehr hatten.


Unter den zum Nachsetzen kommandierten Offizieren war der Lieutenant Bart mein Freund; und dem Hauptmann von Zerbst vom Fouquéschen Regiment, der mich allezeit brüderlich liebte, begegneten wir unweit der böhmischen Grenze, wo er mir zurief:

Bruder, mach, daß du besser links zu dem dort liegenden einzelnen Haus kommst. Dort ist die Grenze – die Husaren sind eben nach rechts geritten!

Er ritt seitwärts, als ob er uns nicht gesehen wätte. Von den Offizieren hatten wir demnach nichts zu befürchten. Ein jeder half gewiß durch, wie er konnte; denn damals war im preußischen[64] Dienst die Bruder-oder Kameradenliebe noch so groß und das Ehrenwort galt noch so viel, daß ich wirklich im Glatzer Gefängnis, nebst zwei Offizieren, zu Neurode bei dem Baron Stilfried auf der Jagd und 36 Stunden abwesend war. Lieutenant von Lunitz war indessen an meiner Stelle im Bett Arrestant, und der Major wußte auch davon. So verließ sich damals einer auf des anderen Ehrenwort, und so gut kannte man den Trenck in Glatz, daß man ihn aus dem Kerker an der Böhmischen Grenze mit auf die Jagd nahm ...

Diese wahre kleine Geschichte zeigt den damaligen Nationalcharakter; und mit solchen verbrüderten Offizieren, die so viel auf ein Ehrenwort bauen, konnte der große Friedrich leicht seine Feinde schlagen.

Ich hatte meinen Freund kaum 300 Schritte getragen, so setzte ich ihn auf die Erde, sah mich um und konnte Stadt und Zitadelle nicht mehr sehen. Die Luft war zu trübe, folglich konnten wir auch nicht mehr gesehen werden. Meine Geistesgegenwart verließ mich keinen Augenblick; Tod oder Freiheit waren entscheidend beschlossen. Ich fragte also meinen Freund:

Wo sind wir, Schell? Wo liegt Böhmen? Wo fließt die Neiße?

Der gute Mann konnte sich nicht fassen, wußte sich nicht zu besinnen und verzweifelte an jeder Möglichkeit zur Rettung. Er bat nur, ich solle ihn nicht lebendig zurücklassen – zur Flucht sei keine Möglichkeit.

Nachdem ich ihm heiligst versprochen hatte, ihm vom schimpflichen Tode am Galgen zu retten, falls kein anderes Mittel übrigbliebe, und ihn durch meinen Mut aufmunterte, sah er sich um und erkannte an einigen Bäumen, daß wir unweit des Feldtores waren. Nun fragte ich:

Wo ist die Neiße?

Er wies nach seitwärts.

Freund, sagte ich. Alles hat uns gegen das Böhmische Gebirge zulaufen sehen. Dort ist es unmöglich, durchzukommen. Dort ist der Kordon besetzt, und alles von den nachsetzenden Husaren und Feinden folgt dorthin!

Ich nahm ihn wieder auf den Rücken und trug ihn zurück bis an die Neiße. Hier hörten wir schon in allen Dörfern Sturm leuten und die Bauern, welche den Desertionskordon besetzten,[65] von allen Seiten herbeilaufen und Alarm schlagen. Und da nicht jeder mann bekannt ist, wie man in Preußen in solchen Fällen verfährt, so will ich hiervon einen kurzen Begriff geben:

Sobald die Lärmkanone in der Stadt donnert, sind in derselben schon die Offiziere alle Tage bei der Parole bestimmt, welche zum Nachsetzen fertig sein müssen. In jedem Dorfe sind täglich gleichfalls die Bauern benannt, welche die Posten um die Stadt herum zu besetzen haben.

Die Offiziere sprengen sogleich hinaus und visitieren, ob alle diese Posten besetzt sind und ob die Bauern ihre Schuldigkeit tun. Auf diese Art ist es wunderselten möglich, daß ein Soldat von seinem Posten desertieren kann, falls er nicht bereits eine Stunde unterwegs ist, ehe die drei Kanonenschüsse geschehen.


