XIII. Anstand und Höflichkeit im brieflichen Verkehr.

[158] Wenn schon das gesellschaftliche Gespräch von den Gesetzen des Anstandes und der Höflichkeit geleitet werden muß, so ist es noch viel notwendiger, daß wir uns bei Abfassung von Briefen in jeder Hinsicht von den Gesetzen der Schicklichkeit und der guten Lebensart leiten lassen. Jeder Brief nämlich, er mag unter was immer für Verhältnissen geschrieben werden, hat einen bestimmten Zweck und darum eine besondere Wichtigkeit. Der Zweck mag sein, welcher er wolle, der Briefschreiber wünscht ihn zu erreichen, und darum gibt die ganze Art, wie sein Brief beschaffen ist, den Ausschlag. Dem Empfänger tritt in dem Briefe die Person des Absenders gegenüber; kennt er sie nicht, so macht er sich einzig und allein daraus seine Vorstellung von ihr, und hat er überhaupt Menschenkenntnis, so wird er damit auch nicht sehr irre gehen. Selbst unter gut miteinander bekannten und befreundeten Personen, welche es untereinander nicht so genau nehmen, hat der[158] Brief, das geschriebene Wort, eine weit größere Wichtigkeit, als der mündliche Austausch der Gedanken. Beim mündlichen Gedankenaustausch gibt ein Wort das andere, eine Einrede kann sofort widerlegt, ein schlecht ausgedrückter Gedanke sofort berichtigt, der Zweck in Rede und Gegenrede klar gestellt und erreicht werden. Was aber geschrieben steht, das steht geschrieben; jede Unklarheit, jede schiefe Wendung verwirrt und kann zu einer ganz verkehrten Auffassung führen, kurz, der Zweck kann völlig verfehlt werden. Dazu kommt, daß gar manches, was gesprochen werden kann und was in der Rede keinen Anstoß erregen wird, in der schriftlichen Darstellung gar nicht wiedergegeben werden kann, ohne daß man den Adressaten beleidigen würde. Aus all dem leuchtet hervor die Wichtigkeit des Briefschreibens und die Notwendigkeit, daß man gute Briefe schreiben lerne und schreibe. Gar mancher weiß nun nicht, wie er einen guten Brief, gut nach Inhalt und Form, zusammenbringen kann. Wir geben deshalb folgende kurze Anleitung.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 158-159.
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