17. Können Sie mir dies Buch mal pumpen?

[116] Einen Menschen kann man wohl auch danach beurteilen, wie er mit seinen Büchern umgeht. – Natürlich kann man sowohl von einem geistigen wie von einem äußerlichen Umgang sprechen. Wie bei einem Freunde. Man kann ihn sehr hoch schätzen, kann mit ihm harmonieren und doch hin und wieder – etwa in einer Stunde schlechter Laune – unhöflich und sogar rücksichtslos gegen ihn sein.[116]

Ein wahrer Bücherfreund behandelt seine kostbaren Schätze geistig wie äußerlich mit viel Liebe und Sorgfalt. Seine Augen strahlen, wenn er vor seiner reichhaltigen, wohlgepflegten Bücherei steht und wenn er dann eins der Bücher hervorholt, um sich in dessen Inhalt zu vertiefen. Die Begriffe Raum und Zeit zerfließen wie im Nebel, weil er sich schnell in eine andre Welt hineinlebt, die ihm der Dichter schildert.

Sieht sich ein wirklicher Buchkenner eines andern Bücherei an, so wird er aus dem Gesamtbild bald Schlüsse in der Richtung ziehen, wie es mit dem geistigen Wert des Inhabers steht. Er sieht aus den Titeln der Bücher, aus den Verfassern, aber auch aus der Anordnung der einzelnen Werke und daraus, wie die Bücher behandelt und gepflegt sind, welche Beziehungen der Inhaber zu seinen Büchern hat.

Nicht immer sind Größe und Qualität des Bücherschranks maßgebend. Nur als Banausen kann man jene Zeitgenossen bezeichnen, die die geistige Beschaffenheit eines Menschen, vornehmlich die eigene, nach der Breite seines Bücherschranks beurteilen. Da kann man die ungeheuerlichsten Beobachtungen machen. –

Zwei Verlobte unterhalten sich über das anzuschaffende Herrenzimmer. Er ist ein Mann, der sich neben seinem Beruf in geistiger Hinsicht eigentlich nur für sein Terrarium interessiert und sich auch noch ein Aquarium anschaffen will. Hilde, seine junge Braut, meint, daß die Bücherei – der Möbelhändler hat diesen Ausdruck gebraucht, anstatt Bücherschrank; das hat ihr sehr imponiert – also, daß die Bücherei mindestens zwei Meter zwanzig breit sein müsse. Rolf bekommt eine gelinde Gänsehaut. Zaghaft setzt er Hilde davon in Kenntnis, daß er nur wenige Bücher besitze und daß er sich für Bücher eigentlich nie so recht interessiert habe. Hilde muß zugeben, daß sie, nachdem sie leider kürzlich erst ihre alten Schulbücher fortgegeben habe, auch eigentlich keinen Büchervorrat besitze.

»Da werden wir eben Bücher kaufen,« erklärt sie ziemlich kategorisch. – Nun, man wird sich ein Bild davon machen können, in welcher Weise diese beiden ihre Bücher zusammenkaufen werden, die nur den Zweck haben sollen, einen Bücherschrank zu füllen. Wir wollen gar nicht darüber nachdenken,[117] welches Schicksal den Büchern bevorsteht. Als Rolf diese Bedenken vorsichtig andeutet, bekommt er zur Antwort:

»Unsre Bücherei muß mindestens so breit sein, denn der Bücherschrank meiner Freundin Gerda ist ja schon gut zwei Meter breit.« Aus!

Wer gute Bücher besitzt, wird viel Freude, aber auch Freunde haben, die die Bücher auch mal lesen möchten. Und sie werden daraus kein Hehl machen. Werden sie sie auch pünktlich und in gleichem Zustand zurückbringen? – Diese Frage bewegt den Eigentümer der Bücher sehr. Meist gibt er seine Lieblinge, auf die er mit Recht maßlos stolz ist, nur unter einem gewissen Zwang fort. Er möchte nicht unhöflich sein. Auf die Versicherungen des andern wird er, gestützt auf gewisse Erfahrungen, wahrscheinlich keinen sehr großen Wert legen.

Wenn man viele, gute Bücher besitzt, geht das Ausleihen nicht ohne ein gewisses Kontrollsystem. Man kann sich einen Block vorgeschriebener Quittungsformulare in einer versteckten Ecke des Bücherschranks aufhängen und von jedem Entleiher eines Buches eine Quittung mit Titelangabe, Zeit usw. ausfüllen lassen. Diese Bescheinigung bewahrt man so lange auf, bis das Buch zurückgegeben wird. Von Zeit zu Zeit sieht man die Belege durch und mahnt freundlich da, wo es angebracht erscheint.