Ich kam also an die Neiße; diese war nur wenig gefroren. Ich nahm meinen Freund und führte ihn hindurch, so weit wie ich waten konnte. Bei der Untiefe, die nicht ganz 3 Klafter breit war, mußte er sich an meinem Haarzopf festhalten, und so kamen wir glücklich an das andere Ufer.

Mein Vater hatte uns alle das Schwimmen lernen lassen, und ihm habe ich zu danken, daß diese Kunst, die man als Kind leicht lernt, mir verschiedene Male das Leben gerettet und mich oft entschlossener in großen Gefahren gemacht hat.

Man urteile, wie sanft es tat, am 24. Dezember zu schwimmen, und dann noch 18 Stunden unter freiem Himmel zu bleiben! Nebel und Glatteis hörten gegen 7 Uhr abends auf, dann folgten Mondlicht und Frost. Ich hatte an meinem Freunde zu tragen und wurde warm, aber müde. Er hingegen litt alles, was ein Mensch leiden kann – Kälte, Schmerzen am verrenkten Fuß, an dem ich viel vergebens arbeitete, um ihn in die richtige Lage zu bringen, und dabei Gefahr und Tod bei jedem Schritt vor Augen hatte.

Sobald wir das andere Ufer der Neiße erreichten, waren wir außer Gefahr, weil uns niemand auf dem Wege nach Schlesien suchte. Ich ging also eine gute halbe Stunde neben dem Ufer fort; sobald ich aber die ersten Dörfer im Rücken hatte, wo der Alarmkordon gezogen ist, und den Schell aus Erfahrung genau kannte, fanden wir zufällig einen Schifferkahn am Ufer, sprengten[66] das Schloß los, fuhren hinüber und gewannen in kurzer Zeit das Gebirge.

Hier setzten wir uns in den Schnee. Der Mut wuchs, wir hielten Rat, was weiter zu tun wäre und schnitten einen Stock zurecht, womit sich Schell zuweilen, um mich rasten zu lassen, auf einem Fuß weiterhalf; was aber der tiefe Gebirgsschnee mit seiner harten, einbrechenden Rinde umso beschwerlicher machte.

So verfloß die Nacht, wo wir im Schnee bis an den Bauch herumwühlten, ohne viel vorwärts zu kommen. Das unwegsame Gebirge erschien mir unübersteiglich. – Der Tag brach heran, wir glaubten schon nahe an der Grenze zu sein, die vier Meilen von Glatz entfernt ist, und hörten mit größtem Schrecken noch die Glatzer Turmuhr schlagen.

Müdigkeit und Kälte waren bei mir, und bei meinem Freunde die Schmerzen unerträglich. Den Tag hindurch war es nicht möglich auszuhalten, der Hunger nagte auch schon gewaltig. – Nach einiger Überlegung und einem etwa halbstündigen Vorwärtsarbeiten kamen wir an ein Dorf, welches am Fuße des Berges lag. Etwa 300 Schritte diesseits des Dorfes sahen wir aber zwei abgesonderte Häuser.

Die Hüte hatten wir beide beim Sprung vom Wall in Glatz verloren, Schell trug aber noch seine Schärpe und den Ringkragen als wachthabender Offizier, welches ihm bei den Bauern einiges Ansehen geben konnte. Nun schnitt ich mich in den Finger, bestrich Gesicht, Hemd und Rock mit Blut, wie ein Schwerverwundeter, und verband mir den Kopf. So trug ich den Schell bis an das Ende des Gesträuches unweit der Häuser.

Hier band er mir die Hände auf den Rücken, aber so, daß ich sie gleich frei machen konnte, tat sich Gewalt an, hüpfte mit seinem Stock hinter mir her und schrie um Hilfe.

Zwei alte Bauern kamen herausgelaufen.

Gleich, rief Schell, lauft in das Dorf, der Richter soll im Augenblick einen Wagen anspannen – ich habe den Spitzbuben eingeholt – er hat mir das Pferd erstochen, wobei ich ein Bein verrenkte – ich hab ihn dennoch zusammengehauen und gefangen. Geschwind einen Wagen, damit er noch gehenkt werde, ehe er krepiert!

So ließ ich mich halb tot in das Zimmer schleppen. Ein Bauer[67] lief in das Dorf; – ein altes Mütterchen und ein hübsches Mädchen hatten großes Mitleid mit mir, gaben uns Milch und Brot.

