1. In Bezug auf den Inhalt und die Fassung des Briefes

1. In Bezug auf den Inhalt und die Fassung des Briefes.

[159] 1. Das erste Haupterfordernis für einen guten Brief ist eine geordnete Gedankenfolge. Der Briefschreiber mache sich klar, ehe er sich zum Schreiben hinsetzt, welches der Zweck seines Briefes sein soll und was er denn eigentlich schreiben will. Am besten thut er, wenn er sich die Punkte, welche[159] er in seinem Briefe berühren will, vorher anmerkt und sie dann richtig ordnet, damit jeder Gedanke an seinem bestimmten Platze stehe und nichts vergessen wird. Ein vorheriges Entwerfen des Briefes ist besonders für den ungeübten Briefschreiber notwendig, weil es ihn vor unstatthaften Aenderungen im Briefe selbst bewahrt (siehe unten).

2. Der Inhalt eines Briefes sei klar und natürlich. Je einfacher und natürlicher sich der Mensch in seinem Schreiben gibt, desto mehr wird er in dem Empfänger die Ueberzeugung wecken, daß sich mit ihm auch einfach und natürlich verkehren lasse, daß er überhaupt ein einfacher und natürlicher Mensch ist, und an dieses Vorurteil werden sich auch ungesucht andere günstige Voraussetzungen knüpfen.

3. Der Inhalt sei dem Zwecke des Briefes entsprechend. Ihrem Zwecke nach können nämlich die Briefe sein: Geschäftsbriefe, Dank-, Bitt-, Gratulations- und Kondolenzbriefe oder auch Freundschaftsbriefe, oder endlich Antworten auf empfangene Briefe. Dem jeweiligen Zwecke wird sich also der Inhalt anpassen müssen.

4. Die Sprache sei natürlich, einfach, leicht und fließend, frei von allem Haschen nach geistreichen Einfällen, schwulstigem Satzbau und hochklingenden Phrasen. Man enthalte sich besonders in der Einleitung aller nichtssagenden, trivialen Ausdrücke und Wendungen und gehe am besten gleich zur Sache selbst, d.h. zur Veranlassung des Briefes über.

5. Der Ton des Briefes sei edel, nicht[160] gemein, nicht rücksichtslos und kränkend. Selbst wenn man durch einen empfangenen Brief zu einer beleidigenden Antwort gereizt worden wäre, so zahle man nicht mit gleicher Münze heim, sondern antworte, wenn man überhaupt antworten will, wohl entschieden, aber mit Anstand und Würde. Der Ton muß sich überhaupt nach der Person richten, für welche der Brief bestimmt ist. An Freunde z.B. schreibt man einfach, ohne Umschweife. Hier ist die Sprache des Herzens der Maßstab. An Vorgesetzte schreibt man bescheiden und ehrerbietig, an Untergebene liebvoll und wohlwollend. Ebenso richtet sich der Ton des Briefes auch nach dem Gegenstand desselben. Ist letzterer traurig, so sei der Ton ernst, ist er heiter, dann heiter. Geschäftsbriefe seien stets sachlich, klar und kurz.

6. Briefe an ganz Unbekannte bedürfen, ehe man zum eigentlichen Zweck übergeht, einer Entschuldigung, warum wir uns die Freiheit nehmen, an sie zu schreiben. Hier ist der Ton der vollkommensten Höflichkeit maßgebend. In je höflichere Form wir die Sache zu kleiden verstehen, je gewandter und fließender die Darstellung ist, desto eher werden wir erwarten dürfen, unseren Zweck zu erreichen.

7. In Briefen an Unbekannte, besonders in solchen an Vorgesetzte, hüte man sich ganz besonders vor Uebertreibung in Höflichkeitsphrasen. Des Vorgesetzten Güte hervorzuheben, seine Fürsorge, welche er für seine Untergebenen an den Tag gelegt hat, zu rühmen, ist gewiß nicht unschicklich.[161] Doch geschehe dies in aller Bescheidenheit von seite des Briefschreibers, damit nicht die Absicht hervorleuchte und verstimme.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 159-162.
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