Diese Methode mag bürokratisch erscheinen und wird vielleicht auch manchen Buchentleiher vor den Kopf stoßen oder kränken. Daß sie ideal ist, soll nicht behauptet werden, wohl aber praktisch. – Es gibt noch einen andern Modus, der sich bewährt hat. Man hängt an die Innenseite der Schranktür ein zweiseitiges, durch Pappe verstärktes Formblatt auf. Die eine Seite trägt die Bezeichnung »Verliehen«, die andre »Geliehen«. Beide enthalten folgende Rubriken:

Nummer / Verfasser / Titel / geliehen am / von /zurückerhalten am:


beziehungsweise:


Nummer / Verfasser / Titel / geliehen am / von /zurückgegeben am:

Solche Übersichten sind übrigens später auch noch interessant.[118]

Ein Liebhaber von Büchern wird jedes in seinem Besitz befindliche Buch mit einem Exlibris (Bucheignerzeichen) versehen, das meist vorn im Buch erscheint. Von Künstlerhand entworfene und ausgeführte Exlibris geben dem Werk eine schöne Zierde. – Neuerdings befassen sich Meister der Kleingraphik auch mit der kaligraphischen Ausführung sogenannter Bücherflüche. Sie finden am Schluß des Buches Aufnahme und sollen den, der es entliehen und gelesen hat, an eine pünktliche Rückgabe erinnern. Mit Vorliebe bedient man sich einer recht drastischen Ausdrucksweise.

Es sollen hier einige solcher Bücherflüche folgen.


1.


Dies ist ein Buch, wie du es liebst,

behandle es beim Lesen gut.

Du bringst mich aber schwer in Wut,

wenn du es mir nicht wiedergibst.


Dann soll'n die Mäuse mit Behagen

dir deinen Bücherschrank zernagen.


2.


Bedenk', dies Buch gehört dir nicht,

du darfst nicht daran kleben.

Versäume nicht die heil'ge Pflicht,

es brav zurückzugeben.


Siehst du im Diebstahl deinen Dank

und nennst dies Buch dein eigen,

dann soll'n in deinem Bücherschrank

sich Pest und Teufel zeigen.


3.


Wer mir dies Buch gestohlen,

den soll der Teufel holen!


4.


Gern will ich dieses Buch dir leih'n.

Sei gut zu ihm beim fleißigen Studieren.

Doch sollte ich das Buch durch dich verlieren,

dann könnt' ich dir, dem Diebe, nie verzeih'n.[119]

Komm' du mir niemals wieder in die Quere,

sonst träfe dich mein Fluch in ganzer Schwere.


5.


Des Buches Feinde sind allein die Toren.

Es wird ihr Buch zum eig'nen Konterfei,

denn man erkennt sie einwandfrei

an Flecken und an Eselsohren.


Den Bücherfreund erfaßt darob ein Grausen.

Drum wirst du dieses Buch recht nett betreu'n,

zum Danke wird es dich erfreu'n,

denn du gehörst ja nicht zu den Banausen.


Viele kunstvoll gebundene Bücher und wertvolle Werke werden ihren Besitzer und Beschirmer überleben, der seine Kostbarkeiten so liebt, daß er ihnen auch für die Zeit nach seinem Tode gute Behandlung und Betreuung wünscht. Ihm werden vielleicht folgende Bücherflüche willkommen sein:


6.


Was du hier übernimmst als müheloses Erbe,

schuf einst ein ed'les deutsches Kunstgewerbe,

ein Buch, das Geist und Herz dir gibt.

Und so, wie ich das Buch dereinst geliebt,

gehegt, gepflegt bis an mein Lebensende,

so sollen es auch deine Hände

mit Ehrfurcht und mit Sorgfalt stets betreu'n.

Dann wird auch dich das Buch erheben und erfreu'n.


7.


Der Inhalt und des Einbands Pracht

hat dieses Buch mir wert gemacht.

Seitdem ich in den Hades eingegangen,

ist es mein sehnlichstes Verlangen,

daß der, dem heut' das Buch gehört,

nicht meine letzte Ruhe stört.


Darum erspar' dir meinen Fluch

und schone brav dies schöne Buch.
[120]

8.


Dies Buch wird sicherlich mich überleben,

denn es ist lebensstark und lesenswert.

So bitt' ich den, dem später es gehört,

schütz' mir das Buch vor Spinngeweben!


Du wirst, so hoff' ich, kein Banause sein,

denn nur, wer geistlos ist und dumm

geht lieblos mit dem schönsten Buche um.

Erspar' mir nach dem Tode diese Pein!


Sonst wird mein Geist in Rache dem gemeinen

Schrifttumsbanausen nachts im Traum erscheinen.


Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 116-121.
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