Wie erstaunten wir aber, als der alte Bauer den Schell bei Namen nannte und versicherte, daß er wüßte, wir wären selbst die Deserteure, weil schon am Abend vorher ein nachsetzender Offizier im Wirtshause gewesen, uns genannt, unsere Kleidung beschrieben und die ganze Fluchtgeschichte erzählt hätte. – Dieser Bauer kannte den Schell, weil sein Sohn bei der Kompanie diente und er öfters mit ihm in Habelschwerdt, wo er in Quartier lag, gesprochen hatte. Hier blieb also nichts anderes übrig, als schleuniger Entschluß und Geistesgegenwart. Gleich sprang ich hinaus, lief in den Stall, und Schell hielt den alten Bauern im Zimmer zurück, der aber ein ehrlicher Mann war und ihm indessen sogar den Weg sagte, den wir zu nehmen hatten, um Böhmen zu erreichen. Wir befanden uns nur ein und eine halbe Meile von Glatz entfernt und waren vielleicht 6 Meilen im Gebirge herumgeirrt.

Das Mädchen folgte mir, ich fand drei Pferde im Stall, aber keinen Zaum. – Ich bat sie beweglich, mir zu helfen; sie war gerührt, und wäre mir vielleicht auf der Stelle gefolgt. Gleich gab sie mir zwei Zäume; ich führte die Pferde hinaus – rief den Schell, er erschien mit seinem lahmen Fuß, ich half ihm hinauf.

Der alte Bauer weinte und bat um seine Pferde, hatte zum Glück aber keinen Mut, vielleicht auch keinen Willen, uns zu hindern, denn mit einer Mistgabel hätte er uns, die wir fast wehrlos waren, wenigstens so lange aufhalten können, bis das Dorf herzugeeilt wäre.


So ritten wir ohne Sattel, noch Hut auf dem Kopfe, davon; Schell in Uniform mit Schärpe und Ringkragen, ich aber in meinem roten Garde du Corps-Rock. Beinahe war alle Hoffnung vereitelt, da mein Pferd nicht von der Stelle gehen wollte. Als guter Reiter fand ich aber Mittel; Schell ritt vor, und kaum waren wir etliche hundert Schritte entfernt, so sahen wir die Bauern schon aus dem Dorfe herbeieilen. Unser Glück war der Feiertag. – Alles war in der Kirche, und der von uns abgeschickte Bauer hatte sie daselbst erst rufen müssen. Es war etwa 9 Uhr früh, denn wenn die Leute zu Hause gewesen wären, so waren[68] wir ohne Rettung verloren. Ich war müde und Schell lahm, wir hätten also auch nicht davonlaufen können.

Unser Weg ging gerade nach Wünschelburg. Hier gab es keine andere Möglichkeit, als durch die Stadt zu reiten. Schell hatte noch 4 Wochen vorher daselbst in Quartier gelegen, jedermann kannte ihn; nach unserer Equipage stellten wir ohne Hut und Sattel nichts anderes vor als Deserteure. Die Pferde liefen aber ziemlich gut und wir kamen glücklich durch, obgleich in der Stadt 80 Mann Infanterie und 12 Husaren zur Verfolgung von Deserteuren in Garnison lagen.

Schell kannte aber daselbst alles, folglich ritten wir um die Stadt herum durch die Vorstadt. Und da er von dort den Weg nach Bummern kannte, so kamen wir daselbst gegen 10 Uhr vormittags glücklich an, nachdem wir vorher dem Kapitän Zerbst, wie ich bereits erzählte, begegnet waren.

Welche Wonne unsere Seele an diesem Tage empfand, kann nur der denken, aber nicht schildern, der sie wirklich empfunden hat. Ein ehrlicher Mann, welcher im unverdienten Kerker leidet und durch eigene Kraft die Sklavenkette zersprengt, der sich wirklich die verlorene Freiheit trotz aller Fürsten- und Menschenmacht wiederzugeben wußte – der fühlt bei einem solchen Vorfall so viel Abscheu gegen alle Eigenmacht, daß ich selbst noch nicht begreifen kann, wie ich mich jemals wieder entschließen konnte, in einem despotischen Staate zu leben, wo Freiheit, Ehre, Glück, Zufriedenheit und Güter von der Willkür eines Gebieters abhängen, welcher auch mit dem besten Willen das Ganze eines ausgedehnten Staates nicht übersehen kann.

