B. Benehmen, wenn man einen Besuch empfängt.

[111] 1. Hat man die Pflicht, dem Nächsten überall und allzeit mit Höflichkeit und Zuvorkommenheit zu begegnen, so ist dies in doppeltem Maße der Fall im eignen Hause. Hier im Benehmen gegen andere Unfreundlichkeit, Härte, ein hochfahrendes Wesen und Unhöflichkeit zu zeigen, wäre nicht nur mi Verstoß gegen die Bildung überhaupt, sondern ganz besonders gegen die Nächstenliebe und Gastfreundschaft, die schon bei den Heiden so hoch gehalten wurde.

2. Instruiere die Dienstboten, daß sie beim Oeffnen nicht unnötige Fragen an den Besucher stellen, wie z.B.: »Wer sind Sie?« oder: »Was leben Sie beim Herrn zu thun?«, oder, wenn der Herr jemand nicht empfangen will, sagen: »Er hat mir gesagt, er sei nicht zu Hause«. Im letzteren Falle hat der Dienstbote einfach zu sagen: »Die Herrschaft läßt bedauern«, oder: »Die Herrschaft ist leider nicht zu sprechen« und statt allen[111] übrigen Fragen frage er nur: »Wen habe ich die Ehre, dem Herrn zu melden?« In gewöhnlichen Bürgershäusern wird man freilich den Dienstboten in dieser Hinsicht etwas nachsehen müssen, weil sie eben doch die feineren Formen der Höflichkeit nicht gewöhnt sind.

3. Empfängst Du den Besucher in einem eignen Besuchszimmer und nicht im Wohnzimmer, so laß ihn nicht zu lange auf Dich warten, nachdem er Dir gemeldet ist. Bist Du durch dringende Geschäfte verhindert, in das Besuchszimmer zu kommen, so schicke solange einen Vertreter für Dich und entschuldige Dich dann bei Deiner Ankunft dem Besucher gegenüber für Dein längeres Ausbleiben. Im Winter ist der Besuch in einem geheizten Lokal zu empfangen.

4. Empfängst Du einen Besucher im Wohn- oder Arbeitszimmer, so schickt es sich, bei seiner Ankunft aufzustehen, ihm entgegen zu gehen, ihn freundlich zu begrüßen, ihm einen Sitz anzubieten, überhaupt ihn mit der größten Aufmerksamkeit zu behandeln.

5. Zum Sitzen lade den Besucher ein mit den Worten: »Wollen Sie Platz nehmen?« oder: »Wollen Sie sich setzen?«, auch: »Bitte, nehmen Sie Platz«, biete ihm selbst den Stuhl an, nie aber Deinen eignen oder denjenigen, auf dem eben ein anderer gesessen.

6. Bitte ferner den Besucher, abzulegen oder nimm ihm selbst Hut und Stock ab.

7. Ist Dir Tag und Stunde bekannt, wo Du den Besuch einer Person zu erwarten hast, der[112] Du besondere Aufmerksamkeit schuldig bist, so erfordert es der Anstand, daß Du in Deiner Wohnung oder in Deinem Zimmer gehörig aufräumst, Ordnung und Reinlichkeit zeigst und alles beseitigst, was dem Gast unangenehm sein oder ihn mißstimmen könnte. Einen guten Ein druck wacht es, wenn Du dem Gaste entgegengehst, ihm die Hausthüre öffnest, ihm, falls er ein Gefährte hat, beim Aussteigen behilflich bist, ihm, wenn er weiter herkommt, Reisetasche oder sonstiges Gepäck abnimmst, ihm den Vortritt ins Haus lässest, die Zimmerthüre öffnest, und Kopfbedeckung, Mantel, Schirm, Stock usw. abnimmst.

8. Hat ein Vornehmerer auf eine bestimmte Stunde seinen Besuch ansagen lassen, so gehe ihm wenigstens bis zur Hausthüre entgegen und geleite ihn unter Ueberlassung des Vortritts ins Haus, führe ihn in das bessere Zimmer, bezeige ihm Deine Freude über die Ehre seines Besuches und begleite ihn bei seinem Weggehen; wie weit jedoch, hangt von den Umständen und dem Willen des Besuchers ab. Ist er zu Wagen gekommen, so sei ihm behilflich beim Einsteigen.

9. Für die Unterhaltung des Besuchs hat der Empfänger zu sorgen, jedoch so, daß der Besucher auch zum Worte kommt.

10. Die Miene des Empfängers des Besuches sei heiter, freundlich und zuvorkommend, der Gast soll merken, daß er willkommen ist. Man lasse ihn ja in keinerlei Weise merken, daß sein Besuch uns unangenehm ist, selbst wenn dies der, Fall wäre.[113]

11. Ist derjenige, der den Besuch empfängt, an einer Arbeit, so muß er sie unterbrechen; ist dieselbe dringend, so darf er den Besucher um Entschuldigung bitten, daß er sie noch vorher erledigen dürfe.

12. Ist der Empfänger des Besuchs gerade am Essen, so muß er auch dies unterbrechen und darf erst damit fortfahren, wenn der Besucher ihn dazu auffordert.

13. Wird ihm während des Besuchs ein Brief gebracht, so darf er ihn nicht aufmachen und lesen. Der höfliche und gebildete Besucher wird ihn aber ersuchen, davon Einsicht zu nehmen, was dann flüchtig geschehen muß, außer der Inhalt sei sehr wichtig und dringend.

14. Einen Besuch allein im Zimmer sitzen lassen, während man selbst hinausgeht, um dies oder jenes zu besorgen, wäre sehr unhöflich. Unter keinen Umständen aber darf man einen Höheren verlassen, um andere aus dem Zimmer zu begleiten; denn der Anstand verlangt, daß man seine Aufmerksamkeit in erster Linie der höheren Person zuwende.

15. Eine grobe Ungezogenheit wäre es, in Gegenwart eines Besuchs irgend ein Geschäft vorzunehmen, z.B. Briefe zu schreiben oder Zeitungen zu lesen.

16. Will sich der Besucher verabschieden, so halte ihn der Hausherr nicht auf, das wäre Zudringlichkeit, die höchstens unter guten Bekannten noch anginge. Man begleite ihn bis zur Treppe, und zwar geht man, wenn es spät abends ist,[114] mit dem Lichte voraus, dankt noch einmal für die Ehre des Besuchs und empfiehlt sich noch einmal (siehe auch Nr. 8).

17. Sind mehrere Besucher im Zimmer anwesend, so stehen, wenn sich einer verabschiedet, alle auf und machen eine Verneigung. In diesem Falle begleitet der Hausherr den Scheidenden bloß bis zur Thüre, die auf die Treppe oder die Straße führt. Er öffnet dieselbe, verabschiedet sich noch einmal und schaut dem Abgehenden so lange nach, bis er seinen Blicken entschwunden ist. Beamte, die in ihrem Amtszimmer empfangen, ebenso Damen, haben das Vorrecht, das Geleite zu unterlassen. Ist der Abgehende eine besonders hochgestellte Persönlichkeit, z.B. ein Bischof, ein Minister, so kann man die übrigen anwesenden Personen wohl eine Zeitlang allein lassen, um jenem bis zur Hausthüre oder bis zum Wagen das Geleite zu geben.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 111-115.
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