Niemals bin ich auch wohl bei all meiner in der Welt unternommenen Arbeit so rühmlich, noch mit solcher Herzensfreude und reiner Wollust müde geworden, als da ich den Freund, welcher für meine Freiheit einen so schändlichen Tod wagte, wenigstens 12 Stunden auf meinen Schultern getragen und ihn mit mir gerettet habe. Lebendig hätte uns gewiß niemand nach Glatz zurückgebracht. Ich war also, da diese unmöglich geglaubte Flucht so glücklich gelang, von der Vorsehung bestimmt, noch weit traurigere Rollen in der Welt zu spielen, als die erste, aus welcher alle übrigen hervorbrachen.


*
[69]

Wäre damals mein künftiges grausames Schicksal, wäre eine vierzigjährige Kette trauriger Zukunft meinen Augen aufgedeckt gewesen, ich hätte die Flucht aus Glatz gewiß nicht als Glück angesehen. Ein Jahr Geduld würde den aufgebrachten König besänftigt haben; und wenn ich alles mit gegenwärtig aufgeklärter Einsicht betrachte, so wäre es besser für mich und für den ehrlichen Schell gewesen, wenn wir uns nie gekannt hätten. Denn er geriet hierdurch in ein Labyrinth von Widerwärtigkeiten, die er allein durch seinen Tod beenden konnte. Was mir aber seitdem noch widerfahren ist, wird man in dieser Geschichte mit Mitleid und erstaunen lesen.

Indessen ist es mein Trost, daß die edelste Gattung von Ehrgeiz und das Naturgesetz selbst meine Unternehmung rechtfertigen. Denn:


Wer in das Wasser fällt, der schwimmt ja an Land;

Wenn Mast und Ruder bricht, so sucht der Schiffer Strand.

Ein Vogel, wenn es glückt, wird aus dem Käfig fliegen:

Und wer entfliehen kann, soll nicht in Fesseln liegen.


Ich war also nunmehr in Freiheit, in Braunau an der böhmischen Grenze, und schickte sogleich die 2 Pferde nebst dem mitgenommenen Unteroffizierssäbel an den General Fouqué nach Glatz zurück. Mein beigefügter Brief traf ihn so empfindlich, daß er alle Schildwachen, die vor meiner Tür unter Gewehr, auch an den Wällen, wo wir vorbeigingen, gestanden hatten, Spießruten laufen ließ – weil er am Tage vor meiner Flucht noch versichert hatte, daß es nunmehr un möglich sei, etwas zu unternehmen, und sich dennoch betrogen sah.

So rächt sich der Niederträchtige an den Wehrlosen und der Tyrann an der Unschuld. Nun sah ich zum ersten Mal mein Vaterland mit dem Rücken an – ich flüchtete wie ein Joseph aus seiner Mördergrube, den seine Brüder verstoßen und verkauft hatten; und alles, was ich damals verlor, schien mir im ersten Augenblick der Betäubung noch Gewinn für mich zu sein.

Mein Vermögen wurde sogleich konfisziert. Ich schrieb an den König, trug ihm den eigentlichen Verlauf der ganzen Sache vor, erwies ihm meine Unschuld ohne Widerspruch und bat um Gerechtigkeit, erhielt aber keine Antwort.[70]

In meinen Augen ist der Monarch hierin entschuldigt. Ein böser Mensch, welcher sein Vertrauen erschlichen, der Oberst Jaschinsky, hatte ihm einmal einen Verdacht gegen meine Treue eingeflößt; in meinem Herzen konnte er nicht lesen.

Um Gnade bitten wollte ich nicht, weil ich kein Missetäter war – und der König konnte und wollte nicht öffentlich zeigen, daß er sich in einem so wichtigen Falle hatte hintergehen lassen. Mein Eigensinn reizte folglich den seinigen; und mir fehlte Fürstenmacht, um den Prozeß zu gewinnen.

Der Monarch, welcher mich wirklich liebte, hatte mich im Anfang nicht ganz verstoßen. Ich erfuhr, aber leider zu spät! daß mein Arrest nur auf ein Jahr bestimmt war, um meine Treue zu prüfen. Dieses wurde mir aber nicht gesagt; auch dies ist ein Rätsel, welches ich in der Folge erst gelöst habe. Nämlich:

Der Platzmajor Doo war ein Liebling des General Fouqué, ein gewinnsüchtiger Mann. Er wußte, daß ich Geld hatte und wollte den Protektor spielen. Mir sagte er allezeit, ich sei auf Lebenszeit verurteilt und lenkte die Unterredung auf den großen Kredit des Generals bei dem König, auch den seinigen bei dem General. Für das Geschenk eines Pferdes, auf dem ich nach Glatz geritten war, erhielt ich die Erlaubnis, in der Festung spazieren zu gehen; und für ein anderes von 100 Dukaten rettete ich den Fähnrich Reitz, welcher mit mir entfliehen wollte und verraten wurde. Man versicherte mir, er sei an eben dem Tage, da ich ihm den Degen von der Seite riß und von den Glatzer Wällen als ein Verzweifelter herabsprang, wirklich in meinen Kerker gekommen, um mir erst nach vielen drohenden Vorbereitungen die freudige Nachricht zu überbringen, daß ich durch seine Bemühungen und des Generals Fürbitte nur ein Jahr in Arrest zu bleiben, folglich binnen weniger Wochen meine Freiheit zu erhoffen hätte.

Welche verfluchte Schandtat eines eigennützigen Menschen, um Geld zu erschnappen! Nachdem ich nun die erste ganz rasende Art zur Flucht wählte – wurde gewiß dem König die Intrige des Platzmajors nicht gemeldet. Man schrieb ihm nur, ich hätte etliche Tage vor Ablauf der mir zum Arrest bestimmten Zeit eine so verzweifelte Art erwählt, um zu entfliehen und zum Feinde überzulaufen.[71]

Mußte der Monarch, hierdurch betrogen und in seinem Argwohn bestärkt, nicht glauben, daß meine Sehnsucht, das Vaterland zu verlassen, unbegrenzt sei? Was konnte er anderes tun als befehlen, den festzuhalten, welcher ihm trotzen und seinen Feinden dienen wollte?

Auf diese Art und durch solche Ränke böser Menschen hat sich mein Schicksal immer mehr und mehr verwickelt, und endlich den allezeit hintergangenen Monarchen unempfindlich und sogar grausam gegen mich gemacht. Eins folgte aus dem anderen, bis sich mein Schicksalsberg bis zur Unübersteigbarkeit auftürmte.


Ich war nun einmal in Böhmen als ein Fremdling, ohne Geld, ohne Schutz noch Freund; auch blieb ich schon im 20sten Lebensjahre meiner eigenen Führung überlassen.

Im Jahre 1744 hatte ich in Braunau bei einem Leineweber in Quartier gelegen, und diesem Manne selbst Rat gegeben und mitgeholfen, seine besten Habseligkeiten zu vergraben und vor der Plünderung zu retten. Dankbar und freudig empfing uns der ehrliche Mann in seinem Hause. Zwei Jahre vorher war ich in demselben unumschränkter Gebieter gewesen, mit 9 Pferden und 5 Bedienten, voller Hoffnung und mit der günstigsten Aussicht in die Zukunft. Jetzt hingegen erschien ich bei ihm als ein Flüchtling, der Schutz sucht, der alles auf einmal verloren hat, was ein junger Mensch auf Erden verlieren kann.

Ich hatte nur einen Louisdor in meinem Besitz, mein Freund Schell 40 Kreuzer; und jetzt sollte er zuerst seinen ausgekugelten Fuß heilen lassen, dann aber in der Fremde Schutz, Brot und Ehre verdienen.

Meine Lage war nicht besser. Zum Trenck nach Wien wollte ich absolut nicht gehen und lieber in Ostindien mein Glück suchen, um nicht in meinem Vaterland den Argwohn zu bestärken, als ob ich wirklich untreue Gedanken gehegt hätte. Hierzu war mein Ehrgeiz zu neu, zu erhaben, und eben hierdurch mein Zustand umso hilfloser.

Ich schrieb nach Berlin an meine Freundin, erhielt aber keine Antwort; vermutlich, weil ich keinen sicheren Weg, um dieselbe zu erhalten, angeben konnte.

Meine Mutter war vom allgemeinen Ruf eingenommen und[72] hätte mir keine Hilfe geschickt. Meine Brüder aber standen noch unter Vormundschaft, und mein Freund in Schweidnitz konnte mir nicht antworten, weil er gerade nach Königsberg gereist war.

Innerhalb der drei Wochen, die wir in Braunau zubrachten, war der Fuß meines Freundes geheilt, hingegen meine Uhr, seine Schärpe und Ringkragen verkauft; unsere ganze Kasse bestand in weniger als 4 fl. Die Zeitung meldete damals, daß der berühmte Pandurenkommandant Trenck in Wien in einen schweren Kriminalprozeß verwickelt und scharf bewacht sei. Man urteile, wie einem Menschen meiner Gattung damals zu Mute war!

Noch nie hatte ich Mangel am Notwendigsten erlitten; überall war ich unter den Ersten im Vaterlande, geachtet, geliebt, auch bewundert; auf einmal aber in einem fremden Lande, hilf-, rat- und schutzlos, unentschlossen, welchen Weg ich wählen sollte, um Ehre und Brot durch mich selbst zu erwerben.

Ich beschloß also, den Weg bis nach Preußen zu meiner Mutter zu Fuß zu unternehmen, um von ihr Hilfe zu erhalten, dann aber russische Dienste zu suchen. Schell, dessen Schicksal von dem meinen abhing, wollte mich nicht verlassen.

Wir nahmen demnach Pässe als gemeine preußische Deserteure, mit umgekehrten Namen. Ich hieß Knert, und Schell hieß Lesch. So verließen wir am 21. Januar abends, ohne gesehen zu werden, Braunau und machten uns nach Bielitz in Polen auf den Weg. Ein Freund aus Neurode gab uns ein Paar Taschenpistolen, mir eine Flinte und drei Dukaten, die noch in Braunau zurückblieben. Wohlgemerkt: ich hatte eben diesem Freunde zuvor in der Not 100 Dukaten geliehen, die er mir noch heute schuldig ist; da ich sie damals forderte, schickte er mir drei Dukaten als ein Almosen.

Die umständliche Beschreibung dieser Reise könnte mit allen ihren Begebenheiten einen ganzen Band füllen. Ich werde aber nur einige davon erzählen, zugleich aber unser Reise-Journal hier einrücken, welches mein Freund Schell noch aufbewahrt und mir nach dreißigjähriger Trennung, da er mich im Jahre 1776 in Aachen besuchte, im Original hinterlassen hat.

Hier erscheint es getreu kopiert, und damit fängt der eigentliche[73] erste Auftritt an, wo ich als Abenteurer auf der Weltbühne erscheinen mußte.

Vielleicht hatte ich in meinem abenteuerlichen Leben noch mehr Glück als Unglück, mich aus Vorfällen und Schlingen zu reißen, in die sich tausend andere auf ewig verwickelt hätten? Gewiß war ich mehr als dreißigmal in Lebensgefahr, in solchen Gefahren, wo die Waage der Wahrscheinlichkeit in hundertpfündigem Gewicht für den Tod, gegen ein Lot Hoffnung, ausschlug. Gewiß unternahm ich Dinge, die meiner Verwegenheit glückten, wo viele andere, die das Gleiche mit gleichem Mut auf sich nahmen, ihr Grab fanden, oder wenigstens außerstande gesetzt wurden, ihre Geschichte der Welt noch, so wie ich, öffentlich vorzulegen.

Fußnoten

1 Dieses Trenck Vater und mein Vater waren leibliche Brüder. Ich werde in diesem Bande auch sein merkwürdiges Schicksal treu und so erzählen, wie es mir gründlich bekannt ist.


Quelle:
Trenck, Friedrich Freiherr von der: Des Friedrich Freiherrn von der Trenck merkwürdige Lebensgeschichte. In: Eberhard Cyran, Trenck, Memoiren und Kommentar, Berlin: Haude & Spener, 1966, S. 7–283., S. 74